Sonntag, 11. Oktober 2015

Sind wir nicht alle ein bisschen schwierig?



Als ich noch ein Kind war, wurde ich ab und an gefragt, ob ich wirklich das Kind meiner Eltern sei - ich sei so anders als sie, so anders als meine Brüder. (Ich persönlich finde das ja gar nicht, insbesondere mein großer Bruder und ich sind uns sehr ähnlich. Finde ich. Auch wenn er entschieden weniger Haare hat als ich. Ha ha.)
Ich war das zweite von drei Kindern, das Sandwichkind sozusagen, und für mich war zu jener Zeit ganz nüchtern und klar: Der große Bruder wurde geliebt, weil er der Erste war; der kleine Bruder wurde geliebt, weil der der Letzte war - und ich? Ich war... eben da. Unauffällig in jeder Hinsicht. Pflegeleicht.
"Um dich mussten wir uns nie Sorgen machen", sagte meine Mum vor zwei oder drei Jahren.
Ich kann mich erinnern, dass ich schon als Kind von einer - für mich unbestimmten - Sehnsucht getrieben wurde. Ich konnte damals nicht mal genau sagen, wonach. Ich träumte von Prinzessinnen und Zauberwald und ich reagierte verstört und manchmal hysterisch, wenn ich dabei sein sollte, wenn Vieh geschlachtet und ausgenommen werden sollte. Das konnte ich nie, niemals, ich kanns bis heute nicht.
Dafür habe ich mich in meinem Zimmer vergraben, mir Geschichten ausgedacht und aufgeschrieben. Noch heute sehe ich mich neben dem Sessel meiner Großmutter stehen, als sie mir das Zeichnen beibrachte. Sehe ich mich auf ihren tiefen Fensterbrettern sitzen und lesen und malen.
Ich hab so viel gelesen als Kind. Selbst nachts unter der Decke mit der Taschenlampe, und die Großmutter schimpfte, wenn sie mich dort fand: "Du machst dir noch die Augen kaputt!"
Schon als Heranwachsende war ich fasziniert von der Liebe - oder besser gesagt davon, wie ich mir die Liebe vorstellte.
Als ich mit 18 Jahren meinen heutigen Ex-Mann kennen lernte, habe ich ihn geheiratet, kaum dass ich 19 Jahre alt war. Alle meine Sehnsüchte, Wünsche, Träume projizierte ich auf einen Menschen, der wortgewandt war, der die Richtung vorgab und von dem ich glaubte, alles würde gut in meinem Leben.
Ich habe ihn geheiratet und bin zu ihm gezogen. Wusste bis dahin weder, wie man einen Haushalt führt, wie man kocht, wie man mit einem - eigentlich - fremden Menschen zusammenlebt. Seine Bestimmtheit und - wie ich dachte - Gewandtheit im Leben hielt ich für Sicherheit, sie vermittelte mir Sicherheit und dass mir nichts passieren konnte. Ich verhielt mich, wie ich mich schon als Kind verhalten hatte: Ich funktionierte, ich passte mich an, ich passte mich ein. Weil ich schon als Kind begriffen hatte: Wenn alles gut läuft, ist auch alles gut, dann wirst du geliebt. Danach habe ich mich so sehr gesehnt.
Wie wertlos, nutzlos habe ich mich gefühlt, wenn eben nicht alles funktionierte und er mir vor Augen hielt: "Alle anderen Frauen können es besser als du. Du bist ein Versager."
Die ersten Jahre hat mich das nur geschmerzt, ohne dass ich mich wirklich gewehrt, ohne dass ich aufbegehrt hätte: Ich konnte doch nichts, wo sollte ich hin, wie sollte ich sonst überleben?
"Ihr müsst das alleine hinkriegen, wir können dir da nicht helfen", hatte mein Vater am Telefon gesagt. Von diesem Tag an habe ich nie wieder angerufen, um Unterstützung zu finden, und sei es die mentale. Von da an habe ich erst mal überhaupt nichts mehr gesagt, die Zähne zusammengebissen, mich um die Familie, die Kinder, eben das Leben gekümmert. Ich habe nichts gefragt, nichts hinterfragt, ich habe keine Geschichten mehr aufgeschrieben und auch nicht mehr gemalt. Dafür als Ehefrau, Mutter, Hausfrau und Angestellte funktioniert. Mich noch mehr angepasst und noch mehr eingepasst, bis ich irgendwann selber nicht mehr wusste, wer ich eigentlich war.
