Fühlt es sich nur so an oder verfliegt die Zeit so unfassbar schnell?
Ich ertappe mich dabei, wie ich auf Fragen antworten möchte, dass wir erst im letzten Jahr geheiratet haben. Dass wir erst seit wenigen Wochen von M nach L gezogen sind.
Dabei werden es schon bald zwei Jahre her sein, als wir für das gemeinsame Ja unterschrieben haben - und noch eher wird es ein Jahr her sein, dass wir hier in L wohnen, uns hier eingerichtet haben.
Bevor die Weihnachtstage begannen, hatte ich mir vorgenommen, endlich meine Steuerunterlagen der letzten drei oder vier Jahre anzufertigen. Endlich die Fotowand kreieren, um der neuen Wohnung mehr von meinem Ich zu verleihen. Mehr Farbe, mehr Wärme, mehr Herzlichkeit. Zum Mut für Farbe an der Wand konnte ich den Mann noch nicht begeistern, aber zumindest stimmte er meinen alternativen Plänen hierfür zu.
Und nun.. Ist mit heute der letzte Tag von drei ganzen langen Wochen Urlaub geendet. Was hab ich von dem erledigt, das ich tun wollte? Nichts wirklich.. Lediglich der neue digitale Ordner blinkt, der mit den wenigen Fotos, die ich dem Mann für unsere Fotowand vorschlug und über die wir uns noch einigen müssen. Aber sonst... Sitze ich hier im Schneidersitz auf meinem Sofa, die Stöpsel in den Ohren, wie so oft in den letzten Tagen, und weil der Mann sich heut Abend schon schlafengelegt hat; ich hör Musik und.. überwinde mich zu schreiben.
Ja, es kostet mich momentan noch immer Überwindung.
Zugleich fühlt es sich aber auch wieder gut an.
Und wie fühlen sie sich an, diese ersten zehn Monate in unserem neuen Zuhause?
Gib dir Zeit, hab ich mir oft gesagt, du warst acht Jahre fort.
Zurückgekehrt bin ich an den Ort, wo ich zuvor etwa fünfundzwanzig Jahre gelebt hab. Vieles hat sich verändert - und irgendwie doch nicht verändert. Dennoch fällt es mir irgendwie schwerer als angenommen, mich hier wieder einzugewöhnen. Mich auch in die neue Wohnung einzugewöhnen. Es liegt wohl wirklich hauptsächlich daran, dass ihr eben noch.. meine "Seele" fehlt. Es ist noch nicht "meins", ich bin einfach noch nicht fertig. Und ist es ja nicht auch gerade das Schöne daran, dass man so langsam hineinwächst, über die Zeit hin gestaltet, verändert?
Dafür entdecke ich immer wieder etwas Neues, das mir gefällt, das schön ist. Diese vielen kleinen Dinge, die es für mich ausmachen.
Im Gegenzug bittet der Mann immer öfter: "Lass uns zurückgehen."
Manchmal sagt er das so oft, dass ich mich beginne zu fragen, ob das alles richtig so war. Ob wir überhaupt alles richtig so gemacht haben. München war nie als Endlösung gedacht. Es war immer sicher, dass es nur eine Lösung auf Zeit sein würde. Auch wenn ich mich überraschend schnell eingewöhnt hab. Auch wenn es bis heute Dinge gibt, die ich vermisse. Auch wenn überhaupt nicht klar ist, ob sich der Traum vom Meer eines Tages erfüllen lässt.
Aber was, wenn er hier nicht mehr glücklich werden kann? Was, wenn das Heimweh und seine Sehnsucht nach den Bergen zu groß werden?
Was, wenn ich nicht wieder mit zurückgehen möchte, weil ich hier noch eine Aufgabe zu erfüllen hab?
Was, wenn ich nicht wieder mit zurückgehen möchte, weil München nicht mein Lebensmittelpunkt ist für den Rest meines Lebens?
