Sonntag, 15. September 2019

Eine Stimme von vielen

Hier bin ich in eigener Sache unterwegs.
Die, die mich kennen, und die, die mich vielleicht schon etwas länger lesen, wissen, dass ich seit mittlerweile fast fünfzehn Jahren Schmerzpatientin bin. (Darüber möcht ich eigentlich gar nicht nachdenken und erst recht nicht die Jahre zählen - nicht dass mich doch noch der Mut verlässt nach all den Jahren.) Und die, die mich kennen und lesen, wissen auch, dass ich seit April 2018 deutliche neurologische Veränderungen zeigte - von einem Moment auf den anderen.
Veränderungen, die die Schulmedizin nicht erklären konnte - oder wollte. Nie werde ich die Stimme des Oberarztes im Klinikum vergessen, wie er sagte: "Genetisch, ja, das könnte sein. Aber man muss ja nicht immer gleich mit dem Teuersten anfangen. Wir fangen mal mit dem einfachsten an. Hier ist die Adresse einer psychosomatischen Klinik." Vielleicht war das eine Adresse, die ich noch nicht kannte und die mich noch nicht kannten. Jedoch diese Station habe ich bereits durchlaufen - zweimal stationär, zweimal ambulant. Seitdem weiß ich, dass Schmerztherapie nicht bedeutet, die Schmerzbekämpfung aktiv anzugehen, sondern dass man einfach nur lernt, damit zu leben.
Und das habe ich. Ich hab es gelernt und verinnerlicht. Ich mache weiter wie vor dem Schmerz, auch wenn ich heute nicht mehr weiß, wie das ist: schmerzfrei leben. Ich kann lediglich erzählen, wie es ist, das Leben mit einem Schmerz in einer Körperhälfte, der sich anfühlt, als habe man auf einer Seite ständig Zahnweh. Mal mehr, mal weniger - aber immer.. Jeden Tag, jede Nacht, jeden einzelnen Moment. Eines Tages ist er gekommen und seither nicht mehr gegangen.
Ich habe mich daran gewöhnt, ich habe ihn akzeptiert und angenommen. Verändert hat sich damit gar nichts - aber es ist wie es ist.

Mit den neurologischen Ausfällen oder Auffälligkeiten jedoch... Mit denen konnte und wollte ich mich gar nicht anfreunden. Wenn wir lernen sollen, mit allem zu leben, das wir nicht erklären können - wozu brauchen wir dann Ärzte, die mehr können sollten als Husten & Schnupfen und einen Armbruch zu behandeln?

Die Idee eines Heilpraktikers war schon öfter an mich herangetragen worden, aber ich habe immer abgewunken, da bin ich ehrlich. Und ich bin auch ehrlich, dass ich mich nie wirklich damit befasst habe, was ein Heilpraktiker kann und darf. Möglicherweise dachte auch ich, dass man nichts anderes tut als mit einer Wünschelrute zu wedeln oder sie vielleicht auch über einem Feuerchen anzubrennen - und sich dazu ein paar Zuckerkügelchen einzuwerfen und im Kreis ums Feuer zu tanzen.
Na ja, sowas in der Art vielleicht.
Warum ich mich dann im letzten Jahr dazu bringen ließ, doch zu einem Heilpraktiker zu gehen, kann ich gar nicht wirklich beantworten. War es vielleicht mein letzter Versuch? War es vielleicht jene Form der Resignation, nach der man sagt "Was hast du schon noch zu verlieren?"

Für die erste Stunde der Beratung habe ich 25 Euro bezahlt. Einen Schulmediziner muss ich zwar nicht direkt vor Ort bezahlen, aber ich bin mir ganz sicher, dass auf seiner Rechnung an die Kasse für rund fünf Minuten, die man maximal im Sprechzimmer sitzt, weitaus mehr als 25 Euro stehen.
Hier saß ich tatsächlich eine ganze geschlagene Stunde, sie forderte mich auf, ganz von vorn zu beginnen, schrieb sich alle Eckpunkte auf, dann folgte eine körperliche Untersuchung und am Ende standen vier fragliche Diagnosen auf ihrem Zettel. Alle weiß ich nicht mehr, ich weiß nur noch, dass da was von Borreliose, Parkinson und Schlaganfall stand - und sie mir eine Laboruntersuchung empfahl. Mit Kosten zwischen 120 und 270 Euro. Die Blutuntersuchung für 120 Euro genügte: Nachweis einer Neuro-Borreliose, bei der die Schulmedizin sich weigerte, diese zu behandeln: "Neuro-Borreliose gibt es gar nicht. Das ist eine Erfindung für Patienten, damit sie eine Diagnose haben. So wie zum Beispiel Fibromyalgie." Oder: "Das mit der Borreliose können Sie jetzt eh vergessen, das bringt jetzt nichts mehr" - und mir wurden für 100 Euro Vitaminpillen verkauft und für 30 Euro ein Vitamin D-Spiegel gemessen. Auch beim Schulmediziner übrigens. Lächerlich.

