Donnerstag, 22. Oktober 2020

Klassentreffen 1.0 vs. Alles außer gewöhnlich


Gestern Abend hatten wir irgendwie Lust auf Film. Mein Tag war lang, der des Mannes nicht minder - und was blieb, war die Wahl entweder zu einem Abendspaziergang oder zu einem Film. 
Auf den Abendspaziergang haben wir wortlos verzichtet und uns stattdessen lieber auf dem Sofa eingekuschelt. Irgendwie hab ich eh den ganzen Tag schon gefroren und auch am Abend wollte mir nicht warm werden, blieben die Finger eiskalt.
Grad nach dem langen Tag war uns dann eher nach etwas Seichtem, etwas Unterhaltsamem, wo man einfach nichts denken muss, sich einfach nur berieseln lassen kann. Aus dieser Stimmung heraus schlug ich vor "Nehmen wir doch Klassentreffen 1.0". 
Natürlich weiß ich, dass Schweiger-Filme eher klebrig-süße Zuckerfilmchen sind, die vor allem immer nur eins hervorheben: ihn. Aber ich dachte, ach na ja, so für nen Abend... Nach ungefähr zehn Minuten oder maximal fünfzehn gestand ich dem Mann zu:"Orrr ne, bitte schalt ab, ich kann diese Grütze echt nicht mehr mit ansehen."
Wirklich, so einen Scheiß habe ich lange nicht gesehen.
Nicht nur, dass Schweiger die Story zum Film gab und die Produktion betrieb, ne, er musste natürlich auch die Hauptrolle haben. Er, der lässige DJ (natürlich ganz das Gegenteil zu seinen altbackenen, vermutlich eher latent erfolglosen einstigen Klassenkameraden), der gleich zu Beginn des Films den Groupie backstage vernascht und zusieht, wie sich dann gleich zwei um ihn zanken. Der der Freundin daheim beichtet, dass er den Groupie ja "nur mal ein bisschen" gevögelt hat, nix Ernstes, weil, er liebt ja nur sie - und sie tut ein bisschen empört und schickt ihn dann los "Morgen holst du deine ersten monogamen Brötchen." Kotz-brech-würg. Wirklich, das war nicht anzusehen. Dass er diesmal auch wieder seine Älteste mit "verwurstete", hats nicht besser gemacht. Ich hab selten ein so steifes, unglaubwürdiges Schauspiel gesehen wie von ihr. 
Ich hab sogar kurzzeitig ernsthaft erwogen, ihm eine entsprechende Rezension an seine FB-Pinnwand zu kritzeln. Nur kurz erwogen, weil: Es wäre vergebene Liebesmüh. Der Typ ist so von sich eingenommen und hat obendrein (paradoxerweise) vermutlich ein so schwaches Selbstwertgefühl - da wärs schade um jegliche Energie. Der scheißt auf Kritiken von irgendwem. Der macht so lange weiter, bis auch das letzte Schwein den Schweiger nicht mehr sehen kann und will.

Nach ein bisschen Hin und Her in der Netflix-Wühlbox haben wir uns dann für "Alles außer gewöhnlich" entschieden - und was soll ich sagen: Ein Wahnsinnsfilm. Ein Film über Menschen mit Behinderungen, mit Einschränkungen - und in diesem Fall ein Film über und mit Autisten. Wer sich um sie kümmert und wie.. Ohnehin steh ich ja so auf Filme, die auf wahren Begegbenheiten beruhen oder tatsächlich eine verfilmte Biografie darstellen. 
Oftmals werden im Abspann die realen Personen "dahinter" gezeigt - und dann bekommt das Ganze noch einmal eine ganz andere emotionale Dimension. Jedenfalls für mich.
Wie fast immer, las ich auch anschließend zu diesem Film über die Hintergründe und erfuhr dabei, dass sich beide Regisseure zwei Jahre lang im Vorfeld mit Autisten beschäftigten, um zu verstehen, wer sie sind, wie sie sind, wie ihre Welt sein könnte. Und ein ganzes Jahr lang haben sie sich mit einem Autisten im Theater befasst, bis jener Vertrauen zu ihnen fasste und eine Rolle in diesem Film übernahm.
Wenn Ihr mich fragt: Sowas zu wissen, fasziniert mich. Dass Menschen nicht nur etwas zeigen wollen, sondern dass sie die Zeit und die Mühe aufwenden, um auch selbst zu verstehen, zu erfahren, WAS sie da zeigen - das fasziniert mich. Es hat für mich soviel mit Respekt vor dem Menschen zu tun.

