24 Jahre, die wir miteinander gelacht, geweint, gelitten, gefreut haben, 24 Jahre, die echt nicht immer leicht waren und die wir uns auch nicht immer leicht gemacht haben.
Davon wussten wir beide noch nichts, als ich Dich auf die Welt brachte nach gut 28 Stunden Wehen. Du wolltest wohl einfach noch nicht auf die Welt kommen und die Schwester verpasste mir rechts und links Spritzen in die Hüften und verließ mit den Worten: "Na das dauert jetzt noch" den grüngekachelten Kreißsaal. Die ließen mich da echt ganz alleine liegen, nach 28 Stunden Wehen, 28 Stunden ohne Essen und Trinken und dann spürte ich, dass Du Dich auf den Weg machtest. Die Schwestern kamen ganz entspannt zurück, so recht glauben wollten sie mir wohl nicht, doch es war wirklich soweit, endlich. Sie haben Dich mir nicht mal gezeigt, das war damals nicht so üblich, sie nahmen Dich erst mal mit, Waschen, Messen, Wiegen, Anziehen und erst nach über einer Stunde bekam ich Dich das erste mal zu sehen und das erste, was ich dachte, war: "Huch... Der sieht ja aus wie mein Papa, nur in Miniatur!"
Du warst immer ein sehr neugieriges, wissbegieriges Kind, Du wolltest alles verstehen, alles wissen, Du hast viel gefragt und Du hast oft schneller gedacht als Du sprechen konntest. Du warst zwei Jahre alt, da kanntest Du alle Autos auf der Straße, Du bist manchmal fast druntergekrochen, um Dir alles genau anzugucken. Bis heute sammelst Du Miniaturautos, bis heute ist die Faszination Auto für Dich ungebrochen. Schnell und exklusiv sollte Dein Traumauto sein, immer schon. Auf den Straßen konnte es Dir nie schnell genug gehen und Du hast immer gesagt: "Jetzt überhol doch, warum überholst du den nicht?" Du wolltest immer der Erste sein. Du warst ja irgendwie auch.. der Erste. Das erste Kind, das erste Enkelkind in der großen Familie und alle waren ganz närrisch nach Dir. Deine Omas waren ganz verrückt nach Dir und Dich hat sehr mitgenommen, als Du mit vier Jahren eine Oma verloren hast. Sie starb im Krankenhaus und als Du ein halbes Jahr später selber ins Krankenhaus musstest, da haben sie Dich zu fünft festgehalten, um Dir einen Zugang legen zu können. Ich habe genauso mitgeweint wie damals, als sie Dir die Platzwunde am Kinn nähen mussten. Und dann lagst Du ganz still da, ein kleines zartes Kind von vier Jahren, Du starrtest an die Zimmerdecke und sagtest: "Jetzt muss ich auch sterben. Und wir sind doch immer so schön nach R. gefahren." Da habe ich wahnsinnig angefangen zu weinen und Dich ganz fest in meine Arme genommen und die Ärztin hat uns angeschaut und gesagt: "OK, Frau Ziggenheimer, dann bleiben Sie mit in der Klinik, bis wir wissen, was Ihrem Jungen fehlt."
Du warst fast sechs Jahre alt, als Du einen Bruder bekamst und Du kamst am Abend nach der Geburt ins Zimmer gestürzt, betrachtetest Deinen Bruder und hast gerufen: "Ooaarr ist der niedlich! Bitte versprich mir, dass wir den mit nach Hause nehmen!" und ich hab gelacht und Dich gedrückt: "Na was meinst du denn, wo wir deinen Bruder sonst lassen?" Am Anfang warst Du begeistert davon, einen Bruder zu haben. Als er Dir Dein Spielzeug wegnahm, fandst Du ihn nicht mehr so toll und als nicht mehr alle Aufmerksamkeit auf Dir lag, sondern sich mit dem Bruder teilte, wurdest Du eifersüchtig. Geliebt aber hast Du ihn immer, bis heute.
Ach was habt Ihr Euch gestritten und auch gehauen, wenn keiner hingeguckt hat, und manches Mal dachte ich, Ihr wärt vielleicht doch wie Feuer und Wasser. Inzwischen hast Du akzeptiert, dass er nicht mehr der "kleine" Bruder ist - und jetzt ist es einfach nur noch schön, Euch beide zusammen zu erleben. So wie heute Abend beim Essen im Lokal. Wir Drei an einem Tisch. Und während wir reden und klönen wie lange nicht, warten wir ungefähr eine Stunde auf das Essen. Du warst so hungrig, dass Du am liebsten gleich zwei Riesenpizzen bestellt hättest, doch der Kellner brachte Dich dazu, erst mal nur eine zu nehmen.
Seit Deinem fünften Lebensjahr hast du gut gegessen, vorher ging es nur recht und schlecht. Heute bist Du 194 cm groß und sehr schlank und ich beneide Dich darum, was Du alles essen kannst und darfst.
Du warst immer ein sehr sensibles, liebevolles Kind und Du hast Dich oft zurückgesetzt gefühlt. Noch heute quält mich, was ich alles versäumt habe und wie wenig Zeit ich mir damals genommen habe, um auch Dir in allem gerecht werden zu können. Wenn mein Tag um 3.30 Uhr morgens begann, war alles auf die Minute genau durchgeplant, nichts durfte schiefgehen und irgendwas hattest Du immer... So wie Du mir 5.45 Uhr erklärtest: "Ich muss heute eine Maske mitbringen, für den Deutschunterricht, da gibt es eine Note drauf."
