Liebe W.W.,
ich weiß, wir hatten uns eigentlich versprochen, dass wir zurückkehren würden zu Stift und Papier. Dass wir einander wieder schreiben würden so wie schon einmal vor vielen Jahren, als ich noch Deine Handschrift bewunderte und mich fragte, wie man so schreiben kann, ohne einen halben Tag für nur einen einzigen Satz aufwenden zu müssen.
Aber weißt Du... Dieses Versprechen ist jetzt genau 9 Monate alt. Und weißt Du, manch eine bekommt in dieser Zeit ein richtiges fertiges kleines Kind so mit allem Drum & Dran, zehn Fingern, zehn Zehen und so. Wir nicht. Wir schaffen in all der Zeit nicht mal eine einzige Zeile und auf meine kleine Grußkarte aus dem kleinen pittoresken Badeort hast Du natürlich auch nicht reagiert. Ich fürchtete irgendwie schon, Du seist mir ein weiteres Mal abhanden gekommen, ausgewandert vielleicht, ausgewildert womöglich gar - und nichtsdestotrotz packte ich vor einigen Tagen ein kleines Päckchen zusammen. Du hattest nämlich Geburtstag. Vor - ich glaube - zwei Jahren widmete ich Dir hier ganz pünktlich einen ganz persönlichen Post. Aber weißt Du, dieses Jahr ist irgendwie der Wurm drin, ich weiß ja auch nicht so recht. Dem eigenen Bruder gratuliere ich geschlagene vier Wochen zu früh, Dir zwar pünktlich, wenn auch auf die allerletzte Minute beinah - aber das kleine Überraschungspäckchen erreicht Dich dann eben trotzdem einen Tag zu spät. Ein bisschen konsterniert hatte ich ja schon auf Deine Reaktion geschaut, die sich da in meinem Sperrbildschirm breitmachte. Von wegen "Na endlich!!" und ich dachte: Watt willse?
Mit dem Öffnen des Nachrichtenfeldes jedoch besah ich das ganze Drama und musste dann doch auch irgendwie ein bisschen lachen. Es ist ja nicht so, dass die Erklärung des neunmonatigen Schweigens nicht auch doch zu Dir passen täte, von wegen so mit zerdeppertem Handy und kein Backup und all sowas, nun ja. Im Gegenzug könnteste mir ja auch vorhalten: Du Eule, schreib einfach eher und nicht erst nach 9 Monaten. Womit Du ja irgendwie wiederum auch recht hättest - aber ich rede mich ja doch ganz gerne mal aus heiklen Situationen heraus und beteuere, dass echte Bindungen ja irgendwie auch nicht gleich bedeuten, dass man sich jeden Tag schreiben oder gar sehen muss. Die Verbindung im Herzen, nicht wahr, die gibt es ja schließlich immer noch - und Du weißt auch ziemlich gut, glaube ich, dass ich Dich genau da überall mit herumtrage, von Nord nach Süd und Ost nach West und auch wieder zurück.
(Habe ich da jetzt eigentlich gekonnt die Kurve gekriegt?)
Aber weißt Du... Dieses Versprechen ist jetzt genau 9 Monate alt. Und weißt Du, manch eine bekommt in dieser Zeit ein richtiges fertiges kleines Kind so mit allem Drum & Dran, zehn Fingern, zehn Zehen und so. Wir nicht. Wir schaffen in all der Zeit nicht mal eine einzige Zeile und auf meine kleine Grußkarte aus dem kleinen pittoresken Badeort hast Du natürlich auch nicht reagiert. Ich fürchtete irgendwie schon, Du seist mir ein weiteres Mal abhanden gekommen, ausgewandert vielleicht, ausgewildert womöglich gar - und nichtsdestotrotz packte ich vor einigen Tagen ein kleines Päckchen zusammen. Du hattest nämlich Geburtstag. Vor - ich glaube - zwei Jahren widmete ich Dir hier ganz pünktlich einen ganz persönlichen Post. Aber weißt Du, dieses Jahr ist irgendwie der Wurm drin, ich weiß ja auch nicht so recht. Dem eigenen Bruder gratuliere ich geschlagene vier Wochen zu früh, Dir zwar pünktlich, wenn auch auf die allerletzte Minute beinah - aber das kleine Überraschungspäckchen erreicht Dich dann eben trotzdem einen Tag zu spät. Ein bisschen konsterniert hatte ich ja schon auf Deine Reaktion geschaut, die sich da in meinem Sperrbildschirm breitmachte. Von wegen "Na endlich!!" und ich dachte: Watt willse?
