Montag, 19. Dezember 2022

Wolkig mit der Aussicht auf Wattebällchen

 Wäre alles nach Plan verlaufen, würde ich heute Abend in M meine Tasche packen und mich morgen früh auf den Weg nach L machen.

In der Realität aber bin ich von L beim letzten Mal gar nicht erst weggefahren. Sondern buchstäblich im wahrsten Sinne des Wortes einfach liegengeblieben - mit Blick zum Fenster hinaus. Dort ist quasi das Leben an mir vorübergezogen: Sonne, Sturm, Nebel, Regen, Schnee. Begleitet von kannenweise Tee jeden Tag, Fieber, Mörder-Halsweh und Husten.
Und ja, es ist Corona. Hat der Sohn aus der Klinik mit nach Hause gebracht. Ausgerechnet derjenige, der sich übervorsichtig verhält. Der Coronapatienten nur im Vollschutz betreuen darf - und auch abseits der Coronapatienten empfindlich darauf geachtet hat, nichts ohne frische Handschuhe zu berühren und sowieso niemandem näher als notwendig zu kommen. Das Bubbelchen.
Woher er dann trotzdem die Infektion bekam, kann er sich partout nicht erklären.
Jedenfalls meine ist von ihm und begann nachts buchstäblich von einem Moment auf den anderen mit ordentlichem Schüttelfrost. 

Wie fühlt sich Corona momentan für mich an? Wenn ich ehrlich sein soll, nicht anders als früher, wenn eine Virusgrippe ihre klebrigen Griffel nach mir ausstreckte. Damit möchte ich weder etwas relativieren noch verharmlosen. So fühlt sichs einfach an. Und mir sind zwei Dinge aufgefallen: Das Schmerzlevel ist in diesen Tagen deutlich niedriger als sonst. Und ich schwitze natürlich nach wie vor, grad als das Fieber so hoch war - aber ich habe null Schweißgeruch. Ich war immer sicher, dass ich jeden Tag ein Deo nutzen muss - ohne war überhaupt nicht denkbar für mich, auch wenn der Mann noch so beschwor: "Ich weiß gar nicht, was du hast, du riechst nicht!" ICH bildete mir ein, da wäre was; also habe ich jeden Tag Deo benutzt - und aktuell brauche ich das Null. 
Der Junge brauchte 1,5 Wochen, um wieder fit zu sein - bei mir sinds aktuell auch 1,5 Wochen und ich bin noch nicht ganz so weit wie er. Natürlich hab ich drüber nachgedacht, warum das so ist, unabhängig von dem Bewusstsein, dass ja jeder Mensch anders mit denselben Dingen umgeht.
Ich denke, dass es bei mir insbesondere an den Spritzen liegt, die ich mir seit ungefähr einem Jahr jede Woche setzen muss und die mein Immunsystem unterdrücken. Genau das Immunsystem, das ich jetzt eigentlich bräuchte. Stattdessen liegt es sozusagen in der Ecke und guckt mir knurrend wie ein widerwillig gebändigter Kettenhund zu, wie ich mich hier abmühe, meinen Feind quasi mit Wattebällchen zu bewerfen. 

Der Mann schrieb vor ein paar Tagen, es erinnere ihn an unsere früheren Zeiten - er sei dort, ich sei hier, er könne sich nicht um mich kümmern und es würde zwei oder drei Wochen dauern, bis wir uns wiedersehen. Damit wird er nun recht behalten. Wenn er zu Weihnachten nach L kommt, werden wir uns drei Wochen nicht gesehen haben. 
Dass wir uns also nichts schenken, stimmt damit auch in diesem Jahr nicht wirklich: Wenn ich bis dahin negativ bin, wird er mein Geschenk zu Weihnachten sein. Ich empfinde das umso mehr, wenn ich sehe, was aktuell in anderen Beziehungen um mich herum los ist - und warum. Betrachte irgendwie mit Wehmut, mit einer gewissen Traurigkeit, wie Menschen miteinander umgehen. Die aneinander hängen (bleiben), weil sie Angst vor dem Alleinsein haben, Angst vor einer ungewissen finanziellen Zukunft, aus Unsicherheit. Aus allem möglichen - aber am allerwenigsten aus Liebe. Liebe ist sicherlich nicht alles - aber sie sollte der wichtigste Grund sein, zusammen sein zu wollen. 

