Freitag, 23. Januar 2015

Die goldene Mitte

Nun hab ich wieder ein paar Tage nichts geschrieben. Es ist ja nicht so, dass ich nichts zu schreiben hätte (na gut, vielleicht ein bisschen, ich meine, dem schnöden Alltag etwas poetischen Pep zu verpassen und dies dann auch so niederschreiben - deshalb bleibt es dann trotzdem immer noch schnöder Alltag, den man auch nicht unbedingt lesen will).
Gleichwohl ist mir aufgefallen (aber vielleicht kommt es mir auch nur so vor?), dass ich, seit ich in M lebe, weniger blogge. Bösen Zungen ist auch aufgefallen, dass ich mich zugleich auch weniger in FB und whatsapp aufhalte - und schieben dies dem nunmehrigen eheähnlichen Leben hier in M zu.
Anfangs habe ich mir diesbezügliche Frechheiten anderer ja kommentarlos unterschieben lassen, inzwischen aber wird selbst für mich etwas deutlicher, dass sich meine ganz persönliche Uhr hier in M.. nun sagen wir.. langsamer dreht. Geruhsamer. Entspannter womöglich. Und immer mehr überkommt mich so der Eindruck, dass das nichts mit eben diesem eheähnlichen Leben zu tun hat, sondern irgendwie... einfach nur mit mir selbst.
In einem Dialog mit einer Bekannten letztens wurde mir bewusst: Ich bin jemand, der entweder zuviel oder zu wenig ist - und dem offenbar das Mittelmaß fehlt.
Entweder bin ich ganz da oder gar nicht.
Entweder bin ich hundert Prozent interessiert oder gar nicht.
Halbherziges gibt es irgendwie nicht, und manche Dinge, die mich eben nicht interessieren, die erledige ich entweder aus Verpflichtung heraus oder aufgrund einer emotionalen Verbundenheit zu jemandem - also auch eine Art Verpflichtung, wenn auch eine andere. Klingt vielleicht grad bisschen konfus oder auch einfach nur blöd, aber ich weiß grad nicht, wie ich es anders beschreiben soll.
Auch habe ich festgestellt, dass ich weniger kompromissbereit geworden bin: Was ich nicht will, was ich nicht mag, das tue ich auch nicht. Kommuniziere stattdessen offen: "Nein, mit mir nicht, ich will es nicht." Wobei ich diesen Punkt noch nicht so festzimmern möchte: Ich bin noch nicht sicher, ob das tatsächlich mangelnde Kompromissbereitschaft ist oder einfach nur der Lerneffekt, dass ich auch dann liebenswert bin und bleibe, wenn ich Nein zu etwas sage bzw. etwas ablehne, von mir weise.
Ich bin allerdings auch nicht sicher, ob ich mich auch hier noch zu wenig mittig verhalte. Ob ich zu sehr an mich und meine Bedürfnisse oder Vorlieben denke oder ob ich einfach nur bewusster geworden bin, was meine eigenen Bedürfnisse oder Vorlieben denn überhaupt sind.
Als ich mich vor 12 Jahren von meinem damaligen Mann trennte, sagte mein Vater etwas zu mir, das ich bis heute nicht vergessen habe: "Und komm du mir jetzt bloß nicht mit so einem Quatsch von wegen, du müsstest dich jetzt selber finden und so!"
Damals habe ich nichts darauf geantwortet, und vermutlich hätte diese Antwort eher auch klebrig klischeebeladen geklungen. Doch wenn ich es mir genauer betrachte: Im Grunde genommen ist genau das in den folgenden Monaten und Jahren passiert: Ich habe zu mir selber gefunden.
Jeder, der mich von früher, auch von ganz früher kennt, weiß, wie ich war.
In der Schule hatte ich nicht viele Freundinnen, manchmal hatte ich auch gar keine.
(Manchmal dachte ich, ich hätte eine sogenannte beste Freundin - bis die dann mal hinter meinem Rücken über meinen Arsch lästerte, der im Alter von 15 vielleicht nicht dem gängigen Dürre-Maß entsprach, im Alter von 19+ von den Jungs und späteren Männern als Apfel- oder J-Lo.-Arsch bezeichnet und geliebt wurde. Nu ja, kann man sehen, wie man will.)
Ich glaube, in dieser Zeit hat sich entwickelt, was sich später immer tiefer grub und in den folgenden Jahren fortsetzte: Der unbedingte Wunsch nach Liebe, Zuwendung, Anerkennung.
Vielleicht wollte ich nicht unbedingt jedem gefallen, nicht Everybody's Darling sein - aber ich habe um jede Liebe, Zuwendung und Anerkennung gekämpft, die für mich wichtig war.
Vielleicht habe ich nicht alles so gemacht, wie man(n) es sich vorgestellt hatte, zugleich aber habe ich mich derart angepasst, dass ich selber nicht hätte sagen können: Was will ICH denn eigentlich? Was gefällt MIR? Bestimmt war mein Ich immer da, aber so tief vergraben, dass das gar nicht bis ins Bewusstsein gelangte. Von dem "sich durchsetzen" ganz zu schweigen. Was wollte ich denn durchsetzen, wenn mir selbst nicht klar was, was ich denn überhaupt wollte?
Und wer bin ich? Im Herzen irgendwie immer das Hippie-Mädchen, das sich Blumen ins Haar stecken und barfuß im Kleid über die Wiese laufen will. Das Stilbruch liebt, wenn er gut ist. Das Landhaus mag, solange sich auch Modernes dazwischen mischt. Das Musik und das Meer als ihre Leidenschaft bezeichnet, das gerne (nur zu wenig) malt und schreibt. Das nicht mag, wenn Leute sich anschreien und trotzdem selber auch mal laut und energisch werden kann. Das lange braucht, um eine wirkliche tiefe Bindung zu jemandem aufzubauen und sich diese dann aber für den Rest ihres Lebens bewahrt.
Das ungeduldig, ungerecht und selbstgerecht auftreten kann.
Das nicht mehr jedem zuhören mag und das gerne allein ist.
Das nicht gerne im Mittelpunkt steht, aber beachtet werden möchte.
Das genau weiß, dass sie eines Tages wieder am Meer leben wird - und das auch durchsetzen wird.

