Sonntag, 13. September 2015

Hokuspokus - oder Das Ding mit dem positiven Denken



Ich hab heut morgen lange ausgeschlafen und nach dem gemeinsamen Frühstück überall ein wenig herumgelesen. Ich mag ja so Sonntage, die entspannt beginnen und hoffentlich auch so enden.
Auch wenn dazwischen ein Straßenfest gepasst hat. Bei unerwarteten gefühlten dreißig Grad. Schön wars.

Doch zurück zum Gelesenen. Heute fand ich in meinen Lieblingsblogs diesen Post hier http://candybeach-editorial.blogspot.de/2015/09/der-himmel-war-so-blau.html und insbesondere dieser Abschnitt hier hatte es mir angetan:
"Das Gesetz der Anziehung besagt, dass Menschen die Dinge im Leben anziehen bzw. "manifestieren", mit denen sie sich gedanklich am intensivsten beschäftigen, denn Gedanken sind angeblich eine Form von Energie, die Umstände und Gegenstände erschaffen kann. Wissenschaftlich ist das Konzept nicht. Und darüber hinaus ist es auch noch zutiefst bösartig und destruktiv, weil es Menschen auch für alles Schlechte, das ihnen im Leben geschieht, die Verantwortung zuschiebt. Wer krank ist, Opfer einer Straftat oder einer Naturkatastrophe, betrogen oder entlassen wird und keine Prada-Tasche hat, hat seine Gedanken einfach nicht unter Kontrolle, denn während positive Gedanken gute Dinge manifestieren, sind negative Gedanken genauso kreativ und führen zu Tod und Teufel. Und wenn es dazu kommt: Selbst Schuld!"
Ich bin keine Esoterikerin und ich kenne mich mit solchen Dingen auch nicht aus. Auch glaube ich nicht an einen Gott oder ein personifiziertes Wesen, das mir Dinge nehmen oder geben kann - aber ich glaube daran, dass es mehr Dinge gibt zwischen Himmel und Erde, die sich nicht rational erklären lassen - und die trotzdem passieren.
Vor Jahren wurde mir mal das Buch "The Secret" ausgeliehen mit der Maßgabe: "Wenn du es gelesen hast und einfach nur positiver denkst, wird es auch in deinem Leben wieder besser."
Er hat nur eines dabei übersehen: Pessimistisch, destruktiv bin ich schon von Haus aus nicht, auch niemals gewesen - wohl aber befand ich mich damals in einer Phase, die mir echt viel abverlangte, viel Kraft (von der ich nicht mal wusste, dass ich sie besaß - andererseits, was hat man für eine Alternative?), eine Menge an Aufgaben und Verantwortung für mein eigenes Leben und das meiner Kinder - und dass ich zu dem Zeitpunkt mit dem ganzen Scheiß so ziemlich alleine dastand. Da wird man sich auch mal Augenblicke der Schwäche gönnen dürfen? Oder wird im allgemeinen erwartet, dass man auch in Schwierigkeiten vor Lebenslust auf dem Tisch tanzt? So wie zum Beispiel im November 2008 mit meinem "Einzug" in die Schmerzklinik, die mir nach fünf Minuten (!) Anamnese einen Zettel überreichte: "Dieses Medikament nehmen Sie ab sofort in der und der Dosierung."
"Äh... Nein? Das ist nicht das, wofür ich hergekommen bin?"
"Das mag sein, aber damit wird erst mal alles einfacher werden."
"Und wenn ich es trotzdem nicht will? Für Pillen bin ich nicht hergekommen, die hätte ich auch zu Hause haben können."
"Ja schauen Sie sich doch mal an! So wie Sie da sitzen, erscheint angeraten, dass wir Sie erst mal auf Tabletten einstellen." Psychopharmaka, ja was sonst.
Da bin ich echt richtig zornig geworden: "Ja was glauben Sie denn, was ich heute hier an meinem ersten Tag tun würde? Samba tanzen auf dem Tisch? Seit drei Jahren nicht mehr richtig geschlafen, gesessen, gestanden, gelaufen dank Dauerschmerz im Körper, jetzt fünfhundert Kilometer von zu Hause weg mit dem Bewusstsein, dass ich über Weihnachten und Silvester hier bleiben muss, ohne meine Kinder, ohne meine Familie und ohne eine Ahnung davon, was mich hier erwartet?"
Ich habe diese scheiß kack Klinik, die nichts anderes konnte, als Patienten mit Pillen abzufüllen und ein paar Gruppenspielchen zu betreiben, die mich heute noch ein Schleudertrauma vom Koppschütteln kriegen lassen, im Januar 2009 ohne jegliche Erkenntnisse und ohne auch einen Fortschritt wieder verlassen, dafür mit einem Bericht in der Tasche, der mir vage Diagnosen und eine "mangelnde Compliance" bescheinigte.
Ich habe immer die Hoffnung gehabt, dass ich den Schmerz in meinem Körper eines Tages besiegen würde; na ja eigentlich war ich mir sogar sicher - und ich hab es bis heute trotzdem nicht geschafft. Ey Gurus, habt Ihr darauf vielleicht auch eine Antwort? Positiv gedacht und trotzdem nix erreicht?
Andererseits, vielleicht kann man eben auch nicht alles haben im Leben?
Denn zum Beispiel während meiner Ehe wusste ich immer "Das kann es nicht gewesen sein". Immerhin fünfzehn Jahre habe ich das gedacht, geahnt, irgendwie gefühlt -  und was immer nur gleich einer Ahnung war, begann nach diesen fünfzehn Jahren mit der Begegnung 2002  und endete im April 2003. Heute bin ich überzeugt davon, dass es gut war, dass es endete. Ich war noch nicht soweit. Damals aber dachte ich: "Das ist es noch nicht gewesen, das kann es noch nicht gewesen sein."
Und das war es auch nicht. Für meinen Weg noch nicht. Für den Weg, der mir so verzweigt und verästelt erscheint wie das menschliche Nervensystem. Und mit Dingen darin, von denen ich zuweilen dachte: Es gibt doch mehr zwischen Himmel & Erde... Oder?
Und heute?
Heute denke ich nicht mehr, dass "es das noch nicht gewesen sein kann".
Ich ruhe. Manchmal physisch, manchmal in mir. Wenns mir schlecht geht, gibt es nichts außer der Musik und einem schönen Zuhause, in das ich mich vergrabe. Mein Schneckenhaus. Um das zu pflegen, was in mir ist: Hoffnung. Ein schier unerschöpflicher Vorrat an Hoffnung. Vielleicht glaube ich nicht mehr ständig an die Erfüllung von Wünschen und Träumen - aber die Hoffnung darauf habe ich irgendwie... immer. Und ich habe gelernt, dass "ein Ziel erreichen" am Ende eines Tages ganz anders aussehen kann als zu Beginn gedacht, gewünscht, gehofft - und dass DAS manchmal genau das Richtige ist, das einem passieren konnte.
Und heute Abend ist mir wieder nach Tanzen.

