Als ich vorgestern Abend diesen Song hörte, saß ich einfach nur da, wortlos, stumm, die Arme um die Knie gelegt, legte meinen Kopf darauf ab - und stand mir jedes einzelne Härchen aufrecht.
Als Herr Blau und ich vorgestern Abend diesen Song hörten, dachten wir beide an jene Zeit zurück. Ich habe ihn nicht gefragt, ob er dabei war, damals, als die Menschen zu Tausenden durch die Straßen zogen und für eine freie Welt demonstrierte, von der kaum jemand wusste, wie diese freie Welt denn überhaupt aussah.
Sehe mich, wie ich die Hände um den bereits deutlich gewölbten Bauch legte, während die anderen mit Transparenten in der Menge liefen, jede Woche immer mehr Menschen. So viele Menschen mit einer Stimme, die nicht mehr zu überhören ist. Sehe die Nachrichten, die voll sind von Berichten über die Menschen, die über Ungarn oder Tschechien gehen wollen, die die Botschaften stürmen, über Zäune klettern, Kinder herüber heben. Familien, die unten vor dem Haus ihr Auto vollpacken mit dem Wenigen, das sie mitnehmen wollen. Mit dem Wenigen, das sie noch haben wollen. Hauptsache... weg.
Fühle mich, wie mir das Blut in den Schläfen klopft, als der Vater meines noch ungeborenen Kindes sagt: "Wenn, dann müssen wir jetzt gehen."
"Aber wir können nicht alle einfach abhauen. Unser Zuhause ist doch hier."
"Hier ist doch gar nichts!"
"Dann bauen wir es eben auf."
Die erste Fahrt nach Hamburg, wo er Familie hatte.
"Hier sieht sogar das Gras grüner aus", sagte er.
"Ich finde, es sieht genauso aus wie bei uns."
Der erste Supermarkt, ein Aldi, und wir bezahlten achtzig Mark. Waren verwirrt vom Angebot, von Regalen, die nicht endlos zum Beispiel mit Plastikflaschen, gefüllt mit Speiseessig, ausgestattet sind.
Das erste eigene Auto, ein Trabant, auf den wir normalerweise zwanzig Jahre gewartet hätten - den gab es nun sofort. Für zwölftausend Mark.
Das erste eigene "West"-Auto, ein VW Jetta (nein, kein 7-Sitzer ;)) für elftausend Mark, und das Baby mit seinen 5 Monaten bekommt seine ersten Pampers. Nichts mehr mit Windeln auswaschen, auskochen, auf die Leine hängen und sich rechtfertigen müssen dafür, dass Creme & Co. trotz Kochwäsche immer noch "Landkarten" auf den Baumwolltüchern zeichnen.
Der Verdienst springt von knapp vierhundert Ostmark auf etwa eintausendeinhundert D-Mark.
Die Miete steigt von 46 Ostmark auf ein paar hundert D-Mark.
Der erste Müller-Milchreis, den ich einfach mal kosten möchte, auch wenn er irgendwas um eine Mark vierzig kostet.
Die erste Westzeitung im Haus der Schwiegereltern, die mit großen schwarzen Lettern fragt "Haben Ostfrauen mehr Orgasmen als Westfrauen?" (Was geht eigentlich in manchen Köpfen vor??) Und die Großmutter liest und fragt ihre erwachsene Enkeltochter "Hat die Mutti sowas auch?" Und die kriegt sich kaum wieder ein "Das will ich doch für sie hoffen, Omi!"
Unfassbar beschämend hngegen, wie Bananen aus einem Zug geworfen werden und die Leute hin und her springen, um sie zu fangen und nach Hause zu tragen. Abartig. Dann gibts eben keine Bananen, keine Kiwis, kein irgendwas - aber so tief werde ich niemals sinken. Wir müssen zu Hause schließlich keinen Hunger leiden, und das, was wir brauchen, können wir im Laden kaufen und bezahlen. Oder es lassen.
Wir wollten ein besseres Leben, und bei uns gabs nicht mal Krieg, der uns nur umso mehr getrieben hätte. Wir haben dafür gearbeitet, genauso wie jeder andere auch, wir haben genauso bezahlt. Mich verwundert übrigens immer noch, dass es tatsächlich noch heute Menschen gibt, die glauben, wir Ossis zahlten keinen Solidaritätszuschlag.
Und meine Eltern? Ich glaube, sie zählen zu den Gewinnern der Wende.
