Donnerstag, 20. März 2025

Echter Luxus



Diese Grafik entdeckte ich heute im WhatsApp-Status einer Freundin. Als "Augenmensch" konnte ich mich spontan dafür erwärmen und begeistern - doch mit all der illustren Gesellschaft in meinen astronomischen Häusern setzte unmittelbar anschließend das Nachdenken ein. 

Mein spontanes Ich dachte sofort: "Oh ja, das stimmt!"
Mein zweites Ich aber fügte alsbald hinzu: "Das denken aber vermutlich vor allem die Menschen, die gesund sind, nicht um Leib und Leben bangen und auch nicht jeden Einkauf vorab um Heller & Pfennig abwägen müssen"...

Als ich mich von meinem ersten Mann trennte, hatten wir uns ein Jahr zuvor eine neue Familienkutsche gekauft und ein kleines Sparguthaben auf dem Konto. Ich besah mir den Verdienst, den wir beide hatten, und schlug ihm vor, von dem Sparguthaben sein Fahrzeug abzubezahlen, mir 700 Euro auszuzahlen, den letzten Rest könnte er für sich nehmen. Für den Ältesten, der zunächst beim Vater bleiben wollte, zahlte ich anfangs 200 Euro im Monat. Damit, rein rechnerisch, verfügte jeder von uns beiden über ein Einkommen in gleicher Höhe, jeder hatte ein Kind, ein Fahrzeug, einen Job und ein Zuhause. Wir waren beide immer noch jung genug, noch einmal völlig neu anzufangen und so rum hatte jeder, so dachte ich damals, die gleichen Voraussetzungen und vor allem Chancen, neu zu beginnen. 

Die Realität wurde aber anders als in meinen Vorstellungen. 

Ich selbst brauchte für den Neuanfang nicht viel. Die Kleidung, den Kleiderschrank und das Bett vom Jüngsten hatte ich mitgenommen, von der Freundin ein altes Klappsofa geschenkt bekommen. Ich seh es heute noch vor mir, das kleine winzige Zimmer mit dem Holzfußboden, in dem nur dieses knarrende Sofa stand, meine Musikanlage auf dem Fußboden und an die Wand gelehnt das große gerahmte Bild mit einem bunten Herzen darin.. 
Das winzige Bad ohne Fenster und ohne Badewanne und ohne Platz für eine Waschmaschine, die ich zu diesem Zeitpunkt auch nicht besaß.
In die winzige Einbauküche mit zwei Kochplatten und ohne Backofen räumte ich das abgezählte gelbe Sonnengeschirr ein, das ich mir für drei Personen gekauft hatte, das Besteck, die Kochtöpfe. Ich hatte quasi nichts mehr und doch so unfassbar viel: Ich war frei. Vielleicht erst einmal nur äußerlich, aber.. Ich war frei. 

Und dann schloss mein geschiedener Mann das einstige gemeinsame Konto mit einem Minusbetrag, den ich ausgleichen durfte, weil auch ich bereits mit dem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung ein eigenes Konto eingerichtet hatte und das einst gemeinsame nur geschlossen werden konnte, wenn es eben ausgeglichen war. Und er verklagte mich auf Trennungsunterhalt für sich selbst, weil er der Auffassung war, dass ihm das auch noch zustünde. Seinem Rechtsbeistand hatte er einen meiner Gehaltsbögen vorgelegt, mit dem mir aus der Ex-Firma Urlaubstage abgegolten wurden. Also ein Gehalt generiert worden war, das natürlich nur einmalig und nicht repräsentativ war. Warum sein Rechtsbeistand dennoch auf dieser Basis eine Klage auf Trennungsunterhalt anstrengte, erschloss sich mir nicht, veranlasste mich jedoch, mir selbst nun doch auch einen Rechtsbeistand zu organisieren.
Und irgendwann kommt man dann an einen Punkt, wo man wirklich nicht mehr weiß, wie man das alles bezahlen soll. Wie man sein Leben und das der Kinder finanzieren soll. Bis heute erinnere ich mich an das Gefühl vor dem Geldautomaten, der mir anzeigte, dass der Dispo ausgereizt sei und mir noch etwa vierzehn Euro zur Verfügung stünden; der gewünschte Betrag von dreißig Euro für den Wochenendeinkauf damit nicht ausgegeben werden kann.
Zu Hause zwei Kinder, die miteinander spielten und darauf warteten, dass die Mama einkaufte und das Wochenende beginnen konnte. 
Bis heute erinnere ich mich wahnsinnig gut an das Empfinden, nachts hin und her zu wühlen in den Kissen, nicht in den Schlaf zu finden, nicht zu wissen, wie es weitergehen sollte.
Für einen Mietzuschuss war die Miete nicht hoch genug.
Für Aufstockung lag ich knapp, aber trotzdem über dem geforderten Limit. 
Für die Medikamentenzuzahlung hatte ich nach dem körperlichen Übergriff des Ex-Mannes keine Mittel. Entweder Medikamente oder etwas zu essen für die Kinder. 
In Zeiten allerhöchsten Engpasses habe ich meine Mama um Hilfe gebeten und auch bekommen. Aber ich konnte sie ja nicht ständig fragen. 
Es hat viele Jahre und unendlich viel Kraft gebraucht, aus dieser Scheiße wieder herauszukommen - und ich habe es auch nur mit Hilfe anderer erreichen können. Etwas, wofür ich bis heute zutiefst dankbar bin. Und etwas, das mich bis heute immer und spontan veranlasst zu helfen, sobald ich spüre, dass jemand Hilfe benötigt. Eben weil ich weiß, wie verdammt schwierig es sein kann, ganz gleich, in welcher Lebensphase wir uns gerade befinden. 

Dass ich mein Herzblut schon immer in meinen Job gesteckt habe, hat mit meiner grundlegenden Einstellung zu tun. Eine Karriere hatte ich dabei niemals im Sinn, ich hätte auch nicht mal gewusst, wohin ich mich denn überhaupt hätte entwickeln sollen.
Jedoch fleißig war ich immer, gearbeitet habe ich immer und auch immer viel - und irgendwann... hatte dies eben doch zur Folge, dass ich über die Jahre hinweg Stück für Stück etwas mehr Geld verdient habe. 

Wenn ich also die obige Grafik betrachte, dann... denke ich noch immer, dass die vermutlich richtig ist. Dass all die darin aufgeführten Dinge aber nicht nur voraussetzen, dass wir in einem friedlichen, demokratischen Land leben, sondern auch, dass uns die Alltagssorgen nicht zerfressen. Und wenn die Politiker den Menschen sagen, ja, das Leben wird teurer werden und wir werden uns halt mehr einschränken müssen, dann können die, die gut verdienen und keine zu versorgenden Kinder haben, damit ganz anders umgehen als die Menschen, die mit Mindestlohn und den Kosten für die Kinder, für die Schule haushalten müssen. Auch die lesen gern. Auch die bereiten gern ihr Lieblingsessen zu. Auch die trennen sich von ihren Partnern, mit dem sie nicht mehr zusammen leben können. Trotz aller Existenzsorgen. Ob die sich aber auch alle im Luxus wähnten? 

Luxus.. ist vermutlich wirklich, einen guten Nachtschlaf zu haben. Denn dieser setzt gewissermaßen voraus, dass es nicht wirklich etwas gibt, das einen um diesen Schlaf bringt. Und dann.. dann ist es wohl echter Luxus. 

Dienstag, 18. März 2025

C wie Cäsar

Irgendwann im letzten Jahr hatte ich ja mal begonnen, Posts nach dem Alphabet zu schreiben. Mit A und B gings ja relativ fix, dann folgte eine doch sehr lange Pause. Aber ehrlich: Was soll einem auch zu einem C einfallen? Außer dem hohen C? Was der eine mit einem faserigen Getränk, ein anderer mit einer fröhlichen Gesangsrunde verbinden mag. Aber wenn man was anfängt, soll Mans ja wenigstens auch zu Ende bringen, oder? Wobei ja wiederum typisch für mich wäre, wenn ich genau das nicht durchziehen täte. In einem humoristischen Büchlein über die Zwillinge-Geborene stand ja mal geschrieben, dass die lieber drei Baugruben ausheben täten als dass sie ein einziges Haus zu Ende bauen, weil ihnen genau das schlichtweg zu langweilig ist. Und da ist - zumindest in meinem Fall - unbedingt was dran. Ich fände das wirklich strunzlangweilig. Das Bauen dürften andere für mich übernehmen, ich wäre spätestens beim Dekorieren und der Einrichtung wieder auf dem Plan ;)

Aber okay, heute also das C. Mal gucken, was mir dazu so einfällt. So ganz spontan.

C wie Chor

Die Mama des Mannes ist schon seit Jahren begeisterte Chorsängerin. Ab und zu kauft der Mann Karten und dann besuchen wir das eine oder andere Konzert. Ich muss gestehen: Ich liebe Musik, das tue ich wirklich. Aber ich liebe eben.. äh.. auch nicht alles. Was soll ich beispielsweise in einer Oper? Vom Gekreische bekomm ich allenfalls Tinnitus - und man versteht sowieso kein einziges Wort von dem, was die sich da aus der Kehle pressen. Ich muss da ja immer an die Szene von Pretty Woman denken, wo er sie in die Oper eingeladen hatte und ihm dann ganz warm um die Lenden wurde bei dem dahinschmelzenden Anblick, den die Dame in Rot ihm bot. Wie kann man denn ernsthaft von etwas ergriffen sein, von dem man so gar kein Wort versteht? Aber okay, in mancherlei Hinsicht bin und bleibe ich einfach ein Banause. Kunst kann ich buchstabieren - aber das wars dann auch schon. Ich kann mir auch nie merken, wann welche Epoche währte und wie die überhaupt alle hießen und woran man die auch noch erkennt. Aber oh, ich merke, ich schweife ab - ich war doch beim C wie Chor.

Jedenfalls, die Mama ist Chorsängerin - und deren Chor sucht händeringend Nachwuchs. Bevorzugt männlichen Nachwuchs, weil ihnen die Bässe und Tenöre ausgehen. Ich hatte den Mann dazu ermuntern wollen. Immerhin sucht er hier in L noch immer ein bisschen so (s)ein Betätigungsfeld und ich kann eben auch nicht alles kompensieren. Aber in einen Chor mit soooo vielen Frauen will er dann doch nicht. Irgendwann in den Singlezeiten nach seiner Ehe, so erzählte er mal, hatte er sich im Tanzkurs angemeldet - und war schlicht entsetzt über das gnadenlose Anflirten betagter *hüstel* Damen. Für ihn ist der Chor also nichts, entschied er. "Aber für dich vielleicht?" fragte er mich. "Du singst doch ständig, in der Küche, im Auto..." 

Na jaaaaa! Ich bin auch da eine typische Zwillinge-Geborene: Die Dinge machen mir nur so lange Spaß, wie ich sie machen kann, aber nicht machen muss. Gehts ans Müssen mit regelmäßigen Chorproben und so, dann hörts bei mir schon auf. Und spätestens sowieso dann, wenn man über ein Wochenende in irgendwelche Chorlager fährt. Das wird bei mir noch schwieriger. Ich bin ein Heimschläfer, muss ich gestehen. Ich schlaf am liebsten zu Hause. Benutze am liebsten mein eigenes Badezimmer - und meine eigene Toilette. Außer im Urlaub, okay, dann ist das eben so. Aber wann immer sich das einrichten lässt, schlafe ich zu Hause.

Außerdem... Früher, zu Schulzeiten, war ich tatsächlich auch Chormitglied. Vermutlich aus Langeweile oder so. Auch wenn sich das inzwischen deutlich geändert hat: Damals haben die mich irgendwann rausgeschmissen, weil ich einfach zuviel geschwatzt hab. Und nicht alles, das wieder aufgewärmt wird, schmeckt.  Manches kann man ruhig da lassen, wo es war. Es hatte seine Zeit - und heute ist eine andere ;)

C wie Corona

Im Dezember vor zwei Jahren litt ich erstmals an einer Corona-Erkrankung. Also die Halsschmerzen waren echt die Hölle - ein Gefühl, wie wenn der Hals innen roh brachläge. Da ging nicht mal Eis. Ansonsten aber fühlte sich das recht normal an, wie halt ein Virusinfekt.

Aktuell laboriere ich an etwas, von dem ich mir nur die Abkürzung merken kann: hMPV. Und das, muss ich gestehen, ist echt kein Spaziergang. Zumindest für mich nicht. Ich bin jetzt aktuell die dritte Woche krankgeschrieben. Sowas hatte ich zuletzt 2012 oder 2013 - und damals hatte ich ein Magengeschwür. Dass ich wegen einem Infekt so komplett ausgeknockt war wie aktuell, habe ich also sehr lange schon nicht mehr erlebt. Für mich fühlte sich das so an, als wäre ich in einem Kaugummi gefangen und könnte mich nur entsprechend zäh und mit Anstrengung bewegen. Wovon ich begreiflicherweise komplett erschöpft war, ohne überhaupt irgendwas gemacht zu haben. Husten, Schnupfen, Kopfschmerzen - das kriegt man irgendwie gehändelt. Aber diese Schlappheit im ganzen System... Das war schon ziemlich anstrengend für meine kleine Pumpe. Im Grunde habe ich nur geschlafen, was getrunken und wieder geschlafen. Duschen ist auch heute noch anstrengend für mich, da schießt der Puls sofort nach oben. Und zum Zähneputzen muss ich mich noch immer hinsetzen. Aber ich geh dennoch davon aus, dass ich ab Montag wieder arbeiten kann. Oder arbeiten muss. Ich komme mir dämlich vor, überhaupt ganze drei Wochen arbeitsunfähig gewesen zu sein. Vermutlich bin ich aber dämlich, dass ich arbeiten gehen werde, obwohl ich noch immer heiser bin und auch noch nicht genau weiß, wie das dann nächste Woche wird. Aber drei Wochen sind drei Wochen, da muss es dann auch mal wieder gut sein. 

