Montag, 11. September 2023

Auf leisen Sohlen


Da hab ich mich nur einmal kurz umgesehen - und schon neigt sich der Sommer dem Ende entgegen. Auch dann, wenn er noch einmal so richtig auffährt und alles aus sich herausholt, was dem Menschen um diese Zeit noch geboten werden kann.
So wie am gestrigen Tag, als wir uns die Fahrräder nahmen und zum See radelten.
"Gib auf deinen Rock acht", mahnte der Mann, während ich ihm lachend davonfuhr und es genoss, wie Sonne und Wind die Haut streichelten und der Rock im Wind flatterte. 
Ich meine.. wir sind inzwischen im September angekommen - und haben gestern im See gebadet, der noch so gar nichts von Spätsommer oder gar Herbst anmuten lassen wollte. Auch färbt sich noch nicht einmal das Laub.

Aber da ist der Ruf der Raben vor unserem Fenster, die mit ihrem Schnarren den Herbst ankündigen. Wie sie da sitzen im Kastanienbaum auf der einen Seite oder auf der Platane, wenn ich von meinem Bett aus zum Fenster hinausschaue. Es war übrigens genau dieser Blick, der den letzten Ausschlag gab, dieser Wohnung zuzusagen. Gibt es etwas Schöneres, als vom Bett aus auf sattes Grün schauen zu können? Ja freilich, gibt es - das Meer :) 
Gleichwohl.. wäre da ja immer noch mein ganz persönliches Dilemma - die Frage des Wohnens am Meer oder in einer Metropole - oder bestenfalls mit beidem zusammen. Jedoch dazu das Land verlassen zu müssen, dazu wäre ich zumindest in der aktuellen Zeit noch nicht bereit.
Erst wenn sie ihren eigenen Lebensmittelpunkt gefunden haben, die beiden Jungen.. Erst wenn ich weiß, dass es da jemanden gibt, der ihre Ängste, ihre Sorgen, ihre Glücksmomente, ihr Lachen teilt - erst dann könnte ich es mir vorstellen zu gehen. Noch einmal ganz woanders hinzugehen..
Beim Jüngeren stehen die Zeichen sehr gut hierfür, der Ältere wird mehr Zeit dafür benötigen. 
Es hat eine Zeit gegeben, in der ich mir sagte: Er hat alle Zeit der Welt und auch ich kann warten auf das, was mir, was uns wichtig ist.
Jedoch las ich unlängst diese Zeilen "Es gibt Dinge im Leben, die man nie sagt, weil man glaubt, man hätte noch ein ganzes Leben lang Zeit. Man hat kein Leben lang Zeit. Nie."
Und irgendwie.. stimmt das ja auch. So irgendwie halt. 


Vor einigen Tagen stand ich am Bahnsteig und habe gewartet. Auf die Bahn und auf einen Menschen, der mir sehr viel bedeutet.
Ich stand dort, ich hatte meine Musik in den Ohren und während der Blick langsam all die Menschen einfing, ihre Gesichter, ihre Mimiken, ihre Gestiken, da wünschte ich mir, ich könnte in die Bahn steigen. Würde irgendwo hinfahren, irgendwo aussteigen und mir anschauen, was mir dort begegnen würde. Und sei es einfach nur für diesen einen Tag. Vielleicht auch doch ein Zimmer irgendwo nehmen und anderentags wiederkommen. Reich angefüllt mit Eindrücken, mit Ideen, mit Inspirationen.
Das ist die eine Seite an mir.
Die andere ist ja - realistisch betrachtet - jene Seite, die Furcht entwickelt. Die, solange sie nicht losgelaufen ist, Furcht vor dem Weg entwickelt; davor, nicht wieder heil und gesund heimzukommen. Aus ganz verschiedenen Gründen, die - bei Tag betrachtet - ja alle irgendwie völlig substanzlos sind. 
Wenn ich daran denke, wie sorglos ich noch vor einigen Jahren war... Wenn ich daran denke, wie leichtsinnig ich genau genommen vor einigen Jahren noch war... Dann bin ich tatsächlich auch dankbar. Dankbar dafür, dass ich bei all den Dummheiten, die ich angestellt habe, immer noch Glück hatte.
Gerade muss ich ein bisschen lachen, weil mir die Tage an der Küste einfallen, zu denen ich mich spontan entschlossen hatte. Einfach ein Ziel herausgesucht, eine Unterkunft gebucht - und losgefahren. Um vor Ort festzustellen, dass sich das Zimmer, das ich meinte, gebucht zu haben, leider doch nicht im ersten Stock mit dem kleinen niedlichen Balkon und dem wunderbaren Blick auf das Meer befand, sondern im Erdgeschoss. Was zur Folge hatte, dass ich, kaum dass der Abend nahte, alle Vorhänge sorgfältig zuzog, auf dem Sofa statt im Schlafzimmer übernachtete (ich hab bis heute noch nicht verstanden, warum sich ein Sofa für mich sicherer anfühlt als ein Schlafzimmerbett) und mich blind und taub stellte, als jemand an der Wohnungstür rüttelte, während mir das Herz bis unter die Haarwurzeln schlug. Das Telefon mit eisernem Griff in der Hand, bereit, sofort den Notruf zu wählen, sollte die Eingangstür auch nur ein bisschen nachgeben wollen. 
Vielleicht war ja jener Zeitpunkt etwas ungünstig gewählt, vielleicht war die Jahreszeit weniger ansprechend. Vielleicht hätte ich mehr Menschen auf den Straßen, im Haus gebraucht, die mir ein Gefühl von Sicherheit vermittelten. Der Mann träumt ja oft von einem Haus in den Bergen. Er weiß, dass er mich davon niemals wird überzeugen können. Für ihn ist es der Reiz der Natur, der Stille, der Ruf der Berge. Für mich jedoch bedeutet es Einsamkeit und gruselige Nächte. 

