Mittwoch, 29. März 2017

"Das Leben ist zu kurz für Knäckebrot."



Der Mann, den du liebst, verlässt dich eines Tages. Warum, das weißt du vielleicht oder weißt es auch nicht so genau, aber das einzige, worin du dir völlig sicher bist: Es liegt an dir. Es kann nur an dir gelegen haben. Dass du nicht genügt hast, dass du einfach nicht die Eine warst und es im Grunde auch nie sein konntest.
Also kehrst du nach Hause zurück und irgendwann fängst du neu an, lernst jemanden kennen und obwohl du dir nicht sicher bist, wagst du den Sprung und ziehst bereits nach kurzer Zeit mit diesem neuen Mann zusammen.
"Ich will es richtig oder gar nicht", begründest du. "Das Leben ist so, was soll da noch kommen?" fügst du hinzu und zuckst die Schultern.
Du versuchst, dich in deinem neuen Leben zurechtzufinden, einzurichten, und weil die Ablehnung nicht nur von deinem Mann, sondern auch öfter in verschiedenen Jobs kommt, zweifelst du immer mehr an dir und glaubst deinem Mann, wenn er dich beschimpft, verflucht und irgendwann auch zuschlägt. Du glaubst, dass er recht hat, auch wenn du dich zugleich dagegen wehrst.
"Oh Gott, er hat recht, du bist so hässlich", denkst du, wenn du morgens in den Spiegel schaust und an seine Worte denkst: "Dich will sowieso keiner, du fette Sau", und du weißt genau, es spielt gar keine Rolle, ob du gerade dabei bist, in Kleidergröße 34 abzurutschen oder eine 44 trägst. Es spielt einfach keine Rolle.
Du bist ein liebevoller Mensch, der das, was er tut, auch gern tun möchte. Der gerne Überraschungen bereitet und es seinen Liebsten einfach nur schön machen möchte. Aber du kannst nicht verhindern, dass das, was er dir ständig sagt und was er tut, an dir nagt, dich immer kleiner, wertloser, unbedeutender fühlen lässt und sich deine Mundwinkel mit jedem weiteren Jahr immer mehr nach unten neigen.
Du glaubst, dass das gemeinsame Kind etwas in ihm verändern könnte, und du glaubst, dass du es mit diesem Kind auch schaffst, dich zu beweisen, am meisten vor ihm. Vermutlich weißt du noch nicht, dass es egal ist, was du tust und wie viel du tust. Vermutlich ist das Problem, dass er sich dir unterlegen fühlt. Und während er bemüht ist, dich weit unter ihn zu stellen, zeigst du ihm nicht nur, sondern sagst ihm auch, dass er einfach nichts kann, weder im Haushalt noch im Umgang mit dem Kind.
Wenn er sich nachts auf dich rollt, schließt du die Augen und denkst, dass du gerade eigentlich und am liebsten ganz woanders wärst - und sowieso auch mit jemandem anderen. Es ist egal wer, Hauptsache einer, der viel mehr Liebe in Dein Leben bringt. Du träumst von einem anderen Leben, einem einfacheren Leben, in dem du nicht schon zu Beginn des Monats weißt, dass dein Geld nicht reichen wird für dich und das Kind, du den zweiten Job machst, während du in deinem Kopf noch seine Worte hörst, ob du nicht endlich mal den Arsch hochkriegen willst.
Ihr lebt gemeinsam in einem Haus und noch ist dir nicht bewusst, dass du bereits jetzt schon genau das lebst, wovor du im Grunde am meisten Angst hast: allein zu sein. Zu glauben, dass du es allein nicht schaffen wirst. Du weißt noch nicht, dass du es bereits all die Jahre schon allein geschafft hast.
Niemand kann verstehen, warum du bleibst, warum du nicht gehst, warum du nicht springst.
Niemand kann verstehen, dass du erst in dir selbst den Punkt erreichen musst, an dem du sagst: "JETZT ist es genug."
"Dabei ist es schon jetzt genug", sagst du leise, aber was noch in Kopf und Bauch arbeitet, reicht noch nicht aus, den Sprung zu wagen.
Eigentlich möchtest du ganz anders leben, du möchtest Kirschen aus Nachbars Garten klauen und mit Graffiti "Ich wünsche mir für die ganze Welt Frieden" an Häuserwände schreiben.
Du möchtest Cocktails trinken und die Seele baumeln lassen können.
Du möchtest im Regen tanzen, barfuß durch die Pfützen springen und fühlen, wie sehr und wie gerne du lebst.
Aber eigentlich bist du die ganze Zeit immer nur müde und während du bedauerst, dass ein weiterer Tag herum ist, bist du zugleich auch wieder froh, wenn es ein Tag war, an dem man dich in Ruhe gelassen hat.
Und während du nicht verhütest und er bereit ist, dir ein weiteres Kind zu machen, fragt er dich, wie du dir das alles eigentlich vorstellst und wie du das eigentlich alles schaffen willst.
"Ich hab mir schon immer zwei Kinder gewünscht. Eigentlich wollte ich immer vier Kinder."
"Ich auch. Aber ich habe R. zu spät kennen gelernt. Mit ihm hätte ich mir alles vorstellen können, mit dem anderen nicht."