Aber Stichwort Corona... Aktuell wird sich ja immer noch um die Aufarbeitung gestritten. Ich persönlich glaube nicht an eine ehrliche, lückenlose Aufarbeitung. Dabei fände ich es wichtig zu wissen: Wo hat man Fehler gemacht? Was war richtig? Was war falsch? Was war unnötig? Manchmal, grad bei Instagram (den Algorithmus hab ich jedenfalls noch nicht kapiert), werden mir Reels vorgesetzt, die in Zusammenschnitten die Aussagen verschiedenster Menschen, wie beispielsweise Politiker, Journalisten,  Möchtegern-Journalisten etc., von damals zusammengefasst werden. Manche aus einer Zeit, als man gar schon wusste, dass die Impfung keinen Schutz vor Weitergabe einer Infektion schützte... Da überkommt mich dann doch manches Mal immer noch die kalte Wut.. Mir ist egal, wer was auf dem Kopf trägt, gestrickt oder aus Alu: Jeder hatte seine Ansicht, seine Sorge, seine Ängste, seine Bedenken insbesondere in Bezug auf die Impfung. Ich hatte wirklich ehrliche Bedenken für mich selbst - und so lange gezögert, bis eine Entscheidung hierüber eines Tages obsolet geworden war. Ich hatte Bedenken aus eigener gesundheitlicher Historie heraus - und wie man sieht: Es kümmert kein Schwein, ob und wer sich im Allgemeinen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen quält. Es gibt nur nicht keine Haftung, es gibt vor allem keine Anerkennung und dementsprechend keine Hilfe. Letztere insbesondere aufgrund der Tatsache, dass die Ärzte schlichtweg gar nicht wissen, WIE sie helfen können oder sollen. Auch unter diesem Aspekt wünschte ich mir, würde man die Corona-Jahre ehrlich und ernsthaft aufarbeiten. Aber.. ja.. Dazu müsste man es ja eben auch wirklich wollen. Und warum sollten die das schon wollen.. Immerhin lässt sich doch nichts leichter manipulieren als ein Mensch, der Angst hat.

C wie Charakter

In welchem Zusammenhang genau das war, weiß ich nicht mehr, aber mein Vater hatte mir damals, als ich noch ein Teenager war, aufgebracht vorgehalten: "Mädchen, hast du denn so gar keinen Stolz?"

Vielleicht hatte ich den damals wirklich nicht. Ich war ein sehr angepasstes Kind, still, schüchtern - und sehr bedürftig nach Zuwendung und Freundschaft. Die hatte ich aber nicht immer und vor allem nicht durchgehend. Es gab auch Zeiten, in denen ich viel alleine war. 

Aber was ich nie war: Ich war nie ein Mitläufer. Ich habe nie irgendeine Scheiße angestellt, nur weil die anderen auch gemacht haben. Damals war ich ein offenes Buch: Jegliche Gefühlsregung konnte man nicht nur meinem Gesicht, sondern auch der kompletten Körperhaltung ablesen - würde ich sie nicht sowieso unmissverständlich zum Ausdruck gebracht haben. Mit Kritik umgehen, das musste ich erst lernen. Dafür habe ich immer offen und ehrlich meine Meinung gesagt, habe immer ehrlich gesagt, was ich dachte. Diplomatie übrigens, musste ich auch erst lernen ;)

Ich kann mich beispielsweise an einen Schultag erinnern, da wollte die Klasse geschlossen die letzte Stunde schwänzen. Ich seh mich da noch stehen, mit dem Rücken an der riesengroßen Holztür zur Schule - und vor mir all die Mitschüler, die mich aufforderten, mitzukommen. "Ihr könnt doch alle abhauen, ich verpetz euch nicht. Aber ich geh nicht mit." Zugegeben: Ich hatte Dampf vor meinem Vater - und zwar ordentlichen. Die Schüler meinten aber, es müssten alle abhauen - alle oder keiner. Ich bin trotzdem nicht mitgegangen, also blieben alle anderen dann doch da. Ich glaube, das hat mir keiner krumm genommen, oder ich habe das erfolgreich verdrängt. 

Es sind solche und andere Situationen, die mich darin formten, zu dem zu stehen, was ich selber dachte und fühlte. Richtig entwickelt habe ich mich dann erst durch meine Kinder und durch die Auseinandersetzungen mit Ämtern und Behörden. Dennoch war ich nie wirklich ich selbst: Irgendwie war ich immer gefangen in den Erwartungen und Verpflichtungen an mich, an dem Gefordertsein und dem Erfüllen der Erwartungen anderer. Und: Mein ganzes Ich war darauf ausgerichtet, den oder die anderen glücklich zu machen. Über die eigene Kraft hinaus. Über das eigene Empfinden hinaus. Hier haben mir die Jahre gut getan, in denen ich allein mit meinen Kindern lebte. Auch deshalb sind das bis heute meine wichtigsten, wenn auch schmerzlichsten Jahre. Heute bin ich, denke ich, ein Stück weit meiner einstigen Leichtigkeit beraubt. Aber heute lasse ich auch nichts mehr mit mir machen, mit dem ich mich nicht gut fühle. 

"Du bist so eigensinnig geworden", sagte gestern der Mann.

Ich denke eher... Ich bin mein wahrer Charakter geworden.

C wie Chatten

2003, nach dem Ende meiner Ehe, habe ich mich auf Anraten einer damaligen Freundin erstmals auf einer Rating-Plattform angemeldet. Das war absolutes Neuland für mich - und glücklicherweise waren die Zeiten von "AOL - bin ich schon drin?" weitestgehend überstanden. 

Und ich war begeistert! Mich online mit so vielen Menschen gefühlt zeitgleich treffen zu können, das fühlte sich beinah so an, als wäre jede Woche irgendein Festival. Wo kann man schon ohne großen Aufwand so viele verschiedene Charaktere kennenlernen? Recht schnell stellte ich aber auch fest: Mit einer Seite bin ich irgendwie nicht ausgelastet. Man lernt zwar viele Menschen kennen - und ich fand es immer wichtig, auch jedem zu antworten, der mir schrieb. Aber ich war auch relativ schnell gelangweilt bzw. erkannte auch recht schnell, bei wem es nur beim Schreiben bleiben würde. 

Also habe ich mich auf zwei, drei verschiedenen Seiten parallel angemeldet - und das hatte zur Folge, dass an einem Abend geschätzte zehn, fünfzehn Chatfenster gleichzeitig geöffnet waren - und manchmal hatte ich dann doch etwas Mühe zu unterscheiden, wem ich gerade schrieb und dass ich nicht das Falsche antworten würde. Mir ist in all der Zeit, glaube ich, nur ein einziges Mal ein entsprechender Fehler unterlaufen ;)

Was soll ich sagen... Manchmal fehlen mir diese wilden Zeiten. Weil der Austausch so belebend war. So inspirierend. Von daher dachte ich schon dann und wann mal daran, mich ohne Bild und mit einem völlig verfremdeten Pseudonym nochmal unter die Leute zu mischen. Aber dann musste ich daran denken, dass es ja auch Menschen gibt, die auch heute noch an Begegnungen glauben. Die Sehnsüchte, Träume und Wünsche haben. All das, was ich ja nie erfüllen würde. Und diese Enttäuschung möchte ich dann doch niemandem zumuten. Mal abgesehen davon, dass der Mann dieses Treiben freilich auch niemals billigen würde :)

C wie Cafe

Dass ich Kaffee liebe und dieser Blog seinen Namen nicht nur aus Spaß bekommen hat, dürfte ja nun inzwischen jeder Leser wissen. Aber vermutlich habe ich noch nie erzählt, woher das eigentlich kommt?

Ein Café und einen Milchkaffee - das verbinde ich mit Freiheit. Mit meinem ganz persönlichen Schritt hinaus in eine Freiheit, die ich zuvor noch nicht kennengelernt hatte. Ich war 16, als ich meinen ersten Freund kennenlernte, und ich war 18, als ich meinen ersten Ehemann kennenlernte. Mit 19 habe ich ihn geheiratet und mit 20 mein erstes Kind bekommen. Heute würde ich sagen: Ich war da noch gar kein "fertiger Mensch". Eigentlich war ich selber noch ein halbes Kind, konnte nicht kochen, hatte keine Ahnung von Haushaltsführung - und von Kindererziehung schon dreimal nicht. All das lernte ich auf recht eindringliche, auch schmerzhafte Art und Weise. Immer eingebunden in Pflicht und Kür. Immer gefangen in Zwang und Erwartung. Ich war 32, als ich jemanden kennenlernte, der mich einlud und dabei begleitete, die Stadt zu erkunden, in der ich bereits seit 15 Jahren lebte. Von der ich kaum etwas gesehen hatte, weil jeglicher Vorschlag, in der Stadt ein Eis zu essen oder einen Kaffee zu trinken, abgewürgt wurde mit der Begründung: "Das ist alles viel zu teuer. Eis essen oder einen Kaffee trinken kannst du auch im Garten. Du willst dich ja nur zeigen."

Das hab ich nie verstanden. Was denn zeigen?? Mich?! Um das zu wollen, müsste ich ja von mir angenommen haben, dass ich überhaupt vorzeigbar wäre - aber das habe ich nie! Was ich von mir glaubte, war das, was ich 15 Jahre zu hören bekam: "Du kannst nichts, du bist nichts, und du siehst scheiße aus." Dass man es mit einer Frau wie mir nicht aushalten könne. Dass ich schwierig sei. Und man nur deshalb keine andere Frau wolle, weil man dann nochmal von vorn anfangen müsse, eine Frau "zu erziehen". Das ist das, was vordergründig in mir hängengeblieben ist. Und auch das, was dieser Ehe folgte, bestärkte dieses Gefühl: Du. bist. nichts. wert. 

Bis heute hadere ich mit diesen Gedanken und Empfindungen - aber diese negativen Einschätzungen kann ich wesentlich eher annehmen als positive. Es ist wahnsinnig schwer, eine frühe Prägung abzulegen und davon auszugehen, dass die negativen Einschätzungen vielleicht nicht stimmen. Aber damit kann ich leben. Weil für mich viel entscheidender ist, dass ich irgendwann 2002 begonnen hatte herauszufinden, was ein Milchkaffee ist - und dass er nicht nur nach einer Mischung aus Espresso und geschäumter Milch schmeckt. Nein.. Er schmeckt bis heute nach Freiheit. Nach DER Freiheit. Nach der Freiheit, von der Hans Kasper einst sagte "Die Freiheit ist eine Treppe mit tausend Stufen, kein Fahrstuhl."

C wie Champagner

Champagner? Igitt. Ich hab tatsächlich nie verstanden, was Leute daran finden - oder ob sie den Scheiß bloß deshalb trinken, weil so eine Flasche - richtig in Szene gesetzt - auf Instagram besser aussieht als eine Flasche Himbeerbrause. Für mich ist das ähnlich wie mit den ekligen Austern. Kann mir doch kein Mensch erzählen, das dem das schmeckt. Das ist doch nichts anderes als Glibberzeug, das nach Salz und Zitrone schmeckt. Ekelhaft, das Zeug. Man wird davon nicht satt und auf der Zunge zergehen lassen kann man sich das auch nicht. Jedenfalls nicht, ohne einen Brechreiz zu riskieren. 

Ich mach mir allgemein nicht viel aus Alkohol, heute weniger denn je. Ne Pina Colada zum Geburtstag mag ich - wenn sie nicht zu stark ist. Ich trink auch gerne mal ein Glas roten Rotkäppchensekt zum Anstoßen. Oder schleckere hingebungsvoll ein Gläschen Eierlikör aus. Jedoch das passiert tatsächlich selten. Glaube ich anderen Stimmen, bewirkt ein Glas Johannisbeerschorle ähnliches wie bei anderen der Alkohol. Ich persönlich vermute ja, dass das eher an der Gesellschaft liegt ;) Fühl ich mich wohl, dreh ich auf. Fühl ich mich nicht so wohl oder eher befangen, dann bleib ich halt still und zurückgezogen. 

Montag, 17. März 2025

Ein Fazit

Angefixt durch den Post beim Aschevogel dachte ich: Oiii, das probier ich auch mal aus - mal sehen, was die künstliche Intelligenz so über mich ausspuckt!

Also App installiert, das Blechwesen aufgefordert und tadaaa - hier ist die Zusammenfassung zu dem, was ich hier seit 2008 so treibe:

"Die Webseite ziggenheimer.blogspot.de ist der persönliche Blog von Helma Ziggenheimer, einer Bloggerin, die unter dem Motto „Die Frau mit dem roten Kleid, die Kaffee liebt“ schreibt. Der Blog, aktiv seit mindestens 2013, behandelt eine Vielzahl von Themen aus ihrem Alltag, darunter persönliche Erlebnisse, Beziehungen, Familie, Reisen (z. B. Indien-Tour 2016), Gesundheit (z. B. Schmerzbehandlung) und Gedanken zu sozialen Medien wie Instagram. Helma schreibt humorvoll und reflektiert über Themen wie Lebensfreude, Herausforderungen (z. B. medizinische Eingriffe) und die Balance zwischen digitalem und analogem Leben. Der Ton ist oft locker, manchmal emotional, und sie interagiert mit Kommentatoren. Der Blog spiegelt ihre Persönlichkeit wider – kaffeeliebend, selbstironisch und lebensnah.