Manchmal kann ich spüren, wie mir die Flügel erlahmen, wenn er gereizt, genervt auf Dinge reagiert, über die wir normalerweise lachen. Wie hilflos ich mich fühle, wenn er sagt, dass wir nie von München hätten fortgehen sollen. Dann hab ich mich auch schon ertappt dabei zu sagen: "Dann machen wir es so. Du gehst zurück und ich suche mir hier eine kleine Wohnung."
Darauf ist der Mann nicht eingegangen, kein einziges Mal.
Wieder ein Leben auf Distanz führen - wollten wir das überhaupt wirklich?
Die Bedingungen haben sich verändert - wir können, wenn wir das wollen, öfter von zu Hause aus arbeiten. Wären nicht mehr so angestrengt und gestresst wie noch vor neun Jahren, als wir erst am Ende einer langen, arbeitsreichen Woche die Reise zueinander antreten konnten.
Aber könnte uns das retten?
Oder würden wir uns viel mehr an dieses Leben auf Distanz gewöhnen - und uns voneinander entwöhnen?
Gib ihm Zeit, sage ich mir im Gegenzug öfter. Er war sehr viel länger von hier fort als ich. Und im Gegensatz zu ihm bin ich ein Zugvogel.. Ich kann mich überall dort niederlassen, wo ich mich wohlfühle.. Und zumindest eine ganze Zeitlang dort verweilen. So lange, bis es mich wieder weiterzieht...
"Du hast viel mehr Leichtigkeit als ich", hat der Mann heut Abend zu mir gesagt. Und mich dann angeschaut, weil ich darauf nicht geantwortet hatte.
Er hat schon recht. Auch wenn es sich momentan so anfühlt, als wären meine Flügel immer noch lahm irgendwie. Immer, wenn ich aufatme oder das Gefühl hab, dass alles schön so ist wie es ist, kommt jemand oder irgendwas, das mir ein neues Gewicht an die Flügel hängt. Eine komische Zeit ist das.
6 Kommentare:
Schön, so kurz hintereinander von dir zu lesen.
Ich antwortete dir vorhin auch auf deinen Kommentar an mich.
Ja, Orte sind Leben und man muss sich an ihnen wohlfühlen. Ich habe den Ort meiner Wurzeln nie so richtig verlassen. Vielleicht wäre vieles anders gekommen.
Zugeständnisse gehören zum Leben dazu, aber man muss damit leben und du musst damit fliegen können.
Gib euch einfach noch Zeit.
Liebe Helma,
Puh! Das klingt gar nicht so einfach.
Wenn jemand schon von vornherein mit einem gewissen Widerstand an eine Sache rangeht, wird derjenige natürlich auch immer wieder Dinge und Gründe finden, warum es vorher ja besser war. Vielleicht täusche ich mich ja auch, aber so ein bisschen habe ich dieses Gefühl bei Deinem Mann, wenn Du darüber erzählst. Dann ist es natürlich schwer bis unmöglich, dagegen anzukommen. Obwohl ich es bei ihm nur bedingt verstehe. Ist er doch, wenn ich es recht in Erinnerung habe, gebürtig aus L. Dann sollte ihm doch - normalerweise - die Rückkehr nicht so schwer fallen.
Ich bin ja auch nicht wirklich von hier. Ich bin vor 35 Jahren zugezogen und hier hängengeblieben, wie ich gern dazu sage. Wenn ich hingegen in meine alte Heimat zurückkomme (in größeren Abständen, denn ich habe außer meiner alten Schulklasse dort keine Verbindungen mehr), fühlt sich das aber immer wie eine Heimkehr an. Mir wird das Herz warm, wenn ich die alten Plätze meine Kindheit und Jugend besuche, da kommen Erinnerungen hoch. Aber sicher ist das größtenteils Nostalgie. Das heißt aber, wenn ich jemandem die Frage nach meiner Heimat beantworten müsste, geriete ich in einen gewissen Zwiespalt.
