Donnerstag, 10. Juni 2021

Die Summe aller Dinge


Durch das Lesen verschiedener Postings hab ich auch immer wieder in meinen eigenen Blog geschaut und schon auch registriert, dass ich ein Weilchen nichts mehr geschrieben hab. Sicherlich gabs Momente, in denen ich dachte, ich müsste das jetzt mal aufschreiben - und am Ende eines Tages war ich dann doch irgendwie zu müde, innen wie außen.

Es war.. irgendwie zuviel.
Und es war zuletzt keine gute Zeit. 
Erst gestern Abend debattierte ich mit einer Freundin und merkte an, dass sie  - für mein Empfinden - irgendwie nur noch damit beschäftigt sei, zu allen möglichen Ärzten zu gehen. Hier ist was, dort ist was, im Blut eine Abweichung, dort ein Normwert latent überschritten. Manche Dinge sind vielleicht aber auch wie sie sind, ohne dass deshalb auch gleich irgendwelche Erkrankungen dahinterstecken müssen. So wie eben der eine große Ohren, der andere kleine Ohren hat. 
Sie meinte daraufhin, sich jahrelang nicht um sich gekümmert zu haben - aber eben jetzt.
Was mich zur spontanen Frage bewegte, ob das "sich um sich selbst zu kümmern" tatsächlich meint, permanent in sich selbst hineinzuhorchen und alles und jedes zu hinterfragen? 
"Wäre es nicht eher Zeit, loszulassen und sich mehr auf das Leben zu konzentrieren?" fragte ich sie - und ich fragte das auch mich. 

In den letzten Wochen hab ich eine ganze Menge einstecken müssen. Dass es dabei fast niemals um mich ging, hat mir vermutlich geholfen, das überhaupt so lange Zeit aufnehmen und irgendwie "wegstecken" zu können. Aber eines Tages war dann der Punkt erreicht, an dem ich eben nichts mehr aufnehmen konnte. Ein Zeitpunkt, an dem dann auch mir Fehler unterliefen. Keine gravierenden, keine, die Geld oder Ansehen oder überhaupt irgendetwas kosteten - aber Fehler, die an mir nagen, weil sie vermeidbar wären, würde mein Kopf sich nur ein bisschen freier fühlen. Und Fehler, die das Gegenüber vergessen lassen, was man an den anderen 362 Tagen leistet. Ganz gleich, ob es sich um dienstliche Belange oder mentalen Beistand handelt. 
Man ist einfach nichts mehr, wenn man nicht an 365 Tagen seine einhundert Prozent perfekt abliefert. 
Es ist nicht so, dass ich das nicht kenne - aber derzeit werden meine Grenzen wohl neu gesteckt. 
Das waren Tage, an denen ich noch vor sieben Uhr zu Bett ging, völlig hinüber und innen wie außen erschöpft, ich mich gar nicht so selten in den Schlaf weinte und mich dann ab etwa drei oder vier Uhr ruhelos hin und her wälzte. 
Ich konnte mich zu nichts mehr aufraffen, kein Buch lesen, kein Spiel zocken, keine Musik hören, keine neuen Steine bemalen - nichts. Nichts, das mir irgendwie inneren Frieden verschaffen konnte. Das Miteinander mit dem Mann - ein stilles Miteinander, in dem er respektierte, dass die Zeit grad keine gute Zeit war. Ein Miteinander, in dem er sich dann und wann sorgte und sich vermutlich fragte, wann ein Zuviel auch tatsächlich zuviel war. Ein Miteinander, in dem er sich durchaus zurücknehmen konnte, andererseits aber auch spüren wollte, dass ich ihn immer noch wahrnehme. Als Mensch, als Partner - und als Mann. 

