"Geht es dir denn jetzt besser?" wurde ich vor zwei Tagen schmunzelnderweise gefragt und ich antwortete: "Weiß ich noch nicht, mal sehen."
Ich beobachte mich nicht ständig, aber ich spüre immer wieder, wie fragil meine Schutzwand ist. Und ich frage mich auch nicht permanent, ob das die Flucht einer Illusionistin ist vor der Realität. Ich frage mich auch nicht, wie viel ich aushalten kann oder muss. Erst recht frage ich niemanden anderen danach. Niemand hat mir zu sagen, was ich tun oder nicht tun soll, was ich fühlen oder nicht fühlen soll. Oder darf.
Momentan vergrabe ich mich in meiner Musik. Zum Leidwesen des Liebsten - aber ich glaube, irgendwie versteht er es. Auch wenn er es schade findet, sich so "draußen" zu fühlen.
Momentan brauche ich auch keine anspruchsvolle Musik. So wie ich auch nicht permanent anspruchsvolle Sendungen im TV schauen kann. Manchmal muss es einfach nur... was Leichtes sein. Etwas einfaches, schlichtes.
Und so hülle ich mich ein in die Musik, die ich aktuell morgens, mittags, abends, in jeder möglichen Pause höre. Beim Kaffee zubereiten am Morgen, beim eine Scheibe Brot abschneiden zum Mittag. Manchmal bewege ich mich im Takt der Musik, so wie vorgestern Abend mit dem Liebsten, bevor ich dann zu lachen begann: "Sorry, ich muss erst einen Prosecco trinken, damit der Körper biegsamer wird!" Ich schaue nur noch wenig Nachrichten, lese nichts mehr im Web und lese auch keine entsprechenden Blogbeiträge mehr. Bei Auseinandersetzungen bleibe ich ruhig und friedlich, lächle mit hochgezogener Augenbraue: Es kommt ran, aber ich lasse nicht an mich heran.
Am Sonntag fahre ich nach L und dieses Mal begleitet mich der Liebste. So wie er es auch in vierzehn Tagen tun wird, wenn wir anschließend zum Konzert nach Berlin fahren. Zum Konzert einer Band, bei der er vor ungefähr zehn Jahren war: Wir kein Paar mehr - aber er steht da inmitten der Menge und alles, woran er in dem Moment denkt, bin ich. Und er ruft mich an, aus dieser Menge, diesem Getöse heraus, wir können einander kaum verstehen, aber wir beide haben Gänsehaut.
Noch mal zwei Wochen später fahren wir beide in völlig entgegengesetzte Richtungen.
Noch zwei Wochen später fahren wir gemeinsam übers Wochenende weg.
Gestern Abend sind wir ausgegangen, zum Afghanen in der Innenstadt; eine Küche, die wir beide noch nicht kannten. Sehr zu empfehlen, übrigens. (Und ich musste unwillkürlich daran denken, dass eine Welt auch wunderbar bunt sein kann, wenn man es zulässt.)
Wir saßen einander gegenüber, schauten einander in die Augen, wir sprachen über uns, während unsere Finger ineinander verhakt waren.
Wir fragten uns, warum wir all das nicht öfter taten, nicht schon eher, wo wir doch nunmehr ein Jahr miteinander leben.
"Es ist irgendwie doch auch sehr viel für mich", habe ich gesagt, "der Umzug, das Loslassen von den Söhnen, neue Stadt, neue Menschen, neue Eindrücke, du und ich in einem Lebensraum, mit dem wir beide spüren, dass er uns irgendwie zu eng ist. Ich muss das alles auch erst irgendwie verarbeiten, mich reinfinden, Luft holen können." Er versteht es deshalb so gut, weil es ihm genauso ging. Damals, vor rund 15 Jahren.
Wir haben Pläne. Und wir waren einander nah, sehr nah, so empfand ich es - und dennoch vergrub ich mich daheim wieder in meiner Musik.
Gestern Abend. Heute Morgen. Und jetzt.
4 Kommentare:
Er versteht es und fühlt sich sicher auch irgendwo in der "Schuld", denn du bist zu ihm gekommen, du warst es, die Menschen, Dinge und Umfeld loslassen musste. Auch, wenn du es nicht nur für ihn getan hast, sondern es deine Entscheidung gewesen ist.
Er wird vielleicht befürchten, daß du es bereuen könntest, wenn es nicht immer so wunderbar ist, wie ihr euch das ausgemalt habt. Es kann aber auch schwierig sein, diese "Schuld" denjenigen nicht spüren zu lassen und nicht zu sagen, oder nur zu denken "wegen dir" oder "wenn du nicht gewesen wärest". So wie ich deine Schilderungen lese und empfinde, seid ihr euch zwar dessen bewusst, daß du in dem Moment mehr (auf)gegeben hast, aber auch dessen, daß du diese Keule nie gegen ihn erheben würdest. Dadurch ermöglichst du es ihm, dir diesen Platz, diese Zeit zu schenken. Andere hätten vielleicht einfach genommen, gefordert. Das ist eine Gabe, Helma, einen Schritt zurücktreten zu können, um dem anderen Platz zu lassen, wieder auf einen zuzugehen. Selbst dann, wenn man selber im innen und außen nach Stabilität und Sicherheit ringt.
