Samstag, 30. Januar 2016

Es wäre dann aber was mit Liebe.

Als der Dezember so bescheiden schön zuende ging, sagte ich mir: "Vielleicht muss das ja so, dass ein beschissenes Jahr auch mit Trara zuende geht. Dafür beginnt das neue Jahr entspannter, so als Einklang für ein eben gutes, neues Jahr."
Heute haben wir den vorletzten Januartag und ich kann für mich statuieren: So wie das Jahr zuende ging, so begann es auch.
Und so, wie Nicola ihre Voice-Memos abhört, habe auch ich die Stimmen in meinem  Kopf, Stimmen von Personen aus meinem Umfeld, die ich zwar nicht auf Zelluloid oder sonst irgendwas gebannt habe - aber dennoch höre:

1. Dass du so oft krank bist, ist doch nicht normal. Du tust zu wenig für dich.
2. Du solltest dich mehr um deinen Sohn kümmern. Du verkennst anscheinend den Ernst der Lage.
3. Immer, wenn ich was vorhabe, passiert bei dir irgendwas.
4. Du hast nur dein Leben in M im Kopf.
5. Du müsstest... Du solltest...
6. Du hast uns deinen kranken Sohn überlassen und wir dürfen das jetzt richten.
7. Ich bin hier der einzige, der ständig Kompromisse macht. Ihr hingegen nehmt alle nur, auch du.

Ich wusste schon, warum es mir in früheren Jahren fast unmöglich war, um Hilfe zu bitten. Warum ich es nicht wollte. Warum ich lieber alleine kämpfte. Warum ich lieber mit Provisorien lebte - und das zumeist nicht mal schlecht.
Weil ich es mir nie nie nie im Leben vorhalten oder vorrechnen lassen wollte. Noch niemals bin ich auch nur auf die Idee gekommen, jemandem zu sagen: "Ich habe für dich dies und das und jenes getan, siehst du mal!" So wie ich auch nie nie niemals auf die Idee kommen würde, eine Gegenleistung zu erwarten oder zu erhoffen. Wenn ich etwas tun kann oder helfen kann - dann tu ich es einfach und laber nicht lange rum. Weder davor noch danach, dann mache ich einfach, und ich vergesse es dann auch wieder.
Früher ist es mir oft schwer gefallen, Nein zu sagen. Aber das habe ich irgendwann auch gelernt. Lernen müssen. Schließlich kann man nur bedingt aus einem Krug schöpfen. Wenn er leer ist, ist er eben leer. Ich kann auch nicht alles (leisten), und ich denke, ich muss es auch nicht. Mutter Theresa bin ich nicht - aber ein Mensch mit Gefühl und Verstand. Dachte ich jedenfalls.
In den letzten Jahren ist mir oft gesagt worden: "Du musst nur mal was sagen - ich helfe dir gern. Weil du es verdient hast."
Anfangs fiel mir das unglaublich schwer. Ich habe mich da richtig geniert, weil ich auch dachte: Um Hilfe bitten ist Schwäche. Stück für Stück erkannte ich: So schwer ist das gar nicht, um etwas zu bitten - aber es kann das Leben mitunter tatsächlich leichter machen.
Allerdings ist das Leben wie ein Bumerang: Es kommt alles zu dir zurück - und oft ist das leider eben nicht so schön, lustig oder rosarot. Vielleicht ist es keine Schwäche, um Hilfe zu bitten, aber es fühlt sich trotzdem nicht immer richtig an.