Der Vater Schlosser, die Mutter Erzieherin, drei Kinder, der Verdienst gering, sie kamen immer gerade so über die Runden. Alle sogenannten "sozialpolitischen Maßnahmen der DDR" - meine Eltern verpassten sie jedesmal. Das dritte Kind der Eltern war bereits im Kindergarten, als es hieß, die Kinder müssten nicht mehr mit 6 Wochen in die Kinderkrippe, die Frau könne jetzt das erste Jahr zu Hause bleiben - bezahlt. Um nur ein Beispiel zu nennen.
Insofern haben sich meine Eltern auch niemals über irgendetwas beklagt. Das kenne ich auch gar nicht von ihnen. Situationen wurden angenommen wie sie waren und das Beste aus allem gemacht. Vermutlich habe ich aus dieser Zeit mitgenommen, dass ich auch heute noch ganz gut im Improvisieren bin und diese Improvisationen mitunter so lange bleiben, bis sie sich fest eingerichtet haben ;)
Wie bin ich denn überhaupt aufgewachsen? Es gab wenig, es gab oft nicht das, was ich mir gewünscht habe. Die Wunschzettel zu Weihnachten waren nie lang, nie bunt. Eine Puppenstube in dem einen Jahr. Oder einen Puppenwagen in dem anderen Jahr. Als ich älter wurde, wünschte ich mir unbedingt eine neue Hose. Zu Weihnachten. Aber nicht ich bekam eine, sondern mein Bruder, und ich war mega enttäuscht. Für einen Job in der Werbung fehlten mir das Gymnasium, für die Noten zum Gymnasium fehlte mir der Ehrgeiz. Ich tat zu wenig und träumte zu viel. Von einem ganz anderen Leben, von dem ich aber wiederum so gar keine Vorstellung hatte. Ich träumte von Liebe und kümmerte mich so überhaupt nicht um das Leben oder gar die Politik.
Die erste Begegnung mit Gleichaltrigen "aus dem Westen", gesteuert von wem auch immer. Unsere Mädchenklasse wird im Bus zum Treffpunkt gefahren und bevor wir aussteigen dürfen, werden wir genauestens belehrt: "Ihr sagt nichts Persönliches, nichts Privates. Ihr nehmt auch nichts von ihnen an! Und vor allem schenkt ihr ihnen nichts."
"Was sollen wir denen denn schenken?" rief ich vorlaut aus den hinteren Reihen. "Wir haben doch nix!"
Ost- Jugend und West- Jugend sitzt sich an einer Tafel gegenüber, gezwungen, unfreiwillig, Ost und West reden natürlich kein einziges Wort miteinander, wir Mädchen albern untereinander herum und warten sehnsüchtig darauf, wieder nach Hause zu dürfen.
Ich wusste nicht einmal, was ich werden wollte, wenn ich ja nun nicht in die Werbung konnte.
"Soll sie doch Kellnerin werden, da verdient sie wenigstens Geld durch das Trinkgeld", sagte der Papa.
"Du wirst sie doch wohl nicht in die Gastronomie schicken", entrüstete sich meine Großmutter, "da fassen sie sie alle an!"
"Sie kann doch ins Büro gehen", sagte die Mama, "sie tippt doch sowieso den ganzen Tag auf ihrer Schreibmaschine."
Also ging ich eben ins Büro. Jeder hatte schließlich eine Ausbildung und anschließend einen Job. Arbeitslosigkeit gab es nicht. Wie die das gemacht haben, war mir lange ein Rätsel. Gerechnet haben durfte sich das nicht. Von den Millionen Krediten hörte ich erst lange nach der Wende.
So wie von so vielen anderen Dingen. Von fingierten Grenzen in den ostdeutschen Atlanten. Menschen auf der Flucht, die glaubten, sie hätten die Grenze zum Beispiel nach Österreich erreicht - nur um festzustellen, dass sie noch kilometerweit entfernt davon waren, dafür aber den Männern in Uniformen und den Hunden gegenüberstanden und mit diesen... einfach verschwanden.. .
Von Kindern, die ihren Eltern weggenommen wurden, nur weil diese beantragt hatten, das Land verlassen zu wollen. Von Zwangsadoptionen.
Von jungen Menschen, die nicht studieren durften, weil sie nicht in der Partei waren.
Von Wahlen, dessen Ergebnis von vornherein feststand. Als hätte es je eine Wahl gegeben.
