Samstag, 31. August 2024

Mindset


Vor kurzem habe ich an einem Workshop teilgenommen. Nicht mein erster, aber der erste dieser Art. 
Postkarten lagen ausgebreitet und die Teilnehmer wurden gebeten, sich zwei davon auszuwählen. Die erste sollte die aktuelle Stimmungslage beschreiben, die zweite die Erwartungshaltung an den Workshop. 

Ich habe ganz spontan gewählt, noch ehe sich die Worte in meinem Kopf formten, was ich damit zum Ausdruck bringen wollte.
Meine erste Karte war die Großaufnahme einer Margeritenblüte. Die zweite Karte bildete einen Sonnenuntergang ab - und einen Schattenmenschen, der die Arme ganz weit ausbreitete.
Diese zwei Karten pinnte ich an die Wand.
"Ich weiß nicht, warum, aber jeden Morgen, den ich erwache, habe ich Musik in meinem Kopf. Nicht immer dieselbe, aber immer Musik. Ich habe den ganzen Tag lang Musik in meinem Kopf. Und die Karte mit der Blume sprang mich irgendwie an, weil neben der Musik in meinem Kopf meistens auch eine Blumenwiese ist. Das beschreibt... glaube ich... meine aktuelle Stimmungslage am besten. Und die Karte mit den Armen.. Ich habe keine Ahnung, was heute passiert. Ich hab vielleicht eine Vorstellung von dem, was passiert. Vor allem aber bin ich offen für alles, was kommt."



Das bedeutet nicht, dass ich keine Angst hab. Ich hab ne scheiß Angst vor so einigem. Aber ich hab nicht nur meine Technik des Prokrastinierens perfektioniert, ich bin auch im Verdrängen ziemlich gut. Kann mittlerweile ganz gut zur Seite schieben, was ich nicht ändern kann. Das gelingt mir nicht immer, auch nicht immer gut - und ist natürlich auch immens abhängig von der Verfassung meiner Kinder und der Menschen, die ich liebe. 
Manchmal beklagt sich der Mann über die Kinder, dass wir sie zu selten sehen und dass sie sich zu selten melden; es sei denn, sie "wollen irgendwas". Dann muss ich oft lächeln und erinnere ihn daran, wie es war, als wir so jung waren. Uns gehörte doch die Welt, glaubten wir. Und wir glaubten, alles würde immer so sein und so bleiben, wie es eben war. Wir haben doch nie darüber nachgedacht, ob die Eltern alt werden, ob die Großeltern sterben - und dass es eines Tages zu spät für alles sein könnte. 

Heute ist es anders. Heute genieße ich jeden einzelnen Tag und jeden Moment, den ich mit anderen teilen kann und darf. Jetzt, wo die Reise an das geliebte Meer nicht mehr so arg weit ist wie noch vor gut einem Jahr, jetzt bin ich öfter dahin unterwegs, habe meine Mama und meinen Papa öfter besucht als zuvor - und werde mir auch künftig mehr Zeit nehmen. Heute denke ich oft an meine Großmutter, die nicht nur einmal darum bat, ich möge doch öfter schreiben. Heute wünschte ich so sehr, ich hätte es getan. Heute wünschte ich, ich hätte mir ihre Strickjacke aufbewahren können, diese eine dunkelblaue mit den braunen Hirschhornknöpfen. In meinem Schrank hängen seither vermutlich um die fünfzehn Strickjacken, und auch wenn ich mir noch weitere fünfzehn kaufen würde:  Keine davon ist diese eine.
Und das ist auch etwas, das mich umtreibt.. Die Furcht davor, zu spät zu kommen. Die Furcht davor, auf der Suche nach Dingen bleiben zu müssen, die nicht mehr ersetzt, nicht mehr repariert, nicht mehr wiedergutgemacht, nicht mehr nachgeholt werden können..

In samtigen Nächten wie diesen, mit dieser Musik in meinen Ohren, da fühle ich sie einmal mehr, diese Sehnsucht, diese tiefe Liebe zu wenigen Menschen - und zugleich das leise Schwingen dieser Furcht. 


Sonntag, 11. August 2024

In dieser Küche wird getanzt

Irgendwann vor einiger Zeit ist mir aufgefallen, dass ich seit einigen Jahren nächtens keine Alpträume mehr erlebe. Vor allem nicht den einen, der immer und immer wiederkehrte: dass mich jemand in meiner Wohnung überfiel, mich entweder ruckartig hochriss, um, wenn er mich mit Wucht wieder zu Boden warf, sicher sein zu können, dass alles, das in einem Körper brechen könne, auch gebrochen sein würde.. Bis heute weiß ich übrigens nicht, woher diese Träume kamen.

Jedoch viel wichtiger finde ich sowieso inzwischen, dass diese Träume schon seit Jahren der Vergangenheit angehören. 

Stattdessen ist es heute so, dass morgens, wirklich jeden Morgen, sobald ich die Augen öffne, irgendein Musiktitel in meinem Kopf ist. Ich erwache sozusagen damit. Ist das nicht kurios? Aber eben irgendwie auch schön!

Und vor zwei Tagen war es dieser Titel. Ich wusste seinen Namen nicht mehr, ich erinnerte den Text für den Augenblick nicht mehr - aber die Melodie, die war in meinem Kopf und nur diese einzige Zeile "..ich habe solche Angst zu sterben.." Es hat einen Moment und Google gebraucht, bis ich zu diesem Titel zurückfand. Seitdem hör ich ihn rauf und runter - und habe auch den Text ultra schnell wieder im Kopf gespeichert. Habe mir außerdem eine Playlist angelegt, in der nur solche und vor allem alte Titel abgelegt sind. Woher kommt das eigentlich, dass es vor allem diese schlagerpopähnlichen Titel sind, die mir so ein gutes Lebensgefühl vermitteln? Weil sie mich an früher erinnern? An die Kindheit auf der Insel? An eine Zeit, in der die Eltern genau all diese Titel rauf und runter spielten und man sich an all das sofort wieder erinnert? Der Mann und ich sind manchmal verblüfft, wie unfassbar viel Text ja doch noch in unseren Köpfen gespeichert ist - nach all der Zeit!

Aber warum auch immer - ich liebe dieses Gefühl, das diese Songs mir vermitteln. Ausgerechnet mir, die mit Schlager so überhaupt gar nichts anzufangen vermochte - und auch nie und nimmer wollte. Jedoch.. Als ich mich heute Nachmittag auf den Weg zum Sohn machte, die Sonne so herrlich schien, da ließ ich sämtliche Fensterscheiben herunter, drehte die Musik auf, fuhr durch die Straßen, genoss und sang! Manchmal hab ich Blicke von Leuten registriert, vor allem die Frau an der Ampel, die mich mit aufgerissenen Augen und offenem Mund begeistert anschaute. Ist das nicht herrlich?? Wenn man Leute mitreißen, wenn man sie "anstecken" kann?

Ich glaube, dass ich deshalb auch so gerne Auto fahr: Ich kann die Musik aufdrehen, so laut ich mag, ich kann so laut singen, wie ich mag, ich fühl den Wind in meinen Haaren und auf meiner Haut, fühl den Wind um die Beine und unter dem Flatterkleid - und dann fühl ich mich so frei!! So herrlich frei und unbeschwert!

Dieses Gefühl hielt dann auch immer noch an, als ich wieder nach Hause gekommen war, in der Küche Kartoffeln für das Abendessen schälte und den Fisch würzte. Draußen schien noch immer die Sonne, es war immer noch warm, ich hatte die Musik in den Ohren und sang mit einer solchen Leidenschaft, als stünde ich auf einer Bühne, die nur mir ganz allein gehörte. Bewegte mich im Takt, wie ich es für gewöhnlich nur mit ein oder zwei Gläsern Weißweinschorle hinbekommen könnte. Ja, der Text ist nicht zum Singen, nicht zum Tanzen  - mir ist das durchaus bewusst. Aber das Leben ist das ja auch nicht - und grad deshalb denk ich.. Man sollte einfach viel öfter singen und tanzen. Wenigstens für einen Moment die Welt vergessen.. So ein bisschen wie in Greys Anatom - die haben sich ihren Frust, ihren Kummer, was auch immer, herausgetanzt. Meistens hats geholfen, sich besser zu fühlen.

Vermutlich sagt das jede Generation - aber ich finde, die Musik aus den 70ern, aus den 80ern, das ist die einzige Musik, die einen heute wirklich vom Stuhl, aus dem Sessel, vom Sofa holen und ein so wunderbares Lebensgefühl vermitteln kann. Die ist irgendwie noch so "handgemacht", obwohl das ja wiederum auch nicht wirklich stimmt. Sie fühlt sich aber so an. Sie fühlt sich.. einfach toll an.

Fast tut es mir leid, dass ich morgen wieder arbeiten muss. Dass ich auch noch einen Home Office-Tag hab. Im Office kann ich ja wenigstens Musik hören, wenn auch nicht so laut, und da kann ich wenigstens auch singen - wenn auch nicht so laut. Hier im Home Office geht das nicht, immerhin sitzt der Mann in meinem Rücken. Oder ich in seinem :) Aber.. Ich hätte grad so echt richtig mega Bock auf eine Autobahntour mit so herrlicher Musik. Am liebsten natürlich sowieso direkt ans Meer. Habe mir aber auch wirklich vorgenommen, wieder mehr ans Meer zu fahren. Habs ja jetzt nicht mehr so weit. Und wenn mir eins nicht schwerfällt, durchzuziehen - dann das.

Und zwischendurch.. wird weiter in meiner Küche gesungen und getanzt :)

Mittwoch, 7. August 2024

Take Time


Ich war in der 6. oder 7. Klasse, als ein neuer Schüler zu uns kam. Noch heute kann ich mich sehr deutlich an ihn erinnern. Dunkle Haare, blaue große Augen und zumeist ein schiefes Grinsen im Gesicht. Im Grunde ein drahtiger, unauffälliger Junge, würde er nicht immer dann, wenn ihm irgendetwas nicht passte - und man konnte nie vorhersagen, was konkret ihm nicht passen würde - die Schultische umstoßen oder die Stühle über Bänke und Schüler hinweg werfen. Niemand mochte wirklich mit ihm befreundet sein, es schien, als würde er auf ewig ein Außenseiter bleiben. Oder auch nicht auf ewig - wenn man ihn denn vorher wieder loswerden könnte. In den unzähligen Augen angepasster Kinder, die erst mit ihren blauen, später mit ihren roten Halstüchern zum Fahnenappell salutierten, mussten ja Charaktere wie jener befremdlich wirken.
"Der passt nicht zu uns!"
Die Wutanfälle mehrten sich, der Unmut mehrte sich. 
Noch heute kann ich mich an jenen Abend in der Schule erinnern: Drei Schüler, einer davon ich, und drei Eltern aus dem sogenannten Beirat - beide Parteien an einem Tisch, die Schüler den Eltern gegenüber. Wir Kinder durften zuerst unseren Vortrag halten, dann durften die Eltern sich dazu äußern. 

Auch ich war ein braves, angepasstes Kind. Eins, das nie die Schule schwänzte aus Angst vor dem Vater. Das seine Hausaufgaben zumeist alleine zu lösen versuchte. Eins, das nie Zigaretten auf dem Klo ausprobierte oder von den Stones schwärmte. Meine Welt waren meine Märchenbücher, meine Puppen und all die Geschichten, die ich entweder aufschrieb oder aufmalte. Meine Welt war eine ganz andere - und zugleich dennoch eingefügt in einen Rahmen, mit dem jegliches Anderssein suspekt erscheinen musste.
Dementsprechend hatte ich mich auf diesen Abend vorbereitet, war mein kleiner Vortrag angefüllt mit Begründungen, warum dieser Junge in unserer Klasse keinen Raum haben durfte. Warum er "weg" sollte.

Bis heute erinnere ich mich an den Blick eines Vaters, der mich und die anderen beiden Schüler ansah. Der ruhig, gelassen und zugleich sehr bestimmt unsere Vorträge auseinandernahm und uns den Spiegel vorhielt. 
Der uns bewusst machte, dass ein starkes Team nur dann ein starkes Team sein kann, wenn es auch den Schwächsten trägt. Wenn es zulassen kann, akzeptieren kann, dass nicht einer wie der andere sein muss, nur um respektiert zu werden. Dass nicht jeder auf eine Sonderschule gehen muss, nur weil Charaktere so unterschiedlich sein können - sondern trotzdem einer vom anderen lernen kann. Dass ein Miteinander immer möglich ist. Wenn man nur einander die Zeit ließe - und die Geduld und die Akzeptanz.
Selten habe ich mich je so beschämt gefühlt wie in diesem Augenblick. 
Dieser eine Vater eröffnete zu dieser einen Sache einen völlig anderen Blickwinkel - für mich persönlich eine ganz neue Erfahrung. Eine, die mich bis heute nachhaltig geprägt hat. 

Das ist alles so unglaublich lange her - und doch denke ich noch heute oft an ihn und an seine Worte. An seine Bestimmtheit. Bis heute sind es die schrägen Vögel, die komischen Kauze, die Eigenartigen, die Außenseiter, die es mir angetan haben. Bis heute mache ich mich stark für die, die es nicht selbst können oder nicht wollen - oder nicht gelassen werden.

