Freitagnacht nach M zurückkehren, die Tür aufschließen, die Tasche abstellen, im Badezimmer klares kaltes Wasser über die Handgelenke laufen lassen und nach der Zahnbürste greifen. Ich weiß nicht mehr, wie lange es her ist, dass ich mich so unendlich müde fühlte.
Kaum mehr nachvollziehbar noch jene Erleichterung, mit der ich Anfang August noch glaubte, von nun an würde das Leben.. einfach nur ein wenig leichter. Kaum mehr nachvollziehbar noch jene ungläubige Freude.
Nur um nach diesen Wochen seither nachts in den Spiegel zu starren und mich zu fragen, wieso einfach niemals wirklich was "nach Plan" laufen kann. Wieso man immer und immer wieder über irgendwas stolpert, strauchelt und wenn man sich gefangen hat und weiterlaufen möchte, begegnet einem das nächste Hindernis.
Die letzten Wochen, die letzten Auseinandersetzungen, die irgendwie nahezu alles Bisherige in eine einzige große Frage stellten. Bereit zur Konfrontation, bereit zur Konsequenz werden Kämpfe ohne eine einzige Träne ausgefochten und in den schlaflosen Nächten Pläne geändert, neu aufgestellt und die Frage nach einem möglichen neuen Lebensmittelpunkt endet zunächst mit einer Suche im Netz, während man tagsüber den Menschen und den Söhnen begegnet, als sei alles wie immer.
"Mut steht am Anfang des Handelns. Glück am Ende."
Das steht in dieser Woche auf meinem Kalenderblatt. Ein Kalender, der mir so langsam etwas Angst macht. Ein Kalender, der mir jeden Montagmorgen eine neue Weisheit bringt. Eine Weisheit, die irgendwie in genau in jede einzelne Woche passt, so verschieden sich diese Wahrheiten auch anfühlen mögen.
Es ist nicht, dass mir der Mut fehlte.
Nur...
Noch vor einigen Wochen fühlte ich den älteren Sohn angekommen.
Noch vor wenigen Wochen begann ich gemeinsam mit dem jüngeren Sohn, die veränderten Bedingungen zu akzeptieren und eine Lösung zu schaffen, die uns drei voneinander unabhängig machen sollte, ohne uns voneinander zu trennen.
Noch vor wenigen Wochen glaubte ich, auch in meinem eigenen Leben auf einem guten Weg zu sein.
Diese drei Säulen meines Lebens, für die ich bereit war, alles zu geben.
Und kaum denke ich, dass wenigstens zwei Säulen stabil sind und ich mir die dritte neu errichten muss, bröckelt auch die zweite.
Dass sich der Weg meines eigenen Lebens in Frage stellte, dass die Richtung noch offen blieb - damit konnte ich umgehen. Jedoch die Söhne... Sie sind der Punkt, der mich am verwundbarsten macht. Für mich selbst.. werde ich immer einen Weg, eine Lösung finden - auch wenn das manchmal länger dauert als ich es wünschte. Für mich selber kann ich stark sein. Aber die Jungs... Wenn es ihnen nicht gut geht, stürze ich sofort ab. Innerlich. Gefühlt.
Die bisherige berufliche Reise des Älteren ist zuende, bevor sie richtig begonnen hat. Für ihn und für zwei weitere Mitarbeiter. Das Warum und die Zusammenhänge bleiben unter Verschluss, zumindest so lange, wie noch unklar ist, welche Kreise es da noch ziehen wird. Aber es ist eine Information, die mir am Freitag in die Kniekehlen tritt, die mich innerlich einknicken lässt - und die mich von einem Moment auf den anderen ermüdet. Leert. Erst jetzt steigen mir die Tränen in die Augen.
"Ja was soll ich dir sagen... Du weißt, wenn ich dir helfen kann..."
Ich nicke, aber ich meine es nicht so. Ich will sie nicht, die Hilfe. Ich will mich nicht auf einen anderen Menschen verlassen, weil ich mich auf keinen anderen Menschen verlassen kann. Denn am Ende hat kaum jemand etwas von sich abgegeben, ohne damit einen Zweck zu verfolgen. Ohne damit im Gegenzug auch etwas zu erwarten. Kaum jemand tut etwas einfach nur, weil er es tun kann. Jedenfalls nicht meiner bisherigen Erfahrung nach.
Heute Nachmittag bin ich in der Sonne spaziert. Eine so wunderbare Herbstsonne, es sind über zwanzig Grad, die Sonne streichelt meine Haut und meine Seele. Ich sammle rotgoldene Blätter, lese die letzten Kastanien auf. Für einen Moment denke ich an nichts, fühle ich nichts Bedrückendes, fühle ich mich wieder wie als ich sechs Jahre alt war. Sehe mich in den weißen Kniestrümpfen und den neuen gelben Lederschuhen und den viel zu dünnen Beinen, wie ich begeistert durch das Laub wusele und mich freue, während die Mama die Augenbrauen hochzieht, weil die Schuhe noch neu sind und Ersatz nicht so einfach beschafft werden kann.
Und dann sehe und höre ich einen Rettungswagen, so einen, wie der Ältere ihn bis zuletzt fuhr, und alles in mir krampft sich erneut zusammen, überkommen mich einmal mehr die Sorgen und die Gedanken, die Ungewissheit.
"Alle Ampeln auf Rot", antwortete ich dieser Tage auf die Frage, wie es mir ginge.