Wichtig für das Wohlfühlen ist aber vor allem auch ein soziales Netz. Menschen, mit denen man etwas gemeinsam unternimmt, sich austauscht und sich mit ihnen wohlfühlt. Wenn man jünger ist, ist das alles kein Problem. Da geht man permanent auf die Piste, lernt ständig neue Leute kennen und unternimmt dann etwas mit denen. Das ist mit zunehmenden Alter eher die Ausnahme. Dann ist es aber gut, wenn man nach anderen Wegen sucht, um soziale Kontakte herzustellen. Und zwar solche Kontakte, die über ein flüchtiges "Hallo, wie geht's?" hinausgehen. Regelmäßig gemeinsam ausgeübte Hobbys, eine aktive Mitgliedschaft in einem Sportverein oder was weiß ich.
Solche Dinge sind aber fundamental, um irgendwo wirklich zu verwurzeln. Sich nur auf Partner, Arbeit und Wohnung zu beschränken, hilft da nicht weiter. Das kann man auch an jedem anderen Ort der Welt tun. Ein echtes Zuhause-Gefühl entsteht dadurch nicht.
All das funktioniert natürlich aber nur, wenn er auch dazu bereit ist. Und wenn es für ihn selbst nicht so einfach ist, wäre er wenigstens Dir zuliebe dazu bereit?
Das sind grundsätzliche Fragen, die eigentlich vor dem Umzug hätten geklärt werden müssen. Jetzt macht es die Sache zumindest nicht leichter. Wenn er eine dieser beiden Fragen - ganz ernsthaft - bejaht, dann kann er/könnt ihr beginnen, sich/euch ein soziales Umfeld aufzubauen. Jeder für sich und ihr beide gemeinsam. Dann könnt ihr eure Wurzeln ins hiesige Erdreich wachsen lassen und nicht nur Wurzeln auf nacktem Beton haben, die keinen festen Halt darauf finden. Um es mal etwas poetisch zu formulieren. Heimat braucht Nähe und Geborgenheit.
Liebe Grüße
Lutz
Puhh schwer ist das alles. Warum muss immer alles so kompliziert und schwer sein. Gut das ist das Leben.
Lass einfach alles mal in Ruhe, du hattes schlimme Wochen hinter Dir. Es ging alles doch noch gut aus aber das braucht eben Zeit zum Verarbeiten.
Ich dachte auch wenn ich dann mal in Rente bin geht es ans Meer. Nun unser Sohn hat trotz Einschränkungen im Ort einen festen Job und er fühlt sich wohl. Er ist hier zu Hause. Das andere Kind muss sich noch finden. Da kann man nicht einfach für immer.
Aber ich habe wenn ich nicht mehr arbeite die Freiheit ans Meer zu fahren wann ich möchte. Mein Mann ist ja auch noch da.
Und wenn sich die Gegebenheiten ändern dann kann man sich neu orientieren. So wie es passt. Vielleicht kann man sich arrangieren, vielleicht muss man sich entscheiden.
Entscheidungen die man getroffen hat waren zu diesem Zeitpunkt richtig. Und die Weggabelungen die das Leben stellt sind nicht immer einfach.
Du wirst Dich entscheiden, arrangieren so wie es für Dich richtig ist.
LG
Ursula
Liebe Anonym, genau das ist es wohl: Zeit. Alles, was wir brauchen, ist noch etwas Zeit.
Lieber Lutz, ich glaube, die Grundproblematik ist seine Ungeduld. Dinge müssen reifen, nicht alles ergibt sich sofort und gleich. Er weiß das auch alles - aber Kopf und Bauch sind schon zwei Dinge, die sich nicht immer unbedingt vereinen lassen ;)
Es ist ja auch nicht so, dass sich gar nichts tut - aber es dauert ihm alles einfach zu lange.
Liebe Ursula, natürlich weiß ich auch nicht, ob wir eines Tages wirklich irgendwo am Meer leben können oder werden. Aber ich hab diesen Traum schon so viele Jahre - und allein das daran denken, mir das in meinem Kopf zurechtzuzaubern - das hilft mir ganz oft und immer wieder.
Irgendwo las ich mal "Wirklich reich ist der, der mehr Träume in seiner Seele hat, als die Realität zerstören kann."
Ich glaub wirklich, dass da was dran ist. :)
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