Wir haben seit einem Jahr einen neuen Mitarbeiter. Als er sich vor einem Jahr bei uns vorstellte, da wirkte er - zugegeben - etwas befremdlich auf mich. Er war laut in diesem Gespräch, er war nervös, er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und legte den Anblick frei auf tellergroße Schweißflecken unter den Armen. Er konnte durchaus zuhören, man sah ihm förmlich an, wie das Gehörte seinen Kopf beschäftigte - und er redete dann einfach drauflos, unterbrach einen, ohne es zu bemerken.
Er war schlichtweg einfach.. aufgeregt. 
Wir haben ihn dennoch eingestellt und für diesen Mann habe ich eine Förderung von ganzen acht Monaten bekommen. Soviel Förderung habe ich bisher noch nie auf einen Antrag hin erhalten. Ob sie gewusst haben, warum? 

Inzwischen ist es so, dass kaum jemand mit ihm arbeiten möchte. Er ist nicht laut, er ist leise. Er spürt jede Schwingung, er spürt jede Sympathie und jede Antipathie. An Gesprächen am Mittagstisch beteiligt er sich nur sehr selten - und wenn, dann nur kurz. Die Aufgaben, die er macht, sollten ihn eigentlich unterfordern - und vermutlich tun sie es auch. Er erledigt sie dennoch - und zumeist fehlerbehaftet. Er fragt nur wenig. Er macht eben einfach drauflos. Selbst wenn man ihn auffordert, die Arbeit nochmal gegenprüfen zu lassen - entweder vom Projektleiter oder einer Büroangestellten - er macht es nicht. Versendet fehlerhafte E-Mails, fehlerhafte Ausschreibungen.

Er ist einer der ganz wenigen, die jeden Morgen das Büro betreten und freundlich grüßen.
Die abends das Büro verlassen und sich freundlich verabschieden. Er lächelt immer, wirklich immer, wenn er einen anschaut oder etwas fragt. Seine ganze Körperhaltung, jede Bewegung von ihm drückt Unsicherheit aus. Und wenn ich mir seine Zeugnisse durchlese, dann bekomme ich eine Ahnung davon, was er in all den Jahren zuvor erlebt haben muss. Viel Gutes in jedem Fall nicht. 

Er ist jetzt ein ganzes Jahr bei uns. Die Antipathie der meisten Kollegen erhebt sich gerade zu einer Front gegen ihn. Und das auch nicht offen. Das geschieht hinter seinem Rücken. Ich bin mir sicher, er weiß es. Ich bin mir sicher, er spürt es. Desto stiller wird er. Desto mehr zieht er sich zurück. Desto weniger fragt er. Ob er meint, beweisen zu müssen, dass er es kann? Ob er deshalb alles allein macht, wenig fragt und dann Sachverhalte das Haus verlassen, die besser so nicht rausgegangen wären? Vermutlich sollte er es besser können - nach einem Jahr bei uns und mit seinem Diplom in der Tasche. Tatsache ist aber auch, dass man diesem Mann bisher kaum eine Aufgabe zugeteilt hat, an der er wachsen kann. Er ist jemand, der hineinwachsen muss. Der Routine braucht, um hineinfinden zu können. Der lernen können muss. 
Aber kann das funktionieren, wenn man einen Menschen wie einen Kegel auf verschiedene Plätze zu verschiedenartigen Aufgaben schiebt, die Sechs würfelt und ihn losschubst? 
Er hat ein Potential, da bin ich mir wirklich sehr sicher. Ich möchte ihn nicht aufgeben und auch nicht hergeben. Ich möchte, dass er uns zeigt, wo seine Stärken liegen. Da gab es schon eine Idee und es gab schon einen Plan - nur umgesetzt wurde dieser noch nicht, und das ist nicht seine Schuld. 
Also stelle ich mich gegen die Front, suche das Gespräch mit meinem neuen Chef - und spüre: Ganz so verschlossene Türen laufe ich wider Erwarten da nicht an. Das gibt mir Hoffnung - und ein Gefühl der Erleichterung. Dass dieser neue junge Chef Entwicklungen sieht und nicht nur das, was der Mitarbeiter nicht kann.

Heute Abend war so ein Abend, an dem ich an jenen Vater meiner Schulfreundin denken musste. Wie dankbar ich für diesen Elternabend vor so langer Zeit bin, für diese Erfahrung, für das, was ich daraus für mich mitnehmen konnte.
Er hat sich das Leben genommen, irgendwann nach jenem Abend.
So wie seine Tochter gut zwanzig Jahre später. 

Das Leben ist ein Mysterium, irgendwie.

Dienstag, 6. August 2024

Augen zu und durch

Heute habe ich überraschend einen dritten freien Tag. Die Technik ist schuld - und irgendwie war und bin ich noch immer ziemlich erleichtert darüber. Schon vergangenen Freitag hieß es, es gäbe ein recht großes Problem beim DSL-Anbieter - und alle aus dem Home Office können sich via VPN nicht einwählen. Aber Freitag und Montag hatte ich mir freigenommen. Ertappte mich aber heute Morgen dabei, dass ich den Laptop aufklappte und dachte: "Bitte geh nicht. Bitte geh nicht. Bitte geh nicht." Und dann stand es da "Access denied" und am liebsten hätte ich da vor Freude getanzt - wäre ich nicht so komplett müde gewesen. Ins Office vor Ort zu fahren, ging - oh wie schade! - heute nicht. Der Mann war heut unter Narkose einer kleinen OP unterzogen worden - und meine Aufgabe war nicht nur, ihn heil wieder nach Hause zu bringen, sondern auch dafür zu sorgen, dass es ihm dort gut ging. Das tat ich auch sehr gern - allerdings nur bis zu dem Moment, als die Narkoseauswirkungen sich wieder verflüchtigt hatten und der Mann begann, sich über verschiedene Dinge zu mokieren.

"Warum stehtn das Bügeleisen noch hier? Brauchst du das noch? Wieso räumst du es nicht gleich weg?"

"Warum lässt du die Balkontür offen, wenn du Wäsche aufhängst? Mach doch die Tür inzwischen zu."

"Musst du diese Sendung jetzt gucken? Ich wollt mich eigentlich ein bisschen aufs Sofa legen."

Tja. Wenn Ihr mich fragt, da hätte die Narkose ruhig ein bisschen deftiger ausfallen und der Mann gut und gern bis abends durchschlafen dürfen. Aber nach mir gehts ja nicht. Also tief Luft holen, nix sagen, einfach die Sendung ausknipsen, Essen zubereiten. Scheiß doch auf den freien Tag, den ich nicht nach meinem Gusto genießen kann. 

"Biste jetzt sauer oder was?"

Solche Fragen liebe ich ja immer ganz besonders. Die hab ich zum Fauchen gern. Wieso sieht er immer nur, was für ihn nicht passt? Wieso sieht er stattdessen nicht, dass beispielsweise die Wohnung aufgeräumt und angenehm kühl ist, die Wäsche gewaschen und aufgehangen, die Bügelwäsche sortiert und frische Bettwäsche aufgezogen ist? 

Am letzten Wochenende gabs ja den langersehnten Regen - und das nicht mal zu knapp. Leider hat er nicht die erhoffte Abkühlung mitgebracht. Die hätte allen Gemütern vermutlich ganz gut getan ;)

Links neben uns wird gerade noch ein Haus gebaut. Damit ist unser Viereck bis auf eine kleinere Lücke fast geschlossen. Was sicherlich nicht nur wir bedauern. Im letzten Jahr war es immer schön frisch draußen auf dem Balkon. Es war fast wie zu Hause am Meer: Eine Brise ging immer, leicht oder etwas mehr als leicht. Inzwischen sind vom neuen Haus vier Etagen fertiggebaut, zwei sollen noch kommen. Was zur Folge hat, dass uns in diesem Jahr fast alle Pflanzen und Blumen regelrecht "verbrennen". Deren Erde ist feucht, doch die Kelche und Blätter werden braun, auch wenn sie noch jung sind. Nach und nach haben wir sie in die Wohnung geholt, die meisten rechtzeitig. Wenn der Mensch doch nur mal aufhören würde, jeden freien Flecken zuzubauen. Mit Asphalt und Beton zu versiegeln. L war mal bekannt dafür, eine baumstarke Stadt zu sein. Inzwischen bin ich mir dessen nicht mehr so sicher. Kann man sich stattdessen nicht mal um all die leerstehenden Häuser kümmern, die es hier ja immer noch gibt? Die sind nicht so verkommen, dass ein Umbau nicht lohnte. 

Aber heute.. heute bin ich zu müde für Dialog oder Diskussionen. Heute will ich einfach nur meine Ruhe haben. Braue mir jetzt noch ein Käffchen und warte auf den Abend und die Kühle der Nacht. Früher fürchtete ich mich vor den Nächten. Heute liebe ich sie. Früher liebte ich auch den Sommer. Heute lieb ich den Herbst - und warte schon jetzt echt sehnsüchtig auf diese rotgoldenen Zeiten :)

Montag, 5. August 2024

Long time no see

Irgendwie bin ich immer wieder überrascht davon, dass ich überrascht bin, so lange wieder nichts geschrieben zu haben. Zwar lese ich recht regelmäßig und kommentiere hin und wieder auch mal etwas - aber zum selber schreiben fehlte mir einfach wieder die Zeit. Und die Muße. Und überhaupt. Im Kopf formuliere ich so oft irgendwelche Texte - doch ehe ich zum Niederschreiben komme, hat sich alles schon wieder verflüchtigt.

Der Mann sagt ja in letzter Zeit immer öfter: "Du arbeitest zuviel!" Das stimmt vielleicht. Aber ich selber denke, das ist nur die halbe Wahrheit. Ja, das Pensum ist enorm - und seit wir wieder in L wohnen, hab ich hier sehr viel weniger Zeit für mich und auch viel weniger Ruhe im Kopf als zuvor in M. Letztlich aber ist mir bewusst, dass das ein Zusammenspiel aus mehreren Dingen ist. 

In M wohnend, hab ich es genossen, zehn Tage im Home Office zu arbeiten und anschließend für drei Tage nach L zu verreisen. Zwei Tage im Office vor Ort zu arbeiten und am vierten Tag wieder heimzufahren. Vier Stunden lang Musik nach meinem Gusto, nur die Musik und ich in diesem kleinen silbrigen Raum. Jedes Wochenende gehörte uns, es gehörte mir, es gehörte all dem, wonach uns war.

Das ist heute anders. Ich fahre drei Tage in der Woche in das Office vor Ort, bin früh morgens da bis zum Abend, versuche, die Dinge zu regeln und zu bewegen, die vor Ort einfach besser zu handhaben sind als von daheim aus. An den anderen beiden Tagen arbeite ich zu Hause - weil ich mich dort besser konzentrieren kann. Keine Telefone, die permanent klingeln. Keine Fragen Dritter, die permanent an mich gerichtet werden und mich mindestens genauso oft aus meiner Arbeit herausreißen. Der Nachteil des Home Office ist, dass ich in letzter Zeit dann oft bis 19, 20 oder eben auch 22.30 Uhr am Schreibtisch sitze. Termine im Nacken gepaart mit dem Ehrgeiz, selbstgesteckte Ziele auch erreichen zu wollen. Man kann sich an Aufgaben festbeißen, von denen man gar nicht wusste, wie man sie lösen soll - und wenn man dann den roten Faden aufgenommen hat, will man ihn gar nicht erst wieder aus der Hand lassen. Frau kann das auch! :)

Am Wochenende fahre ich ja mindestens einen ganzen Nachmittag zu meinem Älteren. Jedenfalls, wenn er keinen Dienst hat. Der Rest des Tages gehört dem Hausputz. Zum Malen oder sonstigem Kreativen bin ich in der Regel zu müde. So wie ich überhaupt oft müde bin aktuell. Aber hey, es ist einfach auch zu warm in Mittelerde! Ja, es ist Sommer - der darf das. Inzwischen bin ich aber auch in einem Alter angekommen, in dem es mir etwas ausmacht und ich mehr Zeit brauche, um mich zu regenerieren ;) Hab übrigens am Wochenende von meinen beiden Nichten "gelernt", dass alles über 30 schon alt ist. "Sorry, aber nix gegen euch, aber ihr Alten!" hat die eine die Schultern gezuckt. Na Halleluja! Für die Rente bin ich trotzdem noch mehr als zu jung - was übrigens den Mann ziemlich grämt. Er wünschte, ich könnte mindestens gleichzeitig mit ihm aufhören zu arbeiten - aber das wird nix. Lotto spielen wir ja nicht und die äußeren Randbedingungen werden ja eher schlechter als besser. Klar gibts ganz viele Leute, die noch mit 70 Jahren arbeiten gehen wollen - oder müssen. Die auch noch länger arbeiten wollen - oder müssen. Aber ich persönlich möchte das, glaube ich, nicht ausreizen. Nicht, wenn ich nicht muss. Es gibt so einiges, für das ich mich interessiere und zu dem mir aktuell schlichtweg die Zeit fehlt. Genau genommen habe ich für mich nur noch den Sonntag - und das ist nicht nur mir, sondern auch dem Mann zu wenig.

"Ich verbringe mein Leben nur noch damit, auf dich zu warten", beklagt er oft. "Und wenn du mal Zeit hast, bist du meistens müde." Er fühlt sich an seine erste Ehe erinnert, die aus genau diesen Gründen scheiterte. Natürlich möchte ich das nicht riskieren. Also übe ich mich im Spagat zwischen Job, Sohn, Hobby - und dem Mann. Komme kurz vor sieben abends aus dem Büro, rufe ihn von unterwegs aus an, zwinge mich, fröhlich zu klingen und bitte ihn, schon mal den Picknickkorb zu packen, damit wir die gut zehn Kilometer zum See radeln und hineinspringen können.