So oft mein Ex mit Scheidung drohte, so oft sagte er: "Ich kann mich gar nicht von dir trennen. Ich muss dich ja erst erziehen und dann will ich schließlich auch was davon haben von der ganzen Mühe."
Dass wir nach 6 Jahren noch ein zweites Kind bekamen, hat niemand verstanden, der vom Inneren dieser Ehe wusste. Erst als der Kleine etwa zwei Jahre alt war, dachte ich immer ernsthafter und vor allem konkreter an Scheidung.
Es war nicht das Leben, von dem ich als Heranwachsende geträumt hatte. Es war nicht die Liebe, nach der ich gesucht hatte. Aber das begriff ich zunächst nur ganz diffus, eher eine Ahnung als ein bewusster Gedanke. Neben der vorherrschenden Angst, bloß keinen Fehler zu machen, wegen dem er gegen die verschlossene Badezimmertür trat oder die Lehne des Sessels mit bloßer Hand zertrümmerte.
"Das, wonach du suchst, gibt es gar nicht", sagte mein Ex, "das gibt es nur im Film."
Woher wollte er denn überhaupt wissen, wonach ich suchte, wovon ich träumte, was ich mir wünschte? Er hatte doch nie danach gefragt.
Ich habe einen anderen Mann kennen gelernt. Über ein Jahr hat es gedauert, ehe ich mich darauf einließ, mit ihm einen Kaffee trinken zu gehen. Nach noch mal  zwei Monaten sagte er zu mir "Ich liebe dich!" Nach noch mal vier Wochen erzählte er vom Sofa, das seine Frau kaufen wollte und er sich fragte, ob das jetzt überhaupt noch Sinn machte - während mich die Tragweite erschrak.
In dieser Zeit habe ich zum ersten Mal wirklich damit begonnen, MICH zu fragen, was ICH wollte. Wohin ich wollte im Leben. In dieser Zeit habe ich zum ersten Mal begonnen, Fragen zu stellen, Antworten zu suchen. Dinge und Situationen zu hinterfragen. Alles ganz genau wissen zu wollen - und mich mit schönen Worten nicht mehr blenden zu lassen. Egal von wem.
Ich wusste immer noch nichts, als ich zehn Monate später meinen Ehemann verließ und zeitgleich auch die Beziehung zum anderen zerbrach. Ich hatte so wahnsinnig viele Fragen und so wahnsinnig wenige Antworten. Ich habe diese Entscheidung getroffen und allen Beteiligten schlussendlich die Wahrheit offenbart. Diese Entscheidung traf ich ganz für mich allein, unabhängig davon, ob es eine Zukunft mit dem anderen geben konnte oder nicht. Meine allererste eigene Entscheidung, die ich auch durchzog, nur vier Wochen später meinen ersten eigenen Mietvertrag mit zitternden Händen unterzeichnete: "Darf ich das wirklich?"
Es war, so sehe ich das heute, die spannendste, schwierigste und schmerzhafteste Zeit in meinem Leben - und diese Reise hat gut einige Jahre gedauert. Eine Reise, nach der ich heute sofort erkenne, wer mir Gutes will und wer nicht. Wer mir guttut und wer nicht. Wen ich in meinem Leben haben will und wen nicht. Wer mir nach dem Mund redet und wer seine eigene Meinung vertritt. Wer Antworten hat und wer lediglich Rhetorik beherrscht. Ich frage immer noch viel, ich hinterfrage immer noch sehr viel, ich denke viel, zerdenke zuviel, aber ich entdecke, ich halte Spiegel vor - und erschrecke zugleich auch oft vor meinem eigenen Spiegelbild.
Wenn mich die Summe dessen zu einem schwierigen Menschen macht, wie Wirrkopf es unlängst sagte, dann bin ich gerne schwierig. Lieber schwierig und selbstbestimmt, als schlicht und ergreifend... angepasst um den Preis des eigenen Ichs.