Mit dem Öffnen des Nachrichtenfeldes jedoch besah ich das ganze Drama und musste dann doch auch irgendwie ein bisschen lachen. Es ist ja nicht so, dass die Erklärung des neunmonatigen Schweigens nicht auch doch zu Dir passen täte, von wegen so mit zerdeppertem Handy und kein Backup und all sowas, nun ja. Im Gegenzug könnteste mir ja auch vorhalten: Du Eule, schreib einfach eher und nicht erst nach 9 Monaten. Womit Du ja irgendwie wiederum auch recht hättest - aber ich rede mich ja doch ganz gerne mal aus heiklen Situationen heraus und beteuere, dass echte Bindungen ja irgendwie auch nicht gleich bedeuten, dass man sich jeden Tag schreiben oder gar sehen muss. Die Verbindung im Herzen, nicht wahr, die gibt es ja schließlich immer noch - und Du weißt auch ziemlich gut, glaube ich, dass ich Dich genau da überall mit herumtrage, von Nord nach Süd und Ost nach West und auch wieder zurück.
(Habe ich da jetzt eigentlich gekonnt die Kurve gekriegt?)
Immerhin ist die Überraschung jetzt bei Dir - und Du schreibst mir, Du hättest gelacht und geweint zugleich und Dich einfach nur gefreut, alles ausgepackt - nur die Karte, die musste der C. Dir vorlesen, weil Du Deine Brille nicht finden konntest (Warte mal... C.? Hieß der junge Mann echt so, der Dich zu mir auf den Weihnachtsmarkt gebracht hatte? Oder gibts da was, das ich noch nicht weiß?).
Und wieso Brille? Bist Du jetzt auch schon soweit?
Moment.. Was ist das da für ein Bild vor meinem inneren Auge? Wir in dicken, hautfarbenen Thrombosestrümpfen mit ausgeleiertem Bund (ja genau, wenn schon, denn schon), mit Zahnprothesen und wildem grauen Haar.. Wir, die mit arthritischen Fingern versuchen, ein paar Anekdoten auf das Papier zu bringen, während wir ein bisschen lachen, weil wir uns vorstellen, wie sich die andere grad mit der einen Hand verzweifelt den Wollstrumpf überm Thrombosestrumpf hochzuziehen versucht, (frieren im Alter sei bekannt, sagt man), während sie mit der anderen Hand den Brief hält und versucht zu lesen. Was ja immer schwieriger wird, nicht wahr, Arthritis und Schönschrift, eine unglückliche Beziehung ohne Happy End - ganz im Gegensatz zum wahren Leben ihrer Besitzer..
Und denke mal nicht, ich sei schon ganz komplett auf den Kopf gefallen - denn Du antwortest auf alles, nur nicht auf die Frage nach C. - aber Frollein, so kommst Du mir nicht davon. Ich habs in den Fingern, aber nicht im Kopf!
Warte mal.. Was schickstn Du da? Oh ein Bild! Na gugge. Du und C., im Bett auch noch (Ihr tragt jetzt Sachen beim Sex? Ist es jetzt schon soweit?), aber warte mal, ja also C. - tatsächlich, das war doch der vom Weihnachtsmarkt, ich erkenn den wieder!
Was schreibste? Du hättest das nicht absichtlich nicht beantwortet? Okay, kann man ja auch mal vergessen, alles klar. Wer schon ne Brille braucht, dem ist auch das Vergessen nichts Neues.
Was schreibste? Du hättest das nicht absichtlich nicht beantwortet? Okay, kann man ja auch mal vergessen, alles klar. Wer schon ne Brille braucht, dem ist auch das Vergessen nichts Neues.
Wie? Was haste gesagt? Jawohl, ich sprech da aus ein ganz klein wenig Erfahrung. Aber wirklich nur ein mimi-bisschen.
Weißt Du, ich bin übrigens gestern morgen mit genau diesem Song von da oben ins Office gefahren. Ach was soll ich Dir sagen, die Sonne schien, es war schon am Morgen warm und diese Musik dazu - da habe ich mich einfach wieder gesehen. Das Funkeln in den kajalumrandeten blauen Augen, das damals noch blonde Haar zusammengezwirbelt und die feinen Härchen bezwungen, die sich hier und da wieder aus dem Haargummi lösten, den Kaugummi zwischen den Zähnen und die geile Jeans vom Bruder geborgt, weil, Du weißt ja, Kind des Ostens, die Eltern wenig Geld, ach na ja und überhaupt das ganze Gedöns von Planwirtschaft, die irgendwie nie recht in die Pötte kamen und eifrig hässliche Jeans imitierten, während sich der Geschmack der Jugend schon längst wieder in eine ganz andere Richtung gedreht hatte.