Und wir habens hingekriegt, innerhalb von 10 Minuten diese Maske fertiggehabt, damit wir 6 Uhr aus dem Haus konnten... 6.30 Uhr musste ich anfangen zu arbeiten, vorher musstest Du in den Hort. Schon Deine Kindergärtnerin hatte leise kritisiert, dass ich Dir zuviel abnehme, dass Du vieles bereits selber könntest und ich zog immer nur entschuldigend die Schultern hoch: "Ich habe nicht die Zeit zu warten, ich muss halb sieben im Büro sein, sonst gibt es Ärger." Daran hast Du Dich sicherlich gewöhnt: dass ich immer da bin und alles mache. Trotzdem seh ich noch heute, wo ich NICHT da war, obwohl ich da war, und das zerreißt mich bis heute.
In einem war ich mir immer sicher: Du wirst Deinen Weg gehen, Du wirst Deine Sache schon machen.
Mit drei Jahren diagnostizierte man bei Dir schwere Epilepsie, mit neun Jahren stellte sich heraus, dass es gar keine Epilepsie war, sondern "nur" frühkindliche Anomalien, "wie sie bei jedem zweiten, dritten Kind vorkommen, aber das wissen nur die wenigsten, weil nur die wenigsten Eltern Auffälligkeiten feststellen", wurde mir damals in der Uniklinik gesagt. Du warst gerade eingeschult, als der Neurologe meinte, Du dürftest die Schule gar nicht besuchen, Du seist komplett überfordert. Komisch, dass der das so sah - und Deine Lehrer nicht... Deine Realschule hast Du mit Drei abgeschlossen, die Elektronikerausbildung ging holprig, weil Du noch zu verspielt und verträumt warst, und obwohl hier die Lehrer meinten: "Lassen Sie ihn abbrechen, er schafft das nicht, er versteht gar nicht, worum es geht", da sagstest Du: "Ich werde das zuende machen, ich schaffe das" - und genauso kam es dann auch. Du wusstest schon lange vorher, dass Du den Job nicht machen würdest - aber Du wolltest wenigstens zuende bringen, was Du angefangen hast. Dann suchten wir die Alternative, obwohl alle Welt auf Dich einredete, Du solltest lieber arbeiten und Geld verdienen - denn einen Arbeitsvertrag bot man Dir an. Ich habe Dich bestärkt darin, Deinen eigenen Weg zu finden, denn nur ein Job, der uns Spaß macht, kann uns auch erfüllen.
Du hast Deinen Führerschein gemacht und wenn Du am Steuer sitzt, kann ich neben Dir einschlafen, weil ich weiß: Du fährst gut. Man hält Dich immer für zu weich und nachgiebig, aber von dem, was Du auch wirklich willst, weichst Du nur selten ab und lässt Dich nicht beirren. Du handelst nur sehr selten entgegen Deiner eigenen Überzeugung und im Umgang mit anderen hast Du Dich wunderbar entspannt. Du liebst seit sieben Jahren ein Mädchen, das sich einen anderen genommen hatte, weil Du zu schüchtern warst. Für Dich gibt es nur sie und sonst keine und ich rede Dir da auch nicht rein. Aber ich gebe zu, ich bin gespannt, wie es für Dich weitergehen wird.
Vielleicht schon mit dem neuen Job, der Dir in Aussicht gestellt wurde? Mittwoch darfst Du probearbeiten und wenn alles gut geht, behalten sie Dich gleich für zunächst ein Jahr. Dann bist Du nicht nur erwachsen, sondern auch in der Arbeitswelt angekommen wie wir und ich bin gespannt, was das Leben für Dich noch alles bereithält.
Ich bin wahnsinnig stolz auf Dich und darauf, was Du alles aus eigener Kraft erreicht hast. Seit 24 Jahren kämpfst Du um die Anerkennung Deines Vaters und ich wünsche Dir von Herzen, dass der eines Tages endlich erkennt, was für ein wunderbarer Mensch Du bist, ein Mensch mit goldenem Herzen, ein Mensch, der vom Leben und den Menschen nichts erwartet, aber dankbar ist für alles, das er bekommt.
Du bekommst oft gesagt, dass in dieser harten, rauhen Welt kein Platz sei für Menschen wie Dich, aber ich sage: "Bleib haargenauso wie Du bist, bleibe der, der Du immer warst - und ich wünsche Dir von meinem ganzen Herzen, dass Du jeden Tag Dein wunderbares Lachen mit den Grübchen in den Wangen lachen kannst. Ich glaube mehr an Dich als Du an Dich selbst und ich wünsche Dir sehr, dass Du eines Tages ebenso an Dich glauben kannst. Ich liebe Dich von ganzem Herzen, solange ich atme. Jetzt könntest Du nur noch mit dem Rauchen aufhören und die Playstation an den Nagel hängen, mein Junge ;)"
7 Kommentare:
Man merkt, dass du eine Super-Beziehung zu deinem Grossen hast. Bei mir läuft es im Moment nicht so gut und es macht mich wahnsinnig und sehr traurig.
Gratulation!
Liebe Nadine, ich hatte es zuletzt bei Dir gelesen, bevor Dein Blog auf einmal weg war? Ich bin auch gar nicht mehr in Deiner Leseliste? Muss ich gleich mal neu machen.
Ansonsten: Wir hatten auch mal eine ganz schön schwere Zeit, damals, nach der Trennung vom Vater. Er war 13 und wir haben wohl beide mächtig gelitten. Das war echt kein gutes Jahr und ich wünsch Dir sehr, dass es bei Euch ganz bald wieder gut wird!
Danke, Hans :)
♡lichen Glückwunsch!
Oh wie schöööön *hachmach*
Glückwunsch unbekannterdings aber nichtsdestotrotz herzlich :)
Liebe Grüße vom Schäfchen
Hey Anna und Schäfchen - ich danke Euch in seinem Namen :)
Sowas kann nur eine Mutter schreiben....
Hast du ihm das mal zu lesen gegeben?
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