14 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Kann das, was Nicola geschrieben hat, nur unterschreiben. Dieses "Positive-Denken"-Ding ist mir eben wegen der darin enthaltenen Schuldzuweisung zutiefst suspekt. NLP finde ich aus diesen Grund auch nicht viel besser. Schon klar, dass es hilfreicher ist, entspannt und positiv/zuversichtlich gestimmt durchs Leben zu gehen und im Sinne der self-fulfilling prophecy (an die glaube ich irgendwie schon) ist mir das auch wichtig. Aber sich in schlechten Phasen auch noch Vorwürfe machen zu müssen, "weil man wohl nicht positiv genug gedacht hat"... nö. Das kann nicht im Sinne des Erfinders sein. Und denen gegenüber, die Opfer von Gewalttaten, Naturkatastrophen oder was auch immer wurden, ist so ein "Positiv-Denken"-Gequatsche einfach nur zynisch und geschmacklos.

Die Hoffnung darauf, dass (fast) alles gut wird, hat für mich aber eher weniger mit positivem Denken zu tun. Das ist ne Grundeinstellung. ;D

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

...aber Hoffnung mit einem negativen, destruktiven Nährboden? OK, vielleicht muss ich die Zuversicht ergänzen. Die zuversichtliche Hoffnung ;)

Annika hat gesagt…

Ich habe diesen Text auch heute früh gelesen und dachte, Bingo, meine Rede seit '45. Wie soll das funktionieren? Und wenn man das ernst nimmt, wie kommt man damit klar, dass sich keine Wünsche erfüllen? Wie redet man sich das schön? Und wer erfindet so einen Quatsch?

Ich glaube aber tatsächlich, dass die innere Einstellung zu den Dingen den Weg vorgibt. Allerdings verändert sich die Einstellung ja auch nach Tagesform.

Werde nie vergessen, wie ich mal mit einem ziemlich blöden Verdacht zu einem MRT geschickt wurde. Eine Stunde nach dem Besuch des Hausarztes saß ich beim Radiologen. Ich war zerrüttet, voller Angst und sah auch so aus, käseweiß, Haare strähnig, sah mich dahinsiechen. Der Arzt sagte mir sofort, dass es sich um eine harmlose Petitesse handelte, die keiner weiteren Behandlung bedürfe. Ich war derart glücklich und hüpfte strahlend aus der Praxis. Jeder, wirklich jeder, dem ich auf dem Nachhauseweg begegnete, lächelte mich an. Ich hatte die Mega Ausstrahlung einer glücklichen Frau. Ich bin mir heute noch sicher, dass wenn George Clooney meinen Weg gekreuzt hätte, hätte er um meine Hand angehalten. Meine innere Einstellung zum Leben war an dem Tag auf dem Höhepunkt. Und das haben mir alle gespiegelt.