Für mich ist dieser Film ein unbedingtes Muss. Ein sehr gefühlvoll umgesetztes Thema, ohne auch nur an irgendeiner Stelle ins Kitschige oder Seichte abzudriften. Ein für mich sehr eindringlicher Film, auch ob der Musik (die ich natürlich sofort getaggt habe, ist ja klar). 
Und dieser Film zeigt, dass es sich immer lohnt, für einen anderen einzutreten, sich zu bemühen..
Auch dann, wenn die Gesellschaft meint, dass das alles gar nicht lohnt, dass Wegsperren, notfalls Sedieren und ansonsten Dahinvegetieren sei das einzig Richtige, weil: ökonomisch. 
Wenn jemand für sich selbst nicht (mehr) eintreten kann, dann braucht es starke Persönlichkeiten, die das für ihn übernehmen. Und es wär wirklich schön, wenn man es diesen starken  Persönlichkeiten nicht noch schwerer macht als es ohnehin schon ist. 

6 Kommentare:

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Helma, ich kann es dir so nachempfinden, denn ich bekomme bei dem Töchtervater Till auch Brechreiz - obwohl ich kaum einen seiner Filme kenne - "Honig im Kopf" habe ich gesehen.
Im Kino verstehe ich so wenig, dass mir der Zusammenhang nicht aufgeht - ich kann nur über Kopfhörer oder andere Technik im Fernsehen schauen.
Bei dem Trailer kann ich mir sehr gut vorstellen, dass der Film authentisch und gut ist. Das war eindeutig die bessere Wahl.
Mit Gruß von mir

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Clara, "Honig im Kopf" konnte ich gerade noch irgendwie verknusen, obwohl die dort gezeigte Auswirkung der Demenz mit der Realität im Grunde gar nichts zu tun hat. Dazu war sie zu verniedlicht. Aber gut.
Doch "Klassentreffen", ne wirklich, also dämlicher und selbstverliebter geht es kaum. Es wird sich mir auch nicht erschließen, warum Schauspieler sich für so eine Grütze hergeben. Vermutlich müssen sie einfach - des schnöden Mammons wegen. Eine Wahl haben zu dürfen, das können sich vermutlich die allerwenigsten leisten.
Und ja, "Alles außer gewöhnlich", den kann ich Dir wirklich ans Herz legen, der wird Dir gefallen, da bin ich mir sicher.

FrauHummel hat gesagt…

Da bin ich ganz bei dir- ich kann diesen Menschen nicht ab. Ich kann egozentrische Menschen grundsätzlich gaaar nicht haben.....Und ich frage mich bei solchen Exemplaren immer wieder, wie man drauf kommen kann, dass man selber so eminent wichtig und massgeblich sein soll? Naja.
"Honig im Kopf" fand ich aber gar nicht übel. Der hat von Didi gelebt. Und über die hysterische Ehefrau hab ich mich amüsiert. Aber da war auch viel Klamauk, der dem doch traurigen und wichtigen Thema die Bühne gestohlen hat.
Wenn man Filme wie "Alles ausser gewöhnlich" dreht setze ich voraus, dass sich der/die Regisseur/e vorgängig ernsthaft und umfassend mit dem Thema beschäftigen. Sonst besteht die Gefahr, dass sich die Macher auf Kosten ihrer - auf irgendeine Weise handicapierten- Darsteller profilieren. Und das darf nicht sein!
Wenn sich die Gelegenheit bietet werde ich mir diesen Film sicher anschauen.
Ganz herzliche Grüsse!

