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Vergangenen Samstag besuchte ich eine Freundin, und als ich anschließend heimkehrte, hielt es mich nicht zu Hause. Ich musste noch mal raus, in die Sonne, unter Menschen, ich wollte Bewegung, Ablenkung und dafür ein bisschen weniger Karussell im Kopf. Weil sie so still war, so ruhig, so traurig, und sagte "Aua, das tut mir auch weh", als ich sie an mich drückte. Das wurde ich irgendwie nicht los. Ungefähr vier Stunden lief ich draußen herum, immer die Musik im Ohr, fremde Menschen, die einen anlächelten oder auch nicht. Ich dachte an die früheren Jahre, an die Jahre dazwischen und an das Jetzt.
Müde saß ich irgendwann auf einer Bank und wartete auf die U-Bahn. Neben mir ein älterer Herr, überaus akkurat geschnittenes Haar, glatt gebügeltes Oberhemd, sorgfältig gepflegt und - in Jogginghosen und Badelatschen. Ich fand das irgendwie cool.
Ich hatte die Kopfhörer abgenommen, schaute irgendetwas nach, da sprach er mich an. Eine sehr bedachte Ausdrucksweise, sehr ruhige Stimme, immer ein Lächeln um die Mundwinkel, und er wies auf die Menschen, die versuchten, unbedingt noch in die U-Bahn zu kommen.
"In zwei Minuten kommt doch schon die nächste U 6."
"Ja und in fünf Minuten noch eine U 6."
Er nahm die dritte U 6 und bis dahin amüsierten wir uns über die hektischen Menschen, philosophierten über Formel 1 und den Fußball, bis er sich verabschieden musste. Er nahm Platz in der Bahn, wir lächelten einander an, dann fuhr er heim zu seiner Frau.
Ich lehnte mich zurück, ich fühlte mich irgendwie besser und dachte.. "Du solltest öfter ohne Kopfhörer laufen."
In solchen Momenten denke ich, es kann alles so einfach sein, so entspannt. Ist es nicht scheißegal, woher jemand kommt und wohin er fährt? Wie belastbar wir sind oder auch nicht? Wieso hegen wir spontan Vorurteile, nur weil jemand anders aussieht, woanders herkommt? Wieso erniedrigen wir Menschen, anstatt ihnen zu helfen?
Aufmerksam geworden durch einen Kommentar meiner Nichte las ich einen Bericht der AfD, respektive des BR über ein Gewaltverbrechen im vergangenen Jahr in Bayern. Sie bedienten sich des Berichts, aber natürlich gaben sie ihn ganz anders wieder. Schon beim Lesen konnte ich mich des Gefühls eines Bildzeitungsniveaus nicht erwehren - und dann las ich auch noch vereinzelte Kommentare. Das hätte ich einfach bleiben lassen sollen. Es ist erschütternd, was dem Elfjährigen passiert ist - darüber nachdenken darf ich nicht. Ehrlich gesagt, erschütterte mich aber auch, dass die meisten (bekennenden) AfD-Wähler lediglich den Post der AfD lasen, ohne den verlinkten Beitrag des BR aufzurufen. Was aus meiner Sicht zwar nicht die Tat verändert oder beschönigt, aber die Polemik weglässt, mit der der Post durch die Blauen inszeniert worden ist, die einfach nur dazu dient, die Leute aufzubringen nach dem Motto "Seid Ihr blind und seht das nicht - mit uns wird alles anders." Anders kann ichs irgendwie gerade nicht beschreiben. Ich fragte mich, soll ich was dazu sagen, ja, nein, letztlich sind wir alle erwachsen, wir haben alle ein Recht auf unsere Meinung und alle die Freiheit, wählen zu dürfen, wen wir für richtig empfinden. Es wird sowieso kein überzeugter Blau-Anhänger seine Meinung ändern. Oder mehr nachdenken.
Aber es erschüttert mich, wenn jemand schreibt, dass die Leute mit den zwei Buchstaben wieder her sollten. Das kann niemand ernst meinen - aber ich fürchte, er tut es doch. Auch wenn ich weiß, Trolle im Netz gibt es genug.
Es erschreckt mich auch, wenn die Leute blind kommentieren "Die Eltern gehören bestraft, die holen sich die Gefahr ins Haus." Nur weil im Post von "bei sich aufgenommen und Integrationshelfer" geschrieben wird - was aber gar nicht der Wahrheit entspricht. Sie wohnten lediglich im selben Haus. Ins Kinderzimmer geschlichen hat er sich auch nicht - und ob er "Stirb Stirb Stirb" gerufen hat, bezweifel ich. Macht die Darstellung einen Unterschied? Ja - ganz offensichtlich, wenn man die inzwischen knapp zweitausend Kommentare und über sechstausend Likes betrachtet.
