Dienstag, 5. Mai 2020

Schmetterling mit Betonfüßen

Natürlich lebe ich noch. Liege nicht verschüttet unterm Renovierungsdreck und bin auch sonst nicht verschollen, liebe Juna ;) Die Situation im blauen Ziggenheim hat sich wieder entspannt, wir haben unsere Wünsche & Vorstellungen einander angeglichen und können beide, glaube ich, ganz gut mit dem Bisherigen leben. Auch mit dem, das kommen soll.
Und während der Mann Mitte oder Ende des Monats wieder in die Firma gehen kann zum Arbeiten, habe ich gestern das Signal bekommen, dass ich noch im Mai wieder nach L fahren kann. Darauf freu ich mich wirklich - aber ich glaube, meine Söhne sich noch mehr ;)

Insgesamt... waren die letzten Tage nicht ganz einfach für mich. Es war so einiges, das mir um die Ohren geflogen ist, beruflich wie privat, und dass nach dem Absetzen des Cortisons vor rund zwei Monaten der Schmerzpegel mehr als enorm ist, macht das Ganze nicht besser. Ganz im Gegenteil. Vor allem die Finger schmerzen wahnsinnig. Selbst wenn wir einfach nur die Hände ineinander legen, der Mann und ich, und er einfach nur zufasst wie immer - dann könnte ich aufschreien.
Auch das Anheben der geliebten Kaffeetasse ist wieder zur Qual geworden.
Insofern haben wir das Umbauvorhaben unseres blauen Ziggenheims zu einem denkbar schlecht gewählten Zeitpunkt begonnen - aber irgendwann muss man ja aber auch mal anfangen. Schmerzfreie Phasen gibt es sowieso nicht, also worauf soll man denn dann warten? Man weiß nie, wann es erträglicher wird und wie lange eine solche Phase anhält.
Also klage ich nicht, ich jammere nicht und beteilige mich ganz normal am Renovierungsgeschehen. Aber letzte Woche, irgendwann in irgendeiner Nacht, da habe ich heimlich und leise geweint und mich zum ersten Mal ernsthaft gefragt, ob ich das noch lange aushalten kann - und ob ich das will.
Ich erinnerte mich wieder an eine Reportage vor Jahren, in der eine Tochter über ihre Mama sprach - mit Tränen in den Augen. Die Mama litt unter Dauerschmerzen wie ich und entschloss sich eines Tages, nachdem ihr niemand helfen konnte (oder wollte, das muss ich aus eigener Erfahrung inzwischen anfügen, weil es eine Tatsache ist), ihr Leben zu beenden.
Ich weiß noch, dass ich damals dachte "Orr ne, das passiert mir nicht, das Leben ist zu kostbar, wir haben nur dieses eine, es gibt kein zweites."
Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher - und angekommen an diesem Punkt der Gedanken war ich über mich selbst erschrocken. Gerade ich, die das Leben so sehr liebt. Gerade ich, die wirklich immer erstmal das Positive in allem sieht. Gerade ich denke an das Aufgeben?
Der Gedanke an meine Söhne, der Gedanke daran, sie säßen eines Tages so da wie jene Tochter und würden über mich sprechen, das würde mich zerreißen. Ihnen könnte ich das niemals antun.  Schon auch deshalb nicht, weil sie einfach niemanden in ihrer Nähe haben, der für sie da ist.
Ein Freund von mir fragte letztens, ob ich schon mal Akupunktur versucht hatte. Ja, auch das. Nach zwei verschiedenen Verfahren - beide haben nicht geholfen.
"Da hilft dann nur noch beten", meinte er und an dieser Stelle fiel es mir wieder ein. Dass ich mich selbst dazu schon hatte hinreißen lassen. Ich glaube an keinen Gott - aber ich glaube daran, dass es sehr viel mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die wir uns nicht logisch erklären können - und sie passieren trotzdem.
Mir fiel wieder ein, dass ich darum gebeten hatte, dass ich alles aushalten würde - wenn dafür meinen Kindern nichts passiert.
Und an diesem Punkt fühlte ich so etwas wie Erleichterung.
Wenn nur meinen Kindern nichts passiert. Das habe ich versprochen.