Und kennst Du noch diese Kassettenrecorder, wo wir immer und immer wieder zu unserem Lieblingslied zurückspulten, bis das Band irgendwann nicht mehr wollte und irgendwo hängenblieb und wir den Bleistift herauskramten - weil nichts die Stimmung trüben durfte, wenn man sich des Nachts in das wilde Getümmel warf und froh war, aus dem Alter raus zu sein, wo man sanft, aber bestimmt um Mitternacht vor die Tür geschoben wurde. Jugendschutz und so, na ja.
("Hauptsache, du bist nicht erst Mitternacht zu Hause." Natürlich nicht Mitternacht. Ich Revoluzzer, es zwar zwei Uhr morgens und alles war dunkel im Haus und ich dachte, ich könnte mich unerkannt in mein Bett schleichen - aber denkste. Da saß die Mama in der guten Stube auf dem Sofa bei einer kleinen Kerze und rauchte eine nach der anderen, bis das Frollein Tochter ganz vorsichtig die Klinke herunterdrückte - ja und da gabs dann eben auch erstmal ordentlich Schmorze.)
Früher wurde ja überhaupt auch viel geraucht, irgendwie hat mir das damals gar nichts ausgemacht, jedenfalls nicht aufm Tanzboden - auch wenn ich selber nie einen solchen Stengel zwischen den Lippen hatte. Man hat sich einfach in das Getümmel geworfen, die Wangen gerötet vom Glas Stimmungswein, das man daheim noch schnell leergetrunken hatte, beschwingt von der Musik, die so verdammt Lust auf Nacht und Begegnungen machte. Überall Gesichter, Menschen, die tanzten, versuchten zu reden oder einfach nur einander die Zungen in den Hals steckten. Viele Blicke sind mir nicht gefolgt, ich war niemand, der auffiel, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Ich denke, ich bin auch heute immer noch die für den zweiten oder auch dritten Blick; irgendwann bleibt er halt hängen, wenn dann kein anderer mehr da ist. Aber der eine oder andere ist mir eben doch gefolgt - und hängengeblieben. Ach Gott ne, wie aufgeregt man da war. Und ich, ich war ja damals auch wie so ein offenes Buch, nicht wahr, alles konnteste mir im Gesicht ablesen - einfach! alles!
Fast komme ich mir vor wie so ein altes Frollein, das allein mit ihren Katzen lebt, ein bisschen wundersam geworden, bunte Kleider, bunte Haargummis, bunte Murmeln im Kopp - die auf ihr Leben zurückschaut, in Erinnerungen schwelgt, als wär mein Leben schon fast vorbei; die ab und an mit sich selber spricht und auch immer noch über sich selber lacht.
Vielleicht werde ich ja mal so, vielleicht wird aber alles auch ganz anders - und wer weiß, wenn wir unsere Männer überleben sollten (also meiner wünscht sich das, dass er vor mir gehen darf, damit die ganze Scheiße des Bestattens und Betrauerns an mir hängenbleibt), aber dann hauen wir vielleicht erst nochmal richtig auf die Pauke? Und kaufen uns vom Erbe *kreisch* das heißgeliebte Cafe, zanken ein bisschen über die Einrichtung, weil Du wieder alles perfekt haben musst, während ich noch immer die Meisterin des Improvisierens geblieben bin - aber am Ende wird doch alles so, wie wir uns das vorgestellt und in den bisher ungeschriebenen Briefen (neun Monate, Frollein, ich wollts nur nochmal gesagt haben!) wieder und wieder ausgemalt hatten.
Nur um eins bitte ich Dich: Schleppe mich bitte niemals an den See, in den Du Dich da so verliebt hast. Ich gönn Dir ja von Herzen Deine Liebeleien, aber weißt Du, es gibt nur eine einzige Leidenschaft - und die gehört dem Meer. Jedenfalls meine. Dem Mann habe ich es erst letztens wiederangedroht geschworen: Ich bleibe nicht für immer in M., ich geh sonst auch alleine wieder weg.