Menschen interessieren und faszinieren mich nach wie vor - und trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, mich zurückziehen zu wollen. Entwickle ich mich zum Misanthropen oder wenigstens zum Soziophobiker? (Hier schlägt mir die Rechtschreibung gerade Biophysiker vor, ha ha!)
Manchmal kommt es mir so vor, als würde mich das Leben erdrücken. All die Habgier, die Gewalt, diese Besessenheiten, dieser Neid, diese Missgunst.
Manchmal denke ich, meine Haut sei zu dünn, zu durchlässig geworden und all das Kranke, das Falsche in der Welt würde mich zerbrechen. Dann wieder gibt es Momente, wo ich mich bewusst zurückziehe, abwende, nicht weil ich das Leid, die Sorgen anderer nicht wertschätze, aber wo ich für mich weiß, nicht JETZT, weil ich JETZT gerade nicht genug in mir ruhe, um damit umgehen zu können. (Wenigstens gibt es diese Momente heute, ein Selbstschutz, der mir wichtig geworden ist.)
Manchmal erinnere ich mich an die junge Französin, die zu mir sagte, sie schaue keine Nachrichten, weil das ihre Seele verderbe - und ich frage mich zuweilen, ob das nicht doch manchmal der bessere Weg sei? Lieber uninformiert durchs Leben kommen, dafür unbeschadet? Mit ganzer heiler Seele?
Heute las ich nur kurz bei FB eine Statusmeldung. Da wurde in einem Asylantenheim in Dresden ein Mensch erstochen und die Leute überschlagen sich. Eigentlich kann es auch hier nur falsch enden: Wird berichtet, dass ein Asylant den anderen umgebracht hat, schreien alle: "Glaubt ihnen kein Wort, da freuen sich wieder die P-Anhänger, da soll nur was vertuscht werden"; würde sich rausstellen, dass der Asylant durch einen Deutschen umgebracht wurde, beginnt die Diskussion um Fremdenhass erneut. Egal, was die Wahrheit ist - die Köpfe werden heiß (gemacht). Die wahren Hintergründe, so kommt es mir vor, interessieren niemanden. Der Mensch, der dort zu Tode kam - so kommt es mir vor, interessiert dabei niemanden.
Ehrlich? Ich mag irgendwie nicht mehr. Es ist so unfassbar viel Hass und Aggression unter den Menschen, egal auf welcher Seite, ich kann es einfach nicht begreifen, nein, ich will es auch nicht begreifen. Gerade bin ich an so einem Punkt, wo ich gar nicht mehr verstehen will, wer was schürt, sondern wo ich mich diesem ganzen Scheiß einfach nur entziehen will. Weg will. Weg von all dem.
Ich will meine Seele schützen, das Blumenmädchen in mir, das an das Gute glaubt und darauf vertraut, dass auch alles gut wird.
Und ich habe so gar keine Ahnung, ob das gerade wieder ein Zuviel oder ein Zu wenig von mir ist.

