Montag, 2. Mai 2016

Und ich dachte es auch: Arschloch!


Ja ich weiß, ein hartes Wort. Eins, das normalerweise nicht zu meinem Sprachschatz zählt.
Es sei denn, ich bin mit dem Auto unterwegs.

Oder höre einer Frau zu, die gerade in ihrem Mantel und doch irgendwie nackt, so vollkommen entblößt am Ufer steht und für alles das, das ihr wichtig war und ist, einen Stein in das Wasser vor ihr wirft. Die Abschied nimmt, wo sie nicht Abschied nehmen wollte.

Sie erinnert mich Post um Post an die eigenen Jahre, in denen man allein durch die Welt und durch das Leben tingelte, hierhin schaute, dorthin schaute, hier einen entspannten Abend verbrachte, dort einen aufregenden Moment. Allein, wenn auch nicht einsam. Gemeinsam und doch nicht zugehörig.
Am Ende eines Tages ist man selbst es, der allein heimgeht, die Flasche Wein öffnet und mit sich selbst auf das Leben und die Liebe anstößt. Anfangs voller Zuversicht und Hoffnung, und mit jedem Monat, mit jedem weiteren Jahr, das sich auf diese Perlenkette reiht, verdichtet sich die Frage:
"Was ist falsch an mir? Was fehlt bei mir?"
Mit jedem Monat, jedem Jahr mehr streift man durch die Stadt, durch die Parks, lächelt den Pärchen zu, die sich verliebt in der Sonne küssen, man freut sich für sie, doch wenn man heimkommt, weint man in das Kissen und verzweifelt an sich selbst.
Man schaut den Pärchen zu, die händchenhaltend durch die Stadt bummeln, ein Eis essen, miteinander sprechen oder auch nicht; oder auch die anderen Pärchen, die einander überhaupt nicht mehr nur nicht sehen, sondern auch nicht mehr wahrnehmen, obgleich sie nebeneinander stehen und gehen. Nebeneinander eben, nicht miteinander, sie keifen sich an, bedenken sich mit Abwertungen - und man selber steht daneben und fragt sich: "Und wieso hat sie dann einen Mann und ich nicht?"
Was macht es, dass der Mann in jüngeren Jahren bindungsunwillig ist, weil er noch nicht alles im Bett hatte, das bei Drei nicht auf den Bäumen war, und dass er in älteren Jahren, wenn er dann doch mal in einer längeren Beziehung war, die dann endete, auch nur wieder mehr erleben möchte; alles, aber nicht binden?
Ja, ich weiß, das klingt pauschaliert und ich weiß auch, dass das nicht allgemeingültig ist.
Doch während einer Studie zufolge die Jugend mehr und mehr zur Stabilität und Geborgenheit einer Familie zurückkehren möchte, quellen die Singlebörsen gefühlt über vor Dreibeinern, die den gelegentlichen Sex präferieren, aber bitte bloß nicht verbindlich. Was frau auch nicht zwingend sofort erfährt, zu oft erst nach dem ersten Sex.
Mit welchem Recht bildet der Mann sich eigentlich ein, dass er mit den Jahren immer besser wird, während die Frau ab 40 nicht mal mehr einen Blick wert ist? Was glaubt er, das ihn besser macht? Dieselben Falten im Gesicht oder dass ihm Haare aus Nase und Ohren wachsen - im gleichen Verhältnis zum Bauch über Gürtel? Ob der Mann je darüber nachgedacht hat, wie albern er wirkt, wenn er betont jugendlich sein möchte, nur damit die Frau unter 30 ihn überhaupt eines Blickes würdigt? Ist doch alles Kinderkacke, wirklich.

Und während ich S. zuhöre, ihre Worte lese, das Ergebnis lese, denke auch ich spontan: Arschloch!
Auch wenn mein Gefühl mir sagt: Ist er nicht. Er ist keins dieser Arschlöcher. Weil er zu sich steht und zu dem, was er immer wollte.
Ich denke es trotzdem. Erst mal. Weil er ihr Schmerz zugefügt hat.