Das Jahr 2022 ist fast vorüber, fast geschafft. Viel ist passiert, ganz viel Schlimmes, viel Nachdenkenswertes - und für viele von uns auch viel Schönes. Meine Dankbarkeit dafür möchte ich nicht verlieren. Das, was wunderbar ist, möchte ich auch morgen noch sehen können, sehen dürfen - und wertschätzen. Auch im Jahr 2022 bin ich erschüttert vom Egoismus, der mich mehr oder weniger nah umgibt; von der Gleichgültigkeit und von Desinteresse an Dingen, die für bestimmte Menschen nicht uninteressant sein dürfen. Ich bin enttäuscht von manchen Menschen - und im Gegenzug positiv überrascht von anderen, auf die ich aktuell eher weniger gekommen wäre. So ist es wohl, dieses einzige Leben, das wir alle haben. 
Manchmal beißt man sich durch mit der Kraft eines Löwen - und manchmal kämpft man mit Wattebällchen. 

11 Kommentare:

DrSchwein hat gesagt…

Gute Besserung.
Und immer schön Tee trinken. Das wird schon.

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Meine ganz liebe Helma,
um mich meiner Sympathie für dich zu vergewissern, MÜSSEN wir nicht zur gleichen Zeit Corona haben - vor allem nach so langer Zeit im Corona-Abstinenz-Zustand.
Aber wie ich so lesen musste, hat es dich sehr viel schlimmer als mich erwischt - bei mir war und ist es zwar auch schmerzhaft und unangenehm, fühlte sich aber nicht wie eine schlimme Erkältung oder gar Grippe an.
Ich hustete mir zwar die Seele aus dem Leib, erschreckte alle Leute unter mir mit Wahnsinns-Niesattacken, schlief mit zwei Rückenheizkissen, weil großflächige Myalgien mich vom Sitzen abhielten und hätte eigentlich ins WC ziehen können, weil eine absolut untypische Blasenentzündung mich literweise einfüllen und natürlich auch wieder auslaufen lassen hat. Fieber war nur erhöhte Temperatur. - Schluss jetzt mit der Schilderung.
Ich wünsche dir ganzganzganzganz sehr, dass du den Mann Weihnachten in den Arm nehmen kannst, ohne ihn anzustecken - und uns beiden, dass wir bald durch sind mit diesem Ekel-C und uns in Zukunft andere Gemeinsamkeiten einfallen lassen.
Herzlichst von Clara

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Danke Doktor. Ein, zwei Tässchen Kaffee am Tag gehen mittlerweile auch wieder. Alles andere wäre ja auch eine Zumutung :)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Clara, oh je, ich wusste noch gar nicht, dass Du auch erkrankt bist. Und dann doch auch gleich so heftig. Das Gerenne kenne ich - soviel Tee wie aktuell habe ich vermutlich in meinem ganzen Leben zusammengerechnet nicht getrunken ;)
Andere Gemeinsamkeiten.. Ich berichte gleich noch, was bei uns demnächst ansteht, und dann ist der Weg nach B nicht mehr so weit wie bisher und dann könnten wir ja auch mal wieder ein Käffchen gemeinsam schnabulieren gehen? Wenns wärmer geworden ist und draußen wieder mehr Freude macht - denn aufn Glühwein werde ich es nicht mehr schaffen :)

