Freitag, 26. Dezember 2014

...mit Ruhe und Gemütlichkeit

Letzte Nacht konnte ich nicht schlafen. Ist mir in den letzten Wochen eher selten passiert. Und dabei dachte ich noch nach dem Gaumenschmaus zur Kaffeezeit, dass es vermutlich nicht mehr all zu lange dauern würde, bis ich mich ins Nirvana hinübergeschlafen hatte. Nun. Zu Bett tappte ich heute Morgen gegen vier Uhr. Irgendwann nachts zappte ich mich durch die Sender und blieb bei "Das Lächeln der Sterne" hängen. Ich kenne den Film bereits.. mehrfach, zuletzt aber vor wenigen Jahren gesehen und nun... blieb ich hängen und schaute. Und fühlte. Und erinnerte mich. An Zeiten, die ausgesprochen intensiv waren. Nicht immer positiv, aber immer intensiv.
Ich fühlte mich erinnert an eine Zeit, die ich gerade heute so in etwa beschrieb: "Niemand bleibt lange allein. Es ist nur die Zeit dazwischen, die einem so zäh und ewig vorkommt."
Und so kam es, dass ich auf dem Sofa lag, den Film schaute, die Beine wahlweise angewinkelt und die Arme um die Knie geschlungen - oder lang ausgestreckt und entspannt. (Mir ist übrigens mal aufgefallen, dass ich dazu neige, ein Kissen auf dem Bauch zu haben und die Arme darum zu schließen. Soll das einen Schutzpanzer demonstrieren oder zumindest den Wunsch nach Schutz, nach Geborgenheit? Oder ist es schlicht und einfach das Verstecken der Weihnachtsgans und ähnlichen Attacken?)