Jeder weiß auch, wie schwierig die deutsche Sprache ist. Sieht man ja auch bei den Rechtschreibkünsten der ach so supertollen Deutschen. Jeder weiß auch, wie umständlich die deutsche Bürokratie ist.
Ich erinner mich da noch an meinen 1. Antrag auf Elterngeld - ein ungefähr 10seitiges Pamphlet und die Dame vom Amt meinte damals "Geben Sies erstmal her, wir korrigieren eh immer noch was, aber dann haben wir es erstmal und fordern nach, was uns noch fehlt." Stolz wie Bolle war ich, dass bei mir nix nachgefordert oder nachgefragt werden musste. (Manchmal hat Genauigkeit ja doch was Gutes ;))
Und warum soll ich jemandem nicht helfen, der Probleme mit seinen Formularen hat? Wie soll ich ahnen können, dass derjenige eines Tages auf mein Kind losgeht? Ich erinner nur noch mal an 2013, als der Paketbote (ein deutscher Hühner-Landwirt, übrigens) viel zu aufdringlich wurde und dann noch mit Blick auf meinen Jüngsten meinte, dass Kinderarme bei Kannibalen übrigens eine Delikatesse seien. Und warum? Weil der mal dringend musste und fragte, ob er mein Badezimmer benutzen dürfe. Hätte ich Nein sagen müssen? Oder sagen müssen "Kack doch in den nächsten Busch?"
Warum soll ich immer erst mal von etwas Schlechtem ausgehen, wenn ich Pakete für Nachbarn annehme, egal welcher Herkunft? Der mit Migrationshintergrund übrigens, der hat sich ganz freundlich ganze dreimal bedankt für die Annahme eines Paketes, während hingegen der Deutsche auch nach drei Tagen noch nicht da war, um es abzuholen, sondern darauf wartete, dass man es ihm brachte. (Seitdem überlege ich mir, für wen ich was annehme.)
Jemandem beim Formular auszuhelfen - ist das nicht einfach auch Nachbarschaftshilfe? So wie man sich Mehl oder Eier borgt?
Ja, ich habe Angst im Dunkeln und ich habe auch Angst spätabends allein auf der Straße. Wenn ich kann, vermeide ich das. Woher das kommt, weiß ich - und es hat überhaupt gar nichts mit Menschen anderer Kulturen zu tun. Es hat etwas mit einem Mann zu tun, der übrigens deutsch war. Es schützt mich gar nicht, obs ein Deutscher ist oder nicht - das hatte es damals vor vielen Jahren ja auch nicht.
Beschönigen.. will ich gar nichts. Es gibt viele Probleme mit Integration, es gibt No Go-Areas in Großstädten und auch ich halte es noch heute immer noch für falsch, 2015 so vielen Menschen die Einwanderung erlaubt zu haben, ohne einen Plan zu haben, wie ich das Ganze umsetze und löse - für alle Beteiligten. Es soll aber bitte auch niemand so tun, als hätten wir keine deutschen Kriminellen und keine deutschen Arbeitsscheuen und Sozialschmarotzer, die lieber mit weniger Geld leben, aber dafür nicht einen Finger krumm tun.
Dreimal ist mir beim Lesen der Kommentare der Kragen geplatzt, dreimal hab ich etwas geschrieben. Und wie wirklich immer bei kontroversen Themen keine Antwort bekommen. Wie auch. Dann müssten die Leute ja nicht nur Text lesen, sondern auch antworten - und wer antworten will, muss (oder sollte zumindest) nachdenken. Aber das.. scheint viele auch zu überfordern.
Wenns den Kopf anstrengt, ist es schon zuviel (verlangt). Und solche Leute wählen eine Partei, die das Leben aller verändern kann. "Mir scheißegal, ich bin Protestwähler", höre ich öfter.
Ja dann wählt doch die Tierschutzpartei oder die Freien Wähler! Dann nehmt Ihr den Alteingesessenen auch die Stimme, aber Ihr gebt sie nicht den Falschen. Die sind Euch zu klein? Man hat doch bei der kackblauen Partei gesehen, wie schnell man stark wird. Dann geht das auch bei anderen.
Leider Gottes sind nicht alle Kinder so unbedarft wie der Junge im Twitter-Zitat. In dem Alter machts noch die Erziehung.