29 Kommentare:

~ Clara P. ~ hat gesagt…

Dann frage ich gerne mal - schwierig für wen? Für jene, die sonst leichtes Spiel mit einem hätten? Meine Erfahrung hat mich gelehrt, je unangepasster ich bin, desto besser geht es mir. Und die Menschen, die es wirklich ehrlich und gut mit mir meinen, würden sich nie darüber beschweren, dass ich Dinge hinterfrage oder Grenzen setze. Schwierig ist man immer nur für die, die daraus einen Vorteil ziehen, wenn man ständig klein bei gibt...

Anonym hat gesagt…

Angepasst ... stromlinienförmig? In der Masse aufgehend? Wo bleibt denn da das Eigene? Lieber eigene Fehler machen als brav nachmachen ... den EIGENEN Weg finden. Und allen, die gleichmachen und Individualität unterdrücken wollen, einen Riegel vorschieben.

P.S. Tolles Header-Bild!!!

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Das ist eine gute Frage, Clara! Ich würde mal sagen: schwierig für einen Mann.
Mein Ex hat oft gesagt: "Eine Frau wie dich kann man nicht lieben. Aber ich liebe dich trotzdem." Kleinhalten auf niedrigem Niveau.
2004 hatte ich über eine Singlebörse einen netten Mann kennen gelernt. Nach diversen, wirklich schönen E-Mails besuchte ich ihn, danach kam er zu mir. Und sagte mir an diesem Wochenende: "Es ist nicht leicht, eine Frau wie dich zu lieben. Du bist echt anstrengend, weil du so tiefgründig bist. Das ist für einen Mann nicht einfach. Aber ich, ich hab mich in dich verliebt."
Von diesem Herrn habe ich mich noch an diesem Wochenende verabschiedet. Das brauche ich nicht, dankbar sein zu müssen, dass mich jemand liebt, auch "wenn ich so anstrengend" bin.
Wobei ich sicherlich zugestehen muss: In dieser Zeit war ich schon sehr kopflastig. Das hatte mit der ganzen persönlichen Situation zu tun. Heute bin ich wesentlich entspannter. Aber eben auch selbstbestimmter. Ich hab mich nie gefragt, ob ich "unangepasst" bin: Ich wollte immer nur ich selber sein können.

Wirrkopf hat gesagt…

"Schwierig" bedeutet eine Herausforderung; Wer sich dieser annimmt, weiß den Wert zu schätzen! ;-)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Huch, zu schnell auf Absenden gedrückt: Der Mann an meiner Seite findet mich, glaube ich, nicht schwierig. Muss er auch nicht ;) Er würde sich halt nur wünschen, dass ich manche Wege anders gehe. Was ich aber nicht kann und nicht tue, weil ich nicht in Schuhen gehen kann, die mir nicht passen. Das verursacht Stresspotential, klar. Für beide. Ich könnte mich ja... fügen. Beugen. Mach ich aber nicht (mehr). Nicht wenn ich anderer Überzeugung bin.

Wirrkopf hat gesagt…

Ich habe deine Worte durchaus verstanden. ;-) Auch sind mir solche Situationen mehrmals in meinen und anderen Leben begegnet. :-)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Eben, Frau RRP, genau das ist es: Der Liebste sagt oft, er würde dies und jenes anders machen, weil seiner Erfahrung nach. Aber so funktioniert Leben nicht. Wie soll ich eigene Überzeugungen entwickeln, wenn ich nicht selber eigene Wege gehe und eigene Erfahrungen mache? Er will mich bewahren, mich und uns schützen. Vertrauen, Zutrauen wäre aber da besser ;)
Vor zwei Jahren habe ich mir eine Postkarte gekauft, lauter blaue Fische schwimmen in eine Richtung, ein roter in die andere. Darunter steht: "Sei du selbst. Alle anderen gibt es schon."
Danke für das Kompliment zum Headerfoto, das ist von Donnerstag am Strand :) Ich hab dort so sorglos im Sand gesessen, die Leute haben mich komisch angeguckt und teilweise geschmunzelt. War ja nicht so dolles Wetter und am Vortag hatte es nur geregnet. Entsprechend war der Sand. Mir egal. Ich war "angekommen".

