Montag, 28. November 2022

Mein Leben mit 300 Kilo

 Als ich mir irgendwann mal vor einiger Zeit diese Sendung mit obigem Titel anschaute, da schimpfte der Mann irgendwas von Unterschichten-TV und forderte vehement: "Mach das aus!"
Er fragte mich, ob ich nichts anderes hätte, mit dem ich sinnvoll den Tag füllen könnte - und ob mir meine Lebenszeit dafür nicht zu schade sei; ihm nämlich schon.

Was mich an dieser Sendung interessierte, war jedoch der Mensch: Was ist es, das einen Menschen dazu bringt, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren? Dass Essen der einzige Mittelpunkt im Leben eines Menschen wird? Wie fühlt sich das Leben für einen Menschen an, der aus eigener Kraft teils nicht einmal mehr aufstehen kann, teils nur unter größtmöglicher Anstrengung unter die Dusche findet oder auch von Familie oder Freunden im Bett gewaschen werden muss?
Was muss passieren, damit im Kopf ein Umdenken entsteht und auch der Wille: Ich muss und ich will runter von diesen dreihundert Kilo?
Am meisten jedoch faszinierte mich an dieser Sendung, wozu ein Mensch tatsächlich in der Lage ist, wenn er wirklich will. Wenn er ein Ziel hat. Wie er sich durchkämpft, auch wenn es Rückschläge gibt.
Und wie er sich im Gegenzug aber auch herausreden kann, wenn der Wille nicht stark genug ist. 

Heute Morgen telefonierte ich mit meiner Kolleginfreundin im Office. Sie meinte was von "erstmal ein Käffchen" und fügte hinzu, dass es doch tatsächlich Kolleginnen gäbe, die den steten Vorrat an Nüssen, Gummibärchen und - ganz brandaktuell - mit Lebkuchen immer wieder auffüllten. 
"Da isses doch kein Wunder, wenn man hier im Büro immer breiter wird", meinte sie und ich musste derart herzhaft lachen, weil mir spontan obige Sendung wieder einfiel und ich kreischte begeistert: "Das is ja genial, dann muss ich die Sendungen nicht mehr im TV anschauen, dann haben wir das live im Büro!"
Ebenso begeistert erzählte ich ihr, dass der Mann, der vergangene Woche gemeinsam mit mir in L verbrachte (aus Gründen, erzähle ich aber ein anderes Mal), von einer überdimensionalen unsichtbaren Hand in einen kleinen Tante-Emma-Laden gezogen wurde, der noch echte Pulsnitzer Lebkuchen und sowas verkauft. Als wir Freitagnachmittag wieder zu Hause ankamen, fragte ich vorsichtig an, ob die Lebkuchen eigentlich bis Weihnachten ausharren müssten oder schon jetzt zum 1. Advent entkleidet werden könnten.
Letzteres wurde zwar gnädig gestattet - doch als wir Samstag unseren Einkauf erledigten, knurrte er mich an: "Wehe, du kaufst irgendwas Süßes, wir haben wirklich mehr als genug!"
Letzte Nacht, als der Mann schon längst schlief und ich irgendwie noch einen Kaffeedurst entwickelte, besah ich mir im Küchenregal die süßen Vorräte und musste grinsen: Wir haben wirklich genug da. Weiß zwar keiner, wie lange, aber erstmal haben wir genug da.
Wobei ich dazu sagen muss: Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass der Schrei nach Süßem im Grunde ein Schrei nach Liebe sei. Ob das stimmt, weiß ich zwar nicht, aber aktuell gelüstet es mich ziemlich heftig nach einer bestimmten Sorte Apfel - nach Süßem tatsächlich eher wenig. Was das jetzt über den Mann und mich aussagt, führe ich an dieser Stelle nicht weiter aus.
Jedenfalls, Stichwort Investitionsplan der Firma: Kollegin 1 hatte um einen Laptop gebeten, damit sie auch mal von zu Hause aus arbeiten kann. Mit zwei kleinen Kindern sei sie ja doch öfter mal nicht da und könne aber dann von daheim aus was machen. (Ob sie diese Entscheidung nicht doch irgendwann mal noch bereut, wird sich zeigen ;))
Kollegin 2 hingegen meinte heute Morgen, sie bräuchte einen neuen Drehstuhl. Einen mit Stahl verstärkt, schließlich sei bald Weihnachten und aktuell damit ohnehin die Zeit, in der man mehr naschen würde und so. Wir haben beide richtig herzhaft gelacht, entschieden, dass es sowas wie Montags-Blues bei uns gar nicht gäbe - und es nun aber Zeit für ein Käffchen sei.