Von Menschen, die sich aus Verzweiflung aus dem Fenster stürzten, als die Mauer in Berlin errichtet wurde, mit Stacheldraht geschützt wurde.
Von so vielem mehr, dass mich in vielen Nächten wortlos, sprachlos zurückließ.
Ich höre mir das an und denke an jene Zeit zurück... Die Zeit, in der die Menschen einfach und vor allem nur nach Freiheit begehrten. Der Freiheit, sagen zu dürfen, was man dachte, ohne dass einem dafür die Kinder genommen wurden. Ohne dass man dafür jahrelang im "gelben Elend" zubrachte, um den Willen der Menschen zu brechen. Um die Menschen zu brechen.
Die Freiheit, überall hinreisen und sich alles andere anschauen, entdecken zu dürfen.
"Wie soll man eine Weltanschauung haben, wenn man sich die Welt nicht anschauen darf?" stand unter Schulbänke gekritzelt und man fand sich wahnsinnig verwegen.
Dafür sind die Menschen auf die Straße gegangen... Für ein besseres Leben. Für ein freies Leben.
Und heute verurteilen wir, dass andere Menschen aus anderen Ländern auch ein besseres Leben führen wollen. Vor allem auch ein sicheres - für sich und ihre Kinder.
Erst bauen wir Grenzen. Dann lassen wir diese herunter. Erzählen den Menschen, dass wir die Fachkräfte aus dem Ausland brauchen, weil Geburtenknick und so. Zeigen uns erstaunt, überrascht vom Ansturm der letzten zwei Jahre. Schicken die Menschen zurück, Fachkräfte oder Menschen, die Fachkräfte werden wollen. Manchmal warten wir ihre Ausbildung ab, investieren in sie - und dann schicken wir sie nach Hause. Manchmal warten wir das Ende ihrer Ausbildung auch gar nicht ab und schicken sie so wieder nach Hause. Manchmal warten wir auch achtzehn Jahre, dreiundzwanzig Jahre, bis wir jemandes Asylantrag ablehnen. Familien, die sich inzwischen gegründet haben, Kinder, die hier geboren und aufgewachsen sind - wen interessierts? In deinem Land ist Krieg? Ja, aber doch nicht überall, dein Land ist groß, kannst ja da hingehen, wo kein Krieg ist.
Wir achten nicht darauf, wer da kommt, wir vertrauen auf Angaben, die da gemacht werden - stellen Pässe aus, deren Richtigkeit kein Schwein kontrollieren kann. Für intensive Untersuchungen fehlen Zeit, Geld - und Personal. Dieses Chaos macht möglich, dass ein Mensch statt einem gleich drei oder vier Pässe besitzt...
Wie viel Geld inzwischen sinnlos verbrannt worden ist, zählt kein Schwein.
Wie viel Hilfe tatsächlich stattgefunden hat, wie viel Energie davon unsinnig verbraucht wurde, scheißegal.
Wer da alles wirklich gekommen ist - who cares.
Aber weil zu viele kommen und das Chaos ausufert, weil die Menschen hier durchdrehen und Parteien stark machen, die zuvor kaum eine Stimme hatten, machen wir die Grenzen wieder dicht, schließen einen Pakt mit dem Teufel, bezahlen unfassbar viel Geld dafür, dass keine Asylbewerber mehr kommen.
Darf man überhaupt noch Asylbewerber sagen? Oder eher Flüchtlinge? Am Ende sind es vor allem Menschen... Menschen, denen ich das Vertrauen entgegenbringe, dass sie wirklich nur das eine wollen, das bessere, sichere Leben... In ihren Turnhallen, Flüchtlingsheimen dürfen sie ihren Antrag auf Asyl stellen, arbeiten oder eine Ausbildung haben dürfen sie nicht. Auch dann nicht, wenn sie erst mal geduldet werden.
Keine klare Linie, keine Strategie erkennbar; es sei denn, man schaut nachts auf den richtigen Kanälen. Was sind die richtigen Kanäle? Es sei denn, man liest nachts die richtigen Seiten im Internet. Was sind richtige, verlässliche Quellen? Woran erkenne ich sie?
Asylanten sind alle Sozialschmarotzer, die kommen nur wegen dem Geld und wollen sowieso nicht arbeiten.
Und was haben wir gemacht? Wir damals, im Sommer 89? Von uns hat man dasselbe gesagt. Damals wie heute.
Ich habe den Song inzwischen ich-weiß-nicht-wie-oft-gehört - und ich bekomme noch immer und immer wieder Gänsehaut davon.
