Samstag, 14. September 2019

Zuviel und zu wenig



Ich bin nicht nur gut im Prokrastinieren von Dingen, die mir nicht so liegen. Ich bin auch gut darin geworden, Dinge auszublenden, die mir nicht gut tun. Insofern hat es dann und wann Zeiten gegeben, in denen ich mich beispielsweise monatelang aus sozialen und sonstigen Netzwerken zurückzog, mich auf meine ganz persönliche Insel zurückzog, auf die ich nur ganz wenigen Menschen Zutritt gestattete. Phasenweise manchmal nur noch meinen Kindern - doch diese ganz "engen" Phasen währten glücklicherweise nie lange. Glücklicherweise deshalb, weil es eigentlich gar nicht meinem Wesen entspricht.
Denn eigentlich bin ich gerne gesellig, rede meist wenig, manchmal auch viel, höre meist zu, manchmal bin ich mit meinen Gedanken ganz woanders. Im Grunde muss man mir eigentlich nur meinen ganz eigenen Raum lassen. Das geht nicht auf Bestellung, das funktioniert nicht, wenn der Mann sagt: "In drei Tagen bin ich da und dort, dann hast du Zeit zum Malen, Schreiben, whatever."
Man kann sich nicht vornehmen, wann man malt oder schreibt. Oder besser: ICH kann es mir nicht vornehmen. Für mich muss es fließen. Vermutlich würde ich deshalb auch nie ein Buch schreiben können (wie eine Freundin mir öfter empfahl) und nicht mal Kolumnen für eine Tageszeitung (wie mir mal ein ehemaliger Vorgesetzter ans Herz legte). Ich könnte vermutlich nie eine Deadline einhalten, weil ich nie sicher sein könnte, dass es bis dahin fließt. Aus dem Kopf heraus über die Finger auf die Tastatur.
Ich brauche Dinge, die mich inspirieren, und ich brauche meinen eigenen Raum dazu. Diese ganz persönliche Insel in meinem Kopf.


Es ist der letzte Tag unseres Urlaubs, morgen früh geht es wieder nach Hause - auch wenn der Mann gerne erst am Abend fahren wollen würde. Er ist dafür, den Tag mit dem wundervollen Sommerwetter noch zu nutzen, während ich in meinem Kopf schon wieder all die Kleidchen in den Koffer lege, die Rückfahrt überwinde, daheim die Taschen auspacke, dem Murmeln der Waschmaschine zuhöre, während ich dabei bin, Abendessen zuzubereiten und der Mann die Kerzen entzündet, zu denen ich die Pinienzapfen legte - und wir den Abend entspannt ausklingen lassen. Denn da sind sie schon wieder, diese wundervollen Frühherbstabende, die ihre wunderbare melancholische und doch nicht schwermütige Stimmung mitbringen. Ich liebe diese Abende soooo sehr!!!
Und in diese Vorstellung hinein passt nicht, dass die Rückreise irgendwann in der Nacht endet, wo man weder Zeit noch Muße hat, Wäsche zu sortieren oder einen letzten freien Abend vor Arbeitsbeginn zu zelebrieren.
"Ihr werdet Euch schon einigen", schrieb mir heut jemand, und ich musste lächeln: "Bis jetzt ziehen meine Argumente noch." Und wenn die nicht mehr ziehen, zieh ich mich eben aus. Wenn das auch nicht mehr zieht, zieh ich eben aus. So wirds werden :)

Und während ich hier die vergangenen Tage resümiere, der Mann sein letztes Battle für heute Abend gegen den virtuellen Feind führt und ich außerdem in die Musik eintauche, über dieses Video stolper, da denke ich einmal mehr.. dass es in der Welt viel zu oft viel zu viel Raum für Negatives gibt - und all das Schöne, das Wunderbare, das Leichte viel zu kurz kommt, viel zu wenig Beachtung findet. Warum ist das eigentlich so? Dass das Negative im Kopf bleibt, man mitunter tagelang darüber spricht oder nachdenkt, während man Positives und Wunderbares hingegen zwar zur Kenntnis nimmt, aber im oft gleichen Moment auch wieder zu den gedanklichen Akten legt?
Wann ist das passiert, dass Meinungen und Argumente als Angriff und nicht mehr als das genommen werden, was es ist: eine Meinung und ein Argument?
Wie konnte das passieren, dass die Stimmung unter den Menschen so gekippt ist und Gruppierungen wie eine AfD so stark werden konnten?
Wie konnte es so weit kommen, dass man einander nicht mehr wirklich zuhört, stattdessen übereinander herfällt?
Heute, an unserem letzten Nachmittag am See, da haben wir einen kleinen Jungen gesehen, wie er am Ufer stand und gefühlt eine halbe Stunde lang immer nur rief "Hey!" Ohne wirklich irgendwo hinzusehen, ohne wirklich jemanden anzusehen - er stand einfach nur am Ufer.
"Ob das ein Junge mit Autismus ist?" fragt der Mann.
"Ich weiß nicht", antworte ich nachdenklich und füge nach einer Weile hinzu: "Ist es nicht irgendwie traurig, dass man immer sofort denkt, jemand habe irgendein Problem oder sei irgendwie krank, nur weil er... irgendwas macht, von dem wir nicht wissen, warum er das tut? Nur weil er irgendwas macht, das anders ist?"

Manchmal denke ich.. vielleicht bräuchten wir alle nur ein bisschen mehr.. Musik, Liebe, Lachen..
Von allem Guten ein bisschen mehr, und sei es ein bisschen mehr Aufmerksamkeit dafür - und vielleicht würde es ausreichen, um dem Negativen ein bisschen mehr Raum zu nehmen?
Sollten wir alle nicht viel mehr lieben, lachen, tanzen und singen? Das Negative bleibt uns sowieso - aber muss es denn mehr Raum bekommen als es sollte?

Gestern Abend sind der Mann und ich in den Nachbarort geradelt - und haben dort einen kleinen Shop entdeckt, der handgemachte Schuhe verkauft. Jedes Paar ein Unikat. Man kann es vorbestellen, aber man wird nie genau wissen, was man bekommt. Außer dass man die Farben selber zusammenstellen kann - von der Sohle über den Korpus bis hin zu den Schuhbändern.
Ich habe mich für ein Paar roter Schuhe entschieden - und sie gleich mitgenommen. Nicht meine Größe, und trotzdem passten sie wie angegossen. Glück gehabt! Mein allererstes Paar rote Schuhe - und ich bin schockverliebt. Und immer, immer muss ich an die Worte einer Freundin denken, die mir nach dem Kauf eines roten Kleides mal schrieb "Gute Wahl! Rot ist die Farbe der Energie."
Und immer, wirklich immer lächle ich beim Kauf eines roten Accessoires, denke an ihre Worte und denke vor allem an eines: wie sehr ich dieses tiefe, leuchtende Rot liebe und wie viel Lebensfreude es in mir erweckt. Ist ja nicht so, dass ich nicht wüsste, dass und wie sehr ich es liebe, dieses Leben.
Aber ich liebe auch genau die Auslöser-Momente, die sie hervorsprudeln lassen.
Sei es nun der Kauf eines Lieblings-Accessoires - oder der Anblick der selbst gesammelten Pinienzapfen morgen Abend neben unseren Kerzen, worauf ich mich schon jetzt wie irre freue. Dafür ziehe ich mich dann gerne aus ;) 

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