Hey Wirrkopf - ich hoffe es. Wenn nicht, wars nicht das Richtige. :)

Wirrkopf hat gesagt…

Liebste Frau mit dem roten Kleid; Selbst du kannst nie sagen, ob etwas richtig ist. Fühlen kannst du es und trotzdem falsch liegen.
Rocky Horror Picture Show kennst du bestimmt. :-)

https://www.youtube.com/watch?v=_T9gYbrarYY

Aber das Schreiben hilft. *dance*

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Oh Gott nee, weiß Gott nicht. Das kann auch niemand sagen: Richtig oder falsch ist viel zu oft auch eine individuelle Wahrheit. Das, was für mich richtig ist, kann für Dich das Falsche sein. Deshalb tue ich mich inzwischen auch viel schwerer damit, jemandem etwas zu raten.
Heute bemühe ich mich eher darum, Gedankenanstöße zu geben. Ob und was ein anderer daraus macht, obliegt dem/ der anderen selbst: Jeder kann nur das für sich Richtige tun.
Insofern kann ich heute zwar sagen, dass ich meinem Gefühl nach selber viel falsch gemacht habe. Auch Dinge, die ich bereue. Ein Außenstehender würde vielleicht sagen: "Nee war doch richtig so." Das ist eben individuell - und Auslegungssache.
Zu meiner Mum sagte ich damals: "Ich weiß, dass es falsch war, etwas Neues anzufangen, wenn man das Alte noch nicht abgeschlossen hat. Für [Ex] tut mir das auch leid, ich hätte uns gewünscht, anders zu gehen. Ich bereue es aber trotzdem nicht, weil es mich endlich auf die Beine gebracht hat. Und weil ich ohne die vergangenen Monate gar nicht gewusst hätte, wofür ich kämpfen soll. Wahrscheinlich hätte ich mich kleinquatschen lassen. Jetzt aber, nach all dem Erlebten, kriegt er mich nicht mehr klein. Jetzt weiß ich, dass es wirklich auch anders geht als all die Jahre mit ihm."
Sie hat mich schon damals verstanden - auch wenn dieser Weg für sie selber nie in Frage gekommen wäre.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

P.S. Nein, die RHPS kenne ich noch nicht, aber ich schaue mir das an! :)

Wirrkopf hat gesagt…

Liebe stirbt nicht, sie existiert einfach irgendwann nicht mehr...

Wirrkopf hat gesagt…

Wenn etwas schief geht ...

https://www.youtube.com/watch?v=1VGkmPF1CNo

;-)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ich persönlich glaube beides nicht: dass Liebe nicht stirbt und auch nicht, dass Liebe irgendwann nicht mehr existiert.
Ich persönlich glaube, wenn es wirklich Liebe war, dann wird sie immer existieren. Ganz gleich, ob sie gelebt wird oder nicht. Etwas davon bleibt immer.

Wirrkopf hat gesagt…

Aus Liebe wird etwas anderes ... das bringt die Zeit mit sich.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Oder die Umstände? Weites Thema :)

Anonym hat gesagt…

Liebe Helma, genau das denke ich auch.
Sehr ergreifend was du schreibst.
Summer

Wirrkopf hat gesagt…

Zu tiefgründig für einen bevorstehenden Montag Morgen. :-)
Sleep well! 8)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Summer, danke! Ich hoffe, es geht Dir/ Euch gut??

Jetzt muss ich echt lachen, Wirrkopf :) Aber recht hast Du! Ich geh jetzt auch mal in die Federkiste. Gute Nacht!