Und dann denke ich weiter. Denke an die Zeit früher, denke an die Zeit heute und versuche mir vorzustellen: Wie wäre es denn, wäre ich wieder Single?
Was wünschte ich mir für mein Leben?
Wie würde ich es leben wollen?
Ich weiß, dass ich keinen Mann brauche, um überleben zu können.
Aber ich weiß, dass es mit einem Mann einfach... vollkommener ist. Weil er etwas an mir und in mir ergänzt, das ich nicht habe und das ich nicht bin. Was ich vielleicht auch nicht möchte und auch nicht sein will - aber er ergänzt es wohltuend.
Aber würde ich dann noch mal mit jemandem zusammen leben wollen?
Ich denke an Herrn Blau und an unseren Nestbau. Schön ist das. Gerade muss ich lächeln, weil ich denke: Allein wäre es vermutlich in vielem unkomplizierter gewesen - weil er mehr Dinge sieht als ich - oder sie sehen will. Ob uns das manches Mal gerettet hat? Vielleicht. Wer weiß das schon.
Aber möchte ich das alles noch mal mit einem anderen Mann?
Nein.
Weil ich es mir nicht vorstellen kann.
Entweder mit ihm oder mit keinem mehr. Nicht der Frustration wegen. Aber ich habe es gelernt, allein zu leben. Ich habe es gelernt, mir selber genug zu sein. Ich würde es stattdessen genießen wollen, dieses Leben. Mit Malen, mit Musik, Milchkaffee nachts ein Uhr, während "Medical Detectives" über die Leinwand flimmert und ich argwöhnisch jede Bewegung draußen vor dem Fenster registriere. Erdgeschosswohnung? Niemals. Unter dem Dach, ja, kuschlig und heimelig.
Ich wäre dankbar für Freundinnen, die zu einem spontanen Städtetrip rufen oder mit einer Flasche Wein vor der Tür stehen.
Vielleicht würde ich zur Ergänzung auch einen Mann in meinem Leben wissen wollen.
Vielleicht, so genau weiß ich das nicht.
In meinem Leben vielleicht. Aber nicht mehr in einer gemeinsamen Wohnung. Nicht mehr so verbindlich.

Das wäre der Plan. Ein Arschloch-Plan?
Einer, der zwangsläufig verletzen muss, weil einem eines Tages eben doch die Gefühle einen Strich durch das alles machen?


12 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Liebe Helma, wunderschön geschrieben, bekam Gänsehaut bei den schönen Bildern..
Und sehr interessante Gedanken.

Frau Vau hat gesagt…

Du sprichst mir mit allem so aus der Seele. ..

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ich hatte auch Gänsehaut beim Song. Jeder, der schon ein bisschen gelebt hat, kann sich wohl darin wiederfinden. Sowohl als auch.
Und dabei ist Liebe doch eigentlich so was Wunderbares.

lautleise hat gesagt…

Es ist leider immer wieder das Gleiche:
Erst wenn ein Mann durch die harten Schläge einer Frau windelweich durchs Leben getorkelt ist, dann wird ihm allmählich klar, daß er alleine noch nicht einmal in der Lage ist, einen Nivea-Ball gegen den Wind zu bewegen.
Er höret sonst nimmer auf.
Liebe Helma, und das dauert ein ganzes Leben lang.
Liebe Grüße - Wolf.
Ich weiß. wovon ich rede.
Und das sage ich nicht erst, seitdem ich unterm Schlussstrich lag...

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Aber Wolf, letztlich gilt das für die Frauen auch. Das hab ich im Post zwar nicht ganz so deutlich geschrieben - aber es beschäftigt mich immer noch. Und ich frage mich, was es braucht, damit ein Mensch einfach nur mal den Arsch hochkriegt und aufhört, nur an sich selbst zu denken. So eine Erfahrung wie Deine hoffentlich nicht - aber in der Realität... Ich nehme mich da gar nicht aus!
Manchmal ist es eben doch immer wieder... einfach nur zum Kotzen. Und dabei könnte alles so einfach sein.
P.S. Ich hoffe, es geht Dir besser? Muss gleich mal bei Dir lesen!

~ Clara P. ~ hat gesagt…

Zitat: Und ich frage mich, was es braucht, damit ein Mensch einfach nur mal den Arsch hochkriegt und aufhört, nur an sich selbst zu denken."