Die Crux ist: Eine Borreliose, ob nun Neuro oder nicht, muss mit Antibiotika behandeln werden. Grad wenn der Stich schon länger her ist (wie bei mir), dann wird auch die Behandlung sehr langwierig - und teuer. Doch Antibiotika verschreiben, das ist etwas, das der Heilpraktiker nicht darf. Weil er schlichtweg die Arzt-Zulassung nicht hat. Er kann sagen, was ich brauche, aber ich muss jemanden finden, der es mir verordnet.
Wir haben aber niemanden gefunden. Es gab Abende im letzten Jahr, da habe ich vor Verzweiflung geweint und nicht gewusst, was ich tun soll. Ich konnte auch nicht nachvollziehen, was daran so schwierig sein sollte. Wäre es nicht tatsächlich einfacher gewesen, mir einfach diese scheiß Pillenkur zu verordnen, anstatt sinnlos teure Untersuchungen auf mich zu nehmen (verschiedene MRT, verschiedene neurologische Messungen an Blutgefäßen und Nervenbahnen) und erneut eine Ärzte-Odyssee durchmachen zu müssen? Mit einer Bandbreite an Aussagen von insgesamt vier Neurologen von "Sie können ja gar nichts mehr!" über "Nein, am Alter liegts nicht; ich kenne keine Frau in Ihrem Alter, die so läuft wie Sie" bis hin zu "Na das sieht doch ganz gut aus."

Ende des vergangenen Jahres bot mir die Heilpraktikerin schlussendlich die Eigenblutbehandlung an. "Als Infusion." Kosten: irgendwas zwischen 65 und 80 Euro je Infusion. Anfangs zwei pro Woche, dann nur noch einmal und nach rund 14 Behandlungstagen legten wir eine Pause ein.
Eine Pause bis heute.
Das Zittern der Hand und des Kopfes hat vollständig aufgehört, bereits nach der 3. Behandlung.
"Das bestätigt die Infektion im Nervensystem", hieß es von Seiten der beiden behandelnden Heilpraktiker in L und in M.
Mein Gang ist deutlich besser geworden, heute sieht mir keiner mehr etwas an, der mich nicht kennt.
Nach Ende der Blutbehandlung war meine körperliche Verfassung schwankend. Es gab wechselnde Phasen zwischen super und deutlichen Rückfällen. Mir ist bewusst, dass mein Körper noch immer ankämpft und mit mir kämpft. Oder ich mit ihm. Wir wollen wohl beide nicht aufgeben ;)
Jedoch die Phasen, in denen es mir besser geht, werden länger - und die anderen werden kürzer.
Seit dem Ende der Blutbehandlung nehme ich weiterhin zusätzlich Präparate, die den Heilungsprozess unterstützen, auch eine Neuraltherapie haben wir ausprobiert.

Mein neuer Hausarzt ist begeistert vom Ergebnis.
"Echt? Mit Eigenblutbehandlung habt ihrs geschafft? Also darauf wär ich echt nicht gekommen."

In der vergangenen Woche nun hörte ich, dass den Heilpraktikern die Anwendung der Eigenblutbehandlung verboten werden und nur noch den Schulmedizinern vorbehalten sein soll.
Ich persönlich bin sehr zurückhaltend, wenn ich zum Unterschreiben von irgendwelchen Petitionen aufgefordert werde. Auch der Mann sagt immer sofort: "Die wollen doch nur an deine Daten."
Hier jedoch habe ich überhaupt keinen Moment gezögert.
Diese Petition liegt mir persönlich grad aufgrund der persönlichen Erfahrungen sehr, sehr, sehr am Herzen. Und so betrachte ich mit wehmütigem Blick, dass die Zahl der Unterschriften nur sehr langsam, im Grunde zu langsam steigt. Auch wenn alle Petitionen geprüft werden, die keine 50.000 Unterschriften nachweisen können, so sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Befürwortung, je weniger Stimmen für die Petition eintreten.