Wir hatten am Wochenende auch ein Gespräch über die Dinge, die man ausspricht und bei denen man den Partner den eigenen Unmut spüren lässt und Dinge, die man einfach übergeht, die man ausschließlich mit sich selbst ausmacht, kleine, wie größere. Leider hatten wir zu wenig Zeit auf der Veranstaltung. Ich würde da gerne nochmal weiterreden.
Erst gestern Abend hat er mich gefragt, ob ich es bereut habe. Diesen Schritt. Und ich sagte ehrlichen Herzens, dass ich es nicht bereut habe - auch wenn es mir momentan immer noch einiges abverlangt. Ich denke, ich kann von Glück reden, dass er diese ähnliche Erfahrung auch machen musste, obschon er dadurch nicht vom Sohn getrennt war und zumindest damals mit der "kompletten" Familie umzog. Ob das vergleichbar ist, sei dahingestellt, aber eine Umstellung ist es in jedem Fall. Es wäre grundlegend falsch, ihm daraus einen Vorwurf zu machen, denn diese Entscheidung habe letztlich ich getroffen. Weil wir nach all der Zeit einen Punkt erreicht hatten, wo man sich entscheiden musste. So wie bis dahin wäre es nicht mehr lange gegangen. Auch nicht mehr lange gutgegangen.
Und ja, er ist feinfühlig genug, mir diesen momentanen Platz einzuräumen, und ich bin sehr dankbar dafür.
Ich bin eher diejenige, die versucht, die Dinge mit sich selbst abzumachen. Jedenfalls soweit das möglich ist. Früher war das ganz anders, ich war ganz anders: Mein Herz trug ich auf der Zunge, ich habe sämtliche Gefühlsbewegungen ausgelebt. Es hatte zumindest den Vorteil, dass keine Fragen offen blieben. Ich denke, das ist der Preis der Jahre ab 2003, wo ich mir all meine Fragen selbst beantworten musste, bzw. lernen musste, selber Antworten zu finden. Das ist auf Dauer doch schwieriger als gedacht bzw. ist es weitaus kräftezehrender als gedacht. Dessen bin ich zu müde geworden. Wenn ich Antworten will, frage ich. Wenn ich Ruhe will, nehme ich sie mir.
Du und er, ich denke mal, das Thema lässt sich jederzeit wieder aufgreifen, oder? Ich denke schon, dass er da auch offen und zugänglich ist - zumindest schätze ich es so ein nach dem, was ich bislang von Euch weiß :) Es ist ja letztlich auch kein Thema, das man an einem Abend abhandelt.
Einmal hab ich es gemacht, diese Keule geschwungen. Bei Kater damals noch. Wir waren gerade in einer Trennungsphase und er am Jammern, daß er so viel an persönlicher Freiheit aufgeben müsse, wenn er eine Beziehung mit mir und meinem Kind führen wollte. Ich erinnerte ihn daran, wieviel ich aufgegeben hatte, letztlich um mit ihm zusammenleben zu können. Es brachte ihn damals zum Nachdenken und nach ein paar Wochen zu mir zurück, änderte jedoch nichts.
Ich würde das heute wohl nicht mehr machen, es ist müßig und wie du sagst, grundfalsch. Es war meine Lebensentscheidung, für die ich niemanden verantwortlich machen kann außer mir selbst.
Und ja, es ist sehr kräftezehrend, Dinge mit sich selbst auszumachen und in sich selbst eine Antwort zu finden, die die innere Ruhe wiederherstellt. Aber es kann für die Beziehung belastend sein, wenn man jedes Kopfkino, jedes ungute Gefühl im Bauch thematisiert. Ich für mich weiß, daß vieles davon in mir selbst liegt und ich da ansetzen muss. Wenn es aber um essentielle Dinge geht, halte ich auch das Gespräch für das einzige Mittel. Antworten erhalten durch Nachfragen und Raum erhalten, in dem man kommuniziert, daß man diesen braucht.
Ja - genauso empfinde ich es auch: Alles thematisiere ich nicht, ganz im Gegenteil. Aber es gibt Dinge, die sich nur mit Hilfe des anderen lösen bzw. auflösen lassen, wenn oftmals auch nur für den Moment. Du weißt sicher, was ich meine ;)
Abgesehen davon: Gejammer kann ich nicht ertragen - und wenn mir jemand so kommt wie Kater Dir damals, ganz ehrlich, da hätte ich genauso Kontra gegeben. Nicht der Keule wegen - sondern als "Spiegel vorhalten". Vielen Leuten geht es oft (zu) gut, die realisieren nicht das Positive, das sie haben, sondern das Negative, das Fehlende, das Belastende. Da kriege ich Schwämmchen von!
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