Am Mittwoch habe ich um die Kündigung gebeten - für Sohn und mich. Diese Aussage habe ich nicht aus Trotz getroffen, ich stehe immer noch dazu. So wie ich auch immer noch zu meinen Antworten stehe:

1. Ich tue schon auch viel für mich; interessanterweise wird das dann jedoch gern als Egoismus ausgelegt.
2. Ich bin dankbar für Sohnemanns Job und damit die Chance, dass er wirtschaftlich selbständig ist. Aber um ihn als Mensch kümmert sich niemand, keiner, keine einzige Sau. Oder wer von euch allen kümmert sich darum, dass genug zu essen da ist (vor allem Gesundes), dass finanzielle Engpässe ausgebügelt werden, dass über Kummer und Sorgen gesprochen wird, egal ob live vor Ort zu Hause oder am Telefon; dass er nicht nur zu Hause vor der Konsole sitzt etc.? Wer gibt ihm im Büro Tipps oder Hilfestellungen und wird dann vom Chef angeschnauzt, dass ich in den 2 Bürotagen für ihn da zu sein hätte und nicht für andere, wir hätten schließlich genug zu tun? WER von Euch kümmert sich denn, während Ihr mir das jede Woche vorhaltet - in einer Tonart, bei der ich dann noch ruhig und gelassen bleiben soll?
Wer schläft nachts oft nicht oder unruhig und schaut tagsüber, ob es ihm gut geht soweit?
Nach all dem, was ich gesehen und erlebt habe, weiß ich: Für ihn als Mensch interessiert sich absolut niemand, ausgenommen meine Eltern und ich. Niemand fragt, wie es ihm geht oder wie er zurechtkommt. Ob er Hilfe brauchen könnte.
Jeder ist sich selbst der Nächste.
Im Übrigen: Ich sehe die Söhne alle 10 - 14 Tage für 3 Tage. Das ist vermutlich mehr, als andere ihre Kinder sehen, die nicht in der Nähe wohnen. Und Sohn wird 26 in ein paar Tagen. Ich lasse ihn nicht alleine, aber an die Hand genommen werden muss er auch nicht. Er braucht nur Menschen, die ihm was zutrauen. Da zähle ich für ihn nicht: "Ich weiß, dass du an mich glaubst. Aber du bist ja auch meine Mutsch und du liebst mich. Da ist das ja klar."
3. Nicht alles liegt in meiner Macht; manchmal passieren Dinge auch dann, wenn ich selbst sie nicht erwarte. Ungeachtet dessen hielt ich mich immer für einen "pflegeleichten" Partner, der nicht viel fordert, nicht viel erwartet, aber jedem seinen Freiraum zugesteht, tun und lassen zu können, was er möchte. Aber so ist die Welt: Sie sieht, was sie gibt; aber sie sieht nicht, was sie dafür bekommt.
4. Wenn das so wäre, wäre mein Leben entschieden leichter. Aber dann wäre ich auch nicht ich.
5. Ich muss überhaupt nichts.
6. Ja genau. Ich miese kleine egoistische Kuh. Aber: siehe 2.
7. Dazu sage ich nur: siehe 3.

Ich bin müde vom Kämpfen. Und ich bin müde vom Weinen, dem heimlichen meist.
Dafür arbeitet es in mir, was ich tun kann und was ich tun werde.
Letzte Nacht träumte ich, dass mich jemand umarmte und während dieser Jemand seinen Mund auf meine Wange legte, sagte er: "Darf ich dir einen Brief schreiben? Ich würde dir gerne einen Brief schreiben." Und fügte dann hinzu:


"Es wäre dann aber was mit Liebe."


12 Kommentare:

Goldi hat gesagt…

:-* umärmel und feste drück, wenn Du reden magst, schau in Deinen Briefkasten.

Nicola Hinz hat gesagt…

Dein Post klingt wie eine ganz schöne Abrechnung - mit einem bemerkenswerten Ende. Ein Brief mit was mit Liebe. Das wäre was, oder? Was für ein Versprechen!
Liebe Grüße
Nicola

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Danke Goldi! Das hat mich echt sehr gefreut - und ich komme sehr gerne darauf zurück!

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Nicola - ja genau, eine Abrechnung! Ich wollte noch viel mehr sagen, aber ich denke dann doch, dass es an anderer Stelle besser ist.
Der Traum letzte Nacht - ich habe das noch immer ganz deutlich vor Augen. Es war jemand, den ich im Traum kannte, aber vom Gefühl "Liebe" überrascht wurde. Weil ich es von dieser Seite so gar nicht erwartet hatte.
So ist es ja manchmal im Leben..