Wenige Wochen zuvor habe ich gegen Spahns Idee unterschrieben, dass Beatmungspatienten nicht mehr zu Hause bleiben dürfen, sondern in - ich formuliers mal so - Beatmungsheimen untergebracht werden sollen. Um irgendwelchem Missbrauch vorzubeugen. Ich lach mich tot. Als wüsste niemand, dass wir nicht jetzt schon an Personalmangel in Pflege und Versorgung kranken - und wie die Zustände in Pflegeheimen jetzt schon sind.
Der Zulauf zu dieser Petition war enorm. Ich bin nicht persönlich betroffen - aber ich hatte unterschrieben, weil ich die Thematik wichtig finde. Mir ist auch bewusst, dass man es nicht immer allen recht machen kann. Aber nur um (finanziellem) Missbrauch vorzubeugen... Einen größeren Schwachsinn habe ich selten gelesen.
Als ich vor, ich glaube, drei Jahren den Mann nachts in die Klinik brachte und wir nicht wussten, was ihn und uns erwarten würde, er aber später die Rechnung prüfte und der Kasse meldete "Diese ganzen Untersuchungen wurden dort aber gar nicht gemacht" und die Kasse antwortete "das ist uns egal, die Klinik hats so gemeldet, also bezahlen wir das so" - was ist das dann? Und will mir wirklich einer erzählen, dass es sich hier um Einzelfälle handelt?

Diese weitere neue Idee von Spahn, den Heilpraktikern die Eigenblutbehandlung wegzunehmen, kann ich absolut nicht nachvollziehen. Mir ist nicht ganz klar, was wirklich dahintersteckt. Natürlich gibt es immer ein gewisses Risiko. Wenn die Mischung nicht stimmt. Wenn das Blutverdünnungsmittel vergessen oder falsch dosiert wurde. Wenn dann das Blut klumpt und ich entweder gleich beim Rücktransfer des Blutes sterbe oder anschließend eine Embolie entwickle.
Wenn so etwas passiert, dann macht es keinen Unterschied, in wessen Praxis ich sitze - dann stehen die Sterne so oder so nicht gut für mich. In einer Praxis kann mir der Schulmediziner genauso wenig helfen wie der Heilpraktiker - aber beide wissen, was dann zu tun wäre.

Wer hat hier eigentlich Angst vor wem?
Wird der Heilpraktiker dem Schulmediziner zu stark, auch wenn die allgemeine Anerkennung für den Heilpraktiker immer noch einiges zu wünschen übrig lässt?
Bei meiner Heilpraktikerin bin ich immer ungefähr eine ganze Stunde lang - beim Hausarzt tatsächlich nie länger als fünf Minuten.
Sie probiert aus - der Hausarzt probiert auch nur aus.

Ich persönlich bin für eine Kombination aus beidem, denn beide können sich absolut ergänzen - mit ihrem Wissen und ihrem Können. Mein neuer Hausarzt ist da völlig offen. Aber er hätte mir nicht helfen können - sie hat mir geholfen. Wo wäre ich heute ohne die Heilpraktikerin?
Wäre ich inzwischen komplett arbeitsunfähig?
Wäre ich irgendwann komplett mittellos, weil ohne Job kein Einkommen und ohne Einkommen keine wirkliche Existenz?
Warum dem einen etwas wegnehmen, das er genauso gut kann wie der andere?

Wer bis hierher gelesen hat.. und wer vielleicht genauso denkt wie ich.. Dann bitte.. lasst Eure Stimme hier:
https://www.openpetition.de/petition/unterzeichner/kein-verbot-der-eigenblut-therapie-naturheilverfahren-erhalten?fbclid=IwAR05-4sdVoO3YSLONWRhiy9nsmm1ZuH67epcs2L0mcI9JHH7vNnkZSog9ow

Eine Stimme allein kann nicht immer viel bewirken. Aber viele Stimmen zusammen.. vielleicht doch. Ich würde mir das ganz sehr wünschen. Nicht nur für mich allein.

6 Kommentare:

DrSchwein hat gesagt…

Das wird wohl nichts mit den Unterschriften.
Schade.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ich denke auch. Und es ist wirklich schade.

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Liebe Helma, ich habe bis zum Ende gelesen, ich bin auch bereit, diese Petition zu unterschreiben, doch wie ich euren beiden Kommentaren entnehme, werden die notwendigen Unterschriften nicht zusammen kommen. - Dein Veröffentlichungszeitraum ist ja noch nicht so lange her - vielleicht wird es doch noch was.
Wenn ich so lese, was du so viele und lange Jahre miterlebt hast - ich glaube, ich hätte diese Ausdauer und dieses Schmerzertragen nicht ertragen.
Liebe Grüße schickt dir Clara

