Die Tage vergehen und inzwischen meldet sich sanft die Melancholie des beginnenden Herbstes. Ich liebe diese Zeit, die getränkt ist von goldenen Farben, dem Geruch nach indischem Tee und Gebackenem. Langsam beginnt diese Zeit, in der ich beginnen möchte, Kastanien aufzusammeln und die großen langfingrigen Blätter der Kastanienbäume. Es ist diese Zeit, in der ich mich ganz groß und zugleich unfassbar klein fühlen kann.
Und es ist eine Zeit, in der ich einfach nicht herausfinde aus meinem ureigensten, persönlichen Sorgenkarussell. Ganz gleich, wie oft ich denke und wünsche, einfach nur aussteigen, innehalten zu können.
Manchmal blättere ich ein wenig in meinem Blog und fühle eine bestimmte Leichtigkeit, eine bestimmte Unbeschwertheit zwischen den Zeilen früherer Jahre, die mir inzwischen irgendwie verlorengegangen scheint. Zumindest für den Moment. Obwohl sie, wenn ich mich an das eine oder andere erinnere, überhaupt nicht leichter und auch nicht unbeschwerter war. Da fühlte ich genauso Sorgen - nur waren sie anderer Natur. Nur irgendwie schien es mir leichter gefallen zu sein, die Dinge, die ich für den Moment nicht ändern konnte, von mir wegzuschieben. Oder bilde ich mir das im Nachhinein nur ein?
Ich bin nicht mehr sicher, muss ich gestehen. Mir ist bewusst, dass Rückblenden eine Vergangenheit gern rosa färben.
Tatsächlich ist es so, dass ich meistens in den letzten Tagen eines Jahres resümiere, für mich zusammenfasse - und ganz oft eine hoffnungsvolle Zuversicht an das neue Jahr richte. Es waren nur ganz wenige Jahre, von denen ich sagte, dass alles so bleiben könne wie es war.
Dass sich meine Farben des Jahres ändern, spüre ich auch an meiner Playlist, die ich vor kurzem neu aufgestellt hab und Song für Song sorgfältig zusammentrage. Der Klang dieser Songs ist ruhiger, sanfter geworden - so wie ich mich auch fühle. Vermutlich ist das auch ganz normal angesichts der beginnenden Herbstmelancholie, eine Zeit, die ich unfassbar und ganz sehr liebe. Weil sie für mich ausschließlich Positives mitschwingen lässt. Niemand kann immer nur vor Glück und Freude tanzen. Man muss auch mal hinabsteigen vom Gipfel, um erkennen zu können, wie wohl es da oben tat. (Das ist natürlich eine Metapher, Liebster, solltest Du das hier lesen!)
Es hat immer wieder Phasen gegeben, da hatte ich so viele Worte in meinem Kopf, die sich aneinander reihten, die raus wollten, die zu Papier gebracht werden wollten, selbst wenn ich es letztlich doch nicht vermochte. Und jetzt... sie sind nur nicht mehr da, ich fühle sie auch nicht mehr.. Es ist, als fielen sie mir aus dem Kopf mit jedem Morgen, den ich unter der Dusche stehe, die Augen schließe und mich berieseln lasse vom warmen Wasser. Über den Scheitel, über mein Gesicht. Manchmal so lange, dass der Mann schimpft oder zumindest knurrig wird. Gäbe es denn etwas zu sagen, zu erzählen? Ja, doch, genau genommen schon. Es ist ja nicht so, dass ich außer der eigenen Welt nichts anderes mehr wahrnehme. Nur dass das, was ich derzeit noch wahrnehme, mich eher erschüttert.
So wie zum Beispiel die jüngsten Ereignisse in L. Dass Menschen einen Stadtteil zerlegen können und dafür sogar politischen Zuspruch ernten, nur weil sie von der vermeintlich "guten" Seite kommen. Nur da, wo Gewalt einsetzt, ganz gleich, ob sie sich gegen einen Menschen oder Werte richtet, gibt es kein gut und kein böse mehr. Gewalt ist immer abscheulich, und das lasse ich mir auch von niemandem ausreden. Verdammt, es gibt keinen rechtsfreien Raum, für niemanden.
Als die Jungen erstmals ihren Führerschein in der Hand hielten und die ersten Strecken mit dem ersten eigenen Auto fuhren, da war es nur eine Frage der Zeit und der Gewöhnung. Natürlich, Gedanken macht man sich immer. Fahr vorsichtig, pass auf dich auf bitte- das ist für mich nicht nur eine Floskel, diese aber ist inzwischen eingebettet in ein gewisses Urvertrauen. Und das wird vermutlich eines Tages auch für jene Nächte zutreffen, in denen ich den Jungen im Einsatz weiß.
Das wird hoffentlich eines Tages auch für den anderen Jungen zutreffen. Das ist mein größter Herzenswunsch.
Im Moment sind die Abende bei uns ruhig, entspannt, zumindest nach außen. Erstmals haben wir begonnen, die Serie "Suits" für uns zu entdecken. (Eine modernere Auflage von "Ally McBeal", wenn Ihr mich fragt - aber mir gefällt sie wirklich gut.) Ein ganzes langes verregnetes Wochenende konnten wir stundenlang damit zubringen, auf der Sofalandschaft zu lümmeln, manchmal übereinander, manchmal nebeneinander. Manchmal kommentieren wir oder stellen fest "So bin ich auch."
