Mein Nein ist kein Vielleicht, kein mal-sehen-vielleicht-bekommst-du-mich-ja-noch-überzeugt, kein ich-überlegs-mir-vielleicht-nochmal.
Denke ich etwa zwanzig Jahre zurück - wer war ich da? Schüchtern, sanft, ängstlich vielleicht, und ich war nur dann ein lautes, übermütiges Mädchen, wenn ich mich wohl und sicher fühlte.
Und ich fühlte mich sicher, wenn ich jemanden an meiner Seite wusste, dem ich im Fall eines Falles Entscheidungen überlassen konnte. An dessen Seite immer alles gut würde, weil ich hatte ja ihn.
Wenn ich um etwas gebeten wurde, sagte ich Ja.
Nicht allein aus der Haltung heraus: Ich muss Ja sagen, damit man mich mag. Ich muss Ja sagen, damit man mich wahrnimmt.
Ich habe Ja gesagt, weil es mir unglaublich schwer fiel, ein Nein zu produzieren, das Ablehnung einer Bitte des anderen gegenüber bedeutete. Weil ein Nein in meinen Augen die Verletzung anderer Wünsche darstellte. Weil ein Nein in meinen Augen die unnötige Enttäuschung anderer hervorrufen könnte, die allein deshalb unsinnig schien, weil mir das Ja so leicht fiel und ich wesentlich belastbarer war als es den Anschein haben mochte.
Vor gut sechs Jahren habe ich mich einem empfohlenen Neurologen vorgestellt. Er sollte mir helfen in meinem Kampf gegen den Schmerz in meinem Körper. Und er stellte mir Fragen, mit denen ich nicht wirklich etwas anfangen konnte.
"Wer führt Ihren Haushalt?" - "Na ich natürlich."
"Wäsche? Essen kochen?" - "Na ich natürlich?"
"Wer kümmert sich um Rechnungen, Versicherungen, das Haushaltsgeld?" - "Na ich?"
"Schaffen Sie es, jeden Morgen pünktlich zur Arbeit zu kommen?" - "Selbstverständlich! Ich muss doch?"
"Sie sind vollzeit beschäftigt - warum?" - "Na weil ich es muss? Unser Haushaltsgeld ist nur mein Einkommen."
"Sie machen viele Überstunden - warum?" - "Na weil ich es muss? Die Arbeit, die liegenbleibt, macht kein anderer."
Ich habe all seine Fragen nicht verstanden, weil ich selbst mir diese nie gestellt hatte: Wer sonst, wenn nicht ich, sollte sich um mein Leben, um das Leben meiner Kinder und um deren Entwicklung kümmern - wenn nicht ich?
Ich habe vor allem aber nicht verstanden, dass ich selbst zu diesem Zeitpunkt völlig übermüdet war, erschöpft - und bis zum letzten Zentimeter ausgezehrt. Ich konnte nicht mehr, der Quell meiner Energie war längst aufgebraucht. Und ich realisierte immer noch nicht, dass ICH es war, die sich selbst aussaugte.
Es ist so einfach zu sagen: Er/ Sie ist schuld, sie entziehen mir die Energie - doch das ist zu einfach.
Und es ist nicht richtig.
Weil ICH diejenige war, die ein Nein nicht formulieren konnte. Die nicht verstand, sich abzugrenzen.
Zum ersten Mal ist mir ein Nein gelungen, als die gelben Seiten mich vor wenigen Jahren einer Dame näherbringen wollten, die in mir - aus Gründen - lediglich Gefühle der Ablehnung hervorrief. Diese Gründe konnte ich sehr konkret formulieren, und ich erinnere mich auch noch sehr wohl an meine Worte, die keinerlei Diskussionsspielraum ließen: "Ich werde mich nicht zu etwas zwingen, nur damit du dich besser fühlst."
Dabei ist es bis heute geblieben, wir haben nie wieder darüber gesprochen, doch diesem Tag folgten immer mehr Tage, an denen ich immer öfter und ebenso klar formulierte "Nein."
Die Gründe sind so verschiedentlich wie die Wünsche.
"Hast du heute Zeit für mich?" - "Es tut mir leid, ich komm heut später aus dem Büro und hab daheim noch zu tun, heute passt es einfach nicht."
Lernen, sich abzugrenzen.
Verstehen lernen, dass man sich nicht selbst permanent überholen darf.
Begreifen lernen, dass ein Nein keine Ablehnung der Person ist, sondern lediglich der Aktion.
Mit diesen ersten, sicherlich auch zaghaften Schritten habe ich gelernt, vor allem mich selbst zu respektieren. Dass es auch gesunden Egoismus gibt: Wenn etwas nicht geht, dann geht es nicht - es muss nicht alles geh-bar gemacht werden und schon gar nicht über meine eigenen Grenzen hinaus. Zumindest nicht permanent.
Es gab Zeiten, in denen ich mich so verschlossen und zurückgezogen habe, dass ich nur noch für meine Familie erreichbar war.