Käffchen.. ist ja immer noch eine richtig gute Idee. Bin dann mal in der Küche. 

4 Kommentare:

Lutz hat gesagt…

Etwas Detailkritik. Ich wende mich schon immer gegen diesen Begriff "Unterschichten-Fernsehen". So lange, wie er in den öffentlichen Diskurs eingeführt wurde, seit 15 Jahren oder noch länger.

Der Begriff suggeriert, dass dieses Fernsehen, sprich diese bestimmten TV-Formate, für die als so bezeichnete "Unterschicht" gemacht würde. Dabei ist es doch eher so, dass diese Sendungen ganz gezielt eine bestimmte Sicht auf diesen Bevölkerungsteil vermitteln sollen. Und zwar gemacht für die, die sich von ihnen abheben möchten, die auf sie herabschauen. Deswegen sind auch die meisten dieser Formate scripted reality, vermeintliche Realität, die jedoch hinter den Kulissen durch einen Regisseur inszeniert wird. Da wird in der Wohnung extra für die Aufnahmen Unordnung gemacht, man füllt die Aschenbecher, um gezielt ein bestimmtes Bild zu vermitteln. Immer wieder der Klassiker: Teile und herrsche.

Auch mit dem Begriff "Unterschicht" an sich habe ich Probleme. Und zwar nicht aus Gründen der political correctness. Ich bin da gern eher mal politisch unkorrekt, schon aus Prinzip. Aber das ist für mich sprachlich zu nah dran am zu unsäglichen Zeiten apostrophierten "Untermenschen".

Ich verweise da gern auf einen kleinen Auszug aus einem Buch, der sich mit der bewussten Nutzung der Sprache beschäftigt: LTI von Victor Klemperer:

„Man pflegt das Schiller-Distichon von der „gebildeten Sprache, die für dich dichtet und denkt“, rein ästhetisch und sozusagen harmlos aufzufassen. […]

Aber Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen, je selbstverständlicher, je unbewusster ich mich ihr überlasse. Und wenn nun die gebildete Sprache aus giftigen Elementen gebildet oder zur Trägerin von Giftstoffen gemacht worden ist? Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da. […]

„Sprache, die für dich dichtet und denkt …“ Gift, das du unbewusst eintrinkst und das seine Wirkung tut – man kann gar nicht oft genug darauf hinweisen.“

Lässt man das mal eine Weile auf sich wirken, versteht man, wieso der bewussten Nutzung unserer Sprache solch eine Bedeutung zukommt. Deshalb sollten wir solche Begrifflichkeiten bewusst vermeiden, auch wenn wir es vielleicht gar nicht böse und negativ meinen. Aber oftmals reichen solche Begriffe eben auch aus, um das Gift in unseren Kopf einsickern zu lassen. Letzten Endes also genau das, was auch schon Klemperer schrieb.

P.S. Letztendlich finde ich all diese Sendungen unsäglich und schaue mir das auch nicht an. Ein paar Mal habe ich es getan, aber das ist wirklich um die 15 Jahre her. Da kommt sowieso nie Neues. Hat man es einmal gesehen, weiß man, was die nächsten 1.375 Folgesendungen kommt. Unfug, Stigmatisierungen, Armen-Bashing. Braucht kein Mensch.

Anonym hat gesagt…

So, Moin, jetzt endlich finde ich mal Zeit auf diese 300kg zu antworten.
Ich gestehe freimütig, dass ich immer mal wieder phasenweise Folgen dieser Sendung schaue. Warum bloß?