Und so stehe ich jeden Morgen auf, erhoffe mir keine Wunder, aber freue mich darüber, dass der Flur so geworden ist wie ich mir das vorgestellt habe (der letzte Schliff fehlt noch, liebe Juna, deswegen folgen Fotos irgendwann später :)), die Küche ist fertig (auch hier fehlt noch der letzte Schliff, aber das ist in beiden Räumen nur noch Pipifax) und für Schlaf- und Lebensraum haben wir nächste Woche Urlaub, da müssen wir alles schaffen. Es ist eigentlich der Urlaub, den wir an meinem geliebten Meer verbringen wollten - und es ist viel zu lange her, dass ich dort war.
Manchmal blättere ich in dem kleinen Buch der Herzensfreundin "Manchmal muss man einfach nur ans Meer fahren, um glücklich zu sein". Und dann fühle ich mein Herz klopfen vor Vorfreude.

Eines Tages wirds wieder werden.
Und dann streife ich mir den Beton von den Füßen und breite die bunten Flügel wieder aus.

9 Kommentare:

Grit hat gesagt…

Hallo Helma,
oh mein Gott,nach dem Lesen dieser Zeilen muß ich erstmal schlucken und tief Luft holen. Hat schon mal einer von Ihren Ärzten an Fibromyalgie gedacht, bzw. erwähnt... Es muss doch irgendetwas Entzündliches sein, sonst würde doch das Cortison nicht anschlagen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass ständige Schmerzen einen irgendwann ans Aufgeben denken lassen, das war aber für mich nie eine wirkliche Option und für Sie ist das ebenso Keine!!!! Soetwas kann man seinen Liebsten nicht antun.
Ach, liebe Helma, das muss ich jetzt alles erstmal verdauen.
Seien Sie herzlichst gegrüßt und virtuell umarmt!
Grit

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Grit, doch, die Fibromyalgie stand schon ganz am Anfang des Ganzen, also vor 15 Jahren, im Raum. Es wurde immer gesagt: "Eine einseitige Fibro gibt es aber nicht."
Und der vorherige Hausarzt hier in M hat gesagt: "Fibro ist nur eine erfundene Diagnose, damit die Patienten Ruhe geben." :)
Als ich vor 3 Jahren bei ihm war, als das beidseits in den Fingern anfing, winkte er ab und meinte "Ach, Sie haben das doch schon so lange."
Wie erklärt man jemandem, dass ein Schmerz nicht gleich ein Schmerz ist und sich der in den Fingern anders anfühlt? Ich hatte immer sehr schlanke Finger - aber seit 3 Jahren habe ich oft einfach "Wurstfinger", auf die meine Ringe dann nicht mehr passen.
Dazu hatte er damals gesagt: "Ich verstehe das nicht, Sie haben alle Anzeichen von Rheuma, aber es ist kein Rheuma." Weil der Rheumafaktor nur zwischen 10 und 14 pendelte, und 14 ist wohl lediglich ein Grenzwert. Weiterverfolgt hat er das Ganze nicht. Und dann im Jahr drauf fiel ich einfach um und konnte seither nicht mehr sicher gehen. Wenigstens das ist seit der Bluttherapie und vor allem dem Cortison deutlich besser geworden. Einen Tod muss man wohl sterben, alles kann man nicht haben. Mit der einseitigen Schmerzproblematik hatte ich mich abgefunden und arrangiert. Daran, dass beidseits die Finger schmerzen, muss ich mich wohl auch gewöhnen - und frage mich schon manchmal: Was kommt noch?
In 2018 und 2019 habe ich so viele Ärzte, Heilpraktiker und Kontakte bemüht, dass ich irgendwann das Gefühl hatte, ich beschäftige mich nur noch mit dem Körper und nicht mehr mit dem Leben. Also beschloss ich im August oder September 2019, eine Pause einzulegen und mir viel mehr Ruhe im Kopf zu gönnen. Ich war immer ein Genussmensch, und ich wollte nicht aufhören, das Wunderbare zu lieben und zu genießen. Das hat mir wirklich gut getan, wenn es auch bis zum Jahreswechsel hin immer schlechter wurde und im Januar dann ganz akut.