Aber ich will mich nicht so fühlen. Ich will nicht, dass wir uns unterkriegen lassen. Und überhaupt... Auf jedes Rot folgt doch auch immer noch ein Grün.
Daran ziehe ich mich hoch - denn Rot lasse ich nur als Kampfansage gelten. Nicht als Stoppschild.
6 Kommentare:
Eigentlich bin ich auch jemand, der sich mit der schlichten Statistik tröstet. Nach schlechten Tagen folgen gute Tage, basta.
Erschreckend, dass das bei euch gerade so gar nicht funktionieren will.
Dass du noch so viel Kraft hast, ist bewundernswert. Andererseits - es bleibt ja nichts anderes übrig. Gibt's eine Alternative zum Kämpfen - nein.
Mir ist das alles sehr nahe, was du über deine Kinder und deine innere Unabhängigkeit schreibst. Das Beste ist, dass die Wahrnehmung der schönen Dinge um uns herum noch funktioniert und du daraus Pausen voller Leichtigkeit ziehen kannst.
Nach der dämlichen Statistik ist die Wahrscheinlichkeit, dass jetzt mal was richtig gut klappen muss doch verdammt hoch!
Liebe Grüße
Liebe Gretel, als ich Freitagnacht heimgefahren bin, ging mir eine Menge durch den Kopf. Eine Flut an Gedanken und Empfindungen - und ich muss zugeben, ein bisschen Resignation war auch dabei. Ertappte mich dabei, so ein bisschen nachvollziehen zu können, warum der Junge manchmal aufgeben möchte.
Aber dann sagte ich mir: Das darf man einfach nicht. Auf den Arsch fallen ist doch keine Schande - nur liegenbleiben wäre eine.
Und ich wünschte uns wirklich und vor allem ihm eine Zeit der Erleichterung. Denn wenn wir eins gespürt haben: Das, was er bis Freitag machte, ist das, was ihm liegt. Er war gute zwei Monate erst bei denen - und die Patienten lieben ihn schon jetzt und wollen für ihn und den anderen eine Art Petition einreichen. Trotz allem musste ich lächeln und ihn umarmen: "Eine Patientenrevolte also, ist ja süß."
Aber manchmal frage ich mich schon auch, wieso bei uns einfach keine Ruhe reinkommt.
Anscheinend stimmt mit unserem Karma was nicht ;)
Rot-Phasen sind schlimm. Sehr schlimm.
Aber sie haben nix mit "Karma" zu schaffen.
Sie sind lediglich ein Übergang.
Bis eine Ampel nach der Anderen wieder auf "grün" umschaltet.
Wann?
Das bestimmen nicht wir.
Ich wünsche Dir viel kraft für die nächste Zeit.
Ich drücke euch die Daumen, dass die Ampel mal wieder auf grün schaltet. Bald. Auch ehe dein Sohn intensiver über das Aufgeben nachdenken kann. Ein ... ähm ... engeres Familienmitglied von mir hat das getan. Aufgegeben. Zermürbt durch zig Zeitarbeitsjobs, völlig "durchgeknallt" aus Frust über Politik, Gesellschaft und überhaupt alles -die eigenen Unzulänglichkeiten darfst du gar nicht ansprechen, sonst fliegen die Fetzen, aber richtig. Er macht dicht, niemand kommt mehr an ihn ran. Und er sagt selbst, dass sein Leben vorbei ist. Mit 40... und ich glaube nicht mal, dass das ein Einzelfall ist, wenn ich mich draußen so umsehe...
Ich würde auch nicht sagen, dass das Liegenbleiben eine Schande ist - zumindest nicht, wenn dir die Kraft zum Aufstehen fehlt. Bewusste Verweigerungshaltung allerdings...die ist weniger prickelnd.
Vielleicht klingt das ein wenig doof, aber ich sag es trotzdem mal:
Kann man dir etwas Gutes tun?
Das würde ich gerne.
Ich mag nicht daran glauben, dass niemand etwas abzugeben hat.
Kannst Du es mir versprechen, Rain? Momentan ziehe ich aus jedem positiven Gedanken Energie und hinterfrage diese auch nicht..
Liebe Anna, ich meinte eine andere Art von Aufgeben :(
"Dicht" macht der Junge nicht, aber er wird von mal zu mal mutloser und wenn ich dann sage: "Hey, wir kriegen das hin, du wirst sehen", dann schaut er mich an und lächelt und sagt: "Ach Mutsch, wie oft ich das schon gehört habe und dann hats trotzdem nicht geklappt."
Mit dem Liegenbleiben meinte ich tatsächlich auch die Verweigerungshaltung. Dieses Jammern & Beklagen und aber gleichzeitig nicht mehr aufstehen und nichts mehr versuchen. So etwas nervt mich. Natürlich schmerzt ein Sturz und der darf auch beklagt werden. Aber dann muss man auch wieder aufstehen und weitermachen. Denn wie Gretel schreibt: Eine Alternative gibt es nicht.
Und aktionslose Jammer- und Meckerfritzen machen mich ungeduldig und irgendwann sogar auch aggressiv.
Liebes Muschelmädchen, ich danke Dir für Deine Worte. Ich mag auch nicht glauben, dass niemand ohne Berechnung bzw. eine Erwartungshaltung etwas von sich abgibt. Meine bisherige Erfahrung jedoch zeigt fast ausschließlich etwas anderes. Mein Grundverständnis ist da anders. Entweder ich helfe, weil ich die Möglichkeit dazu hab und weil ich es mit Herzblut tu - sonst kann ichs lassen.
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