Es tat tatsächlich nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele unfassbar gut, in den See zu springen. Herumzualbern, fangtauchen zu spielen, die mitgebrachten Brote zu essen und dann flugs auf dem Rad lachend dem heranziehenden Gewitter wieder davonzufahren. Es kostet aber ehrlicherweise Überwindung, abends müde heimzukommen, die Tasche abzustellen und gleich wieder auf das Rad zu steigen nach einem langen Tag, um entweder an den See zu fahren - oder in den angrenzenden Park zu spazieren, um sich dort ins Gras zu legen und den verschiedenen Konzerten zu lauschen. Jedoch für mich.. ist das im Moment alles ein bisschen viel. Gefühlt springe ich von einem Punkt zum anderen, um entweder allen oder aber auch meinem eigenen Seelenbedürfnis gerecht zu werden. Aber wenn ich ehrlich zu mir selber bin... dann weiß ich, dass mein Leben an mir vorüberziehen würde, lebte ich allein. Ich würde vermutlich noch mehr arbeiten, danach etwas essen, etwas lesen oder Medical Detectives schauen, am Wochenende den Sohn besuchen oder beide zu mir nach Hause einladen - und das wärs wohl.. Eat Sleep Repeat - oder so ähnlich. Also bin ich eher doch froh, dass ich einen Mann zu Hause habe, der noch mehr will vom Leben, als nur daheim zu warten und dann einen Abend lang Musik zu hören, vielleicht auch mal miteinander zu tanzen oder in den Sternenhimmel zu schauen. Das ist auch schön und auch wichtig - aber ein bisschen mehr leben im Leben ist eben noch schöner. Wir haben ja nur dieses eine.. Und wie verdammt schnell das vorbei sein kann, das habe ich erst vor etwa sechzehn Tagen erleben müssen. Von einem Moment auf den anderen.. ausgeknipst.. zu Hause herumwerkeln, Übelkeit verspüren, sich hinsetzen und zu denken "Ich glaub, ich brauch einen Notarzt" und dann.. "einfach zu sterben". Schon auf der anderen Seite zu sein, wenn der Notarzt eintrifft. Schon zu lange auf der anderen Seite zu sein, als dass dank des Organspendeausweises auch nur irgendwas noch etwas zu retten sei.. So viel älter als ich war er nicht... Acht Jahre, um genau zu sein.. Da will man doch noch nicht gehen müssen? Einen Tag später hab ich davon erfahren - und wirklich den ganzen Abend geweint. Ich konnte es nicht fassen, einfach nicht glauben. In WhatsApp noch ein Foto von einigen Tagen zuvor, in der Anrufliste vom selben Tag noch das Telefonat. Ich muss gestehen, ich ging nicht immer ran, wenn er anrief - weil ich wusste: Telefonate mit ihm kosten Zeit und Aufmerksamkeit. Doch beim letzten Telefonat ging ich - warum auch immer - ran. Gesprochen haben wir etwa eine Stunde. Sieben Tage später ist er nicht mehr da. Für immer nicht mehr da. Ich hör noch sein Lachen. Und hör noch, wie er sagt: "Na gut! Dann lass ich dich mal weiterarbeiten. Mach nicht mehr soviel." 

Ja, das Sterben gehört zum Leben dazu. Niemand kommt hier lebend raus. Aber warum gehen die Besten so oft zu früh?

Das Leben will genossen werden - ganz oft erinnert der Mann mich daran. Und er hat ja auch recht. Letztlich hoffe ich nur immer, dass mir die Puste nicht ausgeht, wenn ich allem und allen gerecht werden will - und mir selber ja auch noch. 

Vorletztes Wochenende stand er noch weit vor acht vor meinem Bett, schaute auf mich herunter und sagte: "Steh jetzt endlich auf. Der Kaffee wartet!" So lockt man mich eigentlich immer - aber... Ich war einfach so müde und ich fühl mich so irrsinnig wohl in unserem Bett. "Gibts denn keinen Kaffee ans Bett?" streckte ich mich genüßlich. "Das kostet neunundfünfzig fünfundneunzig", schaute er streng auf mich hinunter. Ich überlegte kurz, grinste und schlug dann meine Bettdecke zurück. Er schaute ungerührt und meinte: "Achtundfünfzig fünfundneunzig!" Ich liebe seinen Humor sehr, übrigens :) 

Letztes Wochenende waren nun meine Nichten von der Insel da, beide schon längst erwachsen und eine mit einem, knapp einjährigen Kleinkind. Ein wunderbar pflegeleichtes Kind, das mit Essen, Trinken und einer trockenen Windel glücklich und zufrieden ist. Und das erste Kleinkind, das nicht auf den Mann fliegt, sondern lieber zu mir kam. Das lieber mir die kleinen Ärmchen entgegenstreckte, um an meiner Hand die Wohnung zu erkunden, jeden Raum, jeden Winkel inspizierte und auf jedes energische Nein der Mama oder der Tante mit einem breiten Grinsen zu reagieren, das die beiden ersten Zähne zeigte und dem natürlich keiner widerstehen konnte.

Heute hab ich alle drei wieder zur Bahn gebracht, die überraschenderweise auf die Minute pünktlich in den Bahnhof einfuhr und diesen auch ganz pünktlich wieder verließ. Für den Heimweg wählte ich den Fußweg statt des Busses. Ich wollte Zeit für mich, ich brauchte Zeit für mich. Wollte die Tage Revue passieren lassen - und die Tatsache, dass der Mann und ich jetzt wieder allein zu Hause sind. Er hat da so Antennen... Nicht nur, dass er mich anrief, als ich noch auf dem Heimweg war - er hat auch sein Abendyoga abgesagt mit der Begründung: "Dann haben wir heut Abend mal Zeit für uns ganz allein" - und irgendwie... gefiel mir das dann auch schon wieder ausnehmend gut.



Freitag, 7. Juni 2024

Blocker: Königinnentag

Als ich noch in M wohnte, hab ich jobbedingt meine Jungen in L in überwiegender Regelmäßigkeit alle zwei Wochen besucht. Blieb 3 Tage bei ihnen, bevor ich mich wieder auf den Weg nach M machte.

Seit wir nun wieder in L wohnen (das ist schon wieder über ein Jahr her, ist das zu fassen? Unglaublich, wie rasch die Zeit verfliegt.), besuche ich meinen Jungen mindestens einmal in der Woche. Der Jüngere ist ja schon im letzten Jahr aus- und mit der Freundin zusammengezogen - der Ältere residiert nun in unserer einstigen gemeinsamen Wohnung und hält damit die Erinnerung an vergangene Jahre, gemeinsames Erlebtes aufrecht. Dann bleibe ich einen halben Tag bei ihm, bereite ihm etwas Leckeres zu essen, sortiere die Wäsche, bringe ein wenig Ordnung in diesen Männerhaushalt. 

"Warum machst du das immer?" fragt der Mann beinah jedesmal und weist mich mindestens genauso oft daraufhin, dass ich sowas doch nicht machen muss, der Junge sei doch nun wirklich alt genug. Und mindestens genauso oft antworte ich dann, dass ich das nicht tue, weil ich muss, sondern weil ich es möchte. Wir alle haben jemanden, der mal für uns ein Frühstück, ein Mittagessen, ein Abendessen zubereitet, vielleicht mal etwas einkauft, für uns sorgt, wenn es uns mal nicht so wohl ist oder so. Und der Junge? Er hat niemanden sonst. Und solange das so ist.. Warum soll ich mir nicht Zeit für ihn und für alltägliche Dinge nehmen - und einfach mal etwas für ihn tun, einfach so? Ich weiß, dass der Junge allein kann - aber darum gehts ja nicht. 

Vergangenen Dienstag jedenfalls kehrte ich wieder mal bei ihm ein, mit der kleinen Reisetasche an der Schulter - wie ich das immer handhabe, wenn der Mann für einige Tage verreist. Diese Zeit nutze ich dann, um mir wirklich Zeit zu nehmen. Zu schwatzen, über Gott und die Welt zu ratschen, Filme oder Dokumentationen (natürlich Crime Dokus, was sonst?) zu schauen, zu kommentieren. Irgendwann an diesem ersten Abend klingelte das Telefon und so recht Bock hatte der Junge nicht, das Gespräch anzunehmen. Gleichwohl fühlte er sich emotional verpflichtet, denn es war der Vater, der anrief.

Also drückte er irgendwann auf Annehmen und gleichzeitig auf Lautsprecher, damit der das Telefon nicht auch noch in die Hand nehmen musste. Somit hörte ich auch zwangsläufig die allererste Frage, die der Vater dem Jungen stellte: "Hast du mal was von deiner Mutter gehört?" und der Junge sagte: "Joar, die sitzt grad neben mir."   "Ach so." Dann redeten sie weiter und ich verließ das Zimmer. Dachte so bei mir, wieso der Vater nach mir fragte. Schließlich haben wir schon seit einigen Jahren nichts mehr miteinander zu tun, auch nichts mehr abzusprechen. Wir haben schlichtweg seit diesen Jahren keinen Kontakt mehr, weil wir es weder brauchen und ich auch nicht möchte. Und als ich ihn so reden hörte, dem Klang der Stimme, den Worten lauschte, bevor ich das Zimmer verließ, da wurde mir einmal mehr bewusst, wie unfassbar lange die Trennung zurücklag, wie sehr wir entfremdet voneinander inzwischen sind - und wie sehr ich mich seither selbst verändert habe. Meinem Gefühl nach ist er derselbe Mensch geblieben, er ist wie immer. Was für die meisten Menschen eine Konstante bedeutet, eine Konstante, die auch Sicherheit und vermutlich auch Geborgenheit vermitteln könnte, stellte für mich jedoch nur eine einzige Frage in den Raum: "Wie hab ich das sechzehn Jahre lang ertragen?" Mir wurde bewusst, wie wenig wir miteinander gemeinsam hatten. Genau genommen: gar nichts. Das ist nichts, was man jemandem vorwerfen darf - das tue ich auch nicht. Er ist wie er ist - und für jemanden, der ihn aufrichtig liebt, ist er auch richtig so. Damals, nach der Trennung, habe ich mich oft gefragt, ob ich ihn wirklich jemals wirklich geliebt hatte - oder ob ich nicht eher davon beeindruckt und fasziniert gewesen war, wie sicher er auftrat und sich gab. Wir hatten nach nicht einmal einem Jahr nach unserer ersten Begegnung geheiratet - und gesehen hatten wir uns bis dahin etwas um 8 Wochenenden lang. Noch heute höre ich, wie er damals sagte: "Wenn du zu mir ziehst, dann will ich auch, dass du meine Frau bist, sonst schnappt dich mir noch jemand weg." Zu dem Zeitpunkt war ich zwanzig Jahre alt - und man konnte mir alles vom Fuchs & vom Schwein erzählen. Will sagen: Es war damals unfassbar leicht, mich zu beeindrucken.

Am Mittwoch Morgen saß ich im Büro, öffnete den Kalender und "stolperte" über den heutigen Termin, den mein Mann mir vor wenigen Wochen geschickt hatte "Blocker Königinnentag" - und ich musste unwillkürlich lächeln. Ich weiß gar nicht, wann das begonnen hatte, dass ich für ihn die Königin wurde und er mich manchmal auch so bezeichnet. Dieser Termin in meinem Kalender jedoch.. Irgendwie steht er nicht nur für den Tag, den er uns damit freihalten wollte, nämlich meinem Geburtstag, sondern überhaupt für die so ganz andere Umgangsweise, die ich früher gewohnt war. Als ich mich damals von meinem ersten Mann trennte, kannte ich meinen "Herrn Blau" (Langzeitleser kennen diese Bezeichnung vielleicht noch ;)) noch nicht - aber ich hatte damals eine Ahnung, eine Idee davon, was ich mir für mein Leben wünschte. Mir war vielleicht nicht so hundertprozentig bewusst, was ich konkret wollte - aber in einem war ich mir vollkommen sicher: in dem, was ich nicht mehr wollte. Zu dem Zeitpunkt war ich sehr,  sehr verliebt in einen anderen Menschen. Aber nicht alles im Leben hat seinen Platz, nicht seine Berechtigung - und mit der Zeit, mit den Jahren begriff ich auch, dass diese tiefe Liebe so auch nicht erwidert worden war - in all der Zeit nicht. Ich verstand, dass jemand auch "nur" darin verliebt sein kann, wie er wiederum von jemandem geliebt wird. Dass es gar nicht um den Menschen, also mich, ging - sondern nur darum, was ich ihm vermittelte, was ich ihn fühlen ließ. Klingt grad bisschen kompliziert, aber so empfinde ich es bis heute. Eine Erkenntnis, die damals unglaublich und auch sehr lange sehr geschmerzt hat - doch das ist viele Jahre her und für mich auch seit sehr langer Zeit vorbei. Ich bin so jemand, der Dinge immer verstehen können muss. Manchmal denke ich, vielleicht war das alles deshalb nie wirklich abgeschlossen für mich, vielleicht hatte ich deshalb immer das Gefühl, das war es noch nicht, wir sehen uns nochmal wieder. So ist es ja auch gekommen - und erst da begriff ich es. Ich sah den Menschen genau so  wie er war. Und nicht so, wie ich ihn hatte sehen wollen. Und wenn ich einmal das Wesen eines Menschen und einer "Beziehung" erfasst und verstanden habe, dann kann ich, wenn es die Situation so hergibt, auch damit abschließen. Seither habe ich auch nicht mehr das Empfinden, man würde sich noch einmal begegnen. 