Fassungslos rühre ich in meinem Milchkaffee.

7 Kommentare:

Nelly aus Sachsen hat gesagt…

Diese Typen sammeln einen auf, wenn es einem eh nicht gut geht und zerstören dann den Rest an Selbstwertgefühl. Damit vernichten sie die letzte Kraft des Selbstschutzes...und die Umgebung...die hilft auch nicht, wenn sie den Kopf schüttelt und fragt, warum man bleibt. Man fühlt sich dadurch noch unnützer.

Und die seelischen Verletzungen sieht keiner, will niemand sehen.

A. hat gesagt…

Danke dafür, dass du auch solche Posts mit uns teilst. Mehr mag ich dazu jetzt gar nicht sagen.

Anonym hat gesagt…

Und die Vorstellung ist immer noch da, mit diesem Mann alles erreichen zu können, alles zu wollen?
Ist die Vorstellungskraft noch nicht erschöpft, genauso wie die Liebe und die Bereitschaft zu Leiden noch nicht erschöpft sind?
Und die Kinder, die in diese Beziehung geboren werden, welche Rollen werden sie einst übernehmen, Täter? Oder ein Opfer, dass sich zum Mittäter macht durch den unbedingten Willen zum Aushalten?

Man möchte hineingehen in sie; und diesen riesigen, schweren Schalter fest nach unten drücken. :(

Rain hat gesagt…

Wie viele von uns jetzt wohl zum dritten Mal diesen Text lesen und sich in Teilen von ihm wiederfinden? Oder gar in Allem?

Er macht sehr betroffen. Und sehr nachdenklich.

ganga hat gesagt…

Ich bin sehr berührt von der Geschichte und sie macht mich nachdenklich. Was habe ich selbst erlebt, was kenne ich davon, ....

Goldi hat gesagt…

Puh!
Mehrfach gelesen, mehrfach angesetzt und doch wollten die Worte nicht wirklich. Ich kenne beide Seiten, das Aushalten und das Zuhören/Schütteln wollen.

Sicher weiß ich nur, dass ich als Außenstehende am meisten helfen kann indem ich zuhöre, vielleicht Blickwinkel aufzeige, die evtl. Möglichkeiten bieten, aber verurteilen oder ein "du musst", wird nie die notwendigen Schritte auslösen.

Das zweite Kind ist heute hoffentlich schon ausgewachsen und diese Zeit lange vorbei, wenn es eine aktuelle Situation ist, dann hoffe ich das sie bald die für sie richtigen Wege findet.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ich kenne auch beide Seiten. Es ist, als liefe mein eigenes Leben vor meinen Augen noch einmal ab. Sowieso nicht, aber auch gerade unter dieser Erfahrung würde mir nie niemals in den Sinn kommen, sie für ihren Weg, ihre Entscheidungen zu verurteilen, ihr Vorwürfe zu machen.
Man kann wirklich nur zuhören und da sein, und ich glaube, sie weiß, dass ich da bin.
Ich hab 9 Jahre gebraucht, um eine Entscheidung zu treffen. Man kann nur Entscheidungen treffen, die in einem gereift sind - sonst steht man nicht zu ihnen und bereut sie, früher oder später.