Unfassbar beschämend hngegen, wie Bananen aus einem Zug geworfen werden und die Leute hin und her springen, um sie zu fangen und nach Hause zu tragen. Abartig. Dann gibts eben keine Bananen, keine Kiwis, kein irgendwas - aber so tief werde ich niemals sinken. Wir müssen zu Hause schließlich keinen Hunger leiden, und das, was wir brauchen, können wir im Laden kaufen und bezahlen. Oder es lassen.
Wir wollten ein besseres Leben, und bei uns gabs nicht mal Krieg, der uns nur umso mehr getrieben hätte. Wir haben dafür gearbeitet, genauso wie jeder andere auch, wir haben genauso bezahlt. Mich verwundert übrigens immer noch, dass es tatsächlich noch heute Menschen gibt, die glauben, wir Ossis zahlten keinen Solidaritätszuschlag.
Und meine Eltern? Ich glaube, sie zählen zu den Gewinnern der Wende.
Der Vater Schlosser, die Mutter Erzieherin, drei Kinder, der Verdienst gering, sie kamen immer gerade so über die Runden. Alle sogenannten "sozialpolitischen Maßnahmen der DDR" - meine Eltern verpassten sie jedesmal. Das dritte Kind der Eltern war bereits im Kindergarten, als es hieß, die Kinder müssten nicht mehr mit 6 Wochen in die Kinderkrippe, die Frau könne jetzt das erste Jahr zu Hause bleiben - bezahlt. Um nur ein Beispiel zu nennen.
Insofern haben sich meine Eltern auch niemals über irgendetwas beklagt. Das kenne ich auch gar nicht von ihnen. Situationen wurden angenommen wie sie waren und das Beste aus allem gemacht. Vermutlich habe ich aus dieser Zeit mitgenommen, dass ich auch heute noch ganz gut im Improvisieren bin und diese Improvisationen mitunter so lange bleiben, bis sie sich fest eingerichtet haben ;)
Wie bin ich denn überhaupt aufgewachsen? Es gab wenig, es gab oft nicht das, was ich mir gewünscht habe. Die Wunschzettel zu Weihnachten waren nie lang, nie bunt. Eine Puppenstube in dem einen Jahr. Oder einen Puppenwagen in dem anderen Jahr. Als ich älter wurde, wünschte ich mir unbedingt eine neue Hose. Zu Weihnachten. Aber nicht ich bekam eine, sondern mein Bruder, und ich war mega enttäuscht. Für einen Job in der Werbung fehlten mir das Gymnasium, für die Noten zum Gymnasium fehlte mir der Ehrgeiz. Ich tat zu wenig und träumte zu viel. Von einem ganz anderen Leben, von dem ich aber wiederum so gar keine Vorstellung hatte. Ich träumte von Liebe und kümmerte mich so überhaupt nicht um das Leben oder gar die Politik.
Die erste Begegnung mit Gleichaltrigen "aus dem Westen", gesteuert von wem auch immer. Unsere Mädchenklasse wird im Bus zum Treffpunkt gefahren und bevor wir aussteigen dürfen, werden wir genauestens belehrt: "Ihr sagt nichts Persönliches, nichts Privates. Ihr nehmt auch nichts von ihnen an! Und vor allem schenkt ihr ihnen nichts."
"Was sollen wir denen denn schenken?" rief ich vorlaut aus den hinteren Reihen. "Wir haben doch nix!"
Ost- Jugend und West- Jugend sitzt sich an einer Tafel gegenüber, gezwungen, unfreiwillig, Ost und West reden natürlich kein einziges Wort miteinander, wir Mädchen albern untereinander herum und warten sehnsüchtig darauf, wieder nach Hause zu dürfen.
Ich wusste nicht einmal, was ich werden wollte, wenn ich ja nun nicht in die Werbung konnte.
"Soll sie doch Kellnerin werden, da verdient sie wenigstens Geld durch das Trinkgeld", sagte der Papa.
"Du wirst sie doch wohl nicht in die Gastronomie schicken", entrüstete sich meine Großmutter, "da fassen sie sie alle an!"
"Sie kann doch ins Büro gehen", sagte die Mama, "sie tippt doch sowieso den ganzen Tag auf ihrer Schreibmaschine."
Also ging ich eben ins Büro. Jeder hatte schließlich eine Ausbildung und anschließend einen Job. Arbeitslosigkeit gab es nicht. Wie die das gemacht haben, war mir lange ein Rätsel. Gerechnet haben durfte sich das nicht. Von den Millionen Krediten hörte ich erst lange nach der Wende.