Der Bloglässt sich in folgende Kategorien einteilen:

  1. Persönlicher Blog: Der Fokus liegt auf individuellen Erlebnissen und Gedanken von Helma Ziggenheimer, die ihr Privatleben teilt.
  2. Lifestyle: Themen wie Kaffee, Mode (rotes Kleid) und Alltagsgestaltung spielen eine zentrale Rolle.
  3. Humor: Viele Beiträge sind mit einem Augenzwinkern geschrieben und enthalten witzige Anekdoten.
  4. Familienleben: Geschichten über ihren Mann und ihre Kinder sind ein wiederkehrendes Element.
  5. Reisen: Berichte über Reiseerlebnisse tauchen gelegentlich auf.
  6. Reflexion: Persönliche, nachdenkliche Betrachtungen über das Leben ergänzen die leichteren Themen.
  7. Community: Interaktionen mit Lesern durch Kommentare zeigen einen sozialen Aspekt.

Der Blog ist eine Mischung aus Unterhaltung und persönlicher Erzählung mit einem charmanten, authentischen Stil."

Ja nun. Kann man das so gelten lassen? Also bis auf 2013 - näää, da bin ich doch schon ein bisschen länger aktiv :) Alles weiß das R2D2 des www eben doch nicht. Noch nicht.

Dienstag, 11. März 2025

Stell Dir nur mal vor...

Vor kurzem las ich folgenden Satz: "Mein Wunsch, politisch informiert zu bleiben und mein Wunsch nach mentaler Gesundheit lassen sich dieser Tage nur schwer vereinbaren."

Gibt auch andere Sprüche, die durchaus auf mich zutreffen. Solche wie, dass man die Nachrichten abschaltet und zur Entspannung des Kopfes eine Serienmörderdoku schaut. 

Vor zwei Tagen, der Mann hatte sich schon schlafen gelegt, da schaute ich noch eine Talkshow mit dem "Bayernkönig". Die Gäste, die noch dazu geladen waren, kannte ich bis dato nicht. Das war.. in Summe eine Runde, die mir von Beginn an ein Unbehagen vermittelte, ohne dass ich hätte begründen können, warum. 

Am Ende der Sendung jedenfalls.. da dachte ich, ich muss noch irgendetwas anderes sehen oder hören, Musik oder irgendetwas, das die Sinne wieder beruhigen könnte. Selten war ich innerlich so aufgewühlt wie nach dieser Sendung. Ich habe bislang kaum etwas gesehen oder gehört, das die Bedrohung durch einen Krieg mit Deutschland so nahe brachte wie diese. Für mein Empfinden wurde mit jedem Satz ausgedrückt, dass wir uns nicht auf die Amerikaner verlassen können, dass wir jetzt und sofort aufrüsten müssen und dass wir jetzt und sofort die Wehrpflicht wieder einführen müssen, damit wir, wenn es denn dann soweit wäre, auch genügend Soldaten zur Verteidigung hätten. Eine Verteidigung vor dem Russen, weil der seit Jahren nichts anderes täte, als "den Westen" zu testen. Wie weit er wirklich gehen könne. Der erste Versuch sei die Krim gewesen, der zweite die Ukraine, der dritte könne Estland treffen - und dann über Polen auch Deutschland. Der Älteste in dieser Runde, ich habe seinen Namen vergessen, der bei beinah jedem Satz den Blick nach oben richtete, anstatt seinen Gesprächspartnern ins Gesicht zu schauen (etwas, das ich persönlich als sehr befremdlich empfand), erwähnte eine Umfrage, nach der 60 Prozent der Deutschen im Verteidigungsfall unser Land nicht verteidigen wollen würden. In dem Maße, wie er sich darüber erboste, brachte es mir einen Spruch aus meiner Jugend wieder in Erinnerung: "Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin."

Ich habe mich in den letzten Wochen immer öfter gefragt, ob die Menschen, die in Talkshows oder geheimen Runden oder sonstwo sitzen, ob die wirklich das alles glauben, was versucht wird, den Menschen offiziell beizubringen - oder ob es jetzt nur darum geht, dem Wählervolk beizubringen, dass man nur einen einzigen Tag nach den Wahlen eine völlig entgegen gerichtete Position einnehmen konnte - und dieses Volk jetzt diese Entscheidungen auch mitzutragen hätte. Fünfhundert Milliarden Sondervermögen, auf deutsch: fünfhundert Milliarden neue Schulden, weil man jetzt neben all dem grundsätzlichen Bedarf in Deutschland ja nun auch aufrüsten müsse - das sei nun mal alles so teuer und man reagiere nur auf die veränderte Weltpolitik, weil die Amerikaner ihre Unterstützung für die Ukraine versagt hätten und jetzt Europa, insbesondere Deutschland gefordert sei.

Was ich persönlich von all dem denken oder halten soll, weiß ich nicht. Ich frage mich, wie Deutschland seit dem Kriegsende 1945 so entspannt mit den Russen leben konnte, ohne sich je bedroht fühlen zu müssen, in diesen Zeiten sogar Abrüstung vereinbart worden war - und wann genau das eigentlich begonnen hatte, sich wieder zu verändern. Ich frage mich schon länger, ob auch nur irgendjemand ernsthaft glauben kann, alle Gefahr ginge allein vom Russen aus. Ob wirklich jemand ernsthaft glaube, der Russe könne seine Finger nach Deutschland ausstrecken. Obwohl jedem klar sein müsste, dass, sobald er ein Nato-Gebiet militärisch betrete, sofort der Bündnisfall einträte. Und ob der Amerikaner sich wirklich komplett aus allem raushielte? Kann er doch gar nicht.. Müsste er dann nicht auch sämtliche Stationierungen aus sämtlichen NATO-Ländern zurückziehen? Hatte er das nicht auch mit Deutschland vor? Und ist genau das bis heute passiert?

Stellt Euch nur mal vor, Europa käme in Verhandlungen mit Russland - und käme zu einer diplomatischen Lösung. Stellt Euch nur mal vor, Europa und Russland näherten einander wieder an - nur mal hypothetisch. Was wäre die Folge? Würde damit nicht genau das eintreten, was den Amerikaner von seinem Thron der Weltmacht holte? Glaubt jemand wirklich, dass die Amerikaner dies zuließen? 

Warum verlassen wir uns auf einen Partner, auf ein Land, das mehr als einen Krieg anzettelte? Ich denke da nur an den Irak und an den Vietnam-Krieg. Im Irak wollte man an das Öl, in Vietnam die Ausbreitung des Kommunismus verhindern, damit andere diesem nicht folgen würden. 

Heute verlangt die amerikanische Fönfrisur von der Ukraine Bodenschätze im Gegenwert von 500 Milliarden Dollar - als Wiedergutmachung für geleistete Kriegshilfe. Im Übrigen deutlich mehr als tatsächlich an Hilfe geleistet worden ist, sei es als Finanzhilfe oder in Form von Kriegsmitteln. Da habe ich noch zum Mann gesagt "Na endlich zeigen sie mal offen, worums hier eigentlich wirklich von Anfang an ging."

Heute hat die Fönwelle den Golf von Mexico in Golf von Amerika umbenannt. Darf der das? Der darf das - auch wenn dieser Bezeichnung außerhalb von Amerika niemand folgen muss. Allein den Schritt jedoch empfinde ich als sehr bezeichnend..

Heute streckt die gelbe Fönfrisur die gierigen, klebrigen Finger nach Grönland aus - und sagt ganz offen: "Wir werden es bekommen. Auf die eine oder andere Weise werden wir es bekommen." Das mag Säbelrasseln bedeuten, ähnlich wie die Ankündigung der Zollerhebungen, die nur einen Tag nach Erhebung wieder relativiert worden sind. Und seine Rhetorik mag Kindergartenniveau sein. Und: Angeblich brauche Amerika dieses Land aus Sicherheitsgründen. Fakt ist: Wie in der Ukraine lagern auch hier seltene Bodenschätze. Wird also auch hier ein Konflikt zu erwarten sein, der eines Tages militärisch "gelöst" werden muss? Wird dann genauso gelogen wie vor zwanzig Jahren beim Irak, um einen Krieg begründen zu können?

Wenn man all dies sieht, hört, liest, ganz ehrlich... Warum soll ich meine Kinder, meine Brüder, meinen Mann in einem Krieg sehen müssen, den alte weiße gierige Machthaber führen, die sich währenddessen in ihre sicheren Bunker zurückziehen und die ganze Scheiße aussitzen, während Menschen für ihre Spielchen und ihre Gier und ihre Machtansprüche sterben? Die alles und jeden über die Klinge springen lassen, solange es ihren eigenen Interessen dient?

Und jetzt stelle man sich doch - angelehnt an den Spruch aus meiner Schulzeit - vor, es wäre Krieg und niemand, wirklich niemand ginge hin... Von keiner Seite... Wie machtlos wären da die Machthaber?

Das ist ein Wunschtraum, ich weiß. Leider Gottes ist das ein frommer Wunschtraum und wird auch einer bleiben. Trotzdem frage ich mich immer öfter, warum Europa weiterhin Seite an Seite mit den Amis steht - und zulässt, dass mit der anderen Seite erst gar keine Diplomatie möglich, sondern stattdessen ernsthaft eine Beteiligung Deutschlands durch Lieferung von Taurus erwogen wird. So oft wie nie zuvor denke ich in diesen Tagen an die Kuba-Krise - und das Blumenmädchen in mir hofft noch immer, dass es noch rechtzeitig möglich ist, diesen Krieg zu beenden und die Lage zu deeskalieren, bevor es ganz böse für alle wird. 

Donnerstag, 6. März 2025

Addict.


Musik. Musik zieht mich runter und hebt mich wieder auf. Musik bringt mich zum Weinen und zum Tanzen. Und ganz oft verursacht sie Gänsehaut auf meinen Armen, auf meinen Beinen, auf meinem Rücken bis hoch zum Haaransatz. Immer aber, wirklich immer bringt sie mich zum Träumen. Dann kann ich die Augen schließen, kann mich völlig wegdenken, irgendwohin, wo ich vielleicht gerade sein wollen würde. Am Meer vielleicht. Im Sand sitzen,  die Arme um die Knie geschlungen, neben uns eine Flasche Wein, ein Pizzakarton vielleicht. Wir würden reden und dabei auf das Meer oder in den Himmel über uns schauen, ein wenig besorgt vielleicht der Möwen wegen. Vielleicht würden wir aber auch zulassen, dass sie uns das letzte Stück Pizza aus dem Karton klauen und dieses kreischend in Sicherheit bringen.

Es sind diese ersten milden Sonnentage, es ist die Musik, die diese Bilder in meinem Kopf entstehen lassen. Bilder, die mehr Kraft besitzen als die aktuelle Realität, in der ich nicht am Meer im warmen Sand sitze, sondern überlege, ob ich mich aufrecht setze oder doch lieber liegenbleibe. Die aktuelle Realität, in der ich mir ein Ei koche und es dann doch erkalten lasse, weil mir das Aufessen unüberwindbar erscheint.
Es tut so gut, sich irgendwohin träumen zu können. Der Realität zu entfliehen, der man ohnehin nicht entkommen kann. Nicht der, die mir aus den Nachrichten entgegenschlägt. Nicht der, die mir in der Storyline der Menschen entgegenspringt, denen ich beispielsweise auf Instagram folge. Nicht der, mit der ich mich im Alltag auseinandersetzen muss und von der ich auch nach dem zwischenzeitlich dritten Gespräch mit meinem Chef nicht einordnen kann, wo ich mich künftig sehen soll. Sehen kann. Sehen darf. 
Nicht der Realität, die dem Wahlsonntag folgt. Wenn ich darüber nachdenke, wem ich meine Stimme gab, hätte ich mir jetzt nichts vorzuwerfen, denn an der aktuellen Konstellation war meine Stimme nicht beteiligt. Aber wen interessiert das, die Karten werden eh ganz woanders gemischt. 
Wenn ich mir also Bilder in meinen Kopf zaubere, denen ich nur allzu gern folge, dann flüchte ich bewusst vor dieser Realität, wenigstens für den Moment. Anders, glaube ich, könnte ich es nicht ertragen. Ich kann nicht wie andere jeden Tag irgendwelche Reels oder Memes teilen, die die aktuelle weltpolitische Lage kritisieren, sezieren, an die Menschen appellieren. Auch wenn man es vielleicht müsste, will ich mich nicht jeden Tag, jeden Augenblick damit auseinandersetzen. 

Vor einiger Zeit nahm jemand meine Hände in die seinen, schaute sich die Innenflächen an und strich über Linien. Sagte: "Du wirst vielleicht nicht sooooo alt, aber du wirst schon alt werden. Und deine Lebenskraft wird eher langsam verlöschen."
Das mag jetzt Auslegungssache sein, aber ich empfand das spontan als durchaus positiv: "Oh das klingt beruhigend! Dann weiß ich zumindest, dass ich nicht mit dem Flugzeug abstürze oder von jemandem abgemurkst werde."
"Nun", lautete die nachdenkliche Antwort, die mich - zugegeben - seither begleitet, "das sagt aber auch nichts darüber aus, WIE man dieses Leben zu Ende leben muss."
Muss ich darüber nachdenken? Will ich darüber nachdenken? Jeden Tag, jeden Augenblick? Was macht das dann mit mir und fangen die Dinge nicht immer zuallererst bei einem selbst an?
Was machte das dann mit meiner (Sehn-)Sucht nach dem Leben?

