In der vergangenen Woche überkam mich das Gefühl, alles würde mich überholen, während ich dabei war, immer langsamer zu gehen. Das lag nicht zuletzt daran, dass ich viel mehr Zeit in L genoss als sonst. Es lag auch an der Musik, die mich begleitete.
Und da war diese Sache, diese eine, die mich schon seit Wochen, nein, Monaten begleitet, für die ich Lösungen wünschte und suchte.. Vermutlich habe ich mir in den letzten Wochen und Monaten gewünscht, dass zumindest eines vergehen würde - die Ungewissheit. Und vermutlich habe ich mir auch ein wenig Beschleunigung in manchen Dingen gewünscht. Nicht zuletzt, weil das Vorantreiben eben diese Ungewissheit besiegen würde. Und dann war da jener Morgen, an dem ich das Haus verließ, die Stufen hinabstieg und mich irgendwie so eine Ruhe überkam.. So eine Gelassenheit.. Diese Gewissheit, dass sich alles fügen würde. Dass alles so kommen würde wie es kommen sollte. Es war dieser Moment, in dem ich mich spürbar, fühlbar entspannte.
Ich kann gar nicht sagen, woher das mit einem Mal kam, aber es war da. Und irgendwie.. fühle ich diese Sicherheit immer noch.. Ganz gleich, wie die Entscheidung ausfällt - es wird sein wie es ist.
Mit ähnlichen Gedanken begegnete ich heute Morgen auf Anraten meines Hausarztes nach ganzen zwei Jahren nochmal einem Doc, von dem ich mir auch diesmal nicht sicher war, wie ER mir begegnen würde. Vor dem ich mich wieder fast vollständig entkleiden musste (bei Gott, wie ich DAS hasse) und auf einer imaginären Linie laufen sollte, was ich inzwischen (wieder) nicht (mehr) kann. Der mich bat, auf der Liege Platz zu nehmen, was mir derzeit deutlich mehr Schmerz bereitet. Der mich bat, ihm den Rücken zuzuwenden, nur um mich energisch an Stellen zu berühren, von den ich glaubte, an die Decke springen zu müssen, in der Realität aber zusammenfiel wie ein Klappmesser.
So viele Jahre, in denen ich mich mit der ganzen Problematik herumquäle und kaum einen nennenswerten Schritt nach vorn komme, nehme ich sehr bewusst auf, wenn mir ein Mensch wie heute dieser begegnet: Einer, der MICH sieht. Der mich ernst nimmt. Der nicht nur den Patienten in mir sieht - sondern einen Menschen, der sich seit beinah sechzehn Jahren quält, in unzählige Schubladen gesteckt wurde und der zu mir heute wiederholt sagt "Es ist Wahnsinn, wie Sie sich quälen. Da müssen wir doch was tun."
In diesem Moment erinnerte ich mich daran, dass mir das vor vielen Jahren, noch lange vor all dem Irrsinn, schon einmal jemand gesagt hatte. Der staunte, wie ich ein so fröhlicher, unbeschwerter Mensch sein konnte bei dem Leben, das ich bis dahin geführt hatte. Irgendwann damals habe ich dann auch begonnen, mich das zu fragen. Aber eigentlich wusste ich die Antwort schon.
Ich liebe es, das Leben. Weil ich nur dieses eine habe und weil mir das niemand zurückgibt, wenn ich es verliere. Gibt es etwas anderes, das so voller Möglichkeiten ist wie dieses Leben? Wenn du feststellst, dass du im falschen Zug sitzt und weißt, dass du nur beim nächsten Halt aussteigen musst, um deine Richtung zu ändern? Na klar war das nicht einfach, es hat unfassbar viele Tränen und Schmerz gekostet, nicht nur mich - und mit der Erfahrung von heute würde ich rückblickend einiges anders machen. Heute würde ich vor allem die Menschen schützen, die am allerwenigstens für die Situation konnten.
Heute Morgen stand ich am Bahnsteig, nach eben jenen zwei Jahren, und ich war unsicher: Bin ich hier richtig oder bin ich es nicht? Ich wusste es nicht mehr so genau, in diese Richtung fahre ich für gewöhnlich nicht und die S-Bahn nutze ich normalerweise nie. Die Karte hinter Glas war so wenig aussagekräftig und so habe ich beherzt jemanden angesprochen, als die Bahn schon einfuhr. Und der senkte sein Handy, er schaute mich an, er lächelte, das konnte ich selbst hinter seiner Maske sehen, und er erklärte mir, wo genau ich hin musste.
