Dienstag, 19. September 2017

"Es ist dein Leben, das nicht zu diesem Ort passt."



"Dieser Ort passt nicht zu meinem Leben."
"Es ist dein Leben, das nicht zu diesem Ort passt."

"Warum singt er ihnen was vor, Onkel Henry?"
"Für ihn gibt es nicht nur Sonne und Regen.
Auch die Balance und Harmonie sind wichtig."




Manchmal denke ich, dass ich zuviel Zeit habe, wenn ich Zeit habe. Dann denke ich von einem ins andere, vom hundertsten ins tausendste - doch meistens geht es mir gut dabei. Dann wühle ich alte, verstaubte und auch noch nicht ganz so alte Träume und Wünsche wieder hervor, betrachte sie im Sonnenlicht wie unter Glas, mit einem zusammengekniffenen Auge und schiefem Mund, ganz konzentriert - und dann frage ich mich: Ist JETZT dieser richtige Zeitpunkt?
Gibt es einen richtigen Zeitpunkt - oder verpassen wir all das, was wir wollten, während wir darauf warten, dass der perfekte Moment eintreten möge?

Inmitten allen Geschehens möchte ich mich treiben lassen - einfach so, wie ohne Zeit und Raum, und dann möchte ich mich davon auch nicht abbringen lassen.
Ruhe genießen, wenn Ruhe ist.
Ich muss nicht auf den höchsten Berg steigen und auch nicht in das tiefste Meer tauchen, ich muss mich nicht aus Wolken werfen und mit giftigen Tieren um die Wette laufen.
Ich verfalle nicht in Trübsinn, wenn es in den wenigen Tagen des Urlaubs regnet; stattdessen hole ich mein Spiel hervor und strecke mich wohlig aus. Natürlich kann ich das auch zu Hause. Man kann alles zu Hause oder an einem anderen Punkt der Welt machen. Aber man muss nicht alles machen.
Vielleicht ist es mein Manko, zu wenig Ehrgeiz für das immer höher und das immer weiter wollen zu haben.
Vielleicht ist es aber auch ein Pluspunkt, in einer Zeit wie dieser, die gefühlt immer schneller zerrinnt, anhalten und stehenbleiben, sich umschauen zu können. Wahrzunehmen. Zu hören. Zu riechen. Zu schmecken. Und befinden zu können, was davon gut für mich ist und was nicht - und sich nicht unter Druck zu setzen mit all dem, das man nun noch nicht getan hat.

Insofern ließ ich mich gestern auch so gar nicht von der "selbst gemachten" Hektik des Büros anstecken, ich ließ auch nicht zu, dass angespannte Stimmungen gleich einem mittleren Hurrikan über mich hinwegfegen und mich beugen würden. Und auch altbekannte Vorwürfe "Ich bin der Dümmste von allen, denn IHR macht alle einfach Urlaub" liefen an mir vorbei, einfach so, auf Wiedersehen, gute Reise.
Ich will nicht, also tu ich nicht. Ich gebe zu, es fällt mir oft genug schwer, mich zu disziplinieren, mich zu ermahnen. Vermutlich muss es die Macher unter uns geben, die die Entwicklungen, die Wirtschaft und was weiß ich noch alles vorantreiben. Da ist für die Träumer kaum mehr Platz. Weil sie unproduktiv sind und keinen Gewinn erbringen. Glaubt der Macher. Glaubt er zu wissen.
Und verwechselt Träumerei mit Faulheit, mit Antriebslosigkeit. Während der Träumer weiß, dass er seine Energie aus genau den kleinen Inseln zieht, die er rings um sich herum erschaffen kann.
In den letzten zehn Jahren war ich sehr oft krank, die Muskulatur, der Magen, der Bauch, die Lunge.
Im Gegenzug war ich erfolgreicher als je zuvor, erarbeitete mir Position und Verdienst - und verlernte beinah das Träumen. Verlor mich beinah, weil ich mich mitreißen ließ in einem Strudel aus permanenter Erreichbarkeit, Arbeit bis spät in die Nacht, Aufstehen halb zwei Uhr morgens, weil man aus einem Traum hochgeschreckt ist und sich fragt: "Habe ich dieses und jenes schon beantwortet und erledigt? Habe ich dies und jenes richtig bedacht und getan?" und schaltet den Rechner ein, prüft, nur um zehn Minuten später erleichtert zwischen Decke und Laken zu kriechen, während der Schreck noch immer schmerzhaft in den Schläfen pocht.
Im Moment stehe ich auf dieser Position, ich entwickle mich nicht weiter - und ich bin unschlüssig.
Könnte ich noch weiter? Würde ich noch weiter wollen - und was wäre der Preis dessen?
Die Gesundheit opfern für den Erfolg?
Früher habe ich mich oft gefragt, ob ich einfach auch nicht stark genug bin, wenn ich all das nicht abfedern kann. Doch dann betrachte ich die Macher um mich herum - und sehe: Es geht ihnen am Ende genauso wie mir.

Vermutlich ist es eine Frage des Alters, dass ich mir die Frage stelle: Will ich so immer noch weiter, will ich etwas ganz anderes - und was davon will ich wirklich? Manchmal verblassen diese Fragen und manchmal leben sie umso deutlicher wieder auf, als würden sie in großen roten Lettern an die weiße Wand vor mir gemalt.

Möglicherweise warten wir alle mehr oder weniger auf den Anlass, die Chance, die uns ermöglicht, hier auszusteigen und an dem anderen Ort... wieder einzusteigen. Wohl wissend im Grunde, dass wir es selbst in die Hände nehmen müssen, wenn wir etwas verändern wollen.
Es gibt schon Dinge, in denen ich ausgesprochen spontan und vielleicht auch unüberlegt handelte.
Aber in den wirklich - für mich - elementaren Dingen lasse ich mir die Zeit, die ich brauche. Ich kann nur in meinem eigenen Tempo gehen.

3 Kommentare:

Bohli hat gesagt…

Du wirst deine Geschwindigkeit finden und dadurch auch deinen Weg gehen wie du ihn schon so oft gegangen bist.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ich glaub, meine Geschwindigkeit habe ich schon ;) Es ist zuweilen der Weg, der mir dabei fehlt - jedoch stelle ich auch fest, dass er sich gar nicht so selten in dem Moment ergibt, wo man dabei ist, einen Schritt vor den anderen zu setzen.
Eine gute und eine wichtige Erfahrung der letzten Jahre.
Am Anfang hat der Mann oft gesagt "Du machst mich wahnsinnig mit deiner Gelassenheit."
Heute sagt er: "Ich hätte so gerne was von deiner Entspanntheit."
Natürlich ist das nicht immer und überall so. Sicherlich themenabhängig. Fazit ist dennoch: Jeder kann nur in seinem eigenen Tempo gehen und auch nicht entgegen seiner Überzeugungen handeln. Versuche ich das, weil ich mich drängen ließ, bereue ich es. So war das immer.

petra {limeslounge/gk} hat gesagt…

Du Liebe, ich schick Dir mal ganz liebe Grüße, fühl Dich gedrückt, ich denke jeden Tag an Dich.