Ich denke, so ähnlich war es auch mit meinem ersten Mann. Ich hab ihn niemals so geliebt wie den Menschen nach ihm. Aber heute weiß ich, dass ich mich schon lange vor der eigentlichen Trennung von ihm gelöst und verabschiedet hatte. Damals hab ich mich nur deshalb so schwer mit einer Entscheidung getan, weil wir Kinder miteinander haben. Und diese Kinder waren damals noch klein. In all den Jahren hatte ich vor allem eines vermittelt bekommen: "Du kannst nichts. Du bist nichts. Du bist ein Versager. Du siehst scheiße aus. Andere Frauen können dies/ das/ jenes besser und machen das besser. Du nicht." Ich habe mir einfach nichts mehr zugetraut - und ich habe mich sehr lange gefragt, ob ich das machen darf. Ob ich gehen darf. Ob ich den Kindern das Zuhause und die Eltern "kaputtmachen" darf. Von den gemeinsamen sechzehn Jahren habe ich mich das neun Jahre lang gefragt. Und ich erinnere mich noch heute sehr daran, wie er in das damalige Büro kam und wir beide raus vor die Tür. Wie wir im Schnee standen, wie ich auf seine Schuhe schaute, tief Luft holte und sagte: "Ja, ich will das so. Es bleibt dabei, ich möchte, dass wir uns scheiden lassen." Es hat mich Überwindung gekostet, einem anderen Menschen, mit dem man trotz allem so lange zusammen war, so etwas zu sagen. Ihm Schmerz zuzufügen. Noch mehr Schmerz zuzufügen.

Es war das Telefonat am Dienstagabend,  das der Sohn mit dem Vater führte, das mich an diese Zeit erinnerte. An die gemeinsamen Jahre. An die Ehe und die Trennungsjahre. Es war der Termin im Outlook am Mittwochmorgen, der mir entgegenblinkte und mir einmal mehr vor Augen führte, wie so sehr anders mein Leben heute ist. So viel unbeschwerter, so viel leichter, so viel liebevoller, so viel zugewandter. Natürlich kracht und funkelt es auch hier - und die ersten Jahre des On & Offs waren alles andere als einfach. Doch all das liegt hinter uns, all unsere Erlebnisse liegen hinter uns - und für all das, was wir heute haben, dafür bin ich zutiefst dankbar. Dankbar auch, dass mein Geburtstag tatsächlich vom Gefühl her ein "Königinnentag" geworden ist. 

Happy Birthday to me. 

Montag, 15. April 2024

B wie Berta

 Und da ist sie nun - die B-Reihe. Hatte dieser Tage überlegt, ob ich die noch aufschiebe, weil mir irgendwie nicht wirklich ein paar passende B-Worte einfallen wollten, zu denen ich mich auch auslassen könnte - aber ich versuchs trotzdem mal.

B wie Berta oder 

B wie berührt

Ich habe mich in all den Jahren, die ich mich kenne und die ich mich am Bruttosozialprodukt des Landes beteiligen darf, immer als einen Menschen in zweiter Reihe empfunden. Die, die im Hintergrund wirken (und würgen). Die, die zuarbeiten. Serviceorientiert, aber immer im Hintergrund eben. Insofern hat mich das wirklich sehr überrascht, als vor nunmehr genau einundzwanzig Jahren jemand, der es gar nicht wissen konnte, weil er MICH doch gar nicht kannte, über mich sagte: "Um die musst du dich nicht sorgen, die ist ein Macher. Die ist stark, die schafft das." Und das in einer Lebensphase, in der ich mich selbst als sehr zerbrechlich empfand - und auch ziemlich in Scherben am Boden lag. 
Man hat ja dann nur zwei Möglichkeiten: Entweder man bleibt liegen - oder man steht auf und geht los.
Ich hatte mich für das Losgehen entschieden. Auch wenn das anfänglich eher einem Humpeln glich - mit xfach verpflasterten Knien. Aber wenigstens ging ich los. Beruflich und privat. Letztlich gab es ja auch gar keine Alternative. Da saßen zu Hause zwei Minderjährige, die darauf vertrauten, dass immer zu essen, zu trinken und anzuziehen war. Und was zum Spielen. Und Schokolade.
Eine scheiß Zeit. Einfach war das nicht. 

Als es vor gut drei Jahren hieß, man habe diese und jene Pläne mit dem Unternehmen und welche Rolle ich selbst dabei einnehmen sollte, hielt ich das entsprechend schlichtweg für einen Witz. Das habe ich wirklich nicht ernst genommen. Doch dann war die Zeit des Umbruchs heran - und mir wurde tatsächlich diese Rolle zugeteilt. Ein Moment, in dem ich vor mir selber Angst bekam. Sollte ich das machen? Konnte ich das überhaupt? Glich das nicht einem Harakiri - oder wenigstens einer Idiotie?
Jetzt könnte man sich denken: Okay, man läuft ein paar Monate oder eben die vereinbarte Zeit von 1,5 Jahren mit, guckt sich was ab und dann schauen wir mal.
Die Realität war und ist aber eine ganz andere.
Stichwort Controlling: Controlling gestaltete sich bisher so, man nahm eine Rechnungskopie, heftete diese in Monat X ab und kontrollierte im Folgemonat, ob das Geld eingegangen war. Was es auch zu 99,9 % war. Ob Projekte im Plus oder Minus abgeschlossen wurden - who cares? Solange für den Inhaber des Ladens am Monats- und auch am Jahresende genug Geld über war, genügte das. Was das bedeutete, anfangs für 8, dann für 10, streckenweise für 35 und aktuell für ca. 25 Mitarbeiter zu sorgen bzw. dafür zu sorgen, dass am Monatsende immer Geld da war, um nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch alle entsprechenden Rechnungen zu bezahlen - das ist eine Verantwortung, von der ich immer dachte: DAS könnte ich nicht.
Und jetzt muss ich es. Ich muss ein Controlling aufbauen; dazu muss ich aber wissen, was ich brauche, wo ich hin will. Basics? Haha. Begleitung? Hahaha. Einarbeitung? *Kreisch!!*
Mir sind Begriffe um die Ohren geflogen, von denen ich noch niemals etwas gehört hatte.
Ich weiß gar nicht, wie viele Nächte ich schlaflos lag. Dieser Druck im Nacken, gemeinsam mit dem neuen jüngeren Geschäftsführer alles zu wuppen, für alles zu sorgen, für alles einen Plan - und ein offenes Ohr für die Mitarbeiter zu haben. Die Contenance zu wahren auch in Momenten, wo es Dir nicht so leicht gemacht wird. 

Und dann dieser eine Moment, wo der Mitarbeiter sich bedankt für die Zuwendung zum x-ten Firmenjubiläum. Der sich Dir und dem neuen GF zuwendet und sagt: "Ich möchte das mal zum Anlass nehmen, Euch zu danken. Dafür, dass ihr das hier übernommen habt, dass ihr das macht. Und ich kann nur für mich sprechen, aber ich finde, ihr macht das beide richtig gut."

Das war dann dieser Moment, wo all der aufgestaute Druck, die schlaflosen Nächte, das Hin und Her mit den Wirtschaftsprüfern, denen Du manches dreimal erklären und belegen musst, die Enttäuschung und der Frust der letzten Wochen und Monate, genau genommen der letzten drei Jahre ihren Tribut forderten. Ich habe ihn angelächelt und dann bin ich gegangen. Es hat mich - ich kann es gar nicht sagen - wirklich sehr berührt. Dieses einfache Danke.
Ich bin in mein Büro gegangen, Tür zu - und dann hab ich geweint. Richtig geweint, so diese Rotz und Wasser-Geschichte. Als der jüngere GF dann zu mir kam, hatte ich mich schon wieder in der Fassung, aber er sah es mir wohl an. 
"Man muss ja auch mal einen schwachen Moment haben dürfen, oder?" 
"Darfst du", antwortete er und lächelte ebenfalls.

B wie Brüder

An dieses Thema habe ich mich sehr lange nicht herangewagt. So schwer es mir im Magen lag, so sehr hats auch weh getan.
Der Mann sagt ja heute immer noch öfter, dass wir wieder zurück nach M gehen sollten.
Ich antworte jedesmal gleich: dass ich froh bin, dass meine Jungen wieder miteinander sprechen inzwischen. Dass ich sehr froh und sehr dankbar bin, dass sie mittlerweile überhaupt wieder an einem Tisch sitzen, auch wenn das nur an unserem Tisch geht.
Was genau der Auslöser dafür war, kann ich nicht mal sagen. Aber dass ich darauf Einfluss hatte, ist wohl unbestritten. Und das macht sich aus der Nähe einfach besser als Hunderte Kilometer weit weg. 
Im ganzen letzten Jahr habe ich ja öfter Gespräche mit dem Älteren geführt. Sichtweisen angehört und aufgefordert, auch mal den Blickwinkel zu wechseln. Und wie oft ich gesagt hatte "Geht nicht in so einem Streit auseinander, man weiß nie, ob man sich wiedersieht." 

Vermutlich aber war es die eigene Erkrankung, die dazu führte, eine andere Haltung einzunehmen. Er hat Symptome an sich festgestellt gehabt, die nach und nach zunahmen und dann immer deutlicher wurden. Dass es so gut und dass es überhaupt behandelbar ist, wussten wir zu dem Zeitpunkt nicht - und das war eine wirklich schwierige Zeit für uns alle. Aber es war eben auch eine Zeit, die die beiden Jungen wieder näher zusammenbrachte. Es ist nicht "alles wieder gut" - aber heute ist es so, dass sie wieder miteinander sprechen, zum Geburtstag oder einem Grillabend an einem Tisch sitzen, dass sie über Game-Chats kommunizieren und der Ältere Geburtstagspräsente heute auspackt, anstatt sie ungesehen im Mülleimer entsorgen zu wollen. 

Die Jungen sind der Hauptgrund, warum wir wieder in L wohnen. Meine Jungen und seine Mama. Vielleicht ist nicht alles so (geworden), wie wir uns das vorgestellt haben. Aber ich bin immer noch sehr froh und sehr dankbar, dass wir das gemacht haben - und wir heute hier sind. 

B wie Bombardement

Vor kurzem habe ich auf Instagram einen Artikel geteilt. Es ging um die 7 Helfer aus allen möglichen Ländern, die im Gaza-Streifen durch Israels Luftangriff getötet wurden. Jemand auf Instagram hatte all diesen 7 Helfern "ihr Gesicht gegeben", hatte jeden einzelnen gezeigt sinngemäß mit den Worten "Vergesst nicht, dass im Krieg alle sterben, vor allem die Unschuldigen; egal woher sie kommen".
Ich habe diesen Beitrag geteilt, weil ich auch heute noch der Meinung bin, dass Israels Antwort auf das Massaker der Hamas mit nichts rechtzufertigen ist. Wie viele Tausende Kinder und Frauen vor allem dort durch das Bombardement Israels sterben. Es ist grausam, was dort geschieht - und ich frage mich: Darf ein Land wie unseres ein anderes so mit Kriegsmitteln unterstützen, wenn das so ein unfassbares, so ein unvorstellbares Leiden hervorruft? Wie lange soll das dort noch so gehen - und wer hilft den Menschen, die dort leben?

Gestern Abend haben wir die Nachricht gesehen von den etwa dreihundert Bombenangriffen des Irans auf Israel. Man kam an keiner Nachrichtensendung vorbei, die das nicht thematisierte. Ich schaute den Mann an und fragte: "Wenn Israel vor zwei Wochen Syrien bombardiert hat - warum haben wir davon nichts in den Nachrichten gesehen? Und wieso ist Israel berechtigt, ein anderes Land zu bombardieren? Und Scholz stellt sich hin und sagt, Deutschland steht bedingungslos zu Israel?"

Bei Instagram hat mir auf das Posting ein Follower postwendend die "virtuelle Freundschaft" gekündigt. Das ist auch so etwas, das ich in der heutigen Zeit nicht verstehe: Es gibt nur eine einzige richtige Meinung?
Es erinnert mich an eine Talkshow zwischen Maischberger und Nuhr, in der er - einst überzeugter Grüner - sagte, dass die Grünenkultur eine Verbotskultur geworden sei. Man habe eben nicht mehr eine andere Meinung, sondern man läge falsch.
So ähnlich hab ich es schon zu Corona-Zeiten empfunden. Wer Dinge und Entscheidungen kritisch (weil nicht logisch) hinterfragte, wurde automatisch zum Aluhutträger, zum Coronaleugner und was weiß ich nicht noch. Meine Furcht und meine Bedenken im Zusammenhang mit der Impfung habe ich heute noch. Und das aus guten Gründen - was MICH betrifft. Ich spreche bei solchen Dingen immer nur für mich, weil alles andere Anmaßung wäre.
Das hat mich eine Freundschaft gekostet. Vermisse ich sie? Nein. Wer so leicht auf mich scheißen kann, dem war ich eh nicht wichtig. 

Ich frag mich trotzdem immer öfter, was in dieser Welt los ist, was mit den Menschen los ist. 

B wie Börse

Es ist schon ein paar Jahre her, da hat der Mann mich überredet, Geld in ETF-Fonds anzulegen. Wird ja oft genug gesagt, dass wir immer weiter fleißig in die Rente einzahlen dürfen, aber immer weniger herausbekommen, weil nicht genügend Jugend da ist, die den Rententopf befüllt - oder eben die Jugend Work-Life-Balance praktizieren möchte und auf Instagram in die Kamera heult, weil ihr niemand gesagt hat, wie wenig Geld man verdient und wie wenig Zeit einem nach der Arbeit noch bleibt. 

Ich kann verstehen, was gemeint ist. Andererseits.. Von ner gut bezahlten Dreißigstundenwoche kam der heutige allgemeine Wohlstand sicherlich auch nicht her.