Wie dem auch sei. Ich hab ja nun schon öfter - auch angesichts der Weihnachtszeit - geschrieben, wie dankbar ich bin für das, was mir in meinem Leben so begegnet ist (und ja, ich zähle auch die schwierigen Zeiten dazu, weil das die Momente sind, in denen Du am meisten sowohl über Dich als auch die Menschen lernst, die Dich vorher, bis dahin begleitet haben bzw. seither begleiten - und Du erkennst insbesondere im Moment des Loslassens, wen Du wirklich vor Dir hast) - und seit ich von L zurückgekommen bin, den Schlüssel zum Büro in den Schreibtisch verwahre (symbolisch, freilich), da kam sie etwa ab dem vierten, fünften Tag über mich: Ruhe. Tiefe, unendlich wohltuende Ruhe in mir selbst, die mir bis in die gespaltenen Fingerspitzen und unter die Haarwurzeln strömt.
Am Weihnachtsmorgen erinnerte ich mich an eine Tradition, als ich noch klein war: Es ging in die Badewanne. Die Badezimmertür musste sorgsam verschlossen werden, in der Zwischenzeit legte der "Weihnachtsmann" seine Gaben unter den Tannenbaum und, bevor er wieder von dannen schritt, schlug er noch mal mahnend mit der Rute an die Tür.
Nun, gut vierzig Jahre später, ließ ich mir heißes Badewasser ein, verteilte darin "Winterbad" und "Schokolade", stellte mir Kerzen auf und legte mir ein kurzweiliges Buch ("Kein Kuss unter dieser Nummer", kann ich nur immer wieder empfehlen, wenn man Lust und Laune zum Lesen hat und alles Schwere und Beschwerende mal für einen Moment von sich legen will) zurecht: Wenn ich will, kann ich manche Augenblicke regelrecht zelebrieren. Auch dann, wenn die Brille beschlägt (gut, sieht man jetzt nicht sooooo dank des über das Foto gelegten "Mauerwerks" (hat übrigens keine Bedeutung, war halt nur das einzige, das nicht zuviel zeigt. Wir sind hier schließlich nicht im Playboy.)
Als ich nach gut einer Stunde immer noch nicht dem wunderbar duftigen, inzwischen nur spürbar erkaltetem Wasser entstiegen war, schaute der Liebste zur Tür rein: "Also... ich muss schon sagen: Du hast ja wirklich echt die Ruhe weg. Es ist ein Uhr, die Kinder kommen halb vier. Der Salat muss noch gemacht werden, die Plätzchen müssen noch gebacken werden - wie willst du das alles schaffen?"
Und ich schaute vergnügt von meinem Buch auf und sagte: "Und bevor ichs vergesse: Ich müsste noch das Geschenk einpacken." Sprachs und blätterte gemütlich die nächste Seite um.
"Du hast jetzt übrigens die Maske an deinem Telefon."
"Ich weiß." Umblättern.
"Und dein Buch schmierst du bestimmt auch noch voll."
"Ich weiß." Umblättern.
Wenn ich sage, dass ich mich nicht aus der Ruhe bringen lasse, dann lasse ich mich auch nicht aus der Ruhe bringen. Ich weiß nicht, ob das die 50 Prozent Norden ausmachen oder die 25 Prozent Holland oder gar die 25 Prozent Frankreich in mir. Gene halt - kann man nix dafür, so wird man geboren, so ist man. Als ich noch ein Mädchen war, war ich so. Als ich Mitte, Ende Zwanzig war, war ich gestresst, hektisch und vor allem immer angespannt. Sah man mir vielleicht nicht an, war aber so. Jetzt kehre ich zurück zu meinen Wurzeln, zu meinem eigenen Ich - oder ist es am Ende doch die sogenannte Altersgelassenheit, die mehr und mehr Besitz von mir ergreift? Am Ende ist das alles ja auch völlig wurscht: Fakt ist nämlich, es fühlt sich verdammt gut an. Wo andere gehetzt, genervt, gestresst durch die Welt jachten, stehe ich mittendrin im Pulk, schließe meine Augen und breite meine Arme aus. Wie damals, vor gut zehn Jahren, auf dem Marktplatz mitten in der großen Stadt. Nur die Musik und ich, damals nach dem schlimmen Unfall, von dem die äußerlichen Verletzungen heilten und nur die inneren einen wohl immer währenden Heilungskampf führen - und doch stand ich da, die Augen geschlossen, über mir der blassblaue Septemberhimmel und irgendwie wurde mir so frei und leicht, so als wäre in diesem Moment die Gewissheit über mich gekommen, dass am Ende alles gut würde.
Vielleicht war es einfach nur die Zuversicht?