Also egal, was Du Dir ausguckst, gucks Dir nicht an so einem See an, der noch weiter vom Meer weg ist als ich es jetzt schon bin. Ich war doch grad erst wieder dort, ich habe es gefühlt, ich habe es geschmeckt, ich habe es genossen, diese abertausenden Prickelperlen der Schaumkronen auf meiner nackten Haut; ich habe es geliebt, mich in die Wellen zu werfen, ungeachtet des Lidstrichs, der mich hernach aussehen ließ wie der leibhaftige Küstenpanda. Es gibt einfach nichts Vergleichbares, einfach gar nichts, glaub mir. Noch heute, nach all den Jahren ist es immer noch ein Nachhausekommen, ein ich-öffne-die-knarrende-Tür-und-bin-wieder-angekommen. Der Korb mit den Äpfeln auf dem Steingutboden, der Geruch nach frischer Wäsche und vielleicht nach ein bisschen Zimt und Vanille von Gebackenem. Die weißgetünchten Wände mit den Fotos von glücklichen Gesichtern der vergangenen Jahre - und wenn ich in den Spiegel schaue, dann will ich nicht eines dieser glattgezerrten, glattgespritzten Einheitsgesichter sehen. Nein, dann will ich es sehen, dieses Funkeln von einst in den immer noch blauen Augen, die inzwischen eingebettet sind in all den Runzeln, die ihre Geschichte erzählen. Die meine Geschichte erzählen von einem gelebten Leben voller Glück und voller Liebe, auch von den Nächten, in denen man voneinander abgewandt und voller Groll gelegen hat, bis man irgendwann darüber einschlief, weil es manchmal so arg schwer ist, nur die Hand auszustrecken und zu sagen "Sei einfach wieder gut"... Von den Zweifeln, die man an manchen Tagen zwischen den Zähnen hin und her zerreibt wie ein zähes Stück Fleisch, ob das jetzt wirklich alles so das Richtige ist, was man da so macht und getan hat - und dann doch morgens die Augen öffnet und in das geliebte Gesicht schaut und denkt: Das ist genau das, was ich sehen möchte, wenn ich die Augen öffne...
Und kennst Du noch diese Kassettenrecorder, wo wir immer und immer wieder zu unserem Lieblingslied zurückspulten, bis das Band irgendwann nicht mehr wollte und irgendwo hängenblieb und wir den Bleistift herauskramten - weil nichts die Stimmung trüben durfte, wenn man sich des Nachts in das wilde Getümmel warf und froh war, aus dem Alter raus zu sein, wo man sanft, aber bestimmt um Mitternacht vor die Tür geschoben wurde. Jugendschutz und so, na ja.
("Hauptsache, du bist nicht erst Mitternacht zu Hause." Natürlich nicht Mitternacht. Ich Revoluzzer, es zwar zwei Uhr morgens und alles war dunkel im Haus und ich dachte, ich könnte mich unerkannt in mein Bett schleichen - aber denkste. Da saß die Mama in der guten Stube auf dem Sofa bei einer kleinen Kerze und rauchte eine nach der anderen, bis das Frollein Tochter ganz vorsichtig die Klinke herunterdrückte - ja und da gabs dann eben auch erstmal ordentlich Schmorze.)
Früher wurde ja überhaupt auch viel geraucht, irgendwie hat mir das damals gar nichts ausgemacht, jedenfalls nicht aufm Tanzboden - auch wenn ich selber nie einen solchen Stengel zwischen den Lippen hatte. Man hat sich einfach in das Getümmel geworfen, die Wangen gerötet vom Glas Stimmungswein, das man daheim noch schnell leergetrunken hatte, beschwingt von der Musik, die so verdammt Lust auf Nacht und Begegnungen machte. Überall Gesichter, Menschen, die tanzten, versuchten zu reden oder einfach nur einander die Zungen in den Hals steckten. Viele Blicke sind mir nicht gefolgt, ich war niemand, der auffiel, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Ich denke, ich bin auch heute immer noch die für den zweiten oder auch dritten Blick; irgendwann bleibt er halt hängen, wenn dann kein anderer mehr da ist. Aber der eine oder andere ist mir eben doch gefolgt - und hängengeblieben. Ach Gott ne, wie aufgeregt man da war. Und ich, ich war ja damals auch wie so ein offenes Buch, nicht wahr, alles konnteste mir im Gesicht ablesen - einfach! alles!
Fast komme ich mir vor wie so ein altes Frollein, das allein mit ihren Katzen lebt, ein bisschen wundersam geworden, bunte Kleider, bunte Haargummis, bunte Murmeln im Kopp - die auf ihr Leben zurückschaut, in Erinnerungen schwelgt, als wär mein Leben schon fast vorbei; die ab und an mit sich selber spricht und auch immer noch über sich selber lacht.