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Clara, das stimmt, ich habs erst jetzt veröffentlicht. Das lag zum einen am Stresspegel der letzten Tage vor dem Urlaub (wenn man sich mal überlegt: Da ist man grad mal 5 Tage nur nicht da und schon drehen alle am Rad und muss alles Mögliche erledigt werden) - und ich kam einfach nicht mehr zum Bloggen.
Ich hatte es auch auf meinem FB Profil eingestellt, aber ich denke, auch da hat es niemanden erreicht.
Ich denke ja, das liegt zum einen noch an der mangelnden Akzeptanz überhaupt der Heilpraktiker und zum anderen aber auch daran, dass es die Masse einfach nicht interessiert. Denen kann ich bzw. würde ich auch keinen Vorwurf machen. Schade ist es dennoch - denn es wird für zB Patienten für mich damit nicht einfacher. Wenn ich überlege, wie lange es diese Form der Bluttherapie schon gibt und dass in all den 15 Jahren nicht ein einziger Schulmediziner nur mal auf die Idee gekommen ist, das auszuprobieren oder wenigstens erstmal anzubieten - dann frage ich mich schon, was das in Zukunft für Patienten bedeutet. Dem Schmerz hat es zwar auch nicht geholfen, worin auch immer nun die Ursache liegt, aber wenigstens konnte ich diese neurologischen Auffälligkeiten loswerden. Oder sagen wir: weitestgehend loswerden. Im letzten Jahr ging es mir körperlich so schlecht, dass phasenweise kaum noch was ging - und wie würde es mir heute gehen ohne die praktizierte Bluttherapie? Ich könnte auch ein 5. Mal zur Psychosomatik-Anlaufstelle gehen, aber wenn 4 x keinen Erfolg dahingehend brachte und mir stattdessen aber jede Anlaufstelle bescheinigte "Sie brauchen mich gar nicht, Sie können das alles schon alleine" - was soll es denn dann? Und da kann ich mich wiederholen wie ich will bei neuen Ärzten: Jeder will mich wieder in diese Schublade stecken. Aber verdammt, nicht jeder, dessen Befund Dir nicht sofort mit dem Arsch ins Gesicht springt, gehört auch in die Psychosomatik - und es kotzt mich dermaßen an, dass sich in der Schulmedizin keiner dessen annehmen will. Alle denken immer nur gleich ans Budget, ich als Patient, als Mensch bin denen sowas von scheißegal.
Echt, da kommt mir die Kotze.

bahnwärterin hat gesagt…

erstmal - schön zu hören, dass es dir besser geht!
dein post ist wasser auf meine mühlen. ich hab der schulmedizin eigentlich noch nie getraut - instinktiv. und sobald ich zugang zu heilpraktikern, yoga-gurus und schamanen hatte, bin ich dahin gegangen - und es hat immer geholfen - auch in schweren fällen, wo die schulmedizin (man versuchts ja doch immer wieder in der hoffnung die sind schon mal weiter) mit OP oder schweren medikamenten gedroht hat......
wenn es nach der schulmedizin ginge würde ich wohl heute im rollstuhl sitzen - und in der klapsmühle.
und jetzt folge ich erstmal dem link....
weiterhin gute besserung! xx

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Bahnwärterin, vielen Dank für Deine Worte und überhaupt vielen Dank :)!

Der Irrwitz ist ja auch der: Mein vorheriger Hausarzt hat in seiner Praxis großartig sein Diplom von wegen Naturheilkunde aufgehängt - aber bei ihm beschränkt sich das lediglich darauf, im Bedarfsfall pflanzliche Medikamente zu verordnen statt der Chemiekeulen. Prinzipiell finde ich das ja gut (ich wusste zB nichts von Weihrauch-Kapseln als Schmerzmittel, was mir zumindest in dem Moment in Kombination mit einer Salbe half, als ich vor zwei Jahren erst rechts, dann links nicht mehr auftreten konnte) - aber nicht dann, wenn es nur darauf beschränkt bleibt und er gar kein Interesse daran hat, Menschen ganz individuell wahrzunehmen. Warum - beispielsweise - hat er mir nie die Bluttherapie angeboten? Ich hätte sie so oder so selber zahlen müssen, egal ob HP oder Schulmedizin. Die Kasse trägt es eh nicht. Aber er hätte es mir doch wenigstens anbieten können? Dann hätte ich mich darüber belesen und mich dafür entschieden, so wie dann eben bei der HP.
Und wenn ich daran denke, wie schlecht es mir noch im letzten Jahr ging - dann frage ich mich schon manchmal, wo ich heute wäre.
Und umso dankbarer war und bin ich, dass es eben Alternativen gab.
Wenn man die jetzt dem einen wegnimmt und der andere sie nicht anbietet - was dann? Nur weil man dem anderen die Möglichkeit lässt, heißt das ja eben nicht, dass er sie auch anwendet.