Dass es etwas Entzündliches ist, davon ist auch der jetzige Hausarzt überzeugt. Aber er weiß nicht, was er tun soll. Und ich habe Angst, sein Budget zu strapazieren. Ich bin schon jetzt sehr viel teurer für ihn als er für mich bekommt.

Ruthy hat gesagt…

Hallo Helma,

vielleicht geht's Dir da wie mir bis 2016, und Du hast was, wofür Du zu jung, nicht der Typ, oder was auch immer bist.

Das mit dem zu jung sagte damals mein Hausarzt zu mir, nachdem er die MRT-Aufnahmen von meiner fast nicht mehr vorhandenen Hauptschlagader gesehen hat ... weil man sowas als Frau eigentlich erst über 60 hat. Bei mir ging das ja schon so 2008 los, also mit 46. Schmerzen beim gehen etc., einige Untersuchungen, um z.B. kaputte Bandscheibe, Nervengeschichten u.ä. auszuschließen. Ich hatte dann auch schlicht keine Lust mehr auf noch so Aktionen, speziell nach der Untersuchung beim Nervenarzt.

Letztendlich war es meine Vermieterin, die mir den Tip mit einer Radiologin gab ... und mir damit im Endeffekt sogar das Leben gerettet hat

Liebe Grüße
Ruthy

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Ruthy, sowas in der Art habe ich auch schon öfter gehört: Ich sei zu jung für diese und jene Verdachtsdiagnose. Ich habe aber auch schon gehört, dass sie noch nie eine Frau in meinem Alter gesehen hätten mit so einem Gangbild usw.
Die Halsschlagadern wurden bei mir auch schon zweimal kontrolliert, einmal 2016 und einmal 2019. Mit Ultraschall. Beide Male in Ordnung. Ich mache mir eigentlich nie wirklich Gedanken, ob oder was sie finden bei ihren Untersuchungen. Und bin aber immer froh, wenn es heißt: Da ist alles okay. Andererseits macht es die Akzeptanz bei Ärzten umso schwieriger.
Ende 2018 hatte mir mal ein Oberarzt aus nem Klinikum gesagt: "Genetik zu untersuchen ist zu teuer, nutzt Ihnen auch nichts. Wenns was Genetisches ist, kann man sowieso nichts machen."
Diese Aussage ist so pauschal schlichtweg falsch.

Schwerer getroffen hatte mich letztes Jahr eine Aussage im privaten Bereich: "Sie ist gar keine echte Patientin. Ich kenne echte Patienten, aber sie ist keine davon."
Daran hab ich eine Zeit lang ziemlich schwer geknabbert. Was für ein Hohn angesichts insbesondere der letzten 3 Jahre. Vielleicht ist es mein Fehler, dass ich mir nach außen immer Mühe gebe, nicht "aufzufallen". Andererseits wüsste ich nicht, wem das was bringen soll, wenn ich mich gehenlasse. Und wenn ich jemandem erst beweisen muss, wie scheiße es mir tatsächlich oft geht, dann lass ich es lieber ganz.
Ich hab es als Lehrstück genommen und mir selber gezeigt, dass ich eins inzwischen sehr wohl kann: mit einem Menschen zu 100 % abzuschließen.

Anonym hat gesagt…

Hallo Helma,

bitte schau doch mal hier:

https://www.medicover.de/de/facilities/medicover-muenchen-mvz/contact

das ist eine sehr gute Praxis und das richtig besondere…..die Ärzte besprechen Fälle untereinander,
finde ich sehr wichtig, da sie unterschiedliche medizinische Schwerpunkte betreuen.

Ich bin bei Frau Dr. med. Julia Radtke
die ich Dir ans Herz lege.
Einmal im Jahr fahre ich 240km zu ihr, für meine Blutuntersuchengen .

Bitte gebe nicht auf !!!!!!