Ich muss jetzt nur noch rausfinden, wie man sich jeden Tag derart glücklich fühlt :-)

Annika hat gesagt…

@ Frl. Kellermann: bist du das Fräulein Kellermann aus dem gleichnamigen Buch, also die Autorin dieses Buchs? Ich hab das nämlich sehr gerne gelesen.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Siehst Du, Annika, bei mir war das genau andersrum: Man schickte mich zur Radiologie, um zu gucken, ob ich Migräne hätte. Ich Migräne? Hätte ich denen auch gleich sagen können, dass das keine war. "Ich habe höchstens Nackenverspannungen!" habe ich immer triumphierend gesagt. Wie ich allerdings damals nach der Radiologie nach Hause gekommen bin, weiß ich heute gar nicht mehr genau.
Heute, 13 Jahre nach diesem Termin, hat das Ding in meinem Kopf eine Größe eines Ei's, Klasse S, würde ich sagen - und ich lebe immer noch. Rausmachen muss nicht, soll nicht - könnte passieren, dass ich dann vieles neu lernen müsste. Äh nee! Mein zweites Gehirn, sage ich seither immer. Natürlich erst nach Wochen, die ich in Angst und wie in Trance verbracht hab. Aber irgendwann kommt der Galgenhumor dann doch wieder durch.
Und hats mir was gebracht, das zweite Gehirn? Ich glaube nicht, die Mathematik bleibt mir immer noch ein Buch mit sieben Siegeln ;)
Und was das sich jeden Tag glücklich fühlen betrifft... Aaaahh, besser nicht! Gewöhnt man sich dran und dann isses nix Besonderes mehr. Wäre ja auch nix! Doch schau Dir die Dunkle Gasse & Frau RRP an - da hats auch geklappt, als sie glaubten, da käme nu auch nix mehr. In diesem Sinne.... :)

Anonym hat gesagt…

@Annika: *blush* Oh nein, bin ich leider nicht. Aber ich liebe das Buch sehr und fühle mich dem Frl. Kellermann ziemlich verbunden. ;)

Anonym hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AnnJ hat gesagt…

Liebe Helma,
das ist leider die Denkweise in unserer Gesellschaft: Hier hast Du ein paar Pillen, bitte bitte funktioniere doch wieder, damit wir uns alle besser fühlen und auf die Schulter klopfen können. Statt sich mit den Hintergründen und dem Seelenleben der einzelnen Person auseinanderzusetzen und Auswege zu finden. Ich spreche da auch ein kleines bißchen aus Erfahrung. (Ich ging damals nach vier Wochen aus der Klinik und dachte nur, wer von uns ist hier jetzt nicht ganz proper?)

Das "denke positiv, dann ziehst du das Positive an" halte ich für - ähm, mit Verlaub: Bullshit. Man denkt und fühlt genau so, wie es einen das Leben und die Erfahrung bisher gelehrt hat. Misstrauische Menschen bleiben misstrauisch, vorsichtige vorsichtig, unbekümmterte unbekümmert.
Eher halte ich es mit der Ansicht, dass alles, was uns im Leben begegnet, seinen Grund hat, auch wenn wir den erstmal nicht erkennen können. Und mir gefällt der Gedanke, dass da mehr zwischen Himmel und Erde ist, als die Schulweisheit sich träumen lässt. Denn dass da mehr ist, das weiß ich. :-)
Lieben Gruß
AnnJ

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe AnnJ, jetzt hätte ich doch fast ein wenig kostbaren Kaffee über die Tastatur verprustet beim Lesen Deines 1. Absatzes ;) Mein Fazit war damals ein sehr ähnliches wie Deines. Überhaupt hatte ich ja bis zum Tag der Anreise in jene Klinik eine ganz andere Vorstellung von dem, das mich dort erwartete. Letztlich stochern sie nur in der Psyche herum, wirbeln Staub auf, reißen Schubladen auf (wer von uns hat denn auch keine?) - und dann schicken sie einen heim, weil die Kasse nicht mehr zahlen will und der Meinung ist, jetzt müsse man aber flugs wieder an die Arbeit. Ich war dann 2010 noch mal in einer Reha-Klinik, in Thüringen übrigens, und die war echt sehr wertvoll für mich. Pillen gab es dort überhaupt keine, jedenfalls keine, die nicht notwendig waren; dafür wurde sich beim Schmerzpatienten tatsächlich um den Körper gekümmert: Womit kommst Du, seit wann hast Du, was mag der Auslöser sein, was schmerzt Dir, was kannst Du aktiv tun - und welchen Sport? Bis heute bezeichne ich das als meine beste diesbezügliche Erfahrung. Für mich persönlich, denn jeder empfindet es ja anders.