Also lege ich mich wieder zurück, schließe meine Augen, lausche dem Song, denke an nichts und fühle dennoch ganz arg viel für den Moment. 

Freitag, 14. Februar 2025

Die Welt außerhalb des Badezimmerspiegels



In meinem Kopf wohnt seit jeher eine ungeahnte Fülle aller möglichen Phantasien und auch eine nicht minder gute Vorstellungskraft. Doch eines konnte ich mir niemals vorstellen: Wie es sein würde, alt zu sein. Wie ich aussehen würde, wie ich mich anfühlen würde. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie sich Linien in mein Gesicht zeichnen und sich auch vertiefen würden. In der Welt in meinem Kopf würde ich immer jung bleiben, ganz gleich, was in meinem Pass stünde. Im Grunde glaube ich das eigentlich immer noch, doch wenn ich mich morgens in meinem Badezimmerspiegel betrachte, dann denke ich: Hör wieder viel mehr Musik und arbeite viel weniger.
Denn der Badezimmerspiegel.. der liebt mich. Der macht mich schön, ganz gleich, ob morgens oder mittags oder nachts. Ob geschminkt oder ungeschminkt. 
Die Welt jedoch lebt nicht in meinem Badezimmer, und wenn das Bild in meinem Kopf erhalten möchte, dann... muss ich unbedingt wieder ganz viel mehr Musik hören und weniger arbeiten. Weniger denken, mehr genießen. 

Und dann, die ersten Anzeichen des Alters entdeckte ich nicht auf meiner Haut, nicht in meinem Gesicht - ich entdeckte sie beim Lesen eines Buches - und dass es weniger anstrengend war, wenn dabei eine Brille auf meiner Nase balancierte. Meine ersten Modelle waren die Sparmodelle aus dem Drogeriemarkt. Und dann, vor etwa neun Jahren entschied ich, die tatsächliche Sehkraft feststellen und mir eine eigens auf mich zugeschnittene Brille anfertigen zu lassen. 


Als Augenmensch verliebte ich mich spontan in ein klassisches Herrenmodell, ganz gleich, was mir auch an Alternativen vorgeschlagen worden war. Ich kann mit diesen Frauendingern irgendwie nichts anfangen. Rot, gelb, blau, grün. Katzenaugenformen. Achteckig. Sechseckig. Rund. Zarte Gestelle. Klobige Gestelle. Kaum etwas Klassisches. Und alle in einer Standard-Breite, die mir nicht gefällt. Das Herrenmodell hingegen bot alles, das mir gefällt. 

Die Brille wurde mir dann allerdings ein oder zwei Jahre später geklaut. Bis heute hattee ich mir kein Modell nachanfertigen lassen. Genauer gesagt: Bis vor vier Tagen nicht. Da begleitete ich den Mann zum Optiker und während er auf eine Nachmessung seiner Sehkraft verzichtete, entschied ich mich zu einem Test. Immerhin liebäugelte mein trübes Auge mit einem sehr ähnlichen Modell wie aus 2016. Aber dass meine Augen in nur neun Jahren von Null Komma Fünf Dioptrien auf Zwo Komma Sieben bzw. Drei Komma Null zugelegt hatten, das hatte mich dann doch etwas irritiert. Ich meine, dass die Sehkraft etwas nachgelassen hatte, bekomme ich vor allem beim Malen zu spüren. Die feinen Null Komma Null Drei-Linien - da brauche ich schon etwas mehr als Eins Komma Null oder so. Aber Drei?

"Alles okay?" fragte der Mann, als er mich wiedersah. 

"Noch ein paar Jahre und du kannst Buddelflink zu mir sagen. Oder Pauli. Pauli geht auch."

 Aber es hilft ja nix. Es ist wie es ist. 

Nur wenn ich das Bild da oben betrachte, das von vor sieben oder acht Jahren, dann beschließe ich hier und jetzt, wirklich wieder viel mehr Musik zu hören, wieder viel mehr zu genießen und weniger zu arbeiten. Mehr zu schlafen. Ich glaub, das stand mir deutlich besser.  Und vielleicht erholen sich dann auch die Augen wieder. 

Dienstag, 21. Januar 2025

Ich. Ich. Ich.

Ich bin ja seit rund drei Jahren auch bei Instagram angekommen. Hab mir dort zwei Profile angelegt: ein öffentliches für die Malsachen und einen Ziggenheimer, wo ich aber nicht jeden reinlasse.

Jetzt kann man ja drüber streiten: Braucht man das oder kann das weg? Gibt mir das was oder stiehlt es mir nur kostbare Freizeit, die ich stattdessen mit wundervollen analogen Erlebnissen füllen könnte? Was soll ich sagen... Es ist tagesformabhängig, wie viel oder wenig ich dort unterwegs bin. Der Mann würde ja sagen "ZUVIEL!", aber seitdem ich dort bin, isser auch da :) Und hin und wieder machts ja auch irgendwie Spaß, hier und da mal was zu lesen oder auch zu entdecken. Doch, kommt da auch vor. 

Früher, zu Facebook-Seiten, da gabs ja öfter mal Diskussionen, auf die ich mich einließ und wo der Mann immer mal fragte, wozu ich mir das antäte. Ob ich mit meinem eigenen Leben nicht genug zu tun hätte und so. Aber manche Themen interessieren mich. Sie reizen mich. Ich will dann mehr wissen, mehr erfahren. Über Sichtweisen, über Beweggründe. Ich will verstehen, was ja nicht immer zwangsläufig bedeutet, dass man selbst dann auch seine Ansicht ändert. Aber es ist schon öfter vorgekommen, dass ich zumindest meinen Blickwinkel neu justiert habe.

Inzwischen lasse ich mich aber auf ganz vieles auch nicht mehr ein, egal auf welcher Plattform. Es gibt Themen, die sind so hoch emotional beladen - das führt zu nichts außer einem Krampf im Kopf. Doch was mir zuweilen auffällt, ist, wie ich-bezogen unsere Gesellschaft sich für mich anfühlt. Wir Ossis waren früher nicht so. Na klar hatten wir auch genauso Ego-Schweine. Aber im Allgemeinen hatten wir einen Zusammenhalt. Den vermisse ich heute. So wie ich es vermisse, dass die Leute Bitte und Danke sagen. Dass sie, wenn sie in einem Lokal Platz genommen haben, der Bedienung verdammt noch mal ins Gesicht schauen und in ganzen Sätzen formulieren können, wonach ihr Begehr ist. Dass Jüngere aufstehen, wenn Ältere die Bahn oder den Bus betreten. Ich sage nicht, dass wir das nicht mehr haben. Aber für mich fühlt es sich so an, als seien genau das die besonderen Momente geworden, über die man in bunten Bildchen und Filmchen bei Insta & Co. fabuliert - aber die Realität immer weiter davon entfernt ist. Wo ist sie hin, die Empathie? Wenigstens so ein kleines bisschen?

So ganz hab ich die Algorithmen bei Insta noch nicht kapiert, warum mir da verschiedene Stories vorgespielt werden. Seit einiger Zeit bekomme ich beispielsweise Takes eingespielt, in denen Frauen von ihren Fehlgeburten erzählen. Man realisiert ja nicht immer sofort und gleich, was da jetzt kommt - und vermutlich, wenn man da mal so drei, vier Sekunden geschaut hat, hängt man schon in der Schleife.

Jedenfalls war da eine junge Frau, die hat, glaube ich, bereits ein oder zwei Kinder, und hat nun Bilder und Texte von ihrer aktuellen Fehlgeburt, die sie in ihrem Badezimmer erlitten hatte, ins Netz gestellt. Da stockte mir schon für einen Moment der Atem, ich war auf dieses Bild nicht vorbereitet. Einen ganz kurzen Moment lang dachte ich: "Oh je... Muss das wirklich ins Netz?" Aber genau so schnell dachte ich: "Jeder verarbeitet auf seine Weise." So denke ich zumindest grundsätzlich. Dann schrieb aber eine andere junge Frau - und ich muss sagen, sie schrieb sehr freundlich, höflich, zurückhaltend - dass sie selber gerade eine Fehlgeburt erlitten hätte und sie sich gewünscht hätte, es wäre eine Triggerwarnung vor dem Beitrag oder das Foto erst im zweiten Slide. Bei ihr würde nun der Schmerz wieder aufbrechen, so von jetzt auf gleich, und ob es da nicht einen schonenderen Weg gegeben hätte? Was mich wirklich irritiert und irgendwie auch erschüttert hat, war die Reaktion der Kommentierenden und auch der Besitzerin der Fotos: Ihr Kind brauche keine Triggerwarnung, und überhaupt wäre es an der Zeit, an Tabuthemen zu rütteln. Sichtbar zu machen, was Frauen widerfährt, damit keine Frau mehr denken müsse, sie sei allein damit.

Wenn Ihr mich fragt, ich konnte irgendwie beide Standpunkte nachvollziehen. Aber letztlich bin ich doch mehr Team "Frau Überrumpelt". Ist es wirklich so schwierig, Rücksicht auf die Gefühle anderer Menschen zu nehmen? Zu bedenken, dass andere Frauen gerade genau dasselbe durchmachen müssen, dies jedoch nicht so offen vor sich her tragen können - und auch vorbereitet werden wollen, bevor sie ungefragt mit Bildern konfrontiert werden, die alle Wunden wieder aufreißen? Stichwort Algorithmus! Zu bedenken, dass jeder Mensch auf seine Weise mit dieser Erfahrung umgeht - und vielleicht nicht so souverän von dem Erlebten berichten kann? Was wäre so schlimm daran, ihre Fotos erst ab dem zweiten Bild zu zeigen? Und vorangestellt ein Text, den man lesen und für sich entscheiden kann: "Okay, das geht" oder "Oh nein, das kann ich grad nicht"? Es kamen dann tatsächlich gehäuft Kommentare wie "Dann geh halt nicht ins Netz, wenn du das nicht aushalten kannst" oder "Ich zeig das jetzt hier, weil ich das nur so verarbeiten kann" und so weiter und so weiter. Warum konnte sie nicht einfach sagen "Hey, es tut mir leid, hab ich nicht bedacht, dass das jemandem anderen so weh tun könnte"? Warum wird stattdessen betont, wie richtig das eigene Verhalten ist und dass "die anderen dann eben halt Insta deinstallieren sollten, wenn sie damit nicht umgehen können"? Es hinterließ mich sprachlos, muss ich gestehen.

Und einen Moment lang dachte ich: "Wenn wir von irgendeinem Produkt schreiben, müssen wir *Werbung* vorn dranklemmen. Vielleicht sollte es ja auch eine Anweisung hierfür geben?" Aber dann dachte ich.. Wie traurig ist diese Welt geworden, wenn wir ihr jetzt schon per Gesetz mitgeben müssten, wie sich Rücksicht und Miteinander gestalten, nur weils den Menschen an Empathie mangelt? Weil sie sich sehen, ihre Bedürftigkeit, ihren Schmerz - und nicht das des anderen neben sich?

Manchmal kann ich irgendwie verstehen, dass mein Papa bevorzugt nur noch Natur-Dokus schaut..

Montag, 20. Januar 2025

Spaß und Co. im Büro

Meine erste Pause dieses Tages nutze ich für das Aufschreiben eines kurzen Wortwechsels, den ich soeben mit meiner Lieblingskollegin führte. In dem ich beichtete, dass der Dezember nicht zu meinen besten Monate gehörte. Weil ich vor gut einer Stunde erneut feststellen musste, dass mir ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen war. Nix Gravierendes, Gott sei Dank, aber auch kleine Pfützen ergeben ja irgendwann mal ein großes Ganzes, in dem einem dann schon mal das Hals bis zum Wasser stehen kann.

Die Kollegin echauffierte sich - frei nach dem Motto: "Ey, was willste dich denn aufregen, haste mal gesehen, was alles auf deinem Tisch liegt und für wen du alles was machst?"

Ich: "Ja vielleicht, aber das entschuldigt es nicht."

Sie: "Na doch! Hör auf, dir da Gedanken zu machen!"

Ich: "Ja ne. Das darf nicht passieren. Weißt du, früher hatte ich mal sowas wie ne Prioritätenliste. Und heute? Habe ich zehn priorisierte Notizzettel, von denen ich bei neunen nicht mehr weiß, wo die abgeblieben sind."

Wir amüsierten uns beide ein bisschen und sie meinte dann, ich solle nach den neunen gar nicht suchen, sondern einfach davon ausgehen, dass das meiste sich davon eh von allein erledigen würde. Ja, wenns denn mal so wär. Leider weiß ich, dass es genau nicht so sein wird - und die Termine mir ordentlich in den Arsch beißen täten, sobald die Deadlines erreicht würden. 