Später, in der richtigen Bahn, lehnte ich den Kopf zurück, schloss die Augen und hörte die Musik.
Mir ging so vieles durch den Kopf. Wir haben nicht immer jemanden, der uns den richtigen Weg zeigt. Manchmal müssen wir uns auf uns verlassen, auf unsere Intuition. Manchmal können wir jemanden fragen, manchmal nicht, und manchmal steht jemand neben dir, den du gar nicht kennst und um den du gar nicht gebeten hast. Er ist aber trotzdem da und manchmal.. ist es nur ein einziger Blick, der eine Verbindung herstellt. Ein Lächeln.
Ich weiß nicht, ob der Doc mir helfen kann, aber ich erwarte auch nichts. Doch was mir heute Morgen unfassbar gut tat: das Gefühl, ernst genommen zu werden. GESEHEN zu werden.
Wie er die Maske abnahm und mir gestattete, es ihm gleich zu tun. Jetzt noch sehe ich sein Lächeln vor mir.
Ein Lächeln, mit dem ich noch immer das Gefühl genieße, nicht nur Patient Nummer XY zu sein. Sondern ein Mensch. Ein Mensch im richtigen Zug.
"Cortison ist nix auf Dauer", sagte er und ich antwortete: "Ist es auch nicht, da sind der Dr. [Hausdoc] und ich uns einig."
"Der Dr. [Hausdoc] ist wirklich ein Guter, der passt auf Sie auf."
Wir lächelten.
Sie auch, dachte ich. Sie auch.
8 Kommentare:
Wie gut, dass es noch Ärzte gibt, die nicht nur mit ihren Patienten Geld verdienen wollen, sondern die sie als Mensch sehen, denen sie helfen möchten, weil es ihnen schlecht geht.
Wie viel schöner wäre es dann noch, wenn diese Gedanken auch zu einem guten Ergebnis führen. Ich wünsche es dir so sehr, denn mir tut schon allein das Lesen deiner Texte über das Thema Schmerz weh.
Ganz liebe Grüße von mir
Liebe Clara, Du treuer Lesefan :) Ich weiß, ich hab das schon oft gesagt, dass ich keine Erwartungen hatte und dass ich dann trotzdem tief enttäuscht oder traurig war.
Aber letztlich habe ich hier wirklich keine. Er ist mir nicht neu, ich war schon mal bei ihm und eigentlich sollte das gestern nur eine "Verlaufskontrolle" werden. Insofern.. Dachte ich wirklich, ich werde bloß angeschaut und bekomme gesagt, dass ich weiter so machen soll und man sich in nem halben Jahr wiedersieht. So war das vor genau zwei Jahren - nur dass ich eben nach dem halben Jahr nicht wieder hingegangen bin. Nicht weil ich nicht an ihn glaubte, sondern weil es einfach keine neuen Erkenntnisse gab - bis auf den Erfolg der Eigenblutbehandlung, seit der ich keinen Tremor mehr habe. Das hat ihn gestern überrascht. Und auf meine Information, dass das Cortison so gut gewirkt hatte, sagte er spontan: "Dann ist es auf jeden Fall was Rheumatologisches, tut mir leid."
Nach der körperlichen Untersuchung und auch ein paar Messungen (Nervenleitung) meinte er dann, dass vermutlich mehreres zusammenkommt und es nicht nur eine einzige Ursache gibt. Jetzt will er beim nächsten Termin alle meine vorliegenden Unterlagen sehen und sich anschauen, was insbesondere die Reha-Klinik schrieb. Denn die verwarf die Aufnahmediagnose Psyche und schrieb, dass etwas Körperliches als ursächlich angesehen wird. Vielleicht hilft das Ganze am Ende zumindest dahingehend weiter, als dass man weiß, wie man überhaupt mit der ganzen Problematik umgehen soll und kann. Denn besser ist es ja auch in all den Jahren - auch mit 4 Jahren psychologischer Behandlung - nicht geworden. Nur schlechter. Auch wenn ich selbst für mich eine ganze Menge gelernt habe und auch vieles richtig mache. Was hilft mir aber die starke Psyche, wenn der Körper schlapp macht und keiner weiß, was er eigentlich hat?