So wie gestern Abend, als jemand meinte, er müsse immer weiter, er könne nicht ruhen.
"So bin ich auch", sagte der Mann, "ich muss immer weiter, ich muss immer Aufgaben lösen. Wenn die beendet sind, muss ich eine neue haben, damit ich aufstehen und weitermachen kann."
An ihn gelehnt, betrachtete ich ihn von der Seite.
"Ich wünschte, das würde aufhören", fuhr er fort, "aber ich weiß nicht wie."
"Die Frage ist", antwortete ich nachdenklich, "wovor du Angst hast, wenn du gerade keine Aufgabe mehr hast."
Er bedachte mich mit einem kurzen Seitenblick.
"Das möchtest du gar nicht wissen."
"Und wenn doch?"
"Nicht heute Abend, bitte."
Am Ende.. dachte ich gestern Abend so für mich.. trägt jeder Mensch etwas mit sich herum. Etwas, das er nicht preisgeben möchte oder kann. Etwas, mit dem er nicht umgehen kann oder möchte. Etwas, für das er ganz allein eine Lösung finden möchte oder muss. Wir alle sitzen in unserem ureigensten Karussell, mal dreht es sich langsamer, mal dreht es sich schneller. Mal wollen wir es vorantreiben, mal würden wir am liebsten mitten während der Fahrt aussteigen. Womöglich aber.. braucht es tatsächlich einfach nur ein bisschen mehr Urvertrauen. Wieder ein bisschen mehr Sicherheit in der Zuversicht. zum Beispiel ich das "Gottvertrauen" darin, dass er seinen Weg gehen wird, vermutlich sogar besser als ich selbst. Ich darf nicht nur sagen, dass ich an ihn glaube (was ich tatsächlich tue) - ich muss es genauso verinnerlichen. Dann, so fühlt es sich an, werden auch die Worte wiederkommen. Und nicht nur die.
3 Kommentare:
Umärmel. Sie kommen wieder, die Worte, manchmal ist es so und ich glaube es ist auch gut, genau so.
Dein Urvertrauen ist da, aber manchmal kommt da, ich nenn es jetzt einfach mal DIE Angst, die es für eine gewisse Zeit schafft dieses Urvertrauen in die Ecke zu drängen, die Unsicherheit wachsen lässt und dann mit einem mal ganz langsam oder auch mal sehr schnell wieder verschwunden ist. Sie wird niemals für immer verschwinden und deine Liebe für deine Menschen, (leider manchmal etwas zu kurz kommend) deine Liebe für dich, werden das Urvertrauen immer erhalten.
Nach wie vor kenne ich auf Anhieb keinen Menschen, der so voller Liebe (die ich ihm abnehme) von seinen Kindern/an seine Kinder und seine Menschen spricht, wie dich. Dabei vergisst du nur manchmal, dass du eben nicht jünger wirst und die Zeit zum Aufladen auch brauchst :-*
In diesem Jahr ist vieles anders und das geht an keinem spurlos vorbei. Achte ein klein wenig mehr auf dich und gib dir die Zeit.(damit meine ich jetzt nicht den Gang zu Herrn Blau mit "Frau J. hat gesagt ich muss mehr Kaffee trinken" ;-) )
Irgendwann wird der Blaue sicher aus "Nicht heute Abend, bitte" ein "und das war es was mich antreibt" machen und ihr werdet gemeinsam einen Weg haben oder dann finden. Darauf vertraue ich ;-)
zu L.:
Gewalt, ist Gewalt, ist Gewalt und gehört bestraft nach allen Mitteln des Rechtssystems.
PS: ich fahre aufkeinen Fall NIEMALS Karusell - aus Gründen, aber wenn du eine Mitfahrerin in deinem Kettenkarusell/Monsterdingsbumsgedankenbahnhochkarusellundrunter benötigst...youknow....
Kleiner Nachtrag: auf arte in der Mediathek oder auch über Streaming, findet ihr "Hindafing" ist ne ziemlich gute Serie ;-)
Liebe Juna, ja, Du hast sicher recht. Vermutlich liegt es wirklich am Alter, dass ich mental nicht mehr wie ein elastisches Gummiband auf- und niederschnipse. Vermutlich muss ich den Dingen ihre Zeit geben, die es eben braucht. Sowohl als auch. Und ich weiß auch, dass ich Dir noch was erzählen wollte. Aber dafür.. braucht es etwas mehr Zeit für mich, und ich weiß, dass Du sie mir gibst.
Was L betrifft: Es gibt eben keine Strafen. Und als ich unlängst bei Twitter nachlas, wie da so manche Menschen meinen, sich auf der Seite der Polizei austoben zu müssen - da war ich wirklich sehr, sehr versucht, mich doch wieder dort anzumelden und mal ein bisschen dazwischenzufunken. Auch in einer Uniform steckt ein Mensch, ein Mensch wie jeder von uns, und was sich manche rausnehmen dürfen, ist - für mein Empfinden - oft mehr als grenzwertig.
Wenn genau DAS dann auch noch von Seiten einer Politik befürwortet UND zugelassen wird, dann weiß ich manchmal nicht mehr, wovor ich mehr Angst habe: vor rechts oder links.
Karussell fahre ich aus Gründen gar nicht mehr - das Foto im Blog war meine allerletzte Karussellfahrt :)
Von Deiner Serie hab ich noch nie gehört, aber schon mal nachgelesen, worum es geht. Ich glaub, das ist ganz was nach dem blauen Geschmack ;)
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