Mary hat gesagt…

Moin Helma, nun hat es mich auch erwischt und im Gegensatz zu deinem Sohn war ich zu keinem Zeitpunkt besonders penibel und habe es auch mit dem Kontaktverbot seinerzeit nicht so genau genommen
Nichtsdestogleichen bin ich natürlich nicht über die Straße gelaufen und habe Wildfremden durchs Gesicht geleckt - sondern halt einfach weitestgehend normal gelebt.
Ich habe mich immer getestet, wenn es Anlass gab und im Job sowieso.
Letzte Woche gab es Anlass und meine Tests blieben bis gestern morgen blütenweiß wie immer. Abends kippte ich fröstelnd ins Bett, heute Morgen wachte ich fröstelnd auf und der Test war dann positiv. Ich war so erstaunt - nach fast drei Jahren - dass ich gleich noch einen machte, aber das änderte nicht viel.
Inzwischen ist mir warm, Fieber habe ich nicht, ab und zu nervt der Husten und vorhin habe ich überlegt, ob ich mal Paracetamol nehmen sollte. Wenn das alles so bleibt, ist der Verlauf supermild. Weihnachten allerdings ist gelaufen. Wie ich dir auf IG ja schrieb - der Zeitpunkt passt nie wirklich. Allerdings ist es mir jetzt lieber als vorm Sommerurlaub!
Es ist eine doofe Krankheit mit unvorhersehbaren Verläufen, ich hätte wahrlich gerne drauf verzichtet, aber ich bin trotzdem froh, dass ich mich in den letzten Jahren nicht völlig irre hab machen lassen.

Fest steht, ich nehme Weihnachten hier niemanden umarmen, ich weiß noch nicht mal, wie wir das alles gestalten werden, aber ich freue mich, dass deine Pläne offenbar nicht völlig durchkreuzt werden.

Viele liebe (und etwas hüstelnde) Grüße aus Bremen,
Britta

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Britta, auf jeden Fall wünsche ich Dir erstmal gute Besserung!
Vorgesehen habe ich mich auch immer - aber eben tatsächlich wie Du in einem normalen Rahmen. Der Mann zB hat den Kopf geschüttelt, weil ich hier zu Hause keine Maske trug, als klar war, dass der Junge Corona hat. Also ich sags mal so: Abgeküsst hab ich ihn sicherlich nicht und unsere Zusammenkünfte bestanden lediglich darin, dass ich ihm anfangs Medikamente, regelmäßig frischen Tee und ab Tag 2 oder 3 auch wieder was zu essen brachte. Ansonsten hat ja hier jeder sein Zimmer für sich und konnte sich darin gut zurückziehen.
Ich kam ja an einem Dienstag hier her und er kam Mittwochnacht von der Schicht, da fühlte er sich schon mega sch**e und sah auch so aus. Bis dahin sind wir ja normal miteinander umgegangen, er hatte auch Null Symptome. Bei ihm und dann auch bei mir brach es buchstäblich von einem Moment auf den anderen komplett ohne Vorwarnung aus.
Na ja und so hab ich es nach fast 3 Jahren eben auch erstmals überstanden. Mehr oder weniger. Seit heute bin ich wieder negativ, die Symptome sind fast alle noch da, aber auf einem gut ertragbaren Level. Das einzige, was mir noch bisschen nachhängt, ist diese Schlappheit, diese Müdigkeit. Aber so ging es mir früher, wenn ich eine ordentliche Virusgrippe hatte, auch - ich kenne das also und bin dementsprechend gelassen geblieben.
Der Mann wiederum hatte sich so erschrocken, dass er spontan Nasenbluten bekam. Er sagte zwar immer, dass diese Hysterie ihm in den letzten Jahren auf die Nerven gegangen war - aber seine Reaktion auf den positiven Test zeigt dann doch, wie viel Angst bzw. Verunsicherung noch immer in den Menschen steckt ;)
Ich habe die ersten vier Tage Ibuprofen genommen. Die haben mir gut gegen das Fieber geholfen.

angelface hat gesagt…

au weia ich lese das jetzt erst, auch die KOmmentare darunter..und nun ist alles langam aber sicher wieder im abklingen - !!! ein Glück...
puh....ich glaube dass sich der immer noch und so oft unterschätzte bitterböse C-VIRUS ganz still und heimlich leise in erster Linie a) an übervorsichtige -
b)an immungeschwächte
C)an viele ältere
d)an den Virus verneinende
d)völlg normal lebende...
einfach so mal anschleicht und zuschlägt wo er es wittert sich niederlassen und eindringen zu können leicht hat...
wie beim Glücksspiel man weiß nie ob man ihn schon hat
oder kriegt
oder überwunden hat

je ob Symptome oder nicht...
bin froh dass du es überstanden hat und der große Sohnemann auch..
keine Langzeitschäden bitte...
sondern ein schönes Weihnachten OHNE!°°°°.
herzlichst
angel
dass sich der Mann so erschrocken hat zeigt seine Empathiebereitschaft - sehr sympathisch...