Ich notier mir ja meine Termine oder Aufgaben gerne auch mal in Steno, damit mir kein Stielauge in die Karten gucken kann. In digitalen Zeiten wie diesen würde ich jedoch gerne auf diese Möglichkeit verzichten und mir meine Aufgaben auch im Planner notieren, mich automatisch erinnern lassen und so. Spart in jedem Fall Nerven! Und spätestens seit Office 365 und der bezahlten Teams-Variante sollte das ja gehen. Aber ach! Auch da ein Konjunktiv! "Der Planner kann derzeit nicht erreicht werden." Nur dass "derzeit" schon ungefähr ein Jahr meint. Also seit wir Office 365 haben. HarHar. Unsere IT meinte letztens, das könnte daran liegen, dass wir die "Business Standard Version" eingekauft hatten. Ja und? Woher sollten wir auch wissen, dass man mit dieser Version nicht mal Termine für sich selbst aufschreiben kann? Ich will sie ja noch nicht mal delegieren, also jemandem anderen zuweisen. Ne - einfach nur für mich! 

Allein für unsere interne Wirtschaftsplanung habsch dann mal nachgefragt, was der Spaß denn kostet täte, wenn wir von Standard auf E5 umrüsten. Nun ja. Wir würden für die Office Lizenz schlappe 474 Euro statt 126 Euro bezahlen. Teams ist mit drin, natürlich. Und der Planner? Ne, der nicht, der kostet dann extra noch mal 60 Euro. Pro Jahr. Pro Mitarbeiter. Und so würden mal eben aus ca. 4.000 Euro dann ca. 15.000 Euro werden. Pro Jahr. Macht einen Mehrbedarf von schlappen 11.000 Euro im Jahr aus. Lecker! Errechne nämlich spontan, an wie viel Milchkäffchen plus Keksen ich ein ganzes Jahr lang davon laben könnte! Wahrscheinlich aber sollte ich einfach dankbar sein, dass die Kosten der Digitalisierung erfolgreich verhindern, die nächste Teilnehmerin bei "Mein Leben mit 300 Kilo" zu werden; Diabetes & Co. inklusive. 

Dienstag, 14. Januar 2025

It's up to me

Es hat Zeiten gegeben, Jahre gegeben, in denen ich mir niemals vorstellen konnte, wenig oder gar nicht mehr zu schreiben. Mein Kopf war so voller Dinge, die irgendwie raus wollten, dass ich glaubte, ich würde eine unerschöpfliche Fülle an bunten oder auch weniger bunten Dingen, Gedanken, Ereignissen in mir beherbergen. Und so oft, wenn ich in den letzten Monaten dann doch mal ein paar Zeilen schrieb, hoffte ich allein beim Aufschreiben, die nächsten Zeilen würden nicht wieder so lange auf sich warten lassen. Aber.. Ich weiß nicht.. Ich lese und betrachte, wie andere Leute ihre Gedanken notieren, aufschreiben, sich mitteilen.. Ich lese, ich verstehe, kommentiere immer in Gedanken und selten nur real - und dann zieh ich mich wieder zurück in mein Schneckenhaus.. 

Mein Thema aus dem letzten Post - ich hab grad gesehen, dass ich auf die letzten Kommentare noch gar nicht geantwortet und auch eine E-Mail dazu noch nicht beantwortet hab. Ich bin Euch wirklich sehr, sehr dankbar für Eure Gedanken, Eure Mühe des Kommentieren - und ich werde auch alles noch beantworten. Und ich entschuldige mich dafür, dass ich mir dafür noch nicht die Zeit genommen hab. Das Thema ist für mich nicht durch, es arbeitet in mir. Die Gefühle schwanken zwischen Sorge und Zuversicht. Mein Wechselbad der Gefühle. Typisch Zwilling halt - zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust ;)

Vor einiger Zeit erhielt ich einen Anruf. Mein allererster Headhunter, den ich, nachdem er mir einige Fragen gestellt hatte, erst einmal verwundert fragte, woher er meine Kontaktdaten und meinen Namen hatte. Immerhin bin ich auf keinen entsprechenden Plattformen zu finden. "Sie sind mir empfohlen worden", war die spontane Antwort. Da hätte ich fast gelacht. So selbstverliebt bin ich nicht, das zu glauben. Wäre dem so, hätte er mir nicht bestimmte Fragen stellen müssen. Er hätte es dann schlichtweg schon gewusst. Vermutlich graben die einfach je nach Zielregion in irgendwelchen amtlichen Mitteilungen rum. Nichtsdestotrotz hat sichs irgendwie gut angefühlt. 

Aber darüber mag ich heut nicht schreiben. Es hat mir gut getan, davon erzählen zu können. Aber es arbeitet noch immer zu sehr in meinem Kopf, und ich muss das irgendwie alles erst noch für mich sortieren. Was könnte auf mich zukommen? Was könnte mir passieren? Wie viel Zeit hab ich, um zu agieren?

Gefreut hat mich wirklich sehr auch ein anderer, vor wenigen Wochen ausgesprochener Gedanke. Von jemandem, der plant, eines Tages einen Jazz-Club zu eröffnen. Allein den Gedanken finde ich schon geil. Es gibt Jazz, den ich mag (gibt auch welchen, den ich gar nicht mag). Und er sagte: "Wenn ich soweit bin, machst du meine Buchhaltung." "Und was machst du?" Er hat breit gegrinst. "Die Bar!" Was sonst! :) Das ist etwas, das mir wirklich total gefallen würde. Richtig gut sogar. Aber das.. ist Zukunftsmusik - und bis dahin muss ich ja auch (m)ein Brot einkaufen können. Oder meinen Kaffee. Oder meine Malfarben. Freilich - ich hab einen Ehemann. Doch wenn ich eins aus der Erfahrung der Vergangenheit gelernt hab, dann das, mich nie niemals (mehr) abhängig zu machen von einem anderen Menschen. Ob in einer Beziehung oder nicht, ob in einer Ehe oder nicht - in meinem Leben hab ich mir ein Netz mit doppeltem Boden eingerichtet. Das, was hinter mir liegt, möchte ich einfach niemals wieder durchstehen müssen. 

Dann las ich heute von einem Blogstöckchen, von dem ich erst dachte: Äh... neeee... was sind n das für Fragen? Und dann aber dachte, och na ja, mir fällt da schon die eine oder andere Antwort ein. 

Und warum nicht doch mal wieder ein Blogstöckchen mitnehmen und beantworten? Also los...

1. Magst Du Blauschimmelkäse?

Nein. Ich esse eigentlich ganz gern Käse. Der mit Blauschimmel zählt aber nicht dazu.

2. Cola oder Pepsi?

Weder noch. Nur selten, wenn der Blutdruck nicht recht in die Puschen kommen will, dann muss es schon mal ne kalte Cola sein.

3. Hast Du eine Waffe?

Nein. Will ich auch nicht haben. Waffen machen mir Angst. Waffen verbinde ich nicht mit Schutz, sondern mit Gewalt. Hab übrigens grad heut ein (angebliches) Zitat von Jimmy Hendrix gelesen. Der soll gesagt haben, dass wenn die Macht der Liebe die Liebe zur Macht überwiegt, dann wär die Welt ein schöner(er) Ort. (Heutzutage wird ja gern irgendwelchen berühmten Leuten, vorzugsweise denen, die schon tot sind (weil die dann nicht mehr intervenieren können), ein Zitat nachgesagt. In Wahrheit ham die das gar nicht gesagt, aber es wirkt halt cooler, wenn da Jimmy Hendrix drunter steht als wärs von Lieschen Müller.)

4. Whisky, Tequila oder Wodka?

Tatsächlich trinke ich keinen Alkohol. Ich mach mir da einfach nichts draus. Die Weißweinschorle ist gute zehn, fünfzehn Jahre her - und da war ja mehr Wasser als Weißwein drin. Da fällt mir grad ein, wie ich vor einigen Jahren in einer klinischen Ambulanz war. Die haben erst ne umfangreiche Anamnese angestellt, unter anderem auch mit Essverhalten, Trinkverhalten und so. Dann ein paar Untersuchungen veranlasst und dann musste ich nochmal zur Frau Doktor. Und da fragt die mich so von hintenrum und wie beiläufig: "Wie viel Alkohol trinken Sie nochmal?" Und ich ganz spontan: "Ich trinke gar keinen Alkohol." Hatte ich der ja eingangs schon gesagt - aber wenn man so paar neurologische Ausfälle hat, da denken die halt gerne mal an Alkohol. Und mit so hinterfotzigen Fragen denken die, die können Dir doch noch ein Bein stellen. Ach da fällt mir noch ne Anekdote ein. Als ich von irgend nem anderen beschissenen Arzttermin kam, mitten auf dem Marienplatz in der Sonne stehenblieb und dachte: "Eigentlich is das Leben doch immer noch irgendwie schön" und dann mach ich die Augen auf und dann steht da so n Typ vor mir, der guckt mich an und sagt: "Du gefällst mir." Und ich antworte ganz verblüfft "Danke, aber ich hab einen Freund." Und er sagt: "Ach so." Dreht sich um und geht. Fand ich echt niedlich, irgendwie. 

5. Hot Dog oder Cheeseburger?

Nichts davon.

6. Lieblingsessen?

Ich bin ja nicht so der Mensch für Superlative. Ich hab keine Lieblings-Sachen. Oh warte, doch, ein was hab ich: einen Lieblingsort! Der treue Leser weiß wo :)

7. Was trinkst Du morgens?

Wasser für die Pillen. Irgendwann später das erste Käffchen. Ohne Kraftstoff schließlich kein Motorbetrieb.

8. Kannst Du 100 Liegestütze machen?

Ich kann nicht mal einen. Das konnte ich noch nie. Meine Stärken sitzen woanders *kreisch*

9. Sommer, Winter, Frühling und Herbst?

Früher liebte ich den Sommer. Aber mittlerweile bin ich eher Frühjahr und Herbst. Eher Herbst. Ich liebe es rotgolden. Ich liebe es verkuschelt. Ich liebe Stricksachen, heißen Kakao oder Kaffee mit Zimt.  Ich liebe es, wenn es nicht so heiß ist, dass die Wäsche am Körper klebt oder die Frisur schon nach dreißig Minuten hinüber ist, weil der Haaransatz schwitzt. Habe übrigens letztens überlegt, mir so eine App zu installieren, mit der ich ein paar Frisuren ausprobieren kann. So n Pixie Cut könnte mir irgendwie gefallen. Hatte ich ja schon mal - ist aber ungefähr dreißig Jahre her. Seither hab ich mich schon bisschen verändert und jetzt weiß ich nicht mehr, ob das noch zu mir passen würde. 

10. Trägst Du eine Brille?

Ja, zum Lesen. Zum Malen muss es eine etwas stärkere Brille sein. 

11. Phobien?

Oh ja. Höhe macht mir Angst. Geschwindigkeit macht mir Angst (sagt die, die im A1 220 kmh fährt...) Ich meine aber Geschwindigkeit auf dem Fahrrad zum Beispiel. Da blockiert sofort was bei mir. Spinnen. Mäuse in der Wohnung. 

12. Lieblingstag in der Woche?

Der Samstag. Weil ich da nicht nur frei hab, sondern auch weiß, dass ich am Folgetag immer noch frei hab. Ich liebe dieses Gefühl. 

13. Glaubst Du an Geister?

Eigentlich dachte ich: Nein! Aber ich muss Euch da mal was erzählen. Hier in unserer neuen Wohnung, da wird's mir schon öfter mal unheimlich. Wenn man unsere Wohnung betritt, kommt man erstmal in einen kleinen Flur. Von da aus gehts in einen langen Flur, von dem man rechts weg zur Küche und in den Wohnraum kommt. Da gibt es nirgendwo Türen, das ist alles sehr offen gestaltet. An der anderen Seite des langen Flurs sind unser Arbeitszimmer, Gästebad und Schlafzimmer. Da sind natürlich Türen. Und an eben diesem Ende des Flurs steht eine Bodenvase aus Glas, bis obenhin gefüllt mit Muscheln aus Dänemark. Zwischen diesen Muscheln liegt eine Lichterkette, die auf Bewegung reagiert. Und während ich im Wohnbereich auf dem Sofa liege, geht sieben Meter weiter am Ende des Flurs der Bewegungsmelder an. Obwohl alle Türen zu sind. Kein Windhauch, kein Durchzug. Nix. Und wie kann ein deutlicher Windhauch über deinen nackten Arm oder dein nacktes Bein streichen, wenn kein Fenster, keine Tür geöffnet ist? Wenn man nachts mal alleine zu Hause ist und gerade Medical Detectives schaut, dann kann das schon mal... gruselig werden. Vor allem, wenn der Fernsehsender mittendrin auf ein völlig anderes Programm schaltet. Und du denkst verdutzt: "Huch? Hab ich auf der Fernbedienung gelegen?" Also schaltest du zurück. Und nach ner halben Stunde dasselbe nochmal. Ja ich weiß, womöglich war da grad jemand auf deiner Frequenz und stört da so n bisschen rum. Aber die Kombi... Weil... irgendwann steh ich auch mal auf und geh ins Gästebad (reine Bequemlichkeit; das Hauptbad ist en suite und etwas "abgeschiedener"). Also steh ich im Gästebad, wasche mir die Hände und denke: "Verdammt, was ist da grad vorbeigehuscht?" Du hast das doch ganz deutlich aus den Augenwinkeln wahrgenommen!

OK. Irgendwann denkst du: Mein Gott, du warst müde. Überarbeitet. Zuviel Crime Stories geguckt. Und dann sitzt du mit deinem Mann beim Frühstück, eher durch Zufall kommst du auf dieses Thema, erzählst davon mit einem Grinsen im Gesicht. Und dein Mann bleibt ernst, schaut nachdenklich und dann sagt der doch glatt zu dir: "Und ich dachte, das geht nur mir so, und ich dachte, ich bilde mir das ein."

Ey....