Anonym hat gesagt…

Sind wir nicht alle ein bisschen schwierig? Nee, finde ich nicht. Wir sind, wie wir sind. Schwierig wird es nur, wenn andere ins Spiel kommen. ;)

@Spiegel vorhalten: Stimmt. Mir beispielsweise hast du immer wieder den Spiegel vorgehalten, auch wenn das sicher nicht deine Absicht war. Das war interessant, lehrreich und ein bisschen nervig. ;))Und als ich deinen Post heute Morgen gelesen habe, hat es endlich “klick“ gemacht. Wurde die Tage davor heftig von alten Dämonen durchgerüttelt und habe tatsächlich wieder angefangen, altes Zeug in meine Blogtexte einfließen zu lassen und mich mit Sachen zu beschäftigen, die zum Teil bald 25 Jahre (ein Vierteljahrhundert!) her sind. Ja, sie haben mich geprägt. Massiv sogar. Und mich auch mit zu dem gemacht, was ich heute bin (könnte schlimmer sein). Aber es wird höchste Zeit, die Vergangenheit mal ruhen zu lassen, sie nicht immer wieder zu thematisieren und mich nicht mehr über „die alten Geschichten“ zu definieren. Sondern die Gegenwart als Ausgangsbasis zu nehmen, um einen neuen Hafen anzusteuern… oder mehrere. Und wer nach vorne will, schaut nicht ständig zurück. Danke dir also fürs Spiegeln, Frau Lehrmeisterin. ;)

P.S: Du bist jetzt nicht mehr die Frau im roten Kleid, sondern die mit den schwarzen Schuhen? ;D

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebes Frl. K, nein, ich wollte ehrlich nie eine Lehrmeisterin sein. Im Gegenteil: Hier im Blog schreibe ich immer nur auf, was mir durch den Kopf geht, was mich beschäftigt, im Traurigen, im Heiteren.
Vergangenheit ruhen lassen? Ja, unbedingt. Sonst würde unser Leben zu sehr von dem, was mal war, beeinflusst - und das wäre ja auch nicht gesund.
Ich für mich muss aber doch immer wieder feststellen, dass sich Vergangenheit trotz allem immer mal wieder zu Wort meldet - in verschiedenster Form. Für diesen Moment ist sie dann wieder ein Thema - für mich ganz persönlich. Manchmal beschreibe ich es dann hier, manchmal auch nicht mehr. Ich glaube, dass die Kunst darin besteht zu akzeptieren, was war - und mit dem, was man daraus gelernt hat, im Heute zu bestehen. Dass man akzeptiert, was Vergangenes aus bzw. mit einem gemacht hat. Das muss ja nicht immer was Schlechtes bedeuten. Wie mal die eine Therapeutin sagte: "Lernen Sie, das, was da hochkommt, wieder in ihre Box zurückzulegen - und sieben Schlösser dran zu machen." Wenn mir das gelingt, schreibe ich hier auch nicht darüber. Wenn mir das nicht gelingt, schreibe ich hier darüber, weil Schreiben mich befreit. Das Schreiben bedeutet für mich so etwas wie "rauslassen, freilassen". Ausgesprochen verliert Bedrückendes seine Fratze - und wird erträglicher. Insbesondere auch durch Gedanken der Leser, die sie äußern. Das ist es, was mir hilft.
Ständig zurückschauen? Nein, eher nicht, hoffe ich. Ab und zu aber schon, und wenn, dann vor allem, um zu sehen, wie viel ich bis heute erreicht habe ;) Das kann auch richtig gut tun ;)
Also die Leute haben mich schon schief angeguckt, weil ich da so seelenruhig im feuchten Sand am Strand saß und übers Meer strahlte. Hätte ich dazu aber noch das rote Kleid angezogen, würden sie mich wohl weggebracht haben wollen *kreisch*
Außerdem... sollte das rote Kleid ja nicht zum roten Tuch mutieren - Du weißt, was ich meine :)