Lutz hat gesagt…

So ist das halt. Ein grippaler Infekt kann mehr oder minder nerven. Bei mir seit Jahren eher minder. Eine echte Grippe hingegen ist da eine ganz andere Hausnummer. Und Corona deckt das komplette Sprektrum ab. Von kaum bemerkbar bis ganz extrem. Zunehmend allerdings eher das Erstere.

Ich hatte in den letzten beiden Jahren ja eventuell auch schon zweimal Corona. Keine Ahnung. Das waren zwei Infekte eher so in der Kategorie leichter grippaler Infekt. Halsscherzen und nerviger Husten das eine Mal, Halsschmerzen und leichtes Fieber für 2 Tage das zweite Mal. Dafür mache ich noch nicht mal einen Test, ich kuriere es einfach nur aus. Vielleicht war es Corona, vielleicht ein grippaler Infekt. Habe es mit meinen Mitteln wieder wegbekommen.

Nun hat es Dich auch erwischt. Irgendwo mittendrin in der Schwere. Zugegeben nervig, aber Lebbe geht weiter. Auch wenn eine solche Erkrankung nicht gerade dazu geeignet ist, sich zu erholen, so sind diese 2 Wochen ohne Arbeitsstress vielleicht ja doch mal die klitzekleine Chance, etwas aus dem Hasterrad auszusteigen. Tut auch mal gut.

In dem Sinne: Gute Genesung.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ach Lutz, ich wollt mich hier auch gar nicht beklagen, sondern mich einfach mal wieder "gemeldet" haben ;) Aussteigen aus dem Hamsterrad ist aber nicht wirklich. Auch nicht, wenn man krank ist. Solange Kopf und Hände dran sind, muss gearbeitet werden ;)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Angel, ich denke, die Deltavariante anfangs war schon ernstzunehmen. Die aktuelle Variante zählt für mich persönlich zu den "normalen" Infekten. Die letzten 1,5 Wochen sind nicht anders als das, was ich auch schon vor Jahren durchgestanden habe, als von Covid noch gar keine Rede war. Wir Menschen sind alle individuell - der eine kann damit sehr gut umgehen, der andere weniger, der Dritte gar nicht. Selbst das, was heute als Long Covid bezeichnet wird, gab es unter der Influenza schon, wurde aber nie so thematisiert wie heute - und hat die Gesellschaft damit auch nicht interessiert.
Covid zu leugnen - warum? Viren gab es schon immer, wird es auch immer geben. Man muss nichts provozieren, aber auch nicht in Hysterie ausbrechen. Ich habe mir immer einen vernünftigen Umgang gewünscht, und das vertrete ich nach der jetzigen Erkrankung immer noch.
Menschen, die sich vor Erkrankungen schützen müssen, müssen und werden sich auch weiterhin schützen, nicht nur vor Covid. Auch andere Viren und Bakterien können zum Problem werden.

Lutz hat gesagt…

Ich hab's auch nicht als Beklagen interpretiert.

Jo, kenne ich. Ich war vorletztes Jahr 10 Tage krankgeschrieben. Von denen habe ich 9 Tage gearbeitet. Und den einen Tag nur deshalb nicht, weil ich da zur Untersuchung im Krankenhaus war. Aber auch die Arbeit diesen einen Tages habe ich schnellstmöglich in den folgenden Tagen nachgeholt, weil es niemanden gab, der meine Arbeit übernimmt.

Daraufhin habe ich mich für ein Notfall-Update für mich stark gemacht. Für 'ne Krankschreibung oder falls ich doch mal auf die wahnwitzige Idee kommen sollte, sowas wie Urlaub machen zu wollen. Funktioniert aber auch nur so lala. Mit meiner Sportmannschaft fahre ich Anfang nächsten Jahres für 3 Tage ins Trainingslager. Dumm nur, dass meine inzwischen vorhandene Notfallvertretung zur selben Zeit auch nicht da ist. Also bleibt doch wieder alles bei mir hängen.