Helma, Menschen kleben solange mit der Nase am eigenen Bauchnabel fest, bis sie entweder im Straßengraben (sinnbildlich gesprochen) landen oder sie verändern sich einfach nie, weil sie so sind und sein wollen, wie sie sind. Viele denken immer nur an sich selbst und übersehen dabei, dass sie nicht alleine auf dem Planeten sind und in Interaktion mit anderen Menschen auch viel dazu lernen könnten, wenn sie es denn nur zuliessen.

Ich bin gerade auch dabei, den Menschen, den ich liebe, endgültig zu verabschieden und alles nur, weil der Egoismus so groß ist, dass mir meine Gesundheit bald ganz den Bach runtergeht, wenn ich nicht gehe. Ich hasse es, solche Entscheidungen treffen zu müssen, aber manche Leute wachen eben nie auf und dann muss man sich auch irgendwann in Schutz bringen, bevor man ganz dran verreckt.

Sei lieb gegrüsst,
Clara

Seefeder hat gesagt…

bei mir ist es angeblich eine sps (schizoide persönlichkeitsstörung) seit mein angeblich bester freund aus jugendzeiten meint, ich hätte diese persönlichkeitsstörung, hat er mich quasi abserviert. und ich bin immer noch im glauben, dass er das getan hat, weil ich seine angebliche liebe nicht erwidern konnte. wie sagten unsere eltern schon: verletzte eitelkeit kennt keine grenzen.

liebe grüße
würfelzucker

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Clara, sprichst Du vom Drachenbändiger? Ich habe eine, glaube ich, ziemlich hohe Schmerzgrenze. Heißt: Es dauert ewig, bis ich realisiere: Da lass besser mal jetzt die Finger von.
Weil solche Entscheidungen auch wirklich weh tun können.
So geht es mir auch immer wieder. In schwachen Momenten hadere ich. Aber in anderen Momenten denke ich dann wieder: Es wird einfach besser so sein.

Liebe Würfelzucker, wenn ich eines auf den Tod nicht abkann, dann ist es dieses "Ich verlasse dich, aber das ist ja eigentlich deine eigene Schuld" - so in der Tonart.
Menschen können so scheiße sein, wenn sie sich in ihrer Eitelkeit verletzt fühlen. Ich habe das mit meinem Ex-Mann durch. Meine Kinder leider Gottes auch, das macht mir sehr viel mehr zu schaffen als die eigenen Wunden. Arschloch bleibt Arschloch. Pardon.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Frau Nachtschwarz... heute war die Leitung aber wirklich endlos, auf der ich stand... Erst jetzt hab ich das mit den Bildern kapiert. Oh Gott, bin ich bekloppt! :D

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Liebe Helma, an mehreren Stellen deines Artikels habe ich gedacht: "So hätte die junge Clara auch reagiert". In mancher Beziehung scheinen wir uns wirklich ähnlich zu sein.
Irgendwie bin ich jetzt ein wenig abgeklärter, und das finde ich ausnahmsweise auch gut so.
Liebe Grüße zu dir!

Anonym hat gesagt…

Ich denke, unsere Generation ist die erste, in der Männer und Frauen völlig unterschiedliche Lebensziele verfolgen. Weil sie es können. Keine Frau braucht mehr einen Mann, um ihre Kinder großzuziehen. Doch wenn sie sich mit einem einlässt, hat sie hohe emotionale Ansprüche. Der Mann ist aus seiner Versorgerrolle "raus" und geht wieder "jagen". Irgendwann dreht sich das Ganze. Dann sind die Frauen aus der Versorgungsecke entkommen und die Männer wollen wieder hinein ... diesmal mit dem Wunsch nach einem warmen Nest zum Altwerden. Doch dummerweise ist das Bedürfnis der Frauen nach Nähe gerade dann am größten, wenn die altersmäßig passenden Männer den größten Freiheits- und Streundrang verspüren. Manchmal scheint es mir sogar, dass Männer und Frauen meines Alters - jedenfalls die Singles unter ihnen - in komplett unterschiedlichen Universen leben.
Dilemma. Es gibt ein Lied von Sprenger ... tu was du willst und zahl den Preis. Das ist der Kern. Nichts ist kostenlos. Nur die Währung ist unterschiedlich. Und die Motivation, einen hohen Preis zu zahlen, auch.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Clara, das begucken wir uns mal, wenn ich da bin :)

Liebe RRP, ich glaube, Du hast recht..