So wie von so vielen anderen Dingen. Von fingierten Grenzen in den ostdeutschen Atlanten. Menschen auf der Flucht, die glaubten, sie hätten die Grenze zum Beispiel nach Österreich erreicht - nur um festzustellen, dass sie noch kilometerweit entfernt davon waren, dafür aber den Männern in Uniformen und den Hunden gegenüberstanden und mit diesen... einfach verschwanden.. .
Von Kindern, die ihren Eltern weggenommen wurden, nur weil diese beantragt hatten, das Land verlassen zu wollen. Von Zwangsadoptionen.
Von jungen Menschen, die nicht studieren durften, weil sie nicht in der Partei waren.
Von Wahlen, dessen Ergebnis von vornherein feststand. Als hätte es je eine Wahl gegeben.
Von Menschen, die sich aus Verzweiflung aus dem Fenster stürzten, als die Mauer in Berlin errichtet wurde, mit Stacheldraht geschützt wurde.
Von so vielem mehr, dass mich in vielen Nächten wortlos, sprachlos zurückließ.
Sie kamen für Kiwis und Bananen
Für Grundgesetz und freie Wahlen
Für Immobilien ohne Wert
Sie kamen für Udo Lindenberg
Für den VW mit sieben Sitzen
Für die schlechten Ossi-Witze
Kamen für Reisen um die Welt
Für Hartz IV und Begrüßungsgeld
Sie kamen für Besser-Wessi-Sprüche
Für die neue Einbauküche
Ich höre mir das an und denke an jene Zeit zurück... Die Zeit, in der die Menschen einfach und vor allem nur nach Freiheit begehrten. Der Freiheit, sagen zu dürfen, was man dachte, ohne dass einem dafür die Kinder genommen wurden. Ohne dass man dafür jahrelang im "gelben Elend" zubrachte, um den Willen der Menschen zu brechen. Um die Menschen zu brechen.
Die Freiheit, überall hinreisen und sich alles andere anschauen, entdecken zu dürfen.
"Wie soll man eine Weltanschauung haben, wenn man sich die Welt nicht anschauen darf?" stand unter Schulbänke gekritzelt und man fand sich wahnsinnig verwegen.
Dafür sind die Menschen auf die Straße gegangen... Für ein besseres Leben. Für ein freies Leben.
Und heute verurteilen wir, dass andere Menschen aus anderen Ländern auch ein besseres Leben führen wollen. Vor allem auch ein sicheres - für sich und ihre Kinder.
Erst bauen wir Grenzen. Dann lassen wir diese herunter. Erzählen den Menschen, dass wir die Fachkräfte aus dem Ausland brauchen, weil Geburtenknick und so. Zeigen uns erstaunt, überrascht vom Ansturm der letzten zwei Jahre. Schicken die Menschen zurück, Fachkräfte oder Menschen, die Fachkräfte werden wollen. Manchmal warten wir ihre Ausbildung ab, investieren in sie - und dann schicken wir sie nach Hause. Manchmal warten wir das Ende ihrer Ausbildung auch gar nicht ab und schicken sie so wieder nach Hause. Manchmal warten wir auch achtzehn Jahre, dreiundzwanzig Jahre, bis wir jemandes Asylantrag ablehnen. Familien, die sich inzwischen gegründet haben, Kinder, die hier geboren und aufgewachsen sind - wen interessierts? In deinem Land ist Krieg? Ja, aber doch nicht überall, dein Land ist groß, kannst ja da hingehen, wo kein Krieg ist.
Wir achten nicht darauf, wer da kommt, wir vertrauen auf Angaben, die da gemacht werden - stellen Pässe aus, deren Richtigkeit kein Schwein kontrollieren kann. Für intensive Untersuchungen fehlen Zeit, Geld - und Personal. Dieses Chaos macht möglich, dass ein Mensch statt einem gleich drei oder vier Pässe besitzt...
Wie viel Geld inzwischen sinnlos verbrannt worden ist, zählt kein Schwein.
Wie viel Hilfe tatsächlich stattgefunden hat, wie viel Energie davon unsinnig verbraucht wurde, scheißegal.
Wer da alles wirklich gekommen ist - who cares.