Liebe Helma, danke für den wirklich ausführlichen Kommentar. Da ich ja (zum Glück) einen medizinischen Beruf erlernt und lange Jahre mit Medizin gearbeitet habe, kann ich alles einigermaßen gut verstehen.
An dein Schreiben mit einem Tremor kann ich mich irgendwie noch erinnern. Ich habe ihn einmal so richtig bei einer Kollegin erlebt, die Alkoholikerin war und auf Entzug. Wir mussten ihr das Glas halten, sonst wäre nichts im Glas geblieben. Ich hoffe, deiner konnte durch beidhändiges Zugreifen etwas gebremst werden.
Ich versuche immer wieder, mich an deine Stelle zu denken - ich würde das Denken bald aufgeben, weil ich wohl nicht so stark wie du wäre.
Jetzt, wo ich dich life kenne, tut es mir noch mal so weh, wenn du nicht endlich mal das erreichst bei Ärzten, was du dir wünschst.
Herzlichst CC
Liebe Clara, an Alkoholmissbrauch haben sie bei mir auch gedacht, vor zwei Jahren hier in einer Münchner Klinik, die, was ich aber auch erst im Nachhinein erfuhr, zwar sehr bekannt ist - aber keinen wirklich guten Ruf hat.
Sie fragten mich zB, ob es besser würde, wenn ich Alkohol trinke, und ich antwortete wahrheitsgemäß, dass ich das nicht weiß, weil ich so gut wie nie Alkohol trinke. Mir ist erst später klar geworden, dass das ne Fangfrage war ;)
Den Tremor hatte ich auch immer nur in der rechten Hand, nie beidseits.
Und doch, ich glaube, jeder Mensch ist stark für so einen Kampf, weil er einfach gar keine Wahl hat. Wobei ich aber auch zugeben muss: Würde der Mann nicht manches Mal so drängen, hätte ich diesen Kampf auch längst aufgegeben und alles so gelassen wie es ist. Es hinzunehmen, fällt mir nicht schwer, es sei denn, es kommt etwas Neues hinzu (wie eben vor 4 und 2 Jahren) - und wenn ich mich dann frage "Huch, was passiert hier und wohin führt das?"
Hallo Helma,
ich hoffe sehr ......dass es einen Schritt nach vorne geht für dich,
herzlichen Gruß
Petra
Liebe Petra, da ich den Doc schon kenne bzw. schon mal bei ihm war, habe ich gar nicht erst eine Hoffnung aufgebaut. Und ich hoffe, dass ich diesmal dementsprechend auch nicht wieder dran knabbere, wenn nichts bei rauskommt. Im Moment betrachte ich das Ganze tatsächlich sehr gelassen als "Verlaufskontrolle". Was mich aber wirklich irgendwie "besonders berührt" hat, war der Moment, indem ich spürbar der Mensch hinter dem Patienten war. Das passierte mir nur selten, leider.
Danke für Deine Worte, ich werde bestimmt hier berichten, ob und wie es weiterging :)
Hallo Helma,
ich wünsche Ihnen aus tiefstem Herzen, dass sich jetzt vielleicht doch noch ein neuer Ansatz ergibt und nicht wieder alles im Sande verläuft.
Herzlichst Grit
Liebe Grit, dieses Mal versuche ich mich wirklich nicht von einer Hoffnung einnehmen zu lassen, die dann womöglich enttäuscht würde. Ich versuche es nach wie vor als "Verlaufskontrolle" zu betrachten, bei der es kein Ergebnis geben muss.
Keine Erwartungen zu haben, das habe ich irgendwann angefangen, mir anzutrainieren - und immer gelingt mir das natürlich nicht. Und da, wo es mir gelingt, habe ich manchmal Hoffnung, die dann eben enttäuscht wird. Beides versuche ich - gerade angesichts der bisherigen Erfahrungen - möglichst zu vermeiden.
Aber ich danke Ihnen ganz sehr, dass Sie mir wünschen, dass es dieses Mal in eine positivere Richtung geht :)
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