Samstag, 12. September 2020

I'm On Fire



Ich besitze ein ziemlich gutes Namensgedächtnis - und noch besser kann ich Gesichter "speichern". Das liegt vielleicht daran, dass Menschen mich interessieren. Grundsätzlich zumindest. Man darf mich jedoch niemals nach meinem Zeitgefühl fragen oder irgendwas schätzen lassen. Da versage ich jämmerlich und ich liege auch fast immer voll daneben. Dass das aber durchaus auch mal positiv sein kann, erfuhr ich erst vor kurzem wieder mit dem letzten amtlichen Bescheid. Ich schätze es gar nicht, wenn Menschen beispielsweise wissen, dass sie viel zu schnell gefahren sind - und dann trotzdem prozessieren, um die Konsequenz zu umgehen. 
Wenn man schon Scheiße baut, soll man auch dazu stehen.
Insofern wappnete ich mich und rechnete ganz fest mit meinem ersten Fahrverbot. Bis ich vor gut zehn Tagen den gelben Bescheid im Kasten hatte: Ein teures Foto und ich rutsche auf meiner Punkteleiter eins weiter. Aber ich muss nicht vier Wochen pausieren. Was mich und vor allem meine Jungen dann doch irgendwie erleichterte ;) 
Und ich hätte schwören können, dass ich 160 statt 120 gefahren war. Ja klar könnte man mich jetzt den sinnlosen Raser schimpfen - aber hey.. Dreispurig und super gut ausgebaut, dazu noch angenehm leer - und ich voller Gedanken. Und wenn die Musik natürlich sehr viel lauter ist als etwaige Motorengeräusche, dann kann man auch schon mal ein Begrenzungsschild übersehen. Ich habs wirklich übersehen. Und zahle nun den Gegenwert einer mit Milchkaffees gefüllten Badewanne - aber darf weiter fahren.
Woran ich heute am frühen Morgen dachte, als ich mich schlaftrunken aus der Decke räkelte, um den Mann noch einmal ganz sehr an mich zu drücken und ihm einen Kuss zu geben, bevor wir beide uns auf den Weg machten und in entgegengesetzte Richtungen davonfuhren.

Musik. Es ist die Musik, die mir irgendwie alles gibt, von dem mir gefühlt gerade ein bisschen was fehlt. Ein bisschen Mut. Ein bisschen Hoffnung. Ein bisschen von der Zuversicht. Und vom Urvertrauen. Den Motor starten, Spot(ify) an, der kleine Raum füllt sich mit Musik und dann beginne ich mitzusingen. Egal ob nun bei 50 in der Stadt oder 100 im Randgebiet oder 200 auf dem Highway. Oder auch im Stau, während die Finger so tun, als würden sie ein Klavier bedienen. Ob die Leute rechts oder links von mir zu mir rübergrinsen, weil ich singe oder weil ich meinen geduldigen Beifahrerteddy (hübsch angeschnallt, natürlich) den Kaffeebecher halten lasse, manchmal auch meine Sonnenbrille, das ist mir wurscht. Wenn meine Musik erklingt, dann gibt es nur noch mich und meine Musik. 

Dem Mann geht es ähnlich, bei ihm funktioniert es aber eher mit Sport als Musik. Ich weiß gar nicht mehr, wie lange er versuchte, mich zu überreden, auch mit zum Yoga zu kommen - und nun, nach etwa drei Jahren Überredungskunst (ja, bei mir muss man mitunter Geduld haben ;)) habe ich mich drauf eingelassen. Bisher ist es gar nicht mal so anstrengend wie befürchtet - aber ganz so untrainiert bin ich ja nun auch nicht. Dachte ich zumindest - bis ich mein Bein betrachtete und einen ziemlich großen, knubblig harten blauen Fleck zwischen Wade und Schienbein feststellte, von dem ich genau weiß, dass ich mich nicht gestoßen habe. Früher hat der Mann meinen Körper ja immer etwas argwöhnisch betrachtet, wenn ich mit blauen Flecken wieder nach Hause kam - inzwischen aber weiß er, dass ich dazu neige, ohne dass ich auch nur irgendwas gemacht hab. 

Und jetzt bin ich angekommen, höre immer noch meine Songliste rauf und runter, öffne Türen und Fenster weit und lasse die unerwarteten, unfassbaren Sommertemperaturen ins Haus und genieße es, genau hier und jetzt zu sein. 

2 Kommentare:

FrauHummel hat gesagt…

Uiuiui....da sei mal froh, dass du nicht in der Schweiz lebst. Je nach Geschwindigkeitszone giltst du hier mit 40 km/h zuviel als Raser und wirst dementsprechend hart bestraft. Das kann bis zum Entzug des Fahrzeugs gehen! Und es kostet RICHTIG Geld. Also lass dich bei uns ja nie erwischen!! 😄
Namensgedächtnis? Ppfftthh...da bin ich seit einiger Zeit der ganz grosse Totalausfall. Früher konnte ich mir Namen merken- das war unglaublich. Aber leider hat sich die ganze Sache um 180° gewendet. Heutzutage bin ich manchmal echt froh wenn ich weiss, wie ich selber heisse....Spass beiseite: Mitunter hab ich wirklich das Gefühl, an einer fortschreitenden Demenz zu leiden, was das anbelangt. Aber gut. Man muss nicht alles wissen, können, beherrschen. Wahrscheinlich hab ich andere Fähigkeiten.....
Übrigens verhält es sich auch beim Musikhören ganz ähnlich: konnte es früher nicht laut und hämmernd genug sein (gerne auch Hardrock und Konsorten!), so macht mich laute Musik heutzutage oft beinahe aggressiv. Und zum Autofahren passt das schon mal gar nicht für mich. Da merke ich, wie extrem abgelenkt ich dann bin. Eigentlich dudelt das Radio nur noch frühmorgens beim Aufstehen (manchmal). Ansonsten ist es hier meistens still. Ganz still. Und das geniesse ich wirklich.
Hab einen schönen Sonntag noch, ganz herzliche Grüsse!
....und merci beaucoup für deinen ausführlichen Kommi!

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Liebe Helma, zu meinen Autofahrerzeiten habe ich auch teure Fotos oder "Belobigungen für zügigies Fahren" bekommen. Aber ich wäre nie und nimmer auf die Idee gekommen, über einen ADAC-Anwalt an meinem Fehlverhalten herumarbeiten zu lassen, damit die Strafe kleiner wird oder ganz wegfällt. - Das finde ich auch schäbig!
Lieben Gruß zu dir!