14. Regen oder Schnee?

Regen! Sommerregen! Ich liebe diese großen, warmen, schweren Tropfen - und ich hab schon viel zu lange nicht mehr im Regen getanzt.

Am Schnee mag ich, dass die Nacht so hell wird. Weniger bedrohlich. Aber ich hasse glatte Straßen und zugeschneite Parklücken. Es ist schon viele Jahre her, da war ich mal so eingeschneit, dass ich partout keine Chance hatte, je aus dieser Parklücke rauszukommen. Und ich musste doch ins Büro! Mein Glück waren zwei Männer, die meine Misere sahen (oder den kurzen Rock?) und die mir ganz beherzt halfen und die Schnauze des Fahrzeugs aus dem Schnee hoben. Fand ich mega :) Ich mag das sehr, wenn Menschen gut zueinander sind. 

15. Piercings?

Bei mir hats nur für ein Paar Ohrringe gereicht. Löcher in die Haut zu stechen, tut mir einfach weh. Ich hasse Schmerzen. 

16. Pommes oder Zwiebelringe?

Weder noch. 

17. Werden 6 Freunde das tun?

Diese Frage hab ich nicht verstanden. Was sollen die tun? 

Und ich hab mich gefragt: Hab ich eigentlich 6 Freunde? Also solche, die mit mir wirklich durch dick und dünn gehen? Die immer für mich da sind? Die ich auch nachts anrufen könnte? Oder in jeder Notlage? Vier. Dann hab ich vier Freunde - und auch wenn das pathetisch klingt: Ich weiß, dass mich das unfassbar reich macht. 

18. Kinder?

Ja, zwei. Und eins, das nicht auf diese Welt gekommen ist. Jedenfalls nicht lebend. 

Früher dachte ich immer, die Sorge um die Kinder endet, wenn sie groß sind. Wenn sie erwachsen sind. Dann werden sie nicht mehr entführt, gequält, missbraucht. Die Wahrheit ist: Die Sorge ist heute größer als damals. Ich lebe sozusagen in ständiger Angst um diese beiden. Die Welt von heute erschreckt mich so. 

19. Lieblingsfarbe?

Schon wieder diese Superlative.... Kann ich nix mit anfangen.

20. Kannst Du pfeifen?

Ne, außer auf dem letzten Loch. Klingt beides ziemlich kläglich.

21. Wo wurdest Du geboren?

Auf einer Insel.

22. Schon mal verhaftet worden?

Nein. Nur zweimal in eine Verkehrskontrolle gekommen. Beim ersten Mal hat die mir ins Auto geleuchtet mit ner Stablampe und mich gefragt: "Haben Sie Alkohol getrunken?" Hä? Wie kam die darauf? Ich kam von Ikea und mein kleines Auto war bis an den Rand gefüllt mit tausend entsprechenden Schachteln. Sie hat mir dann geglaubt - auch ohne pusten zu müssen. Heute, mit einigem Insiderwissen, denke ich mir: Da musste jemand eine Quote erfüllen. Hatten sie sich halt nur die Falsche dafür ausgesucht :)

Das zweite Mal hatte ich keine Papiere dabei. Er war ja dann ganz gnädig: Wenn ich den Lappen innerhalb von sieben Tagen zur Dienststelle brachte, dann musste ich auch keine Strafe zahlen. 

Von der Polizei abholen durfte ich nur mal Junior II. Die hatten den mitgenommen, weil der im Kaufhaus ein Computerspiel mitgehen lassen wollte. Und der nette Polizist meinte: "Ihr Sohn ist nur aufgefallen, weil er ungefähr eine ganze Stunde lang überlegt hat, ob ers mitnehmen soll oder nicht." Ich hatte damals so eine Wut auf den Bengel, dass ich schätzungsweise zehn Meter vor ihm zum Auto rannte mit Haaren, die mir zu Berge standen - und der Junge Mühe hatte,  mir zu folgen. 

Die zweite Begegnung mit der Polizei gabs, als mich mal die Schule anrief, ich möge bitte umgehend zur Schule kommen, der Junge (auch wieder der Zweite) sei grad mit dem Rettungswagen abgeholt worden. Und noch bevor ich irgendwas fragen oder sagen konnte, meinten die: "Wir vermuten Alkohol oder Drogen. Die Polizei ist auch schon da." Fragt nicht.... In der Schule angekommen, drückte man mir erstmal Juniors Sportshirt in die Hand. Den großen Blutfleck drauf vergess ich nie. Ich weiß bis heute nicht, wo der herkam. Der Junge war da schon auf dem Weg in die Klinik. Später stellte sich heraus, dass der beste Freund eine Flasche (!) Absinth in eine Wasserflasche umgefüllt und die mit in die Schule gebracht hatte. Zu zweit haben sie innerhalb von drei Stunden die Flasche leergemacht, jeder ca. 700 ml - so stands im Befund - und die Lehrerin sagte später zu mir und der anderen Mutter: "Natürlich hab ich gesehen, dass die da was Grünes trinken, aber ich dachte, das ist Waldmeister." Und der Sportlehrer hatte gedacht: "Die sind heute aber komisch drauf, in der Pause schnapp ich mir die mal." Wollte er auch - er griff sich den ersten, der kippte ihm gleich um. Dann griff er sich den Zweiten - nämlich meinen, und der kippte ihm dann auch um. Da haben sie dann den Notarzt und auch die Polizei gerufen. Und der Polizist sagte zu uns: "Wenn es nur Alkohol war, kommt das Jugendamt. Wenn da noch Drogen drin waren, kommen wir nochmal." Beide Jungen lagen mit 1,7 Promille an gefühlt fünfzig Schläuchen, man hatte ihnen den Magen ausgepumpt und ihnen auch Medikamente verabreicht, die einen Kater ersparen sollten. Wir mussten beide dann später noch mal zur Polizeidienststelle und da saß dann wirklich eine vom Jugendamt. Ehrlich, da ging mir der Arsch. Vor allem, weil Junior seine Rappelphase hatte, null Bock auf nix, dafür einen ordentlichen Widerspruchsgeist mit entsprechend patzigen Antworten. Er musste dann zwei mal eine Stunde lang an so ner Maßnahme teilnehmen, von der er die zweite Stunde schwänzte. Wir haben trotzdem nie wieder was vom Amt gehört - und gesoffen hat er dann erst wieder, als er längst volljährig war.

23. Operationen?

Ja, drei mittlerweile. Die erste, als ich 6 Jahre alt war, da wurden mir die Gaumenmandeln entfernt. Die zweite 1994 und die dritte 2006. Die Narben sind so toll verwachsen, man sieht heute wirklich gar nichts mehr. Haben die super gemacht, die Chirurgen :)

24. Bist Du religiös?

Nein. Und wenn man bedenkt, wie unfassbar viel Leid und Krieg im Namen von Religion und Gottheit schon über die Menschen gekommen sind... 

Ich bin aber davon überzeugt, dass es sehr viel mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die sich nicht logisch erklären lassen - und die trotzdem passiert sind und passieren... Ich denke, dass es wichtig für jeden ist, dass er etwas hat, woran er glauben kann.. Woran er sich orientieren kann.. Das muss aber keine Religion, keine Gottheit sein. 

25. Duschen oder Baden?

Ich liebe es, frisch geduscht zu sein. Ich liebe den Geruch von seidiger Frische. Aber ich liebe auch das Baden. Baden ist Genuss. Baden ist ein Lebensgefühl. 

26. Glücksspiel?

Nein. Dieses Gen hab ich nicht.

27. Bist Du ein guter Freund?

Tatsächlich: Nein, ich glaube nicht. Ich denke ehrlich, dass ich das früher mal war. Früher war ich wesentlich bemühter, glaube ich. Dass es eine Zeit gab, wo ich wirklich ein Freund war. Wo ich aufmerksamer war. Man kann mir auch heute noch alles erzählen, ich kann immer noch zuhören und man kann mich auch immer noch jederzeit anrufen und dann bin ich da. Zum Leidwesen des Mannes übrigens, wo es dann öfter mal zu Knatsch kommt. Aber das allein macht es nicht aus. Ich melde mich beispielsweise von mir aus viel zu selten und frage entsprechend wenig nach, wie es dem anderen geht. Das bedeutet nicht, dass ich nicht an den anderen denke und mich frage, wie es denn ist beim anderen. 

Aber wenn ich grad so darüber nachdenke... Bin ich selber schon sehr, sehr lange nicht mehr gefragt worden, wie es mir eigentlich geht. Das ist halt die Konsequenz, denke ich. Die Menschen vergessen mich, wenn ich mich nicht in Erinnerung bringe.

Menschen denken ja immer: "Wenn er/ sie sich nicht meldet, gehts ihm/ ihr gut." Wenn Ihr mich fragt... Bei mir ist das genau andersrum. 

Ich will mich aber nicht in Erinnerung bringen müssen...

28. Gebrochene Knochen?

Nein. Noch nie. 

29. Wie viele Fernseher sind in Deinem Haus/ Wohnung?

In der Wohnung mit dem Mann immer nur einen. Gibt ja viele, die haben auch im Schlafzimmer einen TV. Igitt. Damals in der Wohnung mit den Söhnen hatten wir zwei. Die Jungs hatten einen und ich hatte meinen. Wir hatten ja auch unterschiedliche Vorlieben :)

30. Schlimmste Schmerzen überhaupt?

Die Nervenschmerzen seit 2005.. Die erst seit Januar 2019 erfolgreich bekämpft werden können. Cortison und MTX sind sicherlich nicht die Mittel der ersten Wahl. Vierzehn Jahre Kampf... Wie hab ich das eigentlich überstanden? Wie konnte ich leben, lieben, lachen? Irgendwie ging's. Irgendwas geht immer. Mal besser, mal schlechter. Aber diese Jahre waren schon.. ein bisschen doof.

Heute wiege ich etwa zehn, zwölf Kilo mehr und frage mich: Medikamente weglassen, wieder wie früher aussehen - aber ohne Lebensqualität? Na ja ehrlich: Diese Frage stellt sich tatsächlich nicht. Würde ich nicht so dagegen ankämpfen, wären vermutlich noch zehn Kilo mehr. Das kann ich hoffentlich abwehren. 

Aber Zahnschmerzen sind auch was echt Fieses. Letztes Jahr habe ich einen Kohlrabi gegessen. Am Abend dachte ich: Hm, haste wahrscheinlich dein Gebiss bisschen überfordert, ein Zahn muckert. Zwei Tage später sind wir für eine Woche in den Urlaub gefahren - es war die Hölle. Morgens, mittags, abends jeweils zwei 800er Ibu's. Macht ne Tagesdosis von schlappen 4800 mg - die blanke Idiotie. Aber es war wirklich echt schlimm. Und dort wollte ich einfach nicht zum Zahnarzt. Ich kann bisschen was ertragen - aber aushalten kann ich nicht gut. Ich hab Angst vorm Zahnarzt, weil das IMMER mit Schmerzen verbunden ist. Weil ich auch mit fünf Spritzen nicht restlos betäubt bin. Ich bin dann hier in L zur Notfallbehandlung gegangen, weil mein Zahnarzt Urlaub hatte. Es stellte sich heraus, dass ich mir ein Stück Kohlrabi eingebissen hatte - zwischen Zahnhals und Zahnfleisch eingedrückt. Ich hab mir eine Tasche gegraben, sozusagen. Bis September wurde das mit Antibiotika und allem möglichen Zeug behandelt, weil ich keine Wurzelbehandlung wollte. Dann kann man seinen Zahn auch gleich abgeben. Es war allerdings auch nie geröntgt worden.. Im September - genau zwei Tage vor dem nächsten Urlaub, wurde der Schmerz wieder heftiger. Und ich dachte: Ne.. jetzt sind wir zwei Wochen in Dänemark - das wird nichts, du musst zum Zahnarzt. Und mein Bauchgefühl sagte mir: "Die Zeit ist um, das wird nichts mehr, der Zahn muss raus." In der Kieferchirurgie wurde der erstmals geröntgt - und da wurde das Übel sichtbar. Im Befund stand später, dass der Kieferknochen schon zystisches Gewebe gebildet hatte und entsprechend ausgeschabt werden musste. Mein Bauchgefühl würde ich mir auch heute noch patentieren lassen - auch wenn mir mein Kopf mittlerweile zu oft und zu gern dazwischen funkt.

Das war übrigens meine allererste Erfahrung mit Dämmerschlaf. Ich weiß so gut wie nichts mehr von dem Moment an, als mir die Nadel in die Hand gestochen wurde. Der Mann erzählte mir anschließend, dass er in den Behandlungsraum gerufen wurde, nachdem alles vorbei war. Die sagten: "Frau Ziggenheimer, aufwachen, Ihr Mann ist da." Und ich soll ihn angeschaut und gesagt haben: "Wer sind Sie überhaupt, ich kenn Sie gar nicht." Und der Mann soll zum Zahnarzt gesagt haben: "Alles gut, der gehts gut, die kaspert schon wieder." Am Tag drauf habe ich mich gewundert, was das alles für Fotos auf meinem Handy waren. Wie sah ich da aus und wer hatte die Fotos gemacht? Vom Heimweg, im Fahrstuhl... Es ist leider ziemlich eindeutiges Bildmaterial, das beweist, wie der Mann genervt war, während ich schief grinsend mit dicker Wange da und dort Fotos aufgenommen habe. Hangover lässt grüßen!

31. Tanzt Du gerne?

Ja, total. Ich würde es gern besser können. 