Aber weil zu viele kommen und das Chaos ausufert, weil die Menschen hier durchdrehen und Parteien stark machen, die zuvor kaum eine Stimme hatten, machen wir die Grenzen wieder dicht, schließen einen Pakt mit dem Teufel, bezahlen unfassbar viel Geld dafür, dass keine Asylbewerber mehr kommen.
Darf man überhaupt noch Asylbewerber sagen? Oder eher Flüchtlinge? Am Ende sind es vor allem Menschen... Menschen, denen ich das Vertrauen entgegenbringe, dass sie wirklich nur das eine wollen, das bessere, sichere Leben... In ihren Turnhallen, Flüchtlingsheimen dürfen sie ihren Antrag auf Asyl stellen, arbeiten oder eine Ausbildung haben dürfen sie nicht. Auch dann nicht, wenn sie erst mal geduldet werden.
Keine klare Linie, keine Strategie erkennbar; es sei denn, man schaut nachts auf den richtigen Kanälen. Was sind die richtigen Kanäle? Es sei denn, man liest nachts die richtigen Seiten im Internet. Was sind richtige, verlässliche Quellen? Woran erkenne ich sie?
Asylanten sind alle Sozialschmarotzer, die kommen nur wegen dem Geld und wollen sowieso nicht arbeiten.
Und was haben wir gemacht? Wir damals, im Sommer 89? Von uns hat man dasselbe gesagt. Damals wie heute.
Ich habe den Song inzwischen ich-weiß-nicht-wie-oft-gehört - und ich bekomme noch immer und immer wieder Gänsehaut davon.
9 Kommentare:
Damit sprichst Du mir aus der Seele, Danke.
Politisch war ich schon immer und ich mochte mir noch nie was vorschreiben lassen - ich habe die DDR gehasst und tue es noch. Nichts, gar nichts war gut. Alles hatte Hintergedanken - nichts geschah aus Liebe zum Volk.
Trotzdem hatte ich eine coole Jugend - in meinem innersten Kreis meiner Freunde, die alle ähnlich dachten. Heute weiß ich - ein schmaler Grat, immer mit einem Bein in der Zange der Staatsmacht.
Gerade haben meine Mutter und ich unsere Stasi-Akten gelesen. Krank war das alles.
Bananen? Geschenkt, mochte ich sowieso nie. Aber diese biedere Muffigkeit, Unterwürfigkeit, Kuscherei,Freiheitsberaubung, Hirnwäsche, ein ewiger Kindergarten.....
Und dann diese Relativierung "uns gings doch gut" - Ja, aber nur denen, die den Mund gehalten haben und sich nett ins System fügten.
Ich höre besser auf, zu viel Emotionen - immer noch.
Aber dein Text ist so wunderbar persönlich geschrieben.....
Lieben Gruß
Was für ein grossartiger Text. Danke dafür :-)
Einfach nur Danke für diesen Text. Ich war am Freitag in Hamburg und habe es mit Gänsehaut gehört - "....er war Typ der durch die Nacht Schlich...." und die Fahrt nach Hamburg war eine Endlosschleife :-)
Ich bin ein typisches Westkind. Glaube ich. Zur Freude meiner Mutter hatten wir keine Ostverwandten, die irgendwann nach der Wende spontan auf der Matte hätten stehen können. Und irgendwie wiederholt sich alles...schon als ich Teenie war, und ich bin Mitte der 60 geboren, wurden die Jahre zuvor ins Land geholten Gastarbeiter verteufelt. Sie nähmen uns die Jobs weg und überhaupt. Meine Eltern mochten gerne ins Ausland fahren, aber die Ausländer sollten bitteschön auch in ihrem Land bleiben. All die Pizzerien, Eisdielen, günstigen türkischen Supermärkte, die es dann auch nicht gegeben hätte, wären alle mit wehenden Fahnen wieder "heim" gefahren...egal. Mein erster Freund ein Kind spanischer Einwanderer..ging gar nicht. Ein Jahr lang Kampf mit den Eltern, bis zumindest "Spanier" mal gerade noch so gingen....und heute geht es wieder los.....Elend und zerbombte Städte manchmal (bitte nicht so oft) in den Nachrichten sehen ist okay, während man lecker Chips futtert. Hierher soll natürlich keiner. Selbst im Freundeskreis sind die Reihen gespalten. EIne Freundin fragte neulich eine andere, die bei der Stadt arbeitet: "und, ist die Zahl der Straftaten nicht gestiegen? Fallen die Flüchtlinge nicht negativ auf?" - als Freundin b alles verneinte, war die erstgenannte fast schon enttäuscht. Zu gerne hätte sie doch auch gehört, dass natürlich alle Ausländer böse, lüsterne Burschen sind und zumindest im letzten Satz hat sie das auch bestätigt..."aber die sitzen doch immer in der Stadt so auf der Bank rum"...ja was sollen sie denn sonst tun...arbeiten dürfen sie ja nicht....