Vielleicht werde ich ja mal so, vielleicht wird aber alles auch ganz anders - und wer weiß, wenn wir unsere Männer überleben sollten (also meiner wünscht sich das, dass er vor mir gehen darf, damit die ganze Scheiße des Bestattens und Betrauerns an mir hängenbleibt), aber dann hauen wir vielleicht erst nochmal richtig auf die Pauke? Und kaufen uns vom Erbe *kreisch* das heißgeliebte Cafe, zanken ein bisschen über die Einrichtung, weil Du wieder alles perfekt haben musst, während ich noch immer die Meisterin des Improvisierens geblieben bin - aber am Ende wird doch alles so, wie wir uns das vorgestellt und in den bisher ungeschriebenen Briefen (neun Monate, Frollein, ich wollts nur nochmal gesagt haben!) wieder und wieder ausgemalt hatten.
Nur um eins bitte ich Dich: Schleppe mich bitte niemals an den See, in den Du Dich da so verliebt hast. Ich gönn Dir ja von Herzen Deine Liebeleien, aber weißt Du, es gibt nur eine einzige Leidenschaft - und die gehört dem Meer. Jedenfalls meine. Dem Mann habe ich es erst letztens wieder
Also egal, was Du Dir ausguckst, gucks Dir nicht an so einem See an, der noch weiter vom Meer weg ist als ich es jetzt schon bin. Ich war doch grad erst wieder dort, ich habe es gefühlt, ich habe es geschmeckt, ich habe es genossen, diese abertausenden Prickelperlen der Schaumkronen auf meiner nackten Haut; ich habe es geliebt, mich in die Wellen zu werfen, ungeachtet des Lidstrichs, der mich hernach aussehen ließ wie der leibhaftige Küstenpanda. Es gibt einfach nichts Vergleichbares, einfach gar nichts, glaub mir. Noch heute, nach all den Jahren ist es immer noch ein Nachhausekommen, ein ich-öffne-die-knarrende-Tür-und-bin-wieder-angekommen. Der Korb mit den Äpfeln auf dem Steingutboden, der Geruch nach frischer Wäsche und vielleicht nach ein bisschen Zimt und Vanille von Gebackenem. Die weißgetünchten Wände mit den Fotos von glücklichen Gesichtern der vergangenen Jahre - und wenn ich in den Spiegel schaue, dann will ich nicht eines dieser glattgezerrten, glattgespritzten Einheitsgesichter sehen. Nein, dann will ich es sehen, dieses Funkeln von einst in den immer noch blauen Augen, die inzwischen eingebettet sind in all den Runzeln, die ihre Geschichte erzählen. Die meine Geschichte erzählen von einem gelebten Leben voller Glück und voller Liebe, auch von den Nächten, in denen man voneinander abgewandt und voller Groll gelegen hat, bis man irgendwann darüber einschlief, weil es manchmal so arg schwer ist, nur die Hand auszustrecken und zu sagen "Sei einfach wieder gut"... Von den Zweifeln, die man an manchen Tagen zwischen den Zähnen hin und her zerreibt wie ein zähes Stück Fleisch, ob das jetzt wirklich alles so das Richtige ist, was man da so macht und getan hat - und dann doch morgens die Augen öffnet und in das geliebte Gesicht schaut und denkt: Das ist genau das, was ich sehen möchte, wenn ich die Augen öffne...
Ich wollte noch niemals, dass etwas perfekt ist - weil ich es langweilig finde. Weil Perfektionismus nichts ist, an das man sich reiben und auch wieder aufrichten kann.
Es gibt nichts Faszinierenderes als das Unperfekte, das man immer wieder neu entdeckt.
Du hattest einen glücklichen Geburts-Tag - das ist genau das, was ich Dir von Herzen gewünscht hatte. Es freut mich wirklich ganz sehr - und es freut mich ganz eigennützig noch mehr, dass Du mir nicht abhanden gekommen bist ♥️
2 Kommentare:
Ein ganz wundervoller Brief, Du findest immer irgendwie die schönsten und passendsten Worte in meinen Augen! :-)
Das ist ein sehr schöner Text. Sehr persönlich - soweit man das , ob der Öffentlichmachung im Netz sagen kann.
Zum Glück wurde er nicht nich per Briefpost an W.W. gesendet, denn man findet sich in vielen
niedergeschriebenen Gedanken wieder.
Stimmungsschwankungen, die das Leben so bereithält von tiefer Traurigkeit und Tiefgang und in aller nächster Minute Himmel hoch jauchzend.
Sehr, sehr schöner Schreibstil !
Herzliche Grüße und, wer einmal am Meer gelebt hat, will immer wieder hin- am Besten für immer.
Alles Gute,
Angela
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