Goldi hat gesagt…

Eine Textzeile in einem meiner Lieblingslieder lautet "Liebe kommt oft über Umwege" und manchmal ist es auch "ganz einfach", denn die Liebes in Dir, für Dich und Deine Jungs ist das was Dich zu einer wunderbaren, tollen Frau macht ;)

Du solltest glaube ich mal wieder die SMS von Deinem Sohnemann lesen :-*

Anonym hat gesagt…

Du solltest dich mehr um deinen Sohn kümmern? Wer sagt denn das? Bei aller Liebe und von Löwenmutter zu Löwenmutter: Er ist 26. Und du wirst ihm das mitgegeben haben, was nötig ist, damit er lebenstauglich ist. Und den Rest wird er lernen. Müssen.

@"Nicht alles liegt in meiner Macht": Genau so ist es.

@6: Geht's noch? Empfinde ich als Außenstehende als ganz schönen Schlag unter die Gürtellinie. Wobei ich mich frage: Wie geht's deinem Sohn? Was macht die Schilddrüse?

Mannmannmann... das klingt nach einem turbulenten Januar. Pass auf dich auf!


LG Anna

P.S: Was macht der "entnadelte" Fuß?

~ Clara P. ~ hat gesagt…

Liebe Helma, mir fehlen die Worte bei Deiner Auflistung. Heftige Vorwürfe sind das. Das tut mir ehrlich leid für Dich. Dein Zitat: "Sie sieht, was sie gibt; aber sie sieht nicht, was sie dafür bekommt" - spricht auch mir aus der Seele.

Möge es von jetzt an nur noch besser und besser werden - für Dich und für die Söhne :)

Liebe Grüsse
Clara

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Anna, es ist schön, wieder was von Dir zu hören. Ich warte immer noch darauf, dass Du wieder schreibst :)
Was Sohn betrifft... Ich höre es vor allem im Job. Privat von Freunden höre ich eher, dass ich ihn begleiten, aber dennoch mehr loslassen sollte. Es kann auch nicht der richtige Weg sein, dass er mit 26 von "Mutti" an die Hand genommen wird. Das will er ja selber auch gar nicht. Er ist lange genug vom Vater gegängelt worden, der ihm bis heute nichts zutraut und bis heute bevormundet - wenn sie denn überhaupt Kontakt haben.
Aber er weiß, dass er mit allem zu mir kommen kann - und dass er das auch tut, ist doch wichtig.

Der Fuß... Er heilt langsam, gestern hab ich es dann auch mal mit Autofahren versucht. Ist ja der "Kupplungsfuß", und der Weg zum Supermarkt war fürs erste auch ausreichend. Mich grämt immer noch ein wenig die Tatsache, dass nur 1 Stück entfernt werden konnte und das 2. Stück in der Gelenkkapsel steckengelassen werden musste. Ob die Notwendigkeit besteht, dieses dann in einer aufwendigeren und vermutlich komplizierteren OP entfernen zu müssen, werden die nächsten Wochen oder Monate zeigen. Dann würde ich mich aber wieder an diesen Chirurgen wenden. Im Internet gabs fast ausschließlich negative Meinungen zu ihm - die konnte ich alle nicht bestätigen. Hab dann meine eigene positive Bewertung verfasst.

Liebe Clara, ja, genauso geht es mir auch: Da fehlen mir die Worte. Immer wieder neu. Und immer wieder neu verzweifle ich fast daran. Doch mittlerweile arbeitet es ununterbrochen in mir: Wege finden, Lösungen finden - und dann umsetzen.
Die Juliane hat in ihrem heutigen Post ihren Januar skizziert - mit dem Januar würde ich auch nicht tauschen wollen. Goldi schrieb dazu was vom Waschen während der Rauhnächte. Dann weiß ich ja jetzt, wer an allem schuld ist: Herr Blau! :)