Wahrscheinlich spielt ein Teil Voyeurismus eine Rolle, das muss ich wohl zugeben.
Zum anderen ist es so, dass ich bei dieser Serie ausgezeichnet gedanklich abschalten kann, weil sie dem ewig gleichen Schema folgt:
Vollkommen aus dem (Gleich-)Gewicht geratener Mensch, zumeist azs eher prekären Lebensumständen, der „nur dreimal am Tag isst“ und den man zum Frühstück bereits 10 Tacos mit allem verschlingen sieht. Danach Fotos aus Kindheit und Jugend, auf denen sich bereits abzeichnet, wo die Reise hingehen wird. Es folgt der Entschluss, Dr. Now aufzusuchen - die Anreise dahin ist ein besonderes Spektakel.
Dann Auftritt des kauzigen Dr. Nowzaradan, der staubtrockene Fragen stellt und die Patienten in Verlegenheit/ Beschämung versetzt.
Im Anschluss ein bis mehrere erfolglose Versuche, Gewicht zu reduzieren („Dr. Now, ich habe mich ganz genau an Ihren Plan gehalten und mich richtig reingehängt.“ Bullshit.) und oft Überweisung zum Psychotherapeuten, bei dem sich dann schnell herauskristallisiert, warum die Patienten so fettleibig sind - es hat immer irgendeine Form von Missbrauch als Ursache und damit, Helma, ist deine Frage, was passieren muss, damit man so außer Form gerät, zumindest teilweise beantwortet. :( Grauenvoll.
Zum Abschluss und nach einer etwaigen Magenverkleinerung sind die Menschen dann auf einem gesundheitlich guten Weg oder auch nicht.

Jede einzelne Folge ist so aufgebaut und wie eingangs erwähnt ist das für mich so beruhigend wie der Anblick eines Steingartens. Oftmals erledige ich auch die Bügelwäsche nebenbei.

Bei all dem ist mir natürlich klar, dass die Serie nicht in die Tiefe geht und dass verschiedene Aspekte nicht beleuchtet werden - das erwarte ich auch nicht von so einer Sendung.
Letztendlich ist es kommerzielle Vermarktung und selbstverständlich in dieser Form höchst fragwürdig - allein, ohne eine Lanze brechen zu wollen, da steht die Sendung nicht alleine da.

Wie auch immer - ein kleiner Erklärungsansatz zur Frage, weshalb man so wird und weshalb andere sich diesen Prozess im TV anschauen.

LG,
Britta

Smartwares hat gesagt…

die Vorstellung 300 Kilo zu wiegen, ist schauderhaft;(

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ihr Lieben, danke für Eure Gedanken. Ich hoffe, es ist okay, wenn ich sie nicht alle einzeln kommentiere, bin momentan zu müde dazu.
Lutz, ich denke, für den Mann hat das Wort "Unterschichten-TV" nicht so die Bedeutung wie Du sie darstellst, auch wenn Du vermutlich recht damit hast. Ich denke, der Mann will damit einfach nur zum Ausdruck bringen, wie sinnbefreit solche Sendungen sind.
Britta, ich denke, mit Deinen Worten kann ich mich wohl am ehesten identifizieren.
Tatsächlich aber interessiert mich am meisten, zu was ein Mensch in der Lage ist, wenn er etwas wirklich will - und wie sehr sich alle Ausreden ähneln. Wäre ich Dr. Now, würde ich vermutlich irgendwann durchdrehen und nen Schreikrampf kriegen ;)
Ich habe mal zwei Frauen und einen Mann gesehen, die am Ende dieser "Reise" bei ca. 80 - 100 Kilo angekommen waren, ich fand das einen fantastischen Erfolg. So etwas bewundere ich, grad wenn man weiß, warum sie überhaupt 300 Kilo gewogen haben.
Ich bewundere Menschen, die etwas bewegen, die etwas tun. Die nicht aufgeben. Das müssen nicht immer die großartigsten Dinge in der Welt sein. Manchmal ist es das Großartigste nur für einen selbst - und es ist genauso bewundernswert, finde ich.