32. Magst Du campen?

Überhaupt gar nicht. Der Mann hat ja mal ein paar Monate lang drüber nachgedacht, ein richtiges Wohnmobil zu kaufen, um damit herumzureisen. Das mag zwar praktisch sein, ficht mich aber so überhaupt nicht an. Ich bin gerne heute da und morgen dort. Aber ich schlaf halt gern in einem richtigen Bett. Und mag ein richtiges Badezimmer. 

33. Bist Du seltsam?

Sind wir nicht alle ein bisschen bluna?


Freitag, 1. November 2024

Wer bin ich und wenn ja, wie viele?

Hier schläft schon alles, nur ich sitze noch im schwach beleuchteten Zimmer auf meinem Sofa, den Laptop auf den verschränkten Beinen. Die Musik auf den Ohren, aber das muss ich sicherlich nicht hinzufügen. So oft hatte ich schreiben wollen und es dann doch wieder verworfen. Keine Zeit. Keine Muße. Keine Stimmung. Irgendwie viel zu oft ein "kein".

So geht es mir nicht nur mit dem Schreiben. 

Ich fühl mich, als habe ich mir selbst schon vor Wochen den Stecker gezogen und fahre nun auf "Halbmast". Fühle Unruhe in meinem Kopf und unter meiner Haut. 

Grundsätzlich halte ich mich für recht anpassungsfähig. Kann mich rasch auf veränderte Situationen einstellen, kann auch gut damit umgehen. Und wenn mir etwas Angst macht, kann ich mich auf ein "Nachher" fokussieren. Kann mir sagen "Lass es herankommen. Schau es dir an. Mach was draus. Irgendwas geht immer."

Diese Überzeugung lebe ich noch immer. Jeden Tag neu. Aber womöglich sind es doch zuviele Veränderungen für mich in relativ kurzer Zeit?

Vor gut drei Jahren sagte mein Chef: "Ich verkaufe meine Firma und mache dich zur Prokuristin." Letzteres hielt ich so lange für einen Scherz, bis er Ernst machte. Den Verkaufsprozess durchliefen wir innerhalb einiger Monate. Das inhabergeführte Unternehmen wandelte zu einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, er übernahm für eine abgestimmte Zeit die Geschäftsführung und mir wurde die Prokura übertragen. 

"Du hast dich weit unter Wert verkauft", hat der Mann in all der Zeit oft gesagt. "Du machst die ganze Arbeit und er bekommt das Geld."

Wir, der Mann und ich, sind vor eineinhalb Jahren von M nach L gezogen. Haben uns hier neu eingerichtet und während er mit dem Heimweh kämpft, kämpfe ich darum, dass er sich hier wohl fühlt.

Seit einem halben Jahr ist der Chef vertragsgerecht ausgeschieden - und auch er selber weiß, dass er schon lange davor aufgehört hat zu arbeiten. Aber irgendwie.. hatte es sich trotz allem beruhigend angefühlt zu wissen, dass er da war. Dass die Firma noch immer sein "Baby" war. Vielleicht will ich mir das gerade auch nur so schönreden, ich weiß es nicht, keine Ahnung. Der neue Geschäftsführer und ich - wir kämpfen. Nicht gegeneinander, sondern miteinander. Wir kämpfen für die Menschen, für die Firma und mit nicht eingehaltenen Absprachen. 

"Du machst schon wieder die Arbeit deines Chefs und er bekommt das Geld", wiederholt der Mann sich, doch das hier ist anders. Der neue Chef lehnt sich nicht zurück, lässt mich nicht allein, lässt mich nicht hängen. Aber auch er ist nur ein Mensch, auch er hat begrenzte Ressourcen und einen extrem gut gefüllten Terminkalender. Der Verkauf ist auf den Tag genau zwei Jahre her. Wir haben inzwischen ein Controlling aufgebaut, das es zuvor nicht gab. Wir haben inzwischen ein Abrechnungssystem aufgebaut, das jeder Wirtschaftsprüfung standhält - und das es so zuvor auch nicht gab. Wir haben Mitarbeiter verloren, die wir schmerzlich vermissen und die aber nicht mehr warten wollten oder konnten, bis der "alte" Chef seinen Hut genommen haben würde. Das heißt, wir fahren seit über einem Jahr mit angezogener Handbremse, bis es raucht und qualmt. Wie der Markt aussieht, weiß jeder. Wie schwierig es ist, gutes Personal zu finden, weiß inzwischen auch jeder. Und mit einem Mal ist es uns gelungen, gleich fünf neue Mitarbeiter zu gewinnen, die im Zeitraum zwischen Oktober und kommenden Januar zu uns kommen. Wir haben unseren Mietvertrag gekündigt und bereiten aktuell unseren Umzug vor in ein etwas größeres Domizil. Der Preis ist wesentlich attraktiver als in der bisherigen Immobilie und zwischen Abstimmungen mit IT, Elektriker und Vermieter lese ich im Vertragsentwurf von einer Indexklausel. "Indexmiete heißt ja, dass die Miete auch mal günstiger werden kann", sagt der Vermieter und ich lächle. Wir wissen beide, dass die Realität eine ganz andere ist. Perspektivisch sind wir an einem langfristigen Mietverhältnis interessiert. Mit einem Indexmietvertrag sähe ich hier eine deutlich verkürzte Mietdauer. Also kann ich einen Deal aushandeln. Die Indexklausel wird ersetzt durch eine Mietbindung für mindestens zwei Jahre.

Und mittendrin... sind wir seit Monaten involviert in die Bestrebungen unserer Mutter, uns mit einem anderen Tochterunternehmen zu verheiraten. Alles top secret bis zur vergangenen Woche. Gestern wurden wir gefragt, wie unsere Mitarbeiter diese Neuigkeit aufgenommen hätten. "Überwiegend positiv", hat der neue Chef geantwortet. Ja, es gibt positive Schwingungen. Es gibt jedoch auch andere. Und wenn ich gefragt werde, ob es vielleicht eine Art "anonymen Briefkasten" gäbe, dann wird mir einmal mehr bewusst, dass das Gros der Mitarbeiter gar nicht wagt, offen und ehrlich auszusprechen, was sie wirklich denken. Ich selbst habe mir schon einmal in größerer Runde den Mund verbrannt. Nicht weil ich etwas Falsches gesagt hätte. Und auch nicht den falschen Ton gewählt hätte. Nicht weil ich meine Diplomatie vergessen hätte. Gleichwohl... ist nicht jede Offenheit, nicht jede Wahrheit gewünscht. Das mussten sie nicht aussprechen - die Körpersprache war deutlich genug. Wird es mich den Hals kosten? Ich habe keine Ahnung. Wird die Fusion mich meinen Hals kosten? Auch dazu habe ich keine Ahnung. Kein Gefühl. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Was kann ich denn eigentlich genau? Wer bin ich eigentlich? Werde ich überhaupt ernst genommen? Bin ich locker verzichtbar? Bin ich überhaupt jemand?

Tagsüber konnte ich diese Empfindungen ganz gut verdrängen. Es gibt ja einfach auch genug zu tun, das Alltagsgeschäft muss laufen. Aber diese Empfindungen quälen mich nachts in meinen Träumen - wenn ich denn überhaupt schlafen kann. Schau ich auf die Uhr, ist es grad schon wieder halb zwei Uhr morgens - und in meinem Kopf dreht sich alles hin und her, rauf und runter. Was wird kommen, was wird nicht kommen? Was wird passieren, was wird nicht passieren? 

In ungewissen Situationen konnte ich immer dann, wenn mich etwas quälte und bedrückte, auf mein Lebensprinzip vertrauen, dass alles, was mit mir geschieht, am Ende immer seinen Sinn machen würde. Allein aus der aktuellen Retrospektive heraus weiß ich, dass tatsächlich alles, wirklich alles in meinem Leben seinen Sinn hatte. Dass es genau so und nicht anders kommen durfte. Nicht anders gewesen sein durfte. Dass ich so oft in meinem Leben unverschämtes Glück hatte. Vielleicht auch, weil ich mir früher nie solche Gedanken gemacht habe wie inzwischen. Vielleicht, weil ich mein Leben mit einer gewissen Unbedarftheit angepackt habe: Mach einfach und guck dann mal. 

Ich hatte nie einen Plan von irgendwas. Ich hatte nie ein Karriereziel. Für mich selbst war ich immer die, die im Hintergrund agiert und die sich da auch ganz wohl fühlt. Sicher vor allem. Die in zweiter oder dritter Reihe steht. Nie vorn. Da wollte ich auch gar nicht hin, da wollte ich gar nicht sein. Jetzt bin ich aber da vorne und hadere mit mir und mit allem. Zweifle an mir selbst und zerfleische mich in den schlaflosen Nächten. In meinem Leben bin ich nicht oft enttäuscht worden - jedoch die wenigen Male sehr, sehr nachhaltig. So sehr, dass ich heute niemandem mehr vertraue. Auf schöne Worte gebe ich schon sehr lange gar nichts mehr, auch nichts auf die schönen Worte aus meiner Vergangenheit. Ich glaube nichts mehr davon. 

Dieser uralte, ewig quälende Zweifel am eigenen Wert. Ich dachte, ich hätte das endlich mal überwunden, aber.. Ich sag Euch was: Das sieht nur von außen so aus. 



Samstag, 31. August 2024

Mindset


Vor kurzem habe ich an einem Workshop teilgenommen. Nicht mein erster, aber der erste dieser Art. 
Postkarten lagen ausgebreitet und die Teilnehmer wurden gebeten, sich zwei davon auszuwählen. Die erste sollte die aktuelle Stimmungslage beschreiben, die zweite die Erwartungshaltung an den Workshop. 

Ich habe ganz spontan gewählt, noch ehe sich die Worte in meinem Kopf formten, was ich damit zum Ausdruck bringen wollte.
Meine erste Karte war die Großaufnahme einer Margeritenblüte. Die zweite Karte bildete einen Sonnenuntergang ab - und einen Schattenmenschen, der die Arme ganz weit ausbreitete.
Diese zwei Karten pinnte ich an die Wand.
"Ich weiß nicht, warum, aber jeden Morgen, den ich erwache, habe ich Musik in meinem Kopf. Nicht immer dieselbe, aber immer Musik. Ich habe den ganzen Tag lang Musik in meinem Kopf. Und die Karte mit der Blume sprang mich irgendwie an, weil neben der Musik in meinem Kopf meistens auch eine Blumenwiese ist. Das beschreibt... glaube ich... meine aktuelle Stimmungslage am besten. Und die Karte mit den Armen.. Ich habe keine Ahnung, was heute passiert. Ich hab vielleicht eine Vorstellung von dem, was passiert. Vor allem aber bin ich offen für alles, was kommt."



Das bedeutet nicht, dass ich keine Angst hab. Ich hab ne scheiß Angst vor so einigem. Aber ich hab nicht nur meine Technik des Prokrastinierens perfektioniert, ich bin auch im Verdrängen ziemlich gut. Kann mittlerweile ganz gut zur Seite schieben, was ich nicht ändern kann. Das gelingt mir nicht immer, auch nicht immer gut - und ist natürlich auch immens abhängig von der Verfassung meiner Kinder und der Menschen, die ich liebe. 
Manchmal beklagt sich der Mann über die Kinder, dass wir sie zu selten sehen und dass sie sich zu selten melden; es sei denn, sie "wollen irgendwas". Dann muss ich oft lächeln und erinnere ihn daran, wie es war, als wir so jung waren. Uns gehörte doch die Welt, glaubten wir. Und wir glaubten, alles würde immer so sein und so bleiben, wie es eben war. Wir haben doch nie darüber nachgedacht, ob die Eltern alt werden, ob die Großeltern sterben - und dass es eines Tages zu spät für alles sein könnte. 

Heute ist es anders. Heute genieße ich jeden einzelnen Tag und jeden Moment, den ich mit anderen teilen kann und darf. Jetzt, wo die Reise an das geliebte Meer nicht mehr so arg weit ist wie noch vor gut einem Jahr, jetzt bin ich öfter dahin unterwegs, habe meine Mama und meinen Papa öfter besucht als zuvor - und werde mir auch künftig mehr Zeit nehmen. Heute denke ich oft an meine Großmutter, die nicht nur einmal darum bat, ich möge doch öfter schreiben. Heute wünschte ich so sehr, ich hätte es getan. Heute wünschte ich, ich hätte mir ihre Strickjacke aufbewahren können, diese eine dunkelblaue mit den braunen Hirschhornknöpfen. In meinem Schrank hängen seither vermutlich um die fünfzehn Strickjacken, und auch wenn ich mir noch weitere fünfzehn kaufen würde:  Keine davon ist diese eine.
Und das ist auch etwas, das mich umtreibt.. Die Furcht davor, zu spät zu kommen. Die Furcht davor, auf der Suche nach Dingen bleiben zu müssen, die nicht mehr ersetzt, nicht mehr repariert, nicht mehr wiedergutgemacht, nicht mehr nachgeholt werden können..

In samtigen Nächten wie diesen, mit dieser Musik in meinen Ohren, da fühle ich sie einmal mehr, diese Sehnsucht, diese tiefe Liebe zu wenigen Menschen - und zugleich das leise Schwingen dieser Furcht. 