Aber egal, nicht mein Thema heute. Was mich persönlich wirklich aufregte und ich da nen Hass kriege, ist, dass mir zu Beginn des Jahres vorsorglich erstmal Geld abgeknöpft wurde, weil ich auf mein Depot ja soundsoviel Gewinne erzielen könnte, wenn ich denn verkaufen würde.
Bisschen viel Konjunktiv dafür, dass der Staat sich erstmal Geld einstreicht?
Sicherlich - das soll ja alles wieder erstattet werden, wenn man Verluste statt Gewinne realisiert. Aber ehrlich: Wer soll DAS noch nachvollziehen können? Der Mann hat immer gepredigt: Rühr das Geld nicht an, lass es liegen, irgendwann arbeitet es von allein. Angenommen, ich lasse es jetzt 20 Jahre liegen - und bezahle brav jedes Jahr unter dem Decknamen Vorabpauschale eine Steuer, die ich unter Umständen gar nicht zahlen müsste, weil Gewinne gar nicht realisiert - wer rechnet dann die 20 Jahre zurück und wer soll das noch nachvollziehen können? 
Wenn ich jetzt schon erlebe, dass der Wirtschaftsprüfer mit einem Jahresabschluss überfordert ist und ich ihm eine einzige Position in drei Anläufen erklären muss? Ey, da krieg ich den Hass, wirklich.
Das System sagt: "Sorge selber vor, wir ham irgendwann nix mehr für dich." Und dann sorgt man vor - mit seinem eigenen ersparten, bereits versteuerten Geld - und dann wird weiter und weiter die klebrige Hand aufgehalten, weil man keine Ahnung vom Sparen hat, das Geld millionenfach straffrei verschenkt (googelt mal Scholz und Warburg-Bank) oder auch versenkt (eine Sendung Extra Drei reicht schon für nen ordentlichen Grünstich im Gesicht; aber eigentlich hat man so ein Drama täglich in der eigenen Stadt vor Augen - so wie wir hier: Innerhalb von nur 1 Jahr ganze dreimal !! dieselbe Straße geöffnet, saniert und wieder geschlossen - und das für jeweils x lange Wochen. Da wirste wirklich blöde). 

Mir vergeht da immer öfter die Lust - und am liebsten würde ich mich auf irgendeine Insel verziehen, wo mich alle mal an die Füße fassen könnten. Aber ohne meine Kinder? In einer immer bekloppteren Welt wie dieser?

B wie Bäume

Endlich ist es soweit und vor und hinter unserem Haus stehen die Bäume wieder in ihrer vollen grünen Pracht! Wie ich DAS liebe! Aber am geilsten finde ich, dass jetzt niemand mehr gucken kann, wie ich  nackt und ratlos vor dem Kleiderschrank stehen und grübeln kann :)

Den ganzen Winter über haben wir auch "Spaß" gehabt mit den Raben in all den Bäumen vor und hinterm Haus. Man kann sich das gar nicht vorstellen! Wenn wir mal nachts heimkamen und der Mann mal ordentlich in die Hände klatschte, dann flogen da um die 20 - 30 Raben aus den Bäumen. Obwohl wir so nah an einem Park wohnen, dass man denkt, da hamse doch genug Platz? Aber womöglich ist es denen da zu luftig und entsprechend zu kalt, so dass sie die Wärme zwischen den Häusern bevorzugen. Aber fragt mal nicht, was die für einen Krach machen! Morgens gegen fünf spätestens geht das los - in einer Lautstärke... vom Feinsten.
Kaum ist der Frühling da, sind sie tatsächlich alle weg. Dafür sitzen da jetzt Amseln und so und singen uns was :)

B wie bunt

Es gab eine lange Zeit, da hab ich bevorzugt schwarze Klamotten getragen. Getreu dem Motto von Jennifer Rush "Schwarz macht schlank und sieht geil aus."
Das stimmt zwar - aber es liegt nicht nur am Frühling, dass meine Kleidung immer farbenfroher wird. Vermutlich liegt es doch am Gemüt. Wie ich mich kleide, so fühl ich mich. Meistens jedenfalls. Oder so. Die Grundtendenz dürfte also passen. 

B wie Bauchgefühl

Ich war nie ein Fan von den Ärzten. Das ist einfach nicht meine Musik - bis auf ein, zwei Ausnahmen. Seit neuestem machen die sich ja nun auch stark für die Demokratie. Was ich grundsätzlich immer begrüße.
Aber bei den Ärzten habe ich da ein ganz mieses Bauchgefühl. Weil ich immer an das Konzert denken muss, das damals in Chemnitz gegeben wurde, nachdem ein Chemnitzer dort niedergestochen und tödlich verletzt worden war. Es hieß, es habe einen rassistischen Hintergrund gehabt, weil jener Chemnitzer die "falsche" Hautfarbe gehabt hätte. Spätere Berichte besagten eigentlich etwas anderes - aber ich war nicht dabei, ich weiß es nicht.
Was mich nur echt aufbrachte, war, dass zu einem Konzert, das extra gegeben wurde, um eben genau gegen Hass und Gewalt ein Statement abzugeben - da treten die mit ihrem Song "Bullenschwein" auf. 
Und da hats bei mir aufgehört. 

Also ich muss Euch sagen - B ist irgendwie ein schwieriger Buchstabe ;) Mir fällt da grad nicht wirklich viel dazu ein - aber zumindest hab ich die Themen untergebracht, die mir aktuell bisschen schwer im Magen liegen. Und die Erfahrung sagt ja: Isses raus (ausm Bauch), isses weg. 
Dann freu ich mich doch schon mal auf das C - bei dem ich aktuell noch weniger Ideen habe als beim B :)

Ach doch - ein was fällt mir noch ein:

B wie Bilder

Der Mann liebt ja die Bilder, die ich male. Ihm gefallen sie viel besser als mir. Über Frauengesichter  zu den Bären und zu Hasen und anschließend wieder zu Frauen-/Kindergesichter angekommen, denke ich ja immer öfter: Jeder Mensch hat was, das er gut kann. Der eine singt, der andere tanzt, der eine schreibt, der andere fotografiert... Oder malt. Und irgendwie.. Meine Überzeugung ist, dass man bei allem, das man tut, irgendwie immer ein Stück von sich selbst herzeigt..

Und da es bei mir aktuell eher Kindergesichter/ Kinderfiguren sind... Unlängst las ich dazu mal, dass Menschen immer jemanden suchen, mit dem sie alt werden können - aber eigentlich sollten sie sich
jemanden suchen, mit dem sie Kind bleiben können.

Wenn Ihr mich fragt, finde ich diese Intention weitaus schöner. Lebensfroher. Und vermutlich male ich sie aktuell deshalb so gern. Vor allem, wenn sie lachen. 



Mittwoch, 3. April 2024

A wie Anton

 Oh my Goodness... Schon wieder ist ein ganzer Monat rum, in dem ich nix geschrieben hab, keine einzige Zeile. Und dabei schreibe ich ständig - in Gedanken. Ist fast so wie wenn wir abends auf dem Sofa lümmeln, einen Film schauen und meine Füße in einem Takt wackeln und der Mann missmutig anmerkt: "Da spielt doch gar keine Musik" und ich sage dann: "Doch! In meinem Kopf."

So ähnlich gehts mir mit dem Bloggen. Eigentlich habe ich - gefühlt - jeden Tag Gedanken, die ich noch während des Denkens in das geschriebene Wort "umbaue". Nur tue ich das nicht, weil mir in der Realität entweder die Zeit oder die Muße fehlen. Oder beides. 

So ähnlich geht es mir aktuell auch mit dem Malen. Gerade wenn ich dolle beschäftigt bin, habe ich oft Ideen, von denen ich denke: "Festhalten! Und dann aufmalen, wenn du Zeit hast!" Die Realität ist dann aber, dass ich entweder wie ein toter Frosch am Sofa klebe - ermüdet und ermattet - oder ich besuche jemanden oder ich muss mit dem Mann Gassi gehen, weil der vor lauter Home Officerei rammeldösig wird. Der braucht Auslauf! Aktuell sind wir grad so ein bisschen wie dieses Wetterpärchen: Sie geht rein ins Haus, er geht raus. Bei meinem aktuellen Pensum bin ich echt froh und dankbar, wenn ich mal nüscht machen muss. Einfach nur heimkommen, Schuhe aus, Beine hoch - fertsch. Manchmal brauche ich sogar nicht mal Musik. Einfach nur da sitzen oder da liegen, die Arme ausbreiten, nix denken, nix reden - Stille. Himmlische Stille! Aber nur, solange der Mann noch im Arbeitszimmer vorm PC hockt und Meetings abhält. Kaum sind die zu Ende, geht die Tür auf und dann werde ich gnadenlos zugetextet. Musste heute echt ein bisschen in mich hineinlachen, weil ich so die Vorstellung hatte: Der Mann is wie so n gefüllter Wasserballon - einmal angepiekst, kommen tausende Wörter raus. Nur... Ey... Ich wollte eigentlich ein bisschen Ruhe. Ein BISSCHEN. 

"Bist du grad woanders mit deinen Gedanken?"

"Äh.. ja!"

"Na dann mach erst mal zu Ende, dann reden wir."

Sagt er, geht die zwei Schritte hinüber in den Küchenbereich - und quasselt dann munter weiter. Hm. Öhm. Und wie war das grad noch mit "mach erstmal zu Ende"?

Manchmal denke ich ja, ich bin eigentlich gar keine Frau! Ich meine, ich hasse telefonieren, ich verabscheue Quasselstrippen. Ich bin gerne maulfaul. Aber gut. Mein Schuhschrank und die kleine bescheidene Sammlung meiner Strickjacken und Strohtaschen retten mich dann wiederum vor der Dreibeinigkeit.

Und manchmal, wenn ich Zeit UND Muße zum Schreiben hab, dann ist der Kopf wieder irgendwie total leer. Leergefegt wie die Klopapierregale zu Beginn der Corona-Ära. Heute auf dem Heimweg vom Büro, da dachte ich so bei mir... Geh doch einfach mal s Alphabet durch. Nimm dir immer einen Buchstaben - am besten immer der Reihe nach, sonst verlier ich mich wieder - und denk dir Worte dazu aus, wo du vielleicht was sagen könntest. Hab zwar keine Ahnung, ob und wie das so funktioniert - denn Schreiben auf Bestellung hat ja irgendwie auch noch nie wirklich bei mir geklappt. Aber hey, einen Versuch ist es wert - was kann schon passieren? Im worst case bleibt das Postingblatt halt leer und Ihr hab umsonst hier hergeguckt ;)

A wie Anton oder besser.... A wie:

Aufgegessen

Oh man, heute im Büro gabs Kuchen. Hat keiner bestellt, wollte keiner - gab ihn aber trotzdem. Früher dachte ich immer: Home Office - DAS is gefährlich! Den ganzen Tag lang guckt dir niemand zu, ob du oft in die Küche oder in den Fresskorb guckst. Keiner, der irgendwie mahnend die Augenbrauen hebt und sagt: "Wir müssen aufhören, soviel Süßes zu essen, wir werden zu dick!" und ich bin dann immer leicht konsterniert: "Wen meinste denn mit WIR?" 

Und weils also heute schon wieder unbestellten, aber dafür scheiße leckeren Kuchen gab (Office, Leute, Office is gefährlich! Nicht Home Office - näää, DA gibts Disziplin! Aber im Office, da gibt es immer jemanden, der unbestellt was anschleppt - und unhöflich willste ja auch nicht sein!), hab ich nicht nur meinen eigenen, sondern auch den von der Kollegin aufgegessen, die ihren nicht wollte. Also wird morgen schönes Wetter - und das wäre ja auch mal nicht das Verkehrteste. Ist es nicht herrlich, wie gerade überall um einen rum die Natur "aufplatzt"? Daran liegts, dass ich morgens und abends auf dem Weg ins Büro bzw. auf dem Heimweg meine Lieblings-Playlist abspiele und leidenschaftlich mitsinge. Fast so wie live on stage :)

Aufgehört

Kennt Ihr auch jemanden, den Ihr mal (sehr) bewundert habt? Für das, was jemand auf die Beine gestellt hat, was er bewegt hat, was er erreicht hat - aus eigener Kraft. Ein Mensch, dem der Enthusiasmus quasi aus den Augen sprang? Menschen verändern sich mit ihrem Partner - doch, is leider ganz oft so - und noch tragischer ist es, wenn Menschen sich dadurch nicht zu ihrem Vorteil verändern. Versteht mich da nicht falsch: Man muss nicht immer der Macher sein. Nicht immer der, der weiterweiß. Der den Takt vorgibt. Aber wenn du demjenigen in seine Augen schaust, Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr - und du erkennst: Das Licht, das da mal war, ist erloschen, da ist es nur noch düster und jammerig, dann.. ist das echt wirklich  traurig. Drei Jahre lang hab ich geredet, gekämpft, beschworen, auf die Beine gezogen. Es war letztes Jahr im Sommer, als ich damit aufgehört hab. Komplett. Ich wollte nicht mehr. Kein "Ich kann nicht mehr" - nein, ich wollte nicht mehr. Für Konsequenz bin ich ja nicht unbedingt bekannt - aber hier ziehe ich das seither durch. 

Auch hab ich aufgehört, täglich Nachrichten zu konsumieren. Es macht mir Angst, es wühlt mich auf - und es macht mich rasend wütend. Es verändert mich - aber so will ich nicht sein. 

Angehört

Im Auto meine Lieblingsplaylist. 

Beim Malen meine "Zum Malen"-Playlist.

