Dienstag, 17. September 2019

"We Think Too Much And Feel To Little"



...und außerdem tanzen wir viel zu wenig...

Gestern Abend habe ich eine Reportage vom WDR gesehen. Eine Reportage über junge Eltern, die sterben müssen - und ihre (kleinen) Kinder zurücklassen müssen.
Was mir vor allem ganz sehr im Kopf geblieben ist, ist jene tapfere starke Mama, die ihren Mann bis zu seinem Ende begleitet hat - auf eine sehr liebevolle, zugewandte Art. Beide wussten wohl von Beginn der Krankheit an, dass er keine Chance auf Heilung hatte.
Zwei Monate nach seinem Tod hat sie in seiner Heimat Italien auf der Trauerfeier eine kleine Rede gehalten. Wie dankbar sie ihrem Mann ist für all die Dinge, die sie durch ihn gelernt hatte.
"Sagt Eurem Chef, Euren Kollegen, wie gern Ihr Euren Job macht und wie viel Spaß es Euch macht. Sagt Euren Liebsten, dass Ihr sie liebt. Genießt Euer Leben."
Ihre Worte, die Art, wie sie es vorbrachte, das ist mir unter die Haut gegangen.

Wir kommen aus dieser Welt ohnehin nicht lebend raus - und niemand weiß, wann die Zeit dafür kommt. Ich habe wohl auch darum keinen Plan für das kommende Jahr, ich habe auch keinen Plan für die nächsten zehn oder fünfzig Jahre.
Als ich mich vor 16 Jahren von meinem Ehemann trennte, da hatte ich vor allem Angst, dass ich es nicht alleine schaffen würde - und dass ich immer allein bleiben würde, weil alle in etwa meinem Alter vergeben wären. Trotzdem bin ich gegangen, weil das Bleiben keine Alternative war.
Man kann auch sterben, obschon man weiterlebt. Und das wollte ich nicht mehr.
Stattdessen ging ich mit nichts - und baute das neue Leben Stück für Stück auf. Ich habe nicht alles aus eigener Kraft geschafft, aber ich habe ganz viel allein geschafft, und diese Erfahrung nimmt mir niemand mehr.
Und die Liebe?
Ach, fragt bloß nicht.
Wenn ich daran denke, wie oft ich mich nachts zerfleischte, weil ich mich fragte, was ist falsch an mir? Man kann das Lieben auch in sich selbst nicht erzwingen, selbst wenn der andere noch so gut für einen wäre, selbst wenn man sich noch so sehr nach dem Lieben sehnt.
In Zeiten von Onlinedating und vorrangigem Mailaustausch habe ich mal eine ewig lange E-Mail an jemanden geschrieben, und der reagierte begeistert: "Ich hab mir das mal ausdrucken müssen. Zwölf Seiten! Soviel hat mir noch nie jemand geschrieben! Du bist der Hammer! :)"
Und er fügte hinzu: "So ehrlich, wie Du Dir die Liebe wünscht, wird sie Dir auch passieren."
An seine Worte habe ich oft gedacht - und irgendwann auch irgendwie eine Hoffnung entwickelt.
Eine Zuversicht.
Trotzdem hat es letztendlich dann immer noch zwölf Jahre gedauert, bis ich wirklich wusste "Das ist es jetzt und das  bleibt es. Vielleicht."

Und heute? Nochmal sieben Jahre weiter?
Heute genieße ich jeden einzelnen Tag. Ich stehe morgens auf und denke: "Na? Was gibts heute?"
Heute frage ich mich nicht mehr, ob wir morgen noch ein Paar sind und übermorgen noch immer zusammen leben. Ich frage mich nicht mehr, was ich tun würde, wenn. Ich weiß es.
Ich würde fortgehen von M und mir zunächst in der Nähe meiner Jungen ein neues Zuhause suchen. Die nächsten Jahre genießen und irgendwann an das Meer gehen. Irgendwohin ans Meer.
Malen. Schreiben. Lesen. In der Sonne liegen und die Sonnenbrille auf der Nase balancieren.
Mit einem anderen Mann zusammenziehen werde ich nicht mehr.
Irgendwann vor vielen Jahren hatte jemand zu mir gesagt: "Such dir einen Mann. Alles, was du brauchst, ist ein Mann."
Er hatte unrecht.
Ich habe gelernt, mir selber genug zu sein. Ich kann sehr gut mit mir allein sein.
Es wäre ein anderes Leben. Aber anders bedeutet nicht: ein schlechteres Leben. Es ist eine andere Art von Zufriedenheit und Glück.
Ich habe aber auch gelernt: Wenn ich glücklich sein will, muss ich selber aktiv werden. Und nicht darauf warten, dass es ein anderer für mich tut. Es hat auch mal jemand zu mir gesagt "Ich möchte derjenige sein, der dich glücklich macht." Heute weiß ich: Darum gehts gar nicht im Leben. Nicht ein anderer kann mich glücklich machen - sondern ich mich selbst, und dann kann ich dieses Glück in mir mit einem anderen teilen. Denn wenns ein anderer tut und ich verlass mich drauf und dann ist er nicht mehr da, was dann? Nein nein nein. So funktionierts nicht (mehr) für mich.

Schaue ich heute auf mein Leben, bin ich dankbar. Dankbar dafür, dass es so ist wie es ist.
Dankbar dafür, dass wir uns haben. Dass wir aneinander denken, nebeneinander liegen und auf den Herzschlag des anderen lauschen. Nachts beieinander liegen, meine Hand auf seinem Bauch oder in seiner Hand.