Inzwischen habe ich gelernt zu akzeptieren, dass Liebe und Freundschaft nicht immer einen Bestand für das Leben haben müssen. Menschen kommen und gehen, vielleicht hat es eine Bedeutung, dass sie kommen, vielleicht hat es eine Bedeutung, dass sie wieder gehen? So wie in dem Song von Andreas Bourani, den ich letztens hier im Blog hatte ("...wir leuchten heller allein, vielleicht muss es so sein?") Vielleicht liegt es auch daran, dass nicht alle Freundschaften auch wirkliche Freundschaften sind? Vielleicht sind es Zweckbündnisse, weil etwas angestrebt wird, das möglicherweise nur mit Hilfe des anderen erreicht werden könnte - und wenn sich dieses Bestreben als aussichtslos oder nicht hilfreich zeigt, wird dieses Zweckbündnis aufgelöst? Ich habe gelernt, mit diesen Erfahrungen zu leben. Ich habe gelernt, mit dieser Form eines Schmerzes zu leben und auch darin etwas Positives für sich selbst mitzunehmen - und ich habe gelernt, dass mich diese Erfahrungen, dieser Schmerz nicht zerfrisst.
Und ich habe gelernt, selbst Grenzen zu setzen. Zu wissen, dass eine Freundschaft nicht alles darf. Nicht alles kann - und nicht alles muss. Wer einmal einen Menschen am Telefon schreien hörte, dem gerade das Haus um die Ohren flog und der brannte wie eine Fackel, wer einmal die Polizei rief und nachts dem Therapeuten den AB vollquatschte: "...kümmern Sie sich um ihn, verdammt" - der weiß, wenn auch erst viel viel später, dass nicht alles DARF. Aber dass er sich abgrenzen darf. Dass er Nein sagen darf, ohne sich schlecht zu fühlen, ohne sich wie ein Verräter, wie ein Versager zu fühlen.
Vielleicht habe ich hier als Freundin versagt.
Vielleicht habe ich dort als Partnerin versagt.
Vielleicht habe ich vieles falsch und trotzdem auch vieles richtig gemacht.
Vielleicht ist der Platz, an dem ich heute stehe, nicht der letzte Ort, an dem ich stehe.
Vielleicht bin ich morgen an einem ganz anderen Platz, irgendwo am Meer, wo tagsüber die Sonne scheint und nachts das Murmeln der Wellen durch die geöffneten Fenster zu mir ans Bett dringt.
Vielleicht ist nichts für die Ewigkeit und trotzdem für ein Leben lang?
Ich weiß nur eins: Im Augenblick empfinde ich unglaublich viel Liebe und Zugehörigkeit, eine tiefe innige Verbundenheit - nicht zuletzt auch für mich und mit mir selbst. Es klingt so klischeebeladen und ist doch so wahr: Solange du dich selbst nicht liebst, kannst du auch niemanden anderen (aufrichtig) lieben. Vielleicht hältst Du es nur für Liebe, doch in Wahrheit bist Du immer nur auf der Suche. Und solange Du nicht bei Dir selbst angekommen bist, kommst Du auch nirgendwo anders an.
Das zumindest in mein Verständnis vom Leben und von der Liebe. 
Ich genieße den Moment. Ich genieße den Augenblick. Ich erinnere mich an Jahre, in denen mich die Frage nach dem "Was wird morgen sein?" zerfressen hat. Ich erinnere mich an den Hunger, an den Durst und an das Gefühl der Unvollkommenheit. Ich wollte die Sicherheit, die Beständigkeit, die Geborgenheit; ich wollte wissen: Alles IST gut für die Ewigkeit. Ich wollte ein Netz mit doppeltem Boden und keinen Absturz mehr, dessen Aufprall für ein Leben lang schmerzt.
Aber das gibt es nicht. So ein Netz gibt es nicht. Und wenn, dann ist es kein echtes. Kein inniges. Kein aufrichtiges. Es wäre ein Netz aus Schein statt Sein. Doch wer einmal das Sein erfühlt und begriffen hat, der kann nicht mehr mit weniger leben. Der will es auch nicht mehr.
Und so geht es mir.
Und so empfinde ich es.
Ob ich zuviel vom Leben erwarte und erhoffe, weiß ich nicht, aber ich glaube es eigentlich nicht. Ich weiß, dass ich bei allem Kack im Leben immer noch verdammt viel Glück hatte. Dass ich trotz allem immer noch ein Glückskind war und bin. Es gibt nur sehr wenige Menschen, für deren Begegnung ich heute noch sehr sehr tiefe Dankbarkeit empfinde. Ganz gleich, ob sie noch da sind oder nicht. Ganz gleich, ob sie noch an mich denken oder nicht.
Die Unrastigkeit in mir hat sich gelegt, nicht jedoch die Neugier, die Wissbegier, das sehen, fühlen, erfahren wollen. Immer öfter kann ich es beinah körperlich fühlen: die Ruhe in mir. Das Gleichgewicht in mir.
"Probiers mal mit Gemütlichkeit, mit Ruhe und Gemütlichkeit..." oder so ähnlich hat er gesungen, der Balu. Ich probiers vor allem mit Ruhe. Und genieße auch darum diese Tage im Jahr umso mehr. Umso intensiver. Gehe bewusst langsamer, wenn alles um mich herum rennt und hastet. (Okay, das klappt natürlich nicht immer so, aber wenn man es will, funktioniert es.) Und liege auch am Weihnachtstag eine Stunde in der Badewanne - und habe den Salat fertig, die Plätzchen gebacken, die Geschenke eingepackt und ein zartes Kleid übergestreift, etwa fünfzehn Minuten, bevor die Gäste kamen. Öffne die Tür, lächle und breite herzlich die Arme aus.