Anonym hat gesagt…

Ich weiß, was du meinst und ich bin froh, dass du meinen Kommentar nicht als Angriff aufgefasst hast. Manchmal schreibe ich mich ja unabsichtlich so richtig schön ins Fettnäpfchen rein und als ich hier auf "veröffentlichen" gedrückt hatte, dachte ich im Nachhinein auch... "ups, war vielleicht auch nicht allzu glücklich formuliert, alles". ;)

Und was das Zurückschauen angeht: Das stimmt natürlich. Wenn es darum geht, mal zu schauen, wie weit man gekommen ist, dann ist es eine fantastische Sache. ;)

Deine Therapeutin hat nicht gesagt, wo man die Box mit den sieben Schlössern herbekommt? Ich würde ihr glatt eine abkaufen. Mehrere, wahrscheinlich.

Goldi hat gesagt…

Du schwierig? Bestimmt nicht und sollte Herr Blau irgendwann doch mal auf die Idee kommen Dir sowas auch nur im Ansatz zu unterstellen, ruf mich bitte sofort an und ich erzähl ihm mal was zu seiner Farbe und so ;)

Im Ernst, ich glaube man wird immer dann als schwierig bezeichnet, wenn man sich "verändert" und eben nicht (mehr) funktioniert, wie das Umfeld das gewohnt ist.

Ich finde für mich "anstrengend" passt in vielen Fällen besser. Denn das Gegenüber kann manchmal schon ziemlich gefordert sein, besonders wenn man(n) so ein hypersensibles Wesen mit extremer Launenhaftigkeit sein eigenen nennt. (frag nicht ;) )

ganga hat gesagt…

Ich sag mal Wahnsinn, was du erlebt hast, wie weit dich dein Weg getragen hat und wie mutig du warst zu gehen. Nicht nur wegzugehen von dem Mann sondern weiterzugehen, zu dir zu gehen.
Du bist eine ganz tolle Frau.
Herzliche Grüße
ganga

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebes Frl. K., leider ist eben doch nicht alles käuflich ;) Da hilft nur: üben üben üben :) Aber erwarte von mir jetzt bloß keine Anleitung, so gut beherrsche ich das auch noch nicht.

Liebe Goldi, na ich halte mich eigentlich nicht für schwierig. Genau genommen hielt ich mich nie für schwierig ;) Aber hierin stimmt natürlich Wirrkopfs Ansatz: Die Kompatibilität zu einem anderen Menschen muss sich dennoch immer noch nicht einfach gestalten, auch dann nicht, wenn wir ihn noch so sehr lieben.
Und ja, auch für mich trifft die Bezeichnung "anstrengend" es besser. Zwar unterliege ich keiner extremen Launenhaftigkeit, aber wenn es auch Dinge gibt, in denen ich echt oberflächlich bin, so gibt es eben auch viele Dinge, die mir - gefühlt - ungefiltert durch die Haut dringen. Oder die mir wiederum am Herzen liegen, wo andere ganz nonchalant drüber weggehen und sich wundern, wieso ich mich "so anstelle".

Liebe Barbara, weißt Du, was mich bis heute überrascht? Dass man mich als Mensch, als Frau immer noch wertschätzen kann, obwohl ich doch meinen Mann betrogen habe? Obwohl ich doch im Endstadium meiner Ehe einen anderen Mann geliebt habe? In den ersten Wochen nach meiner "Offenbarung" war ich wirklich bei jedem verwundert, der mich immer noch freundlich grüßte oder mich überhaupt freundlich behandelte. Ich dachte ernsthaft zuerst immer nur das eine: "Oh, dann weiß er/ sie es wohl noch nicht." Das war ein Gefühl, wie mich selbst gebrandmarkt zu haben, mitten auf die Stirn, und trotzdem... wurde ich immer noch wertgeschätzt?
Ich weiß bis heute, dass das der falsche Weg war bzw. ist. Aber bis heute weiß ich, dass ich den Absprung damals wohl nicht geschafft hätte, würde ich den anderen nicht kennen gelernt haben. Weil eines wirklich immer ganz klar war: Ich bin nicht gegangen, um mit dem anderen zusammen zu sein. Ich bin gegangen, damit ich überlebe. Ich als Mensch und ich als Frau. Ganz egal, was mit dem anderen wird oder nicht.
Ich danke Dir sehr für Deine Worte.