Sich selbst ausloten. In die eigene Mitte pendeln. Rücksicht nehmen auch auf sich selbst.
Natürlich habe ich phasenweise auch zu sehr an mich gedacht. Das Gleichgewicht nicht gefunden, zu sehr nach links, zu sehr nach rechts, nur um schrittweise wieder in die eigene Mitte zurückzufinden, zu mir selbst.
"Lange Zeit brauchtest du jemanden, der dich führt; jetzt immer mehr jemanden, der dich begleitet, bedingungslos liebt und Positives herausfordert. Du hast dich verändert, sehr angenehm, weil stark und selbstbewusst, das wird so bleiben, weil du es aktiv vorangetrieben hast."
Diese Worte schrieb mir vor zwei Tagen meine Freundin - und irgendwie bekam ich ihre Nachrichten zur rechten Zeit. Das Herauslassen von Emotionen, Gedanken, Zweifeln, Ängsten - und dann ist alles heraus und verliert sein Gewicht, das manchmal bis zum Erdrücken auf mir lastet, und dann steht mir da ein Mensch gegenüber, der trotz allem bedingungslos an mich glaubt. Auch wenn ich nicht immer das Richtige sage oder tu.
Ich kann nicht immer das Richtige tun, ich bin ein Mensch.
Ich bin definitiv nicht jemand, der allen gefällt, der von allen gemocht wird, aber das ist für mich auch nicht wichtig. Entscheidend für mich ist, dass ich von den Menschen geliebt und gemocht werde, an denen mein eigenes Gefühl hängt. Ja, ich fühle mich heute unabhängiger, freier, losgelöster und mir sagt heute niemand mehr, wie ich mich fühlen soll, ob zum Beispiel mein Schmerz in seinen schlimmsten Phasen zu Recht das Level 8 oder 9 auf der Skala von 1 bis 10 beträgt oder doch eher einer 4 entspricht.
Ich lasse mir auch nicht sagen, ob ich mich zu Recht himmelhochjauchzend oder doch zu Tode betrübt fühlen darf - ich fühle mich so, und dann wünschte ich, man nimmt mich einfach nur in den Arm, anstatt darüber mit mir zu diskutieren, ob ich die eine oder andere Situation nicht selber zu verantworten habe.
Ich kann genauso ungerecht und selbstgerecht sein wie vermutlich jeder andere auch, heute kann ich aber auch klar formulieren: "Ich bin heut richtig scheiße drauf, lasst mich doch einfach nur in Ruhe."
Ich vergesse Dinge, die für andere wichtig sind, und ich beklage es, wenn man mich vergisst.
Nein, der Mittelpunkt ist für mich nicht gemacht - aber ich möchte beachtet werden.
Manchmal tu ich mir selbst unendlich leid, dann will ich mich verkriechen, Schokolade essen und am liebsten Filme wie "Bridget Jones" schauen. Ich will kommen und gehen können, wie mein Ich es auch verträgt.
Ja ist Ja.
Nein ist Nein.
Und das eine ist so gut wie das andere.
3 Kommentare:
Liebe Helma, danke Dir für den "Schubser" vorhin in meinem Blog - Dein Posting hier passt für mich sehr gut dazu. Eigene Grenzen zu wahren - das ist noch immer ein großes Thema für mich. Aber auch diese Grenzen - und vorallem das! - anderen Menschen gegenüber zu verteidigen. Nein zu sagen. Bei mir zu bleiben und mich nicht breitschlagen zu lassen oder mich wieder unter Druck zu fühlen, leisten zu müssen, was andere wollen.
Wie schön, dass Du das für Dich inzwischen so gut verinnerlicht hast. Ich geh mal "in meinen Blog" und mach mir mal meine Gedanken dazu.
Liebe Grüsse und einen schönen Abend,
Clara
Liebe Clara, der Post von mir ist auch erst in Gedanken an Deine Zeilen entstanden. Es ist ja letztlich auch "mein" Thema: Abgrenzung. Grenzen wahren. Grenzen nicht permanent überschreiten.
Für mich war erstaunlich, wie viele Jahre man das durchhalten kann - und wie hoch der Grad der Erschöpfung: dass man diesen einfach nicht erkennt, bis der Punkt kommt, wo man zusammenbricht. Oder zerbricht.
Ohja Grenzen, gehören wir eigentlich zu einer Generation, die Grenzen ziehen nicht gelernt hat?
Auch bei mir gab es diesen Punkt und wenn ich heute jemanden sehr gerne habe, mich dazu noch "verantwortlich" für dessen Wohlergehen fühle, dann klappt das mit dem "Nein" auch nicht unbedingt auf anhieb. Wenn allerdings, dann ohne wenn und aber und sicher für die Person, die es trifft, auch manchmal sehr hart. Ganz ohne Kompromisse. Aber auch das "Ja" sagen musste ich lernen, im Sinn von Hilfe annehmen und eingestehen "so geht es nicht..."
Genuch aus dem Nähkästchen ;)
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