Sonntag, 11. August 2024

In dieser Küche wird getanzt

Irgendwann vor einiger Zeit ist mir aufgefallen, dass ich seit einigen Jahren nächtens keine Alpträume mehr erlebe. Vor allem nicht den einen, der immer und immer wiederkehrte: dass mich jemand in meiner Wohnung überfiel, mich entweder ruckartig hochriss, um, wenn er mich mit Wucht wieder zu Boden warf, sicher sein zu können, dass alles, das in einem Körper brechen könne, auch gebrochen sein würde.. Bis heute weiß ich übrigens nicht, woher diese Träume kamen.

Jedoch viel wichtiger finde ich sowieso inzwischen, dass diese Träume schon seit Jahren der Vergangenheit angehören. 

Stattdessen ist es heute so, dass morgens, wirklich jeden Morgen, sobald ich die Augen öffne, irgendein Musiktitel in meinem Kopf ist. Ich erwache sozusagen damit. Ist das nicht kurios? Aber eben irgendwie auch schön!

Und vor zwei Tagen war es dieser Titel. Ich wusste seinen Namen nicht mehr, ich erinnerte den Text für den Augenblick nicht mehr - aber die Melodie, die war in meinem Kopf und nur diese einzige Zeile "..ich habe solche Angst zu sterben.." Es hat einen Moment und Google gebraucht, bis ich zu diesem Titel zurückfand. Seitdem hör ich ihn rauf und runter - und habe auch den Text ultra schnell wieder im Kopf gespeichert. Habe mir außerdem eine Playlist angelegt, in der nur solche und vor allem alte Titel abgelegt sind. Woher kommt das eigentlich, dass es vor allem diese schlagerpopähnlichen Titel sind, die mir so ein gutes Lebensgefühl vermitteln? Weil sie mich an früher erinnern? An die Kindheit auf der Insel? An eine Zeit, in der die Eltern genau all diese Titel rauf und runter spielten und man sich an all das sofort wieder erinnert? Der Mann und ich sind manchmal verblüfft, wie unfassbar viel Text ja doch noch in unseren Köpfen gespeichert ist - nach all der Zeit!

Aber warum auch immer - ich liebe dieses Gefühl, das diese Songs mir vermitteln. Ausgerechnet mir, die mit Schlager so überhaupt gar nichts anzufangen vermochte - und auch nie und nimmer wollte. Jedoch.. Als ich mich heute Nachmittag auf den Weg zum Sohn machte, die Sonne so herrlich schien, da ließ ich sämtliche Fensterscheiben herunter, drehte die Musik auf, fuhr durch die Straßen, genoss und sang! Manchmal hab ich Blicke von Leuten registriert, vor allem die Frau an der Ampel, die mich mit aufgerissenen Augen und offenem Mund begeistert anschaute. Ist das nicht herrlich?? Wenn man Leute mitreißen, wenn man sie "anstecken" kann?

Ich glaube, dass ich deshalb auch so gerne Auto fahr: Ich kann die Musik aufdrehen, so laut ich mag, ich kann so laut singen, wie ich mag, ich fühl den Wind in meinen Haaren und auf meiner Haut, fühl den Wind um die Beine und unter dem Flatterkleid - und dann fühl ich mich so frei!! So herrlich frei und unbeschwert!

Dieses Gefühl hielt dann auch immer noch an, als ich wieder nach Hause gekommen war, in der Küche Kartoffeln für das Abendessen schälte und den Fisch würzte. Draußen schien noch immer die Sonne, es war immer noch warm, ich hatte die Musik in den Ohren und sang mit einer solchen Leidenschaft, als stünde ich auf einer Bühne, die nur mir ganz allein gehörte. Bewegte mich im Takt, wie ich es für gewöhnlich nur mit ein oder zwei Gläsern Weißweinschorle hinbekommen könnte. Ja, der Text ist nicht zum Singen, nicht zum Tanzen  - mir ist das durchaus bewusst. Aber das Leben ist das ja auch nicht - und grad deshalb denk ich.. Man sollte einfach viel öfter singen und tanzen. Wenigstens für einen Moment die Welt vergessen.. So ein bisschen wie in Greys Anatom - die haben sich ihren Frust, ihren Kummer, was auch immer, herausgetanzt. Meistens hats geholfen, sich besser zu fühlen.

Vermutlich sagt das jede Generation - aber ich finde, die Musik aus den 70ern, aus den 80ern, das ist die einzige Musik, die einen heute wirklich vom Stuhl, aus dem Sessel, vom Sofa holen und ein so wunderbares Lebensgefühl vermitteln kann. Die ist irgendwie noch so "handgemacht", obwohl das ja wiederum auch nicht wirklich stimmt. Sie fühlt sich aber so an. Sie fühlt sich.. einfach toll an.

Fast tut es mir leid, dass ich morgen wieder arbeiten muss. Dass ich auch noch einen Home Office-Tag hab. Im Office kann ich ja wenigstens Musik hören, wenn auch nicht so laut, und da kann ich wenigstens auch singen - wenn auch nicht so laut. Hier im Home Office geht das nicht, immerhin sitzt der Mann in meinem Rücken. Oder ich in seinem :) Aber.. Ich hätte grad so echt richtig mega Bock auf eine Autobahntour mit so herrlicher Musik. Am liebsten natürlich sowieso direkt ans Meer. Habe mir aber auch wirklich vorgenommen, wieder mehr ans Meer zu fahren. Habs ja jetzt nicht mehr so weit. Und wenn mir eins nicht schwerfällt, durchzuziehen - dann das.

Und zwischendurch.. wird weiter in meiner Küche gesungen und getanzt :)

Mittwoch, 7. August 2024

Take Time


Ich war in der 6. oder 7. Klasse, als ein neuer Schüler zu uns kam. Noch heute kann ich mich sehr deutlich an ihn erinnern. Dunkle Haare, blaue große Augen und zumeist ein schiefes Grinsen im Gesicht. Im Grunde ein drahtiger, unauffälliger Junge, würde er nicht immer dann, wenn ihm irgendetwas nicht passte - und man konnte nie vorhersagen, was konkret ihm nicht passen würde - die Schultische umstoßen oder die Stühle über Bänke und Schüler hinweg werfen. Niemand mochte wirklich mit ihm befreundet sein, es schien, als würde er auf ewig ein Außenseiter bleiben. Oder auch nicht auf ewig - wenn man ihn denn vorher wieder loswerden könnte. In den unzähligen Augen angepasster Kinder, die erst mit ihren blauen, später mit ihren roten Halstüchern zum Fahnenappell salutierten, mussten ja Charaktere wie jener befremdlich wirken.
"Der passt nicht zu uns!"
Die Wutanfälle mehrten sich, der Unmut mehrte sich. 
Noch heute kann ich mich an jenen Abend in der Schule erinnern: Drei Schüler, einer davon ich, und drei Eltern aus dem sogenannten Beirat - beide Parteien an einem Tisch, die Schüler den Eltern gegenüber. Wir Kinder durften zuerst unseren Vortrag halten, dann durften die Eltern sich dazu äußern. 

Auch ich war ein braves, angepasstes Kind. Eins, das nie die Schule schwänzte aus Angst vor dem Vater. Das seine Hausaufgaben zumeist alleine zu lösen versuchte. Eins, das nie Zigaretten auf dem Klo ausprobierte oder von den Stones schwärmte. Meine Welt waren meine Märchenbücher, meine Puppen und all die Geschichten, die ich entweder aufschrieb oder aufmalte. Meine Welt war eine ganz andere - und zugleich dennoch eingefügt in einen Rahmen, mit dem jegliches Anderssein suspekt erscheinen musste.
Dementsprechend hatte ich mich auf diesen Abend vorbereitet, war mein kleiner Vortrag angefüllt mit Begründungen, warum dieser Junge in unserer Klasse keinen Raum haben durfte. Warum er "weg" sollte.

Bis heute erinnere ich mich an den Blick eines Vaters, der mich und die anderen beiden Schüler ansah. Der ruhig, gelassen und zugleich sehr bestimmt unsere Vorträge auseinandernahm und uns den Spiegel vorhielt. 
Der uns bewusst machte, dass ein starkes Team nur dann ein starkes Team sein kann, wenn es auch den Schwächsten trägt. Wenn es zulassen kann, akzeptieren kann, dass nicht einer wie der andere sein muss, nur um respektiert zu werden. Dass nicht jeder auf eine Sonderschule gehen muss, nur weil Charaktere so unterschiedlich sein können - sondern trotzdem einer vom anderen lernen kann. Dass ein Miteinander immer möglich ist. Wenn man nur einander die Zeit ließe - und die Geduld und die Akzeptanz.
Selten habe ich mich je so beschämt gefühlt wie in diesem Augenblick. 
Dieser eine Vater eröffnete zu dieser einen Sache einen völlig anderen Blickwinkel - für mich persönlich eine ganz neue Erfahrung. Eine, die mich bis heute nachhaltig geprägt hat. 

Das ist alles so unglaublich lange her - und doch denke ich noch heute oft an ihn und an seine Worte. An seine Bestimmtheit. Bis heute sind es die schrägen Vögel, die komischen Kauze, die Eigenartigen, die Außenseiter, die es mir angetan haben. Bis heute mache ich mich stark für die, die es nicht selbst können oder nicht wollen - oder nicht gelassen werden.

Wir haben seit einem Jahr einen neuen Mitarbeiter. Als er sich vor einem Jahr bei uns vorstellte, da wirkte er - zugegeben - etwas befremdlich auf mich. Er war laut in diesem Gespräch, er war nervös, er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und legte den Anblick frei auf tellergroße Schweißflecken unter den Armen. Er konnte durchaus zuhören, man sah ihm förmlich an, wie das Gehörte seinen Kopf beschäftigte - und er redete dann einfach drauflos, unterbrach einen, ohne es zu bemerken.
Er war schlichtweg einfach.. aufgeregt. 
Wir haben ihn dennoch eingestellt und für diesen Mann habe ich eine Förderung von ganzen acht Monaten bekommen. Soviel Förderung habe ich bisher noch nie auf einen Antrag hin erhalten. Ob sie gewusst haben, warum? 

Inzwischen ist es so, dass kaum jemand mit ihm arbeiten möchte. Er ist nicht laut, er ist leise. Er spürt jede Schwingung, er spürt jede Sympathie und jede Antipathie. An Gesprächen am Mittagstisch beteiligt er sich nur sehr selten - und wenn, dann nur kurz. Die Aufgaben, die er macht, sollten ihn eigentlich unterfordern - und vermutlich tun sie es auch. Er erledigt sie dennoch - und zumeist fehlerbehaftet. Er fragt nur wenig. Er macht eben einfach drauflos. Selbst wenn man ihn auffordert, die Arbeit nochmal gegenprüfen zu lassen - entweder vom Projektleiter oder einer Büroangestellten - er macht es nicht. Versendet fehlerhafte E-Mails, fehlerhafte Ausschreibungen.

Er ist einer der ganz wenigen, die jeden Morgen das Büro betreten und freundlich grüßen.
Die abends das Büro verlassen und sich freundlich verabschieden. Er lächelt immer, wirklich immer, wenn er einen anschaut oder etwas fragt. Seine ganze Körperhaltung, jede Bewegung von ihm drückt Unsicherheit aus. Und wenn ich mir seine Zeugnisse durchlese, dann bekomme ich eine Ahnung davon, was er in all den Jahren zuvor erlebt haben muss. Viel Gutes in jedem Fall nicht. 

Er ist jetzt ein ganzes Jahr bei uns. Die Antipathie der meisten Kollegen erhebt sich gerade zu einer Front gegen ihn. Und das auch nicht offen. Das geschieht hinter seinem Rücken. Ich bin mir sicher, er weiß es. Ich bin mir sicher, er spürt es. Desto stiller wird er. Desto mehr zieht er sich zurück. Desto weniger fragt er. Ob er meint, beweisen zu müssen, dass er es kann? Ob er deshalb alles allein macht, wenig fragt und dann Sachverhalte das Haus verlassen, die besser so nicht rausgegangen wären? Vermutlich sollte er es besser können - nach einem Jahr bei uns und mit seinem Diplom in der Tasche. Tatsache ist aber auch, dass man diesem Mann bisher kaum eine Aufgabe zugeteilt hat, an der er wachsen kann. Er ist jemand, der hineinwachsen muss. Der Routine braucht, um hineinfinden zu können. Der lernen können muss. 
Aber kann das funktionieren, wenn man einen Menschen wie einen Kegel auf verschiedene Plätze zu verschiedenartigen Aufgaben schiebt, die Sechs würfelt und ihn losschubst? 
Er hat ein Potential, da bin ich mir wirklich sehr sicher. Ich möchte ihn nicht aufgeben und auch nicht hergeben. Ich möchte, dass er uns zeigt, wo seine Stärken liegen. Da gab es schon eine Idee und es gab schon einen Plan - nur umgesetzt wurde dieser noch nicht, und das ist nicht seine Schuld. 
Also stelle ich mich gegen die Front, suche das Gespräch mit meinem neuen Chef - und spüre: Ganz so verschlossene Türen laufe ich wider Erwarten da nicht an. Das gibt mir Hoffnung - und ein Gefühl der Erleichterung. Dass dieser neue junge Chef Entwicklungen sieht und nicht nur das, was der Mitarbeiter nicht kann.

Heute Abend war so ein Abend, an dem ich an jenen Vater meiner Schulfreundin denken musste. Wie dankbar ich für diesen Elternabend vor so langer Zeit bin, für diese Erfahrung, für das, was ich daraus für mich mitnehmen konnte.
Er hat sich das Leben genommen, irgendwann nach jenem Abend.
So wie seine Tochter gut zwanzig Jahre später. 

Das Leben ist ein Mysterium, irgendwie.