Anonym hat gesagt…

Ein Nachtrag noch. ;) Was mir, seitdem ich das gelesen habe, nicht mehr aus dem Kopf geht, ist der Gedanke: " Was für eine starke und mutige Frau." Das musste jetzt einfach raus, ohne dich auf einen Sockel stellen zu wollen. ;)

Und selbst wenn ich theoretisch daran arbeite, die Vergangenheit abzuhaken, so denke ich auch, dass man Jahre wie diese von dir erlebten nicht einfach "abhaken" und vergessen kann und dass die danach, in denen es einfach nur ums Funktionieren geht, gewaltig an den Kräften zehren. Vielleicht überdenke ich meine obige Aussage....

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebes Frl. K., ich weiß, was den Sockel betrifft, da ist noch eine Antwortmail von mir offen - ich habs auch nicht vergessen, manches dauert nur manchmal... bisschen länger bei mir :)
Das Interessante ist ja, dass mein Umfeld mich immer für stark und mutig hielt. Ich sehe mich so ganz anders!
Was die Vergangenheit betrifft: Doch, man muss abhaken und ruhen lassen. Ist mir so gesagt worden von Leuten, die sich damit auskennen - nur mit der Umsetzung haperts ;) Ich versuche es im Grunde genommen jeden Tag, mal klappt es gut, mal weniger gut. Ich glaube aber, dass ich langsam übers "Funktionieren" hinauskomme. Das Vibesbild hat hierzu etwas kommentiert gehabt, das seither in mir arbeitet - und ich schreibe dazu auch noch mal was. Letztlich schreibe ich das alles auch für mich selber auf: Manchmal lese ich selbst noch mal in meinen Posts der ersten Jahre - und dann bedauer ich wirklich, dass ich nicht noch viel, viel eher angefangen habe. Am liebsten 2001. Denn da begann der Umbruch in mir, 2002 so richtig dann - und ich wünschte, ich könnte mir das heute immer noch mal vor Augen führen. Nicht wegen Wühlerei im Vergangenen. Irgendwie zum Verarbeiten, ich kanns grad schwer beschreiben. Und vermutlich auch, um konkreter zu sehen, wie viele Schritte es von da bis hierher wirklich waren. Im Nachhinein... verblasst zu viel von dem, das auch wichtig war.

Anonym hat gesagt…

Alles gut, was die Antwortmail angeht. Damit hätte ich gar nicht gerechnet. ;) Und den Kommentar vom Vibesbild habe ich gelesen (so weise u. nachdenklich machende Worte!) und dir genau deshalb die Wolfsfrau empfohlen. ;))

Schönen Abend oder gute Nacht!

Anonym hat gesagt…

Helmalein, ich kann alles nachvollziehen was du meinst.
Das hast du großartig gemacht!


Aber.... wo war deine Mum damals, als dein Vater dies zu dir am Telefon sagte?
Das wundert mich jetzt wirklich.

Die Leidenschaften

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Das weiß ich nicht, wo sie war. Ich weiß nicht, ob sie dabei war. Eigentlich denke ich eher nicht.
Sie hat auch viele Jahre später, als mein Ex und ich bei ihnen waren, um ihnen zu sagen, dass wir uns trennen und warum, nichts gesagt. Gar nichts, kein Wort. Aber sie hat vom ersten Moment an zugehört. Erst uns. Dann mir.
Mein Vater hat immer gesagt: "Du bist meine Tochter, ich steh zu dir."
Und meine Mum hat gesagt: "Ja er sagt das. Aber mir fehlt, dass er dir das auch zeigt."
Meine Mum hat all die Jahre nicht viel gesagt - aber es mir gezeigt. Ich habe eine Weile gebraucht, das zu erkennen.