Alles Gute und herzliche Grüße petra


Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Petra, ich hab mir die Seite mal angeschaut. MVZ - da kann ich doch auch als Kassenpatient hin? Ich ruf da mal an, die Frau Dr. Radtke ist ja auch auf Endokrinologie spezialisiert, da hab ich ohnehin noch offene Fragen nach dem letzten Blutbefund im Februar 2019 (die Ärztin von damals ist jetzt noch im Erziehungsjahr). Und tatsächlich würde mir sehr gefallen, wenn die sich untereinander beraten. Sowas hatte ich mir ja auch im Zentrum in L erhofft, aber ob das wirklich so gemacht wurde, bezweifel ich inzwischen aus verschiedenen Gründen.
In jedem Fall danke ich Dir sehr, denn die Intensität des Schmerzes insbesondere in den Fingern und im Bein bringt mich grad ziemlich an den Rand meines Fassungsvermögens.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

P. S. Ich habe für den 17.06. einen Termin bei ihr bekommen. Da ich ohnehin ein neues SD-Rezept brauche, lasse ich mir auch gleich den Überweisungsschein geben. Kann ich mir alles heute ab 16 Uhr abholen. Ein Hoffnungsschimmer. Etwas, das ich grad wirklich ziemlich brauche. Ganz egal erstmal, was dabei rauskommt.
Danke nochmal. Wirklich.

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Liebe Helma, wenn ich deine Worte durch die erste, zweite und dritte Hautschicht durchsickern lasse, dann könnte ich aus Mitgefühl nur weinen. Wie kannst du überhaupt noch schreiben und Auto fahren, wenn du solche Schmerzen dabei hast.
Ich hätte nicht so viel Kraft und Durchhaltevermögen wie du - aber meine Verhältnisse privater Natur sind auch ganz anders als deine - ich will das jetzt nicht vertiefen. Aber gerade der heutige Tag hat mir wieder gezeigt, wie wenig ich fehlen würde.
Nach Heikos Tod habe ich lange Wochen eine Trauergruppe besucht. Drei aus der Gruppe kamen wegen Suizid von nahen Angehörigen in die Gruppe.
Dort habe ich gelernt, dass es nicht richtig ist, wenn gesagt wird: "Das kann ich meinen Kindern, meinem Mann, meinen Eltern oder einer anderen Person nicht antun". Wenn genau dieser Personenkreis die betroffene Person wirklich liebt, wird sie nicht wünschen, dass genau diese Person mit den Leiden, den Schmerzen, den unendlichen Sorgen, der Depression oder anderen Sachen nur ihretwegen sich quält und weiter leidet.
Damit will ich nicht sagen, dass du dich auf deinen Abschied vorbereiten sollst - verstehe mich bitte nicht falsch, aber du sollst auf keinen FAll Gewissensbisse haben, wenn du irgendwann wirklich nicht mehr kannst.
Ich wünsche dir, dass der 17. Juni danach bessere Erinnerungen mit sich bringt als dieser Tag in der DDR - oder bist du dazu zu jung, um zu wissen, was am 17. Juni 1953 gewesen ist.
Ich drücke dir ganz ganz fest die Daumen.
Ganz liebe Gutenachtgrüße von Clara

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Clara, eigentlich bin ich es gewohnt, mit Schmerzen zu leben. Nur wenn der Schub recht arg wird und dann auch noch so lange anhält wie jetzt der letzte, dann stecke ich das nicht immer so einfach weg. Gerade in den Fingern ist der Schmerz besonders unangenehm, weil ich die eben auch jeden Tag zum Arbeiten brauche.
Und doch - ich denke, jeder Mensch hat soviel Durchhaltevermögen, grad wenn es nicht wirklich eine Alternative gibt.
Letztens erzählte mir jemand aus der Familie, dass die Freundin demnächst zur Schmerztherapie ginge. In schlimmen Zeiten kann sie sich mit Medikamenten behelfen, aber sie will auch was für zwischendurch. Gedanklich habe ich abgewunken: Die allgemeine Schmerztherapie bedeutet lediglich, dass man lernt, damit zu leben. Zu Beginn des Ganzen dachte ich damals noch, ich kann das wieder loswerden und Schmerztherapie würde bedeuten, der Ursache auf die Spur zu kommen und eine Lösung zu finden.
I wo....
Grad wenn es keine Diagnose gibt, ist man am Arsch.

Deinen Kommentar hab ich schon ganz richtig verstanden, keine Sorge. Ich weiß schon, was Du meinst.

Rein geschichtlich kann ich den 17.06.53 einordnen und hoffe, mein Anliegen wird am 17.06.20 nicht ebenso ignorant und gewalttätig niedergeschlagen ;)