Goldi hat gesagt…

Ich bin sicher nicht abergläubisch, denke dennoch das es mehr zwischen Himmel und Erde gibt was wir nicht wahrnehmen und dieser Brauch der Rauhnächte ist sehr interessant. Ich habe erst letztes Jahr im Dezember darüber gelesen und verschiedene Denkweisen daraus finde ich sogar sehr schön. Mal sehen was Ende diesen Jahres in der Summe davon bleibt. Ich werde mal eigene Posts dazu verfassen ;)

Nana vom See hat gesagt…

GroßARTig. Ein "ja" zu Dir, liebe Helma, ist eben primär ein "Ja" zu Dir, auch, wenn es ein "Nein" gegenüber anderen zur Folge hat. Schade, aber nicht vermeidbar. So schaut.s aus. Und statt dämliche Sprüche zu kloppen, sollte sich jede-r selber an die Gurke packen und überlegen, wie ersiees zB dem Sohn helfen kann, den Du angeblich zu wenig unterstützt. Lächerlich. Aber würdest Du ihn öfter sehen, ihn allabendlich bekochen, seine Wäsche waschen, ihm die Schlüpper rauslegen, dann, liebe Helma, wärst Du es auch schuld, alles, weil Du ihn ja zur Unselbstständigkeit erzogen hast. Was geht es denn Fremde an?! Und Leute, die Dich/ mich zur Sündenziege erklären, sind Vieles, nur keine Freunde! Meine Meinung.

Und weiterhin beste, zeitnahe Besserung für das geschundene Leibchen..
und mögen Deine Flügel sich recken und strecken und den neuen Freiraum genießen!

Auf geht.s Fury, der Weltall, unendliche Weiten...;-)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Goldi, es ist schon seit vielen Jahren meine Überzeugung, dass es so viel mehr gibt zwischen Himmel und Erde, das sich nicht logisch erklären lässt - und das trotzdem geschieht. Wie das einzuordnen ist? Keine Ahnung. Aber ich finde es nach wie vor spannend und faszinierend, darüber zu philosophieren. So wie früher in Sommernächten, mit einer Flasche Wein am See im Gras liegen, über uns der Sternenhimmel in seiner unendlichen Weite. Dann werden auch alle Gedanken frei...
Auf diese Posts bin ich schon jetzt gespannt, das kannst Du wissen.

Liebe Nana, in jedem Deiner Kommentare steckt ein so unerschütterlicher positiver Gedanke, der mich jedesmal wieder aufbaut. Und ich weiß auch, dass es keine Hilfe wäre und auch nicht meine Aufgabe ist, immer noch und in der Zukunft jeden Tag für die Söhne zu sorgen. Das Problem ist wohl, dass mein Sohn Probleme hat, im Frühjahr 2015 dazu noch seine Erkrankung ausbrach (von der ich las, dass diese unbehandelt zum Tod führen kann) und er eben nicht aus dem FF funktioniert. Dennoch denke ich, dass das größte Problem ist, dass man ihm nichts zutraut - und er sich selber auch nicht. Das ist die einzige Konstante seit seiner Kindheit, und für jemanden wie ihn gibt es kaum Platz und Geduld. Willkommen in der Marktwirtschaft.
Ja genau, die Flügel recken und strecken und ich weiß auch, dass ich fliegen werde. Ich bin mir nur über das Ziel noch nicht im Klaren. Aber das arbeitet gerade noch in mir.

Anonym hat gesagt…

wie jetzt: um die Kündigung gebeten für Sohn und dich? Hab ich jetzt nicht so richtig verstanden, Helma.

Das ist schon starker Tobak, dass "man" sich so nach anderen Leuten richtet in seinem Leben. Ich kenne das. Immer darauf bedacht, was die Leute wohl denken und sagen...
Ich bin so erzogen worden - nicht von meiner Mutter, aber von meiner Schwiegermutter, die ich ja auch schon kenne seit ich 15 war. Ganz schlimm.
Gut, dass du dich befreit hast, gut, dass du an dich denkst!

Aber das mit der Kündigung musst du mir noch mal erklären bitte. Gern auch über WA.

Liebe Grüße,
Suse