Helma, ich habe dich schon lange nicht mehr umarmt. Anders, ich weiß gar nicht, ob ich dich überhaupt schon einmal umarmt habe.
Für diesen Artikel mit deinen Worten mache ich das einfach - mit oder ohne Erlaubnis.
GAnz lieben Gruß von Clara
Whow. In vielerlei Hinsicht.
Dein Text hat mich schon ergriffen. Ich kenne das Ganze nur umgekehrt. Wir hatten in WestBerlin Verwandte, die wir in meiner Kindheit mehrfach besuchten. Mir sind die Grenzen noch als so groß und furchterregend in Erinnerung. Weil wir nicht reden durften. Und, wie gesagt, ich kenne ja nur die andere Seite.
Wir haben in der Familie damals viel darüber geredet und ich habe es dennoch nie verstanden, warum es nun Deutsche gibt, die nicht aus ihrem Land dürfen.Warum es überhaupt 2 Deutschlands gibt. Und warum wir nicht sprechen, nicht lachen dürfen und unseren Hund verstecken. Wieso die uns das Auto auseinandernehmen dürfen und mein Papa Angst hatte, ob wir wieder aus diesem Raum dürfen. Unsere Familie hat (weit weg) mitgefiebert, gebangt und gehofft, dass die Wende endlich kommt.
Mich wundert es immer wieder, dass die Ablehnung gegenüber Flüchtlingen gerade im Osten so verbreitet ist. Ich kann überhaupt den Begriff "Wirtschaftsflüchtling" nicht mehr hören. Aber das alles würde hier den Rahmen sprengen. ;) Ich könnte mich zu dem Thema durchaus warm schreiben.
Ja, es sind viele, viele, viele Fehler gemacht worden in den letzten zwei Jahren. Um nur als Beispiel die von Dir genannten mehrfach Anmeldungen anzusprechen, da bin ich doch der Meinung, dass es innerhalb von 2 Jahren möglich sein sollte mit unserer Technik so etwas auszuschließen. Von der "Käfighaltung" Schutzsuchender mal gar nicht erst angefangen. Dennoch bin ich grundsätzlich der Meinung, wer Schutz sucht (erst Recht wegen Krieg!) soll Schutz bekommen. Würdigen Schutz.
Ich danke Dir, für das Teilen Deiner Empfindungen damals und dem Lied, was ich auch noch nicht kannte.
Liebe Gretel, ich kann nicht mal sagen, wie meine Eltern das damals empfunden haben. Mit uns Kindern haben sie nie wirklich darüber gesprochen, ich denke, aus der Angst heraus, dass wir Kinder in Schule & Co. irgendwas erzählen, sagen, das sie in Schwierigkeiten bringen würde.
Mein Ex-Mann hatte während seiner Armeezeit Streit mit einem auf seiner Bude, hatte ihn am Kragen gepackt und gesagt: "Lass mich bloß in Ruhe, du rote Socke." Allein für diese Aussage sollte er für 2 Jahre (!) nach Bautzen. Erst nach Wochen wurde entschieden, dass er nicht musste. Sie wussten sehr gut, wie man Druck aufbaut.
Jedoch was ich vermisse, ist der Umgang der Menschen untereinander. Ein Sozialverhalten, das mir heute fehlt. Ähnlich unserer Firma: Als ich dort anfing, waren wir etwa 12-15 Angestellte - und das "Klima" tatsächlich familiär. Alle waren sich einig gegen den Chef, man hat zusammengehalten und sich gegenseitig gestärkt ;) Heute ist es anders. Wir sind etwa 35 Angestellte, es haben sich Grüppchen gebildet und wenn sich die Chance ergibt, kämpft einer gegen den anderen, um die eigene Position zu festigen und beim Chef zu punkten..