Lutz hat gesagt…

Ich bin jetzt ohnehin nicht der allergrößte Fan deutscher Filme. Aber Filme mit Til Schweiger sind dann nochmal ein weiteres Handicap. Er hat keine Ausstrahlung und auch keinerlei schauspielerische Variabilität. Warum er trotzdem so eine (relativ) große Popularität beim Publikum besitzt, ist mir schlicht schleierhaft.

"Honig im Kopf" wurde ja sehr stark von Didi Hallervorden getragen, da lief Schweiger nur so nebenher. Die einzigen 2 Filme, in denen Schweiger Mit-Hauptdarsteller war und die ich auch relativ gut fand, das waren "Keinohrhasen" und "Zweiohrküken". Das lag aber eher an Nora Tschirner, die ich mag, weil sie so unpratentiös spielt und ich sie generell ganz schnuggelig finde. Das Auge isst ja schließlich mit. :-)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Frau Hummel, die letzten Tage hatte ich einfach keine Zeit, um noch auf Eure Kommentare zu antworten.
Ich frage mich auch oft, warum Menschen sich so wichtig nehmen - aber es zeigt sich auch viel zu oft, dass es sich dabei um genau die Menschen handelt, die in Wirklichkeit gar kein Selbstwertgefühl besitzen. Aber bei dem Schweiger nervt mich das wirklich. ER nervt mich. Ich kann so ein ich-bin-derTollste-Gehabe auf den Tod nicht ab.
Wenn ich einen Film von dem überhaupt mochte, dann war es Keinohrhasen. Der hat von der Tschirner gelebt, finde ich. Auch wenn mir da schon aufgestoßen war, dass sie immer wie das Dummchen dargestellt wurde. Aber nun ja :) Manchmal bin ich vielleicht doch auch zu genau, zu pingelig. Wenn mir einmal was in die Nase fährt, dann schau ich insgesamt noch genauer hin :)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Lieber Lutz, also deutsche Filme sehe ich inzwischen eigentlich ganz gerne. Ich finde, es gibt einige, die ganz gut gemacht sind - auch wenn ich jetzt nicht sofort aus dem Hut welche zaubern könnte, die ich empfehlen würde ;) Ich glaube, der Schweiger bedient sich einiger Klischees und vermittelt den Leuten, was sie insgeheim vielleicht gerne wären. Auch so ein begehrter, lässiger Typ, dem alles verziehen wird und dem die Frauen reihenweise nachlaufen, sofern sie nicht eh schon halb in seinem Bett liegen.
Und im Gegenzug bringt er seine damals kleine Tochter ein, die da ja auch eine wirklich niedliche Rolle hatte, was wiederum viele Eltern anspricht ;)
Irgendwie vermitteln seine Filme eine heile Welt, in der am Ende alles wieder gut wird. Das will man heutzutage vermutlich verstärkt sehen, damit man die Realität besser aushalten kann. Es lässt sich flüchten auf diese Inseln, die er da vorgibt. Ist aber nur meine ganz persönliche Meinung.

Zur Tschirner hatte ich auch grad an Frau Hummel kommentiert: Ja, die hat mir bei Keinohrhasen auch am besten gefallen, auch in Zweiohrküken. Wenn man dazu wiederum ihre Weimar-Tatorte legt, muss man allerdings sagen, dass da auch nicht viel typenmäßige Veränderung stattfindet ;) Sie hat jetzt auch einen Film mit der Karoline Herfurth gemacht (die zB finde ich genial), den habe ich aber noch nicht gesehen, weiß auch nicht, wie der heißt. Habe nur mal einen Trailer gesehen und zum Mann gesagt "Dieser Film käme auch auf meine Wunschliste".
Der Film "Traumfrauen" ist eine unfassbare klebrige Schnulze - aber den habe ich mir der Herfurth wegen angeguckt. Die einzige herrliche Rolle in dem Film, die wirklich so rüberkam, dass man sagt: Ja, das kann auch so im wahren Leben sein, das hätte mir auch so passieren können ;)