Mit dem Mann die "Lovely with you"-Playlist. Oder die 80er-Playlist - und dann tanzen wir wie die Bekloppten oder wir singen, wie uns der Schnabel gewachsen ist. 

Die Lebensgeschichten anderer Menschen. Manche davon machten mich sehr betroffen - vor allem die Reaktionen aus deren Umfeld. Manche Menschen haben Abgründe, das kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen. Oder will sich das nicht vorstellen.

Aufgemacht + Aufgehangen

Vor etwa zwei Wochen war ich bei meinem Ältesten zu Gast. Wenn nichts anderes dazwischen kommt, bin ich jede Woche mindestens einen ganzen Nachmittag dort. Dann schnattern wir über alles Mögliche, schauen wir, ob es was zu erledigen gibt - abgesehen von Geschirr spülen, Wäsche waschen und ein bisschen Ordnung machen, damit die vielflügligen Freunde gar nicht erst wieder auf die Idee kommen, sich bei ihm einzunisten. War DAS ein Kampf letztes Jahr! Inklusive Schlupfwespen für satte hundert Euro - und was hats gebracht? Nüscht. Der Zauber war erst vorbei, als wir das Nest gefunden und ausgehoben hatten: die Keksdose vom letzten Weihnachten von der Oma. Die mit den selbstgebackenen Plätzchen. Dose aufgemacht und umgefallen. Das ist nicht nur super eklig, das stinkt auch wie Hubbatz. Hätte am liebsten die Keksdose mit entsorgt - aber das brachte der Große mit dem noch größeren Herzen nicht über eben dieses. Haben also den Inhalt im Hof in den Container entsorgt, die Blechdose geschrubbt und dann nochmal in den Spüler gestellt. Jetzt sind da die Feuerzeuge drin, die er nicht mehr braucht, weil er - HEUREKA - seit dem 5. September 2022 nicht mehr raucht. Dafür nutze ich die jetzt, wenn ich mal wieder ne Duftkerze aufstelle. Ab und zu muss das sein in dieser reinen Männerbutze. 

Jedenfalls hatte ich vor zwei Wochen seine Lieblings-Sweatshirts gewaschen und ob des schönen Wetters auf den Trockner gehangen. Und leider vergessen, dem Sohnemann Bescheid zu geben, die Wäsche nach spätestens zwei Tagen wieder reinzuholen. War ja wundervoll mildes Wetter. Aber eben.. Ich hatte es vergessen - und natürlich hingen die da immer noch, als ich jetzt am Montag bei ihm einkehrte. Und was soll ich sagen: Alle Sweatshirts waren versaut - außer die hellgrauen. Schön ausgeblichen von der Sonne. Schöne Scheiße. 

Aufgestockt

Als wir noch in M wohnten, hat der Mann beklagt: "Schon wieder ein neues Kleid? Du hast doch schon genug. Und außerdem brauchst du im Home Office doch keine Kleider." Als dann irgendwann mal ein Regalboden wegknickte, weil ich  mich etwas zu beherzt aufgestützt hatte, da durftsch mir vielleicht was anhören von wegen "viel zu viel" und so. Stimmt übrigens nicht, aber das verstehen jetzt vermutlich auch nur Frauen.

Hier in L hat er mir nach meinen Vorstellungen ja nun einen Maltisch gebaut. War ja so meine Idee: Arbeitsplatte aus Vollholz kaufen, Beine drunterschrauben - fertig is der Lack. Hat nicht nur den Vorteil, dass er schön lang ist und damit viel Platz für Malzeug bietet, sondern gleich noch ne Ecke mit abfällt für den Laptop und den extra Bildschirm für die Tage, wo ich auch hier im Home Office bin. Als ich mich unlängst wieder mit meiner Kollegin auf ein Date im Künstlerbedarf verabredete, verdrehte der Mann die Augen und mahnte: "Auch DER Platz ist begrenzt!" Öhm. Farben kann man ja irgendwie nie genug haben. Irgendwie braucht man sie alle - je nachdem, was man gerade so vorhat. Bin ja irgendwie ein Fan davon geworden, wie man Materialien so miteinander kombinieren kann - Ölkreiden mit Gouache-Farben, Kreide und Acryl. Zum Beispiel. 

Als ich dann aber so den Maltisch in seiner ganzen aufgestockten Herrlichkeit betrachtete, da dachte ich so bei mir: Nun ja... S wird schon einen Grund haben, dass ich mich auf Postkarten eingeschossen habe und mir größere Bildflächen nicht so liegen ;)

Aufhören

Mir fallen jetzt irgendwie keine Worte mit A mehr ein, woraus ich noch was basteln könnte. Deshalb hör ich jetzt an dieser Stelle auf und wünsche Euch einen schönen Restabend :)

Mittwoch, 21. Februar 2024

Zack - kaputt

Ist das nicht irre? 
Als ich gestern auf den Kalender schaute, um einen Termin gegenzuchecken, fiel mir auf, dass es nun schon wieder ein Jahr her ist, dass wir nach L gezogen sind.
Irre, oder?? Ein Jahr! Wo ist die Zeit nur geblieben?

Ich weiß noch, es war einer der Termine, als ich nach Unterzeichnung des Mietvertrags wieder in L war, die Räume genau ausmessen und so, damit wir schon mal konkrete Ideen aufstellen konnten, wie wo was werden sollte. Mein Jüngster kam mit dazu, weil er einfach mal gucken wollte, wie denn die Wohnung so ausschaut. Kann ich jetzt noch vor mir sehen, wie er durch die nackten Räume lief, die Hände in den Taschen, alles genau inspizierte, einen Blick aus dem Panoramafenster in der Küche warf und dann fragte: "Okay - wann kann ich mit einziehen?"
Hach.
Da ging mir das Herz auf und das Schuldbewusstsein von einst kam wieder hoch. Ich bin ja weggezogen, da war er noch nicht ganz 18. Klar, da sind andere schon dreimal im Ausland gewesen, seit Jahren von den Eltern getrennt, mega selbständig und so n Quark. Meiner nicht. Und meine Lebensphilosophie hatte irgendwie auch gar nicht vorgesehen, die Jungs so früh herzugeben. Mit 20, 21 vielleicht. Aber 17?

Wir sind ja dann auch eingezogen, richteten uns ein und dieses kleine Schmuckstück wächst nach und nach, entwickelt sich. Das Gefühl, in einer Ferienwohnung zu leben, hat sich noch nicht so ganz verzogen - aber es wird besser. Sinniere immer noch darüber nach, woran das liegt, woher dieses Gefühl kommt. Vielleicht, weil wir nicht gewohnt sind, so eine große Wohnung zu haben, die so weitläufig wirkt (jedenfalls im Vergleich zu dem, was wir bis dahin immer bewohnten), alles so offen und großzügig geschnitten? Der Junge hingegen ist ungebrochen begeistert, und er hat sich in den Kopf gesetzt: Sowas wollen wir auch. Wir meint seine Freundin und er. Und jetzt, wo sie mit ihrem Studium fertig ist und beide ein Einkommen haben, von dem der Mann und ich unser halbes Leben lang nur träumten, da könnten sie sich nun auch etwas gönnen. Am liebsten in unserem Viertel. Nicht nur, weil wir da wohnen. Sondern weil es wirklich zu den schönsten der Stadt zählt. Und er mag das ja - diesen Neubaustil. Modern. Klassisch. 
Wälzt die Angebote rauf und runter, vereinbart Besichtigungstermine. Mal ist es ihnen doch zu teuer, mal passt etwas anderes nicht. Ihre Traumwohnung - wenn auch Erdgeschoss - hätten sie in unmittelbarer Nähe zu mir beinah gefunden - fiele der Blick aus dem Schlafzimmer nicht direkt auf die Mülltonnensammlung der Wohnanlage - und der Blick aus dem Wohnzimmer direkt auf das Haus gegenüber. Höchstens zehn Meter entfernt. Der Funke hatte dann schon irgendwie gezündet - aber das Mülltonnengeschwader konnte man sich dann eben doch nicht schönreden. Wird sicherlich auch lustig im Sommer. Keine Ahnung, wer sich so einen Müll (harhar) einfallen lässt. Bei uns sind die Mülltonnen in einem abschließbaren Raum im Haus mit integriert. Finde ich persönlich prima. Haste keinen Ärger mit nix.

Jedenfalls, die Suche des Sprößlings geht weiter - und heute schrieb er mir, man habe sich jetzt noch eine angeschaut, aber die Mieten seien doch recht enorm. Sie seien ja jung und beide Beamte. Da könne man ja eventuell eigentlich auch kaufen. Nur - es gäbe halt keine Neubauten zu kaufen. "Nur eher so Altbau, wo wir eigentlich auch nicht drin wohnen wollen", schrieb er.
Altbau! 
Spontan jauchzte das Herz und der Kopf füllte sich ebenso spontan mit tausenden von Bildern meiner tief verborgenen Leidenschaft für Altbauwohnungen. 
Gekalkte Wände.
Ein Fußboden aus echten Dielen, die wundervoll knarren, wenn man in Stricksocken darüber läuft.
Hohe Wände.
Hohe schmale Fenster, auf deren Bank ich sitzen würde, eine Tasse Kaffee mit beiden Händen halten und hinunter auf die Menschen schauen würde; ihnen zusehen würde. Ein Buch lesen würde.
Hach!
Stuck an den Decken und herrliche weiße Kassettentüren. 
HACH!

"...und hässlichen Bädern und hässlichen Heizkörpern an der Wand!" vollendete der Junge.

Zack - kaputt war der Traum. So schnell kanns gehen :)

Donnerstag, 15. Februar 2024

Ein Mann - ein Wörterbuch

Ihr kennt doch auch all die lustigen Sprüche und Memes über Frauen, die soviel reden, und Männer, die so viel schweigen (würden), oder?
Also ich sags mal so: Heute Morgen hatte ich einen Mann am Telefon. Wir kennen uns nicht, telefonierten das zweite Mal in unserem Leben miteinander und mir war durchaus bewusst, dass er mir etwas verkaufen wollte. Ein Produkt, das ich bisher nur als Testversion besitze und von dem ich nur semi-begeistert bin.
Man sagt mir ja schon seit Jahren nach, ich würde so ein Gefühl vermitteln, mit mir könne man über alles reden, mir alles erzählen.

Es hat heute Morgen jedenfalls schätzungsweise maximal zehn Minuten gedauert - dann wusste ich, dass:

- er verheiratet ist
- zwei Söhne hat - einer 14, einer 18
- der 14jährige leidenschaftlich Basketball spielt und es liebt, wenn Papa den Spielen beiwohnt
- der 14jährig immer noch gerne schmust
- der 18jährige seit 2 Monaten eine Freundin hat, die sich zum Valentinstag eine Rose von 
  Lego gewünscht hat
- Papa diese Rose am Montag in seiner Mittagspause besorgen musste, weil Amazon zu spät liefern würde
- beide Söhne alles bis auf die letzte Minute prokrastinieren
- Papa eine Arbeitszeit von 10 bis 17 Uhr hat 
- Papa den Kuss von der Freundin des Sohnes wollte, weil ja er die Rose besorgt hatte
- Papa den Sohn natürlich nicht verraten hat - und die Ehefrau sowieso interveniert hätte
- Papa heute Morgen eine Abkürzung fahren musste, weil die Söhne wie immer zu spät dran waren -
  und die Abkürzung sich dann als Reinfall entpuppte - weil Stau.

Innerlich habe ich mich köstlich amüsiert und mir vorgestellt, wie der Typ sich anschließend gefragt hat, was um Gottes Willen er da eigentlich alles einer völlig Fremden erzählt hat? Seine halbe Lebensgeschichte - und die so abgespult, dass ich mich irgendwann fragte: "Isser aufgeregt oder isser auf Speed? Oder is der immer so?"

Am Dienstag haben wir nun ein Meeting. Online, versteht sich. Ich glaub, ich besorg mir schon mal Popcorn ;)

Dienstag, 13. Februar 2024

Nett könnte ich auch.