Weißt Du, zum zweiten Absatz... Viele Jahre war ich genau das: unbekümmert, unbeschwert, zutraulich, vertrauensselig... Was bitte nicht zu verwechseln ist damit, dass ich nicht meinen Kopf zu benutzen wusste ;) Doch insbesondere die Summe meiner Erfahrungen der letzten 12 Jahre haben mich verändert: Ich bin misstrauisch geworden. Oder eher vorsichtiger? Bin da grad nicht so sicher. Ein Zweifler. Ein Zuvieldenker. Manchmal wird mir das so bewusst, dass ich mich dagegen wehren möchte, so zu sein. Dass ich meine Unbekümmertheit, meine Unbeschwertheit zurück möchte und versuche zu ergründen, warum ich so geworden bin. Soll ich es jetzt einfach abtun mit "Ich bin erwachsen geworden"? Dann wünschte ich, ich wäre niemals erwachsen geworden. Manchmal möchte ich es einfach federleicht und rosarot sehen und fühlen, weil es mich das Leben besser aushalten lässt.
Dein letzter Absatz erinnert mich an meine eigenen Worte vor einigen Jahren: Alles im Leben macht irgendwie seinen Sinn, und wir erkennen ihn spätestens dann, wenn wir dort angekommen sind - und auch, wenn das manchmal Jahre dauern kann - oder ein halbes Leben lang.

AnnJ hat gesagt…

Och nö, nicht der Kaffee! Zu Hülf!! :-)

Tja, nun sinniere ich so ein bißchen über unterschiedliche Lebensläufe und unterschiedliche Arten, mit Dingen umzugehen.
Ich für meinen Teil muss mein kindliches, naives Ich auf keinen Fall zurückhaben.

Ich finde es allemal besser, vorsichtig und zurückhaltend zu sein statt sich HalsÜberKopf in was reinzustürzen.

In diesem Sinne: Kaffee? Ftückfen Marmorkufn dapfu?

Anonym hat gesagt…

@Helma: Ja, "Hoffnung" mit einem destruktiven, auf Angst basierenden Nährboden gibt es, wenn man das dann Hoffnung nennen kann. Ich habe seit 20 Jahren 2 Anschauungsobjekte, die genau damit leben und es ist nicht witzig.

(*blush* Kommentar mal korrigiert und ein "s" rausgenommen. Das tat ja weh.)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe AnnJ, zu Deinen Worten mit dem Kindlich-Naiven fiel mir spontan eins der Lieblingszitate von Chef ein: "Bisschen Dummheit ist ja ganz niedlich, aber allzu niedlich ist dann auch wieder nix." :)
Nein, kindlich-naiv nicht - aber es gibt Momente, wo mir meine Unbekümmertheit fehlt, meine Unbeschwertheit. Und rumalbern finde ich auch immer noch schön.
Aber das mit dem Marmorkuchen... Nee datt is ne Frechheit! Mir was vormampfen hier und mir tropft der Zahn! :D

Liebes Frl. Kellermann - echt, war da ein s zuviel? Hab ich gar nicht gesehen, wirklich, ich schwöre! :) Ich achte zwar auf Rechtschreibung, aber pingelig bin ich nicht und Tippfehler... Wer se findet, kannse auch behalten :)

Annika hat gesagt…

Liebe Helma, du hast also dein Waterloo auch schon hinter dir! Nachträglich mein Mitgefühl. Ich hoffe, es geht dir gut mit dem Ei. Ich hab eine Freundin, die hat sieben davon und ist puppenmunter, seit Jahren schon.

Liebes Frl. Kellermann, du bist es also nicht. Macht ja nix, aber du magst sie, wie ich.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ja Annika, das hab ich hinter mir. Hat ein Weilchen gedauert, um auch dem mit Galgenhumor zu begegnen, aber eines Tages gings und dann halte ich diese Kacke auch besser aus. Ich leb ganz gut damit, es darf nur nicht weiterwachsen. Tuts offenbar auch nicht, denn das würde ich zu spüren bekommen. Bleibt alles wies grad ist, kann ich auch meine 104 Jahre alt werden und Wettrinken mit Prosecco veranstalten :) Wer dann noch da ist, ist herzlich eingeladen ;)