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Unheimlich, wie viel ich von dem, was du über dich schreibst, direkt so auf mich übertragen kann, du kleines Hippiemaedchen. ;))

Schwester im Geiste, ich sags ja. ❤

Anonym hat gesagt…

Nachtrag:Meine Mitte habe ich allerdings noch nicht gefunden. Gar nicht. Dafür habe ich gestern deinen Weingesichtswassertipp befolgt. Nicht übel. Ich mach das weiter. Auch ein guter Grund, um immer Wein im Haus zu haben. ;D

~ Clara P. ~ hat gesagt…

Liebe Helma, es ist doch erstmal "egal", ob das jetzt zuviel oder zu wenig ist - es ist eben gerade Dein Bedürfnis und das würde ich an Deiner Stelle ernst nehmen. Sowas pendelt sich sowieso von alein ein, wenn man der Sache ansich die Chance dazu lässt.

Neulich las ich einen guten Satz: "Selbstliebe hat nichts mit Egoismus zu tun" und es erinnerte mich daran, wieviel Angst ich vor 7 Jahren hatte, als ich begann "mich selbst zu finden" (jedenfalls die Reise anzutreten), dass ich jetzt auch zu so einer Egoistin werden könnte wie jene, unter denen ich ja schon gelitten hatte....

Inzwischen merke ich, dass beides geht - für mich sorgen, den Grad dessen, was ich an mich heranlasse selbst bestimme und doch auch eine gewisse Offenheit für meine Mitmenschen zu besitzen. Aber da entscheide auch ich über die Dosis, stimme sie mit jenen ab, die mir wichtig sind.

Sich auch von politischen Themen etc. mehr abzugrenzen finde ich ok. Ich handhabe es gerade auch so, weil ich merkte, dass es nur Angst in mir schürte und letztendlich hilft das niemandem.

Dass Du weniger bloggst liegt vielleicht auch daran, dass Du Dir mehr Freiraum zugestehst? Mehr Ruhe gönnst? Wie auch immer, mach es so, wie es sich für Dich gut anfühlt. Wer Dich liebt, wird das Blumenmädchen in Dir erkennen und unterstützen. Da bin ich mir sicher :)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Anna, da musste ich jetzt doch lachen: "...Auch ein guter Grund, um immer Wein im Haus zu haben." Jawohl! Sehe ich auch so - nur darf der Liebste nie niemals erfahren, was ich mit seinen Kostbarkeiten eines echten italienischen Weingutes anstelle, wenn er mal nicht hinguckt :)

Liebe Clara, genau dasselbe hat mir jene Bekannte vor zwei Tagen auch geschrieben: Dass ich loslassen soll, es zulassen soll - und es sich von selbst ergibt, wo es sich irgendwann einpendelt.
Es wäre vermessen zu sagen, dass ich schon in meiner Mitte wäre, die genau unterscheidet zwischen Selbstliebe und Egoismus. Da bin ich noch nicht, dazu hinterfrage ich mich noch zu oft. Ja, es geht beides, für sich und für andere sorgen, und wenn mal eins mehr und anderes weniger ist, ist das auch okay, wenn es sich unterm Strich wieder ausgleicht. Ich möchte nur eben auch nicht an so einen Punkt kommen, wo ich mir selber gestehen muss: Du blöde Egoistenkuh.