Der Teufel steckt im Detail. Genauer gesagt: im Konjunktiv. Ich könnte nett. Ich kann höflich, auch dann, wenn ich nett könnte.
Heute aber war mal so ein Tag, da habe ich gedacht, entweder springe ich jetzt gleich und sofort quer im Quadrat durchs Telefon - oder ich fange an zu schreien. Letzteres ist nun wirklich untypisch für mich - auch wenn ich durchaus weiß, was leidenschaftlich zu streiten bedeutet. 
Und eigentlich bleibe ich ganz oft gelassen.
Aber heute hatten die mich.
Der Auftrag war im Grunde simpel. Leise und etwas schuldbewusst schob mir der Chef ein Blatt Papier über den Tisch und nuschelte was von "is privat" und "könnteste mir mal helfen."
(Ich übe übrigens immer noch vor dem Spiegel, wie das so funktioniert, dass nur eine Augenbraue hochgeht. Krieg ich nicht hin. Nie. Entweder beide oder keine, da sind sie sich einig, die beiden Gezupften.)
Jedenfalls, nachdem der Chef-Vater im vergangenen Sommer das Zeitliche gesegnet hatte, durften wir uns nicht nur um Bestatter, Schlüsseldienst (man kam nicht ins Haus) und emotionalen Beistand kümmern, sondern auch um alles, was mit Nachlassregelungen und so weiter zu tun hat. 
Und grundsätzlich haben wir ja auch alles geregelt bekommen.
Bis auf diesen Drecksverein von Vodafone.
Schon im letzten Jahr habe ich mir ein ganzes halbes Jahr lang die Nerven abgearbeitet, weil die das einfach nicht auf die Kette kriegten, eine schlichte Adressänderung vorzunehmen. Man kann sich das wirklich und wahrhaftig nicht vorstellen. Aber die Firma hieß eben nicht mehr A, sondern B und neuerdings auch noch mit so nem Kürzel hintendran. Und die saß jetzt auch nicht mehr in A, sondern in B. Eigentlich war alles wie immer. Nur dass A jetzt eben nicht mehr da war, sondern nur noch B.
Klingt verwirrend? Dann seid Ihr vermutlich auch Vodafoner. Sorry. 
Aber letztes Jahr, das gehörte zu unserem Business.
Das heute war Privat. 
Mir wurde ein Kontoauszug vorgelegt, der bewies, dass Vodafone bis zum Dezember einen Betrag abgebucht hatte, den niemand zuordnen konnte. Den Papa konnten wir ja nicht mehr fragen. Die Mama auch nicht. Die ist zwar noch da, aber an ihren guten Tagen erkennt sie allerhöchstens ihren Sohn. Ein Handy besitzt sie demnach seit einigen Jahren nicht mehr.
Da aber der Herr Papa handytechnisch bis zum Umbau der Firma mit im Sammelvertrag des Einzelunternehmens integriert war, konnte es auch nicht sein Handyvertrag sein. Für was nun die Abbuchung? Es gab nur einen Kontoauszug, mit dessen Angaben die Kollegin Ende letzten Jahres eine Kündigung geschrieben hatte. 
Vergangene Woche dann das Antwortschreiben, dass man die Kündigung keinem Vertrag zuordnen könne. Man solle die Kündigung neu einreichen - und dann Vertragsnummer, Kundennummer und Schlüppergröße mit übermitteln. Woher das alles nehmen, wenn man nix hat außer nen Kontoauszug mit Referenznummern von Vodafone, die Vodafone aber nicht erkannte?
Beherzt griff ich also erstmal zum Telefon. Und stand schon da nach schätzungsweise zwei Minuten auf dem Tisch. Mit Haaren, die sich bis zur Decke bauschten. 
Man kommt an dieser verfickten Aurasiricordanascheiße nicht vorbei, wenn Du nicht genau die Angaben eintippst, die Du ja eben nicht hast. Da kannst Du zehnmal MITARBEITER in den Hörer brüllen - wenn Aurasiricordanascheiße nicht will, dann will sie nicht. Und erklärt Dir kurzerhand: "Ich konnte Sie leider nicht verstehen. Wir wünschen Ihnen einen guten Tag und auf Wiedersehen."
Nach einem kurzen reinigenden Gewittersturm wählte ich erneut und gab kühn irgendwelche wilden Zahlenkombinationen vom Kontoauszug und anschließend die Handynummer vom Chef ein. Siehe da - Aurasiricordana verstand mich zwar immer noch nicht und informierte mich auch, dass sie mich nirgends zuordnen könne, aber sie würde mich nunmehr zum nächsten Mitarbeiter durchstellen. 
Nach etwa sieben Minuten unsäglichen Gedudels wurde ich dann erhört von einer wirklich freundlichen Mitarbeiterin, die mir erklärte, ich sei falsch bei ihr, es handele sich doch hier um eine Mobilfunkangelegenheit und sie sei nur für DSL zuständig.
"Interessant, das mit dem Mobilfunk wussten wir nämlich bis eben noch nicht", erklärte ich begeistert und erbat mir die dazugehörige Nummer.
"Die kann ich nicht lesen, weil ich zum Öffnen des Feldes nicht die Berechtigung hab. Ich bin DSL und das hier ist Mobilfunk."
Grandios. Und ich bin die Königin von Zamunda mit einem heute deutlich verkürzten Geduldsfaden.
"Vielleicht könnten Sie mich ja zum Mobilfunk durchstellen, dann kläre ich das mit denen."
Aber ach, ich vergaß. In Zeiten von mobilem Arbeiten kann Frau DSL ja auch aktuell auf den Malediven liegen, nebenbei einen Cocktail schlürfen und im Schatten des Bananenblattes irgendwelche missmutigen Kunden aus Deutschland abwimmeln - da is nix mit Durchstellen.
Wenigstens sagte sie: "Aber ich kann Ihnen die Nummer vom Mobilfunkdienst geben."
Wäre perfekt, hätte ich nicht genau die ja gewählt gehabt.
Egal. 
Wählte ich eben nochmal neu, gab die Vodafone-Kundennummer vom Kontoauszug an, die Vodafone nicht hatte erkennen wollen, nochmal die Chef-Mobilfunknummer - und dann hatte ich einen Herrn am Telefon, der erstmal das Kundenkennwort abforderte. Da denkt man ja: Chef-Mobilfunknummer, also Chef-Kundenkennwort.
"Tut mir leid, stimmt nicht." Chef und ich probierten dann noch ein paar Alternativen - alles nix. 
"Ohne Kundenkennwort kann ich Ihnen keine Auskunft geben."
"Sie haben aber schon verstanden, dass der Inhaber des Kontos, von dem Sie fleißig abgebucht haben, vor acht Monaten verstorben ist?"
"Ja, aber ohne Kundenkennwort darf ich nicht. Aber ich bin hier auch im Businessteam. Vielleicht dürfen die aus dem Privatkundenbereich was sagen, ich kann Sie ja mal durchstellen."
Ey. Der Bananenblattwedler von den Malediven stellte mich dann zur Privatabteilung weiter.
"Der Vertrag wurde doch im Dezember gekündigt."
"Wir wüssten gerne, welcher Vertrag denn das überhaupt ist?"
"Ich habe hier leider keinen Datensatz mehr. Weil, das ist ja alles gekündigt."
"Es hat bisher nur eine Mobilfunknummer des Vaters gegeben, und die gehörte zu einem Rahmenvertrag. Seine Rufnummer wurde zum 02.08.2023 gekündigt, die Bestätigung von Euch habe ich schriftlich."
"Ja, aber dann hatte der Vater eben noch einen Vertrag."
"Genau das bezweifeln wir."
"Das kann sein. Aber den Vertrag gab es und dazu wurden die Gebühren in Höhe von 27,92 auch abgebucht. Alles rechtens."
"Wenn das rechtens ist, dann geben Sie uns doch erstmal die Mobilfunknummer, damit wir selber nachforschen können."
"Ich habe hier keine Daten mehr im Computer, tut mir leid."
Das war dann der Moment, wo ich ganz tief Luft holte, der Dame einen schönen Tag und das Gespräch für beendet erklärte (das ist jetzt die frisierte Variante), dem Chef wutentbrannt sein Privatpapier in die Hand drückte mit den Worten: "Lass es zurückbuchen oder lass es bleiben, aber lass MICH JETZT HIER RAUS!" (das ist jetzt die nett umschriebene Variante) und meine Lieblingskollegin ebenfalls tief Luft holte, eine Milka-Schokoladenwaffel auspackte, mir vor die Nase legte und energisch sagte: "So und du isst jetzt DAS hier!" (das ist die authentische Variante).
Wusstet Ihr eigentlich, dass man Abbuchungen bis zu 13 Monate zurückbuchen lassen kann, wenn man  berechtigte Einwände gegen diese Abbuchung erhebt? Kann ich Euch sagen - hatte nämlich erst letztes Woche ein zweifelhaftes Vergnügen mit den Freunden der GEZ. Natürlich Privatauftrag vom Chef. Die zeigten sich ähnlich serviceorientiert wie Vodafone. 

Jedenfalls, nach der schokolierten Genusswaffel rief der Chef den zweiten Geschäftsführer und mich zu sich, um einige strategische Punkte zu besprechen.
"Denkt dran, es muss alles immer noch wirtschaftlich bleiben", meinte er abschließend.
Worauf ich mir ein Lächeln nicht verkneifen konnte.
"Der, der vielleicht kommt, nimmt den Platz von dem, der jetzt geht. Das kompensiert sich also. Und wenn Du im Mai raus bist, können wir für das Geld noch drei andere einstellen."
Er hat verblüfft gelacht. 
"Du bist aber heute streng mit mir."
"Ne Chef. Nur ehrlich."

Zum Feierabend rief mich dann noch jemand an, mit dem wir beide gut zusammenarbeiten.
Er fragte mich, wie ich denn mit der Prokura zurechtkäme.
"Ich hab Angst vor mir selber", antwortete ich wahrheitsgemäß.
"Ist es jetzt leichter oder anstrengender?"
"Viel anstrengender. Viel mehr Arbeit."
Der andere lachte. Ich auch: "Aber die Arbeit hätte ich vermutlich auch, wenn ich die Prokura nicht bekommen hätte. Also bekomm ich wenigstens Schmerzensgeld. Ach ne, Chef sagt ja immer, es ist Schweigegeld."

Vielleicht wäre ich heute entspannter gewesen, hätte ich vergangene Nacht nicht nur vier Stunden Schlaf gehabt, die dazu auch noch recht unruhig gewesen waren. Trotz des vorangegangenen intensiven Sportprogramms und der anschließenden wunderbaren Entspannung im Körper und im Kopf. 
Diese wunderbare Entspannung in Körper und Kopf hat heute aber auch die kleine runde Schokoladenwaffel geschafft. Ist wirklich wahr. Mein Sportprogramm hab ich trotzdem heute am späteren Abend noch durchgezogen. Doch anstatt mich irgendwann danach in die Decke zu kuscheln und in den Schlaf hinüberzudämmern, liege ich hier im Bett und blogge. Während der Mann hunderte Kilometer weit weg vermutlich längst schnarcht nach dem ausgiebigen Tag auf den Skiern. 
Irgendwas mach ich offensichtlich falsch. 

Jetzt hab ich Appetit auf ein Käffchen. Und in knapp fünf Stunden klingelt der Wecker. 

Einen Bonbon muss ich Euch aber heute noch mitgeben. Wer bei Instagram unterwegs ist, der sucht mal nach PaulBokowski. Wenn Ihr den nicht sowieso schon kennt, ich bin ja eh immer so ein Spätzünder.
Aber über den hab ich heute mega gelacht! Die Story mit den gelben Pullovern, wirklich, ich dachte, ich brech ab. So geil. Oder die Windsor Castle Story. Herrlich!
Diese Art von Humor wirkt bei mir wie eine Kombination aus Sport und Schokoladenwaffel. Schokoliertes Synapsenyoga quasi.
Hättsch vielleicht gestern Abend entdecken sollen.
Paul hat jetzt jedenfalls zwei neue Follower. Meine Freundin und mich. 

Montag, 22. Januar 2024

Aura


Spoiler: Das ist ein Autofahrlied, das muss man richtig dolle laut hören - ist aber nix für Tinnitusgeplagte. Stellte jedenfalls der Mann irgendwann mal augenrollend fest. 

Jedenfalls, heut Morgen in aller Herrgottsfrüh hab ich mich auf den Weg ins Büro gemacht. Ich liebe sie, diese dunkle, noch halb verschlafen wirkende Stunde, in der sich gemächlich ein Auto an das andere reiht, die Menschen geduldig an der Ampel warten (das ist übrigens ein absoluter Unterschied von L zu M; in M wird man gnadenlos angehupt oder gleich die Vorfahrt genommen - eine hektische Stadt ist das) und dann bin ich schon eins-zwo-fix auf dem Highway, kann mich noch entspannter zurücklehnen, die Musik aufdrehen, dass der Sitz vibriert. Die Gedanken treiben lassen. Da denke ich noch nicht an den Büroalltag, meistens jedenfalls nicht. Da denke ich tausend Gedanken, eine kurze Reise in die Vergangenheit, eine kurze Tagträumerei ob der Vorstellung, dass ich gerade eben nicht ins Büro, sondern zum Beispiel vielleicht ans Meer fahren könnte, ein Verweilen in der Gegenwart - und das alles untermalt von diesem Track, der sich mit am beständigsten in meiner Playlist hält, die ständigen Anpassungen unterworfen ist.
Sagte ich schon mal, dass ich Spotify echt liebe? Musikgenuss war nie so einfach wie damit :)

Und dann.. irgendwann auf diesem Weg, da machte es irgendwie Knax in meinem Kopf - so als hätte sich in diesem Augenblick irgendein Knoten gelöst. Ich dachte darüber nach, dass ich ja eigentlich meinen Weihnachtsurlaub gerne noch mal um weitere drei Wochen verlängert hätte, wenn ich denn gekonnt hätte. Vielleicht auch noch länger als diese drei Wochen. Ich fühlte mich einfach so "durch", dass ich dachte, ich komm irgendwie überhaupt nicht mehr auf die Beine. 
Heute Morgen aber.. in dieser samtig dunklen Stunde und den überraschend milden Temperaturen.. da dachte ich mit einem Mal, dass es ganz gut so war und ist, den Urlaub eben nicht verlängert haben zu können. Dass es gut so war, dem Alltag wieder zu begegnen. Mich zu lösen aus dem Gedankenkreisel, aus der emotionalen Berg-und-Tal-Fahrt all der Dinge, die mir das Leben schwer machten. Heute morgen überkam mich irgendwie die Gewissheit, dass ich mich vermutlich noch mehr zurückgezogen, mich noch mehr eingeigelt und damit auch keinen einzigen Schritt weitergekommen wäre. 