Liebe Shaz, ja, es wiederholt sich wohl immer wieder. Damals mit den Gastarbeitern, dann kamen wir Ossis und nun kommen sie von überall her. Für mich spielt keine Rolle, warum jemand kommt. Wer hier leben und arbeiten möchte (bzw. kann), der soll das tun. Es nehmen sich doch auch genug Deutsche die Freiheit, auszuwandern und in andere Ländern zu leben und zu arbeiten. Und wenn sie nicht wegen Krieg, sondern "nur" für ein besseres Leben kommen - warum denn nicht? Was spricht dagegen? Was ich persönlich mir nur wünschte, wäre (da bin ich wohl typisch deutsch) eine geregelte Ordnung - für beide Seiten! Man kann doch Menschen nicht jahrelang im eigenen Land dulden, zusehen, wie sie sich Leben und Familie aufbauen und einrichten und dann erklären, dass ihr Antrag auf Asyl abgelehnt wird und sie in ein Land zurück sollen, das sie entweder gar nicht oder nicht mehr kennen? Was soll der Schwachsinn? Und was soll im Gegenzug der Schwachsinn, wenn Menschen hier Ausbildung und Arbeit bekommen, aber nicht antreten oder fortführen können, weil ihr Antrag ebenso abgelehnt wurde? Mir geht das nicht in den Kopf. Einerseits schrei ich nach Fachkräften aus dem Ausland, andererseits schicke ich genau die wieder nach Hause? Warum denn? Warum sollen sie nicht hier leben und arbeiten, wenn sie es doch können und vor allem wollen?
Ja, Vorurteile sollen gerne bedient werden - und da spielen leider gerade die Medien die wohl mit wichtigste Rolle. Über Negatives wird lang und breit und tagelang berichtet, das Positive kommt so gut wie nie vor. Und wohin führt das? Dass die AfD zur drittstärksten (!) Kraft aufgestiegen ist und manch einer tatsächlich eine Koalition mit der CDU für denkbar hält. Ich bin absolut für Opposition, für Parteien, die tatsächlich Kontra bieten können. Aber die AfD????
Ich kann auch nicht nachvollziehen, dass die Bearbeitung von Anträgen so unfassbar lange dauern kann. Es gibt so viele Sachbearbeiter ohne Job, warum werden diese nicht geschult und eingestellt? Dass tatsächlich genug Finanzmittel vorhanden sind, haben wir doch immer wieder feststellen können... Da sollte es doch auf die paar Groschen Personalkosten nicht ankommen - aber man könnte den Menschen das Leben ungemein erleichtern. Egal wie Entscheidungen auch letztlich ausfallen.
Die erste Gänsehaut, Bohli, überkommt mich an der Stelle "und sie kamen... gerannt.."
Liebe Clara, bei meinem letzten B-Besuch im Juli hatte ich leider überhaupt keine Zeit für irgendwas - aber ich krieg das noch hin! Und dann umarmen wir uns mal in echt :)
Liebe Paulaline, was soll ich sagen: Deinen Worten kann ich kaum was hinzufügen :) Insbesondere was Schutzsuchende betrifft, bin ich absolut Deiner Meinung. Auch was die Mehrfachanmeldungen angeht. Die Technik selbst gäbe es absolut her. Es ist wohl eher eine Frage der Prioritäten, wo und für was ich Geld ausgeben will...
Erst letzte Woche war ich abends in der Stadt unterwegs, und mir begegneten so viele Menschen fremder Kulturen. Frauengruppen. Familien. Frauen mit Kindern. Und der allererste Gedanke, der mir bei ihrem Anblick in den Sinn kommt, ist: Ich weiß nicht, wo ihr herkommt - aber hier geht es euch gut, hoffentlich..
Vor etwas längerer Zeit war ich abends mit dem Mann in der Stadt unterwegs und in einer Häusernische lag in Decken und Schlafsäcken eine Frau mit zwei jungen Männern. Der eine war vermutlich ihr Sohn. Geschätzt 15 Jahre, er hatte den Kopf auf den Schoß seiner Mutter gelegt und sie strich ihm durch das Haar. Allein wie sie das tat, eine so leise, aber unglaublich liebevolle Geste, mir ging das durch und durch. Sie hatte keinen Becher oder ähnliches vor sich stehen, in das man Geld hätte hineintun sollen. Ich hatte keine Tasche, kein Geld dabei, aber ihr hätte ich wirklich so gerne was gegeben.
Unabhängig davon: Kein Mensch soll in einem Land wie unserem auf der Straße, in Häusernischen, in Parks auf der Erde schlafen müssen, keiner! Egal ob deutsch oder nicht deutsch.
"Die Würde eines Menschen ist unantastbar" las ich letztens erst wieder auf einem Plakat und angesichts solcher und ähnlicher Bilder kommt mir nur das Kotzen.
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