Ich bin aber auch dankbar für diesen Lernprozess, dass ohne ihn mein Leben zwar anders wäre - aber nicht zuende. Und ich immer in der Küche tanzen werde können, mit ihm und auch allein.
Weil ich es liebe, dieses Leben. Und schon seit ganz langer Zeit nicht mehr darüber nachdenke, was morgen sein könnte.

4 Kommentare:

Gabi hat gesagt…

So ist es, nur schade, dass wir Frauen das oftmals so spät lernen. Und mit dieser Erkenntnis wird der Beziehung auch eine Menge Stress genommen... der "mach mich glücklich Stress". Aber vielleicht braucht es auch so eine lange Zeit und die darin gemachte Erfahrung, um an diesen Punkt zu kommen.
Interessant, dass die Männer, die ich kannte und der Mann, den ich liebe, diese Einstellung schon immer vertreten haben. " Was würdest du tun, wenn ich nicht mehr da wäre?" Mann: " Jaa, dann wäre ich am Boden zerstört, was soll ich denn machen ohne dich?" " Ja und später, wenn einige Zeit vergangen ist?" " Also man wird schon wieder klar kommen, denke ich...."

Eigentlich war ich immer eingeschnappt ob solcher Antworten :) aber jetzt verstehe ich es, das ist die richtige Einstellung zum Überleben.

Ich wünsch dir auf jeden Fall, dass du es nicht ausprobieren musst! Liebe Grüße Gabi/ Pyrgus

bahnwärterin hat gesagt…

Schon wieder triffst du bei mir ins Schwarze!
Habe meinen Mann auch erst spät gefunden, mit 39. Da hatte ich dann endlich gelernt mich selbst glücklich zu machen..... Deshalb wurde ich mit ihm glücklich - und bin es noch.
Ich wünsche dir und mir dass es noch ganz lange so bleibt - entspannt und ohne falsche Erwartungen :)
Xx

Dies und Jenes hat gesagt…

ok mit dem mann hatte ich glück, mit dem Umfeld weniger. Wir sind 34 Jahre verheiratet. Ich weiß nicht ob es Gewohnheit, Liebe oder oder oder ist oder alles zusammen ist. Wir haben uns aber immer unsere Eigenständigkeit bewahrt und nach einiger Zeit würden wir auch ohne den Partner klarkommen wenn er aus Gründen nicht mehr da ist, wenn auch nicht immer ganz einfach mit den Kindern und der Sorgen ihretwegen. Da hat das Umfeld mehr Schaden angerichtet.

Irgendwie hat die MS bei mir einiges wachgerüttelt. Im gewissen bin ich der auch dankbar, wenn sie auch ab und an wirklich zickig ist. Am A... vorbei.

Ich hoffe mal dass es so bleibt mit Mann und Krank und die Kinder ja das wird auch und der Rest am A.... vorbei.....
Heute die Kolleginnen am lästern, am jammern und ich meine Arbeit gemacht und nach Hause pünktlich ne vorher in die Stadt, auf dem Markt leckeres Essen besorgt für Tochter und mich, ins Lieblingscafe, in der Sonne gesessen und genossen. Dem Mann ne Nachricht geschickt und die Daumen gedrückt für die Betriebsversammlung.

Morgen ist ein neuer Tag. Ganz ohne Wertung des gestrigen. Du machst das richtig. Ich auch obwohl das Umfeld....

Liebe Grüße

Ursula

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

So, jetzt kann ich endlich mal antworten - Tagwerk für heute fast geschafft:
Vielen lieben Dank für Eure Kommentare. Ja Gabi, als ich noch jung war *kreisch*, ging mir das auch so: Das Gefühl, der andere kann gut ohne einen auskommen, hat das Gefühl vermittelt, man sei vielleicht doch nicht so wichtig. Dabei ist das tatsächlich nur die richtige Einstellung zum Überleben.
Der Mann hofft ja immer, dass wir eines Tages gemeinsam sterben, so wie in dem Film "Wie ein einziger Tag". Oder dass er vor mir gehen kann. Nu ja. Es kommt wies kommt.

Liebe Bahnwärterin, ich fand das früher alles immer nur Gerede, von wegen "sich selber glücklich machen". Als ich mich von meinem Mann trennte, meinte mein Vater zu mir "Komm mir jetzt bloß nicht mit "ich muss mich selbst finden" und so n Scheiß!"
Diesen Gedanken hatte ich tatsächlich nie - und trotzdem war die Zeit nach der Trennung die wichtigste Reise, die ich je gemacht habe. Die Reise zu mir selbst.

Liebe Ursula, ich hab heut Abend eine ganze Weile telefoniert und irgendwie kamen wir auch auf das Thema Schmerz. Ich liebe das Leben sehr und ich lebe unfassbar gern. Aber ich gebe schon auch zu, dass ich nach den 16 Jahren Dauerschmerz schon auch manche Abende oder Nächte habe, wo ich es kaum aushalten kann (vor allem, wenns kälter wird, das bekomme ich sozusagen postwendend zu spüren) und wo ich mich dann schon frage "Orrr ne ey.. Ich glaub, ich schaff das nicht."
"Was wäre denn da die Alternative?" wurde ich prompt gefragt. "Stürzt du dich dann vom Balkon?"
Vermutlich nicht - weil der Aufprall zu weh tun würde ;) Aber manchmal... ist es doch nicht so einfach, dass jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde auszuhalten.
Dann aber wieder versuch ich mich auf die Momente zu konzentrieren, wo es wieder aushaltbarer wird. Und ich sage mir "Es gibt sie ja noch, die erträglicheren Tage. Nutze die!" Und dann gehts auch wieder.
Und hat mich das geerdet? Ja, ich glaub, ein Stück weit schon. Vielleicht ist es das, warum ich so sehr das Positive in meinem Leben genieße und mich wenig darum kümmere, was andere machen oder von mir halten.