Und ja genau - dieses sich Abgrenzen auch von politischen Themen, weil sie Angst schüren, die niemandem hilft: Genau das ist der Punkt. Ich will nicht, dass es Ängste schürt, die meine Seele vergiften.

Dein letzter Satz "Wer dich liebt..." hat mich sehr, sehr berührt. Ich glaube, da gab es in meinem ganzen Leben nur eine einzige Person.

~ Clara P. ~ hat gesagt…

Ach Helma, oft lieben uns Menschen, aber erkennen uns nicht. Vielleicht gab es so einige, die Dich liebten, aber eben zu blind waren das Blumenmädchen zu erkennen.

Ich glaube, wenn man jemand ist, der reflektiert, sich selbst immer mal wieder in Frage stellt, dann läuft man weniger Gefahr zu so einer "Egoistenkuh" zu mutieren :-)

Anonym hat gesagt…

Mensch Helmalein....... du schreibst genau das, was ich fühle und mich nicht so traue zu schreiben.

Ich glaube, man findet sich am ehesten selbst, wenn man zur Ruhe kommt. Wenn man sich nicht ständig um das Wohl anderer kümmern muss. Ganz bei sich sein.
Und das hast du gerade gelernt. Zu zweit scheint das ja auch zu funktionieren.

Ich bin erst auf der Mitte des Weges zu mir angekommen(hört sich voll bescheuert an, aber in diesem Zusammenhang verstehst du ja was ich meine).

Und das mit den Nachrichten-boykottieren, das kann ich sehr gut nachvollziehen. Aus dem ganzen elenden Kram, der gerade jetzt die Nachrichten beherrscht und die Religion beinhaltet, halte ich mich komplett raus. Nicht, dass ich keine eigene Meinung dazu hätte, aber es regt mich auf und tut mir nicht gut.

Wieder einmal ein genialer Blog, liebe Helma! Du triffst immer genau den Punkt, den ich auch fühle aber nicht so schreiben kann wie du.
Chapeau, Frau Ziggenheimer! :)

Anonym hat gesagt…


Liebe Helma, kann ich dich um einen Gefallen bitten?
Kannst du bitte den nachfolgenden Kommentar von mir bei Anna in meinem Namen posten?
Ich kann einfach bei ihr nicht kommentieren - warum auch immer.
Dank dir :)

Liebe Anna,

an die Wasserhärte hab ich ja noch überhaupt nicht gedacht!
Ist aber sehr einleuchtend, eigentlich. Wie es hier in Ostwestfalen mit der Härte des Wassers aussieht, sehe ich jeden Morgen nach dem duschen in Form von weißen Flecken an der Armatur und Duschwand. Ätzend!

Aber ich kenne das auch, mit den vielen vielen Shampoo-Flaschen..... hatte das bis vor einigen Jahren auch.
Jetzt bringe ich mir jedes Jahr aus Griechenland Olivenöl-Shampoo und Conditioner mit, mache ab und an eine Olivenöl-Packung und meine Mähne glänzt und ist wie neu ;)

Ich schwöre drauf.

Liebe Grüße und danke für deinen Besuch bei mir!
Suse

Bohli hat gesagt…

Solange du dich wohl fühlst und dir es gut geht, kann dir der Rest egal sein. Es geht nicht um "ich muss das so machen weil" es muss sich gut anfühlen. Ob es dafür eine Mitte gibt ?? Ich weiß es auch nicht. Habe aber gelernt das einfach mal Ruhe auch gut tun kann.....und zwar egal wie die Ruhe aussieht. Genieß dein Wochenende und ich glaube es gibt genug hier die sich freuen wenn du auch nur alle paar Tage etwas schreibst.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Lieber Bohli, manchmal denk ich, ich hätte schon vieles gelernt und begriffen, aber es auch verinnerlicht zu haben, ist irgendwie doch ein Unterschied.
Früher dachte ich nicht, dass ich nicht darf - aber ich lebte und handelte so, weil es mir so beigebracht wurde, weil das normal für mich war.
Wenigstens frage ich mich heute nicht, ob ich darf, sondern nur, wie viel davon gesund ist :) Ich finde schon, dass das ein Fortschritt, mein ganz persönlicher. Spät vielleicht, aber ich sag ja eh immer: Besser spät als nie.