11 Kommentare:

Goldi hat gesagt…

Ich mag Deine Gedanken und Sichtweise :-*

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

<3
Danke. Mit bedeuten Deine Worte sehr viel, Goldi.

~ Clara P. ~ hat gesagt…

Liebe Helma, das mit dem Kissen umarmen mache ich auch dann und wann. Für mich hat das auch was mit Geborgenheit zu tun und wenn keiner da ist, der den Job übernimmt, dann muss das Kissen her :)

Ich kann Dir nur zustimmen in den von Dir geschriebenen Dingen.

Dass einen das Alter gelassener macht, glaube ich nicht. Ich kenne auch genügend ältere Leute, die nichts dazu gelernt haben.

Ich glaube vielmehr, wenn Menschen älter werden und dann gelassener, dann liegt das mehr an den Dingen, die sie eben dazu gelernt und jenen, die sie losgelassen haben bis dahin.

Geniesse Deine Gelassenheit weiter und wenn das Foto in der Wanne nicht ein paar Klicks mehr als sonst bringt, dann weiss ich auch nicht *lach*

Lieben Gruss!

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Clara, ich mach das mit dem Kissen auch auf dem Sofa neben dem Liebsten, aber vielleicht ist es ja auch, dass er sich meist ums iPad kümmert statt um mich? ;)
Und ja, stimmt, ich kenn auch einige ältere Hektiker-Exemplare: mein Vater z. B. Die Ruhe hab ich vermutlich auch von meiner Mum (sie ist für die 25 % Holland in mir "verantwortlich" - ich kenne kaum ein Volk, das so entspannt ist wie die Holländer, weiß aber nicht, obs am Gras liegt ;)) - und der Rest sind Erfahrungsgemäß- und Erkenntniswerte? Wie auch immer, ja ich genieße es - sehr!

Anonym hat gesagt…

Helma, du siehst auf jedem Foto jünger, schöner und strahlender aus - was auch immer du nimmst, gib mir bitte auch was davon. ;)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Anna, manchmal klappt ne Aufnahme, manchmal aber auch nicht ;) Diesmal hatte ich wohl Glück? Danke auf jeden Fall! Und sonst.... Ich schlafe mehr als sonst, tu mir Gutes für Körper und Seele... Klingt banal, stimmts? Aber seit ich das so mache, sagen vor allem meine Kollegen, wie erholt und so ich aussehe ;)

Anonym hat gesagt…

So einfach ist das? Na wie auch immer: Du siehst fantastisch aus. ;)

Werde mir dein Schönheitsrezept mal zu Herzen nehmen. Und vielleicht noch eine Prise Verliebtheit oder Schmetterlinge im Bauch dazugeben. Habe heute gelesen, dass das ein wahres Schönheitselixier ist. ;)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Wohoouuuu - wenn DAS kein Kompliment is, was dann? Jetzt freu ich mich aber echt :)
Das mit den Schmetterlingen und so.... ist ganz bestimmt so. Allerdings tragen meine Bleistiefel - so oft, wies hier kracht :( Habe mich dem Ganzen soeben mal wieder entzogen und wütend ein paar Äpfel zu Mus verarbeitet (ich hoffe, ich ruf jetzt nicht die "schützt die Gefühle der Äppel" Fraktion auf den Plan?) anschließend legte ich mir erneut eine Frischemaske auf - Frustfalten machen ja bekanntlich hässlich. Und nun ist hier Totenstille, keiner sagt mehr was, jeder tippt auf seinem Tablet rum. Sagte ich Bleistiefel? Hmm. Und n Bleikorsett. Die armen Dinger.

anna hat gesagt…

oh.
wie wunderschön du das beschrieben hast....!!!
lg
anna

Unknown hat gesagt…

Der Zufall hat mich zu dir geführt. Danke für deine Worte und Sichtweisen, denen ich oftmals und mit Empathie zustimmen kann. Alles Liebe für dich und das neue Jahr.
Liebe Grüße erika

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Anna, liebe Erika, ich danke Euch sehr für Eure Worte! Einfach nur.... Danke - von Herzen.