Am Ende werden wir sehen, wohin es uns treibt. Wichtig ist doch eigentlich nur, dass uns die Zeit für all das bleibt, wovon wir träumen, was wir uns wünschen. Dass wir - wider besseren Wissens - eben doch alle Zeit der Welt haben, irgendwie. Weil man sein Leben doch nicht auf Kosten anderer führen kann. Oder besser gesagt.. Ich kann das nicht. Oder noch besser: Ich möchte das nicht. 
Unlängst sagte ich einer Freundin: "Mach mehr von dem, was sich für dich gut anfühlt". Woraufhin sie antwortete: "Würde ich ja gern, wenn nicht alle zwei Minuten jemand was von mir wollte."
Im ersten Affekt wollte ich antworten: "Dann grenz dich ab."
Ich habs dann aber nicht geschrieben. Weil Abgrenzung wichtig ist - aber nicht immer über allem und jedem steht. 

Mit dem Herbst, der nun auf leisen Sohlen naht, fühle ich jedoch, wie auch ich wieder stiller werde. Ich spüre das vor allem an der Musik, die ich momentan bevorzuge. Die Klänge werden langsam sanfter, sinnlicher, auch melancholischer. Die Gedanken werden sanfter, nachgiebiger, ruhiger. So als würde ich mich in einen Kokon aus eigen Gedanken, aus der Musik und den Bildern, die ich malen möchte, die ich ausprobiere zu malen, hüllen. Und wenig von dem, das um mich herum ist, durch diesen Kokon dringen kann. Mir tut sie gerade gut, diese Zeit. Um nicht zu sagen: Ich liebe diese Zeit. 
Dass das den Mann etwas verunsichert, kann ich spüren. Ich kann es fühlen, wenn er mich manchmal anschaut; ich kann es fühlen an dem, was er sagt und was er denkt. Für mich jedoch.. ist der Herbst irgendwie.. eine Zeit, in der ich mich befreie von all dem, was sich über das Jahr in meinem Kopf und in meinen Gedanken angesammelt hat. 

Sagte ich eigentlich schon, dass ich den Herbst unfassbar liebe? Ich bin schon sehr lange kein Sommerkind mehr. 

2 Kommentare:

Dies und Jenes hat gesagt…

Ich liebe den Herbst auch. Ja die Tage am Meer sind nun auch schon wieder drei Wochen her. Aber wir/ich haben es genossen.

Bei Deinem Text ist mir sofort das Buch von Alexandra Reinwarth, das Leben ist zu kurz für später eingefallen.

Meine Gedanken fahren zur Zeit Karusell. Es ist noch nicht alles geregelt, einiges muss noch abgeschlossen werden und gerade gerichtet werden und nächsten Sommer ja da kann ich nur ich sein, denn ich darf in Rente gehen. Falls nicht irgendein bescheuerter Politiker auf die Idee kommt noch kurz vor Schluss irgendwas zu beschließen.

Mal sehen wie ich die nächsten Wochen hinbekomme und was sich alles regeln lässt.

LG
Ursula




Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Ursula, ich denke, selbst wenn die Politik da noch etwas anpasst - es wird Dich nicht mehr treffen. Wenn Du nur noch ein Jahr hast, um mit dem Arbeiten aufhören zu können, dann wirst Du das Ziel auch erreichen. Selbst wenn sie etwas ändern, trifft es eher die Jahrgänge, die da noch etwas mehr Zeit haben. Solche wie ich zum Beispiel.
Insofern - sorge Dich nicht.