Natürlich ist es hauptsächlich die Musik, die mich immer auf die Beine hebt. Aber es tut mir auch gut, morgens so heiß zu duschen, dass sich die Haut noch rot und warm anfühlt, wenn ich mich längst angezogen, die Haare zu einem Knoten gewunden, den Lidstrich gezogen und mit dem Laptop unter dem Arm das Haus verlassen hab. Mich gedanklich auf ganz andere Themen einzustellen. Mich mit anderen Menschen auszutauschen über Gott und die Welt. Mich gedanklich und emotional auf andere Menschen einzulassen. 
Die Sorgen laufen mir nicht weg.
Die Verpflichtungen laufen mir nicht weg.
Aber heut Morgen, so eingereiht, Rücklicht an Rücklicht, die Musik und ich, und dann die Freiheit auf dem erstaunlich leeren Highway, da wusste ich, das tut mir gut. Das ist gut für mich. 
Und ab diesem Moment fühlte ich mich auch wirklich endlich wieder besser.
So ein Gefühl, dass es wieder viel mehr ist als nur zu funktionieren. 
Ich glaub, ich bin wieder da. 



Samstag, 13. Januar 2024

almost one year around


Fühlt es sich nur so an oder verfliegt die Zeit so unfassbar schnell?
Ich ertappe mich dabei, wie ich auf Fragen antworten möchte, dass wir erst im letzten Jahr geheiratet haben. Dass wir erst seit wenigen Wochen von M nach L gezogen sind. 
Dabei werden es schon bald zwei Jahre her sein, als wir für das gemeinsame Ja unterschrieben haben - und noch eher wird es ein Jahr her sein, dass wir hier in L wohnen, uns hier eingerichtet haben.

Bevor die Weihnachtstage begannen, hatte ich mir vorgenommen, endlich meine Steuerunterlagen der letzten drei oder vier Jahre anzufertigen. Endlich die Fotowand kreieren, um der neuen Wohnung mehr von meinem Ich zu verleihen. Mehr Farbe, mehr Wärme, mehr Herzlichkeit. Zum Mut für Farbe an der Wand konnte ich den Mann noch nicht begeistern, aber zumindest stimmte er meinen alternativen Plänen hierfür zu.

Und nun.. Ist mit heute der letzte Tag von drei ganzen langen Wochen Urlaub geendet. Was hab ich von dem erledigt, das ich tun wollte? Nichts wirklich.. Lediglich der neue digitale Ordner blinkt, der mit den wenigen Fotos, die ich dem Mann für unsere Fotowand vorschlug und über die wir uns noch einigen müssen. Aber sonst... Sitze ich hier im Schneidersitz auf meinem Sofa, die Stöpsel in den Ohren, wie so oft in den letzten Tagen, und weil der Mann sich heut Abend schon schlafengelegt hat; ich hör Musik und.. überwinde mich zu schreiben.
Ja, es kostet mich momentan noch immer Überwindung. 
Zugleich fühlt es sich aber auch wieder gut an.

Und wie fühlen sie sich an, diese ersten zehn Monate in unserem neuen Zuhause?
Gib dir Zeit, hab ich mir oft gesagt, du warst acht Jahre fort.
Zurückgekehrt bin ich an den Ort, wo ich zuvor etwa fünfundzwanzig Jahre gelebt hab. Vieles hat sich verändert - und irgendwie doch nicht verändert. Dennoch fällt es mir irgendwie schwerer als angenommen, mich hier wieder einzugewöhnen. Mich auch in die neue Wohnung einzugewöhnen. Es liegt wohl wirklich hauptsächlich daran, dass ihr eben noch.. meine "Seele" fehlt. Es ist noch nicht "meins", ich bin einfach noch nicht fertig. Und ist es ja nicht auch gerade das Schöne daran, dass man so langsam hineinwächst, über die Zeit hin gestaltet, verändert? 
Dafür entdecke ich immer wieder etwas Neues, das mir gefällt, das schön ist. Diese vielen kleinen Dinge, die es für mich ausmachen. 
Im Gegenzug bittet der Mann immer öfter: "Lass uns zurückgehen."
Manchmal sagt er das so oft, dass ich mich beginne zu fragen, ob das alles richtig so war. Ob wir überhaupt alles richtig so gemacht haben. München war nie als Endlösung gedacht. Es war immer sicher, dass es nur eine Lösung auf Zeit sein würde. Auch wenn ich mich überraschend schnell eingewöhnt hab. Auch wenn es bis heute Dinge gibt, die ich vermisse. Auch wenn überhaupt nicht klar ist, ob sich der Traum vom Meer eines Tages erfüllen lässt. 
Aber was, wenn er hier nicht mehr glücklich werden kann? Was, wenn das Heimweh und seine Sehnsucht nach den Bergen zu groß werden?
Was, wenn ich nicht wieder mit zurückgehen möchte, weil ich hier noch eine Aufgabe zu erfüllen hab?
Was, wenn ich nicht wieder mit zurückgehen möchte, weil München nicht mein Lebensmittelpunkt ist für den Rest meines Lebens?
Manchmal kann ich spüren, wie mir die Flügel erlahmen, wenn er gereizt, genervt auf Dinge reagiert, über die wir normalerweise lachen. Wie hilflos ich mich fühle, wenn er sagt, dass wir nie von München hätten fortgehen sollen. Dann hab ich mich auch schon ertappt dabei zu sagen: "Dann machen wir es so. Du gehst zurück und ich suche mir hier eine kleine Wohnung."
Darauf ist der Mann nicht eingegangen, kein einziges Mal. 
Wieder ein Leben auf Distanz führen - wollten wir das überhaupt wirklich? 
Die Bedingungen haben sich verändert - wir können, wenn wir das wollen, öfter von zu Hause aus arbeiten. Wären nicht mehr so angestrengt und gestresst wie noch vor neun Jahren, als wir erst am Ende einer langen, arbeitsreichen Woche die Reise zueinander antreten konnten. 
Aber könnte uns das retten?
Oder würden wir uns viel mehr an dieses Leben auf Distanz gewöhnen - und uns voneinander entwöhnen? 

Gib ihm Zeit, sage ich mir im Gegenzug öfter. Er war sehr viel länger von hier fort als ich. Und im Gegensatz zu ihm bin ich ein Zugvogel.. Ich kann mich überall dort niederlassen, wo ich mich wohlfühle.. Und zumindest eine ganze Zeitlang dort verweilen. So lange, bis es mich wieder weiterzieht...
"Du hast viel mehr Leichtigkeit als ich", hat der Mann heut Abend zu mir gesagt. Und mich dann angeschaut, weil ich darauf nicht geantwortet hatte. 
Er hat schon recht. Auch wenn es sich momentan so anfühlt, als wären meine Flügel immer noch lahm irgendwie. Immer, wenn ich aufatme oder das Gefühl hab, dass alles schön so ist wie es ist, kommt jemand oder irgendwas, das mir ein neues Gewicht an die Flügel hängt. Eine komische Zeit ist das. 

Montag, 8. Januar 2024

Einatmen - Aufatmen


Ich hab mir immer einen schönen Holztisch gewünscht, um den ich mit der Familie, mit Freunden sitzen würde. Wir würden Gläser auf den Tisch stellen, etwas zu trinken, etwas zu essen. Wir würden reden, lachen, an Sommerabenden die große Tür zur Terrasse öffnen, um die letzte Wärme des Tages in das Haus zu lassen. Musik würde im Hintergrund durch den Raum perlen, ich würde mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht schieben und lächeln.. Dankbar sein für den Moment, für den Augenblick - und für die Menschen, die diesen mit mir teilen.

Solange ich denken kann, hatten meine Eltern einen großen Tisch in ihrer Küche. Daran wurde gefrühstückt, zu Abend gegessen, am Wochenende zu Mittag. Es wurde dabei über alles mögliche geredet. Über den Tag, über die Ereignisse, über Sorgen und Probleme - und über die Höhepunkte des Tages oder der Woche. Es wurden Pläne geschmiedet oder welche verworfen.
Später, als die Brüder schon ausgezogen waren, da kamen sie immer vorbei, kaum dass die Mama den Wasserkessel auf den Herd gestellt hatte, um Kaffee zu kochen.
"Als würden sie es riechen", hat sie immer gelacht.
Und dann wurde gemeinsam ein Käffchen getrunken, über dies und jenes geratscht - und dann ging jeder wieder seiner Wege. 
Ich hab mir immer einen solchen Familientisch gewünscht.

Heute, in der Mitte meines Lebens, da haben wir so einen Tisch. 
Noch immer denke ich an die Zeilen von Anonym aus dem Kommentar zu meinem letzten Post:
"Vielleicht hat sich das mit dem Umzug und der beruflichen Verantwortung und Mehrbelastung auch nicht das erfüllt, was Sie sich wünschten."
Ich habe diesen Satz mehrfach gelesen, ihn hin und her gewendet, von verschiedenen Seiten betrachtet. Und wenn ich so darüber nachdenke... 
Weniger im Home Office und mit mehr Präsenz im Büro - daran muss ich mich noch immer gewöhnen. Morgens sehr viel eher aufstehen, abends durch den Berufsverkehr nach Hause schlängeln, müde sein..
Dem Mann zuhören, der sich wiederum an die Stille des Home Office gewöhnen muss. 
Dem das Heimweh in der Seele brennt.
Und dann war da auch immer diese Idee, diese Vorstellung in meinem Kopf: "Wenn die Jungen erwachsen geworden sind, ihr eigenes Zuhause haben, dann wohne ich ganz in ihrer Nähe und dann kommen sie immer mal vorbei. Vielleicht nach der Arbeit, vielleicht vor der Arbeit, vielleicht mal auf einen Sprung am Wochenende."
Die Realität ist, dass der Jüngere viel zu oft keine Zeit hat. Wir wohnen seit zehn Monaten wieder in L - und ich habe ihn in all der Zeit wohl um die vier- oder fünfmal gesehen. Nein, ich dränge ihn nicht, mahne ihn nicht, bettle ihn nicht. Ich weiß, dass er gern öfter hier wäre - und ich weiß, dass er sich so schon zwischen den Welten zerreißt. Und dem Älteren.. dem fehlt die Energie.
Lange Zeit nahm ich an, es sei der Tribut dessen, einen Vollzeit- und einen Minijob zu haben. Lange Zeit dachte ich, er sei das lebende Beispiel dafür, was es mit einem Menschen macht, der zuviel allein ist. Lange Zeit vermutete ich, den einen quälen Depressionen, weil er zuviel allein ist; und der andere bekäme langsam Depressionen, weil er zu wenig allein sei.
Dabei zusehen zu müssen, hat mich innerlich fast zerrissen.
Und dann stellten sich beim Älteren Symptome ein, die ich anfangs nicht miteinander verband. Sie kamen schleichend, und dann wurden sie immer deutlicher. 
Wirklich Angst wurde mir, als die Sprache undeutlich wurde. Darauf reagierte ich sofort. 
Diese verschiedenen Verdachtsdiagnosen, von denen eine innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit ausnahmslos zum Tod führt, entzog mir von einem Moment auf den anderen den Boden. So viele Tränen in mein Nachtkissen, so viele stummen Gebete zu wem auch immer und mit diesem Wunsch: "Nicht er, bitte, nicht er. Dann lieber mich."
Ein so tiefer Fall, ein so tiefer Schock, dass ich - auch wenn ich längst weiß, dass sich keine dieser schlimmen Diagnosen bestätigt hat, sondern die Lösung sehr viel "einfacher", weil - wenn auch auf Lebenszeit - behandelbar ist - mich bis heute nicht wirklich davon erholt hab.

Die Zeit um Weihnachten, die Tage danach... Hab ich gelebt, hab ich geatmet, hab ich gegessen, getrunken, geschlafen? Ich weiß es nicht mehr. 
Mein Kopf war so leer, meine Seele war leer. Die einzige Energie, die ich aufbringen konnte, war die, meinen Jungen zu Terminen zu fahren oder zu begleiten, für ihn zu sorgen. 

Der eigentliche Plan hatte vorgesehen, die Zeit zwischen Weihnachten und dem 7. Januar mit Weihnachtsfilmen, heißer Schokolade oder heißem Kaffee in Flanellhosen und mit Stricksocken der Mama zu füllen, mich auf dem Sofa zu fläzen, endlos ausschlafen und dem süßen Nichtstun zu frönen. Freunde besuchen oder einladen. Puzzeln. Malen. Lesen. Sowas vielleicht - oder vielleicht auch gar nichts von all dem.
"Was willst du mit zwei Wochen Urlaub machen?" hatte der Mann gefragt und ich hatte die Augenbrauen gehoben: "Ich versteh die Frage nicht."
Wieso machen? Ich wollte genau NICHTS machen. Nicht gefordert werden. Nicht gefordert sein. Nur.. ich sein. Me-Time nennt man das wohl heute. 




Die Realität ist, dass ich nichts von meiner eigentlichen Vorstellung umgesetzt habe. 
Die Realität ist, dass ich kurzfristig an die geplanten zwei Wochen Urlaub eine dritte Woche angehangen habe.
Und langsam, so ganz langsam spür ich meine Energie wieder. Meinen Tatendrang. 
Es ist, als hätte ich vor einigen Wochen die Luft angehalten... und könnte so langsam wieder aufatmen. Frei atmen. 

Mit 2023 habe ich inzwischen meinen inneren Frieden machen können. Nichts ist so schlimm gekommen wie es klang. Und das Wichtigste: Die Jungen sprechen wieder miteinander. Sitzen wieder gemeinsam am Tisch. An unserem Familientisch.
Für 2023 war das hier mein wichtigster Erfolg. 
Aber ich bin froh, wirklich froh, dass das Jahr vorbei ist. Es hat an mir geklebt und mich beschwert. 
Für 2024 habe ich keine Vorstellung und keine Vorsätze. 
Ich hab nur die Hoffnung, dass es irgendwie wieder leichter wird.