Es waren Wochen, in denen ich spürte, wie dünnhäutig ich sein kann.
Auf die Nachricht, dass mein Kollege ganz überraschend in der Reha verstorben ist, reagierte ich, indem ich einen ganzen Tag lang weinte. Das Leben im Office geht weiter, als wär nix passiert, während ich ihn immer noch vor mir sehen kann, mit dem breiten Grinsen und seiner Zahnlücke. 
Ich spüre, was es mit mir macht, wenn über Mitmenschen gelästert wird, wenn regelrecht schlecht über Mitmenschen gesprochen wird - und ich ertrage es nicht mehr. Nicht die Art und Weise, nicht die Wortwahl. Es widert mich an.
Wenn man ein Problem mit jemandem hat, geht man hin und sagt ihm das - oder man lässt es und hält einfach sein Maul. 
Ich ertrage es nicht mehr, wenn Menschen, die alles haben, sich über andere erheben, die nicht soviel haben, oder sich einfach für einen anderen Weg entschieden hatten. Es muss nicht jeder alles können.
Ich ertrage es nicht mehr, wenn Menschen Verantwortung übernehmen - und sich genau darüber tagtäglich beklagen und auslassen. 
Kann man nicht einfach nur mal dankbar sein, verdammt?

"Wäre es nicht eher Zeit, loszulassen und sich mehr auf das Leben zu konzentrieren?" habe ich gestern Abend meine Freundin gefragt - und ich beziehe diese Frage auch auf mich, wenn auch aus anderen Gründen. Vielleicht gelingt mir nicht immer der Spagat zwischen Zuhören und Abgrenzen. Aber mein Akku ist leer, verdammt leer. Leergesaugt von Menschen, die das nicht achten, nicht zu schätzen wissen.

Am Samstag fährt der Mann für ein paar Tage weg und ich hab mich entschieden, nach L zu fahren. Ohne ihn fühl ich mich hier irgendwie.. verloren.. ängstlich beinah - ein komisches Gefühl. In meiner Wohnung in L geht mir das kurioserweise gar nicht so - hier schon. 
Und im Juli fahren wir ans Meer. Endlich, endlich wieder ans Meer. Wie sehr ich eine Auszeit brauche, spürte ich vor etwa zehn Tagen, als ich morgens erwachte und am ganzen Körper zitterte - und das auch den ganzen Tag lang so blieb.
"Ich möchte dann bitte auch wirklich Urlaub haben", sagte ich zur Kolleginfreundin. Was bedeutet: nur Anrufe, wenn sie wirklich unumgänglich sind. 

Vor wenigen Tagen hatte ich Geburtstag. Wieso ich das dachte, kann ich nicht mal beantworten, aber ich sagte mir: "Wenn es kein schöner Geburtstag werden sollte, dann werde ich mich einfach umschauen, ob ich irgendwo ein paar Tage ans Meer fahren kann - und dann mache ich das auch, ganz alleine." Auf der Rückbank in der Tasche nur ein paar Kleidchen, Sandalen, Bücher und meine Musik. Und dann hätte ich in diesen paar Tagen niemanden hören, niemanden sehen wollen, sondern einfach nur mal an mich gedacht - und es mir gut gehen lassen.
Während ich das hier grad so aufschreibe, überkommt mich grad so eine Ahnung, warum ich im Moment so denke und fühle: weil ich so müde bin. So unfassbar müde, dass ich mich kaum über etwas richtig freuen kann. Ich lächle, ich lache, ich umarme - aber in mir drin.. ist Müdigkeit. Und das muss ich ändern. Wenigstens kann ich jetzt schon wieder Musik ertragen. 

3 Kommentare:

allesgewollt hat gesagt…

Kann sehr viel davon nachvollziehen und verstehen.
So Sätze, wie - wird schon wieder- erspare ich uns.
Alles Liebe !
Am Meer wird es schön und bis dahin viel Musik.
Herzliche Grüße, Angela

Dies und Jenes hat gesagt…

Liebe Helma,

wie treffend geschrieben. Und das mit dem tief innen Müde - ich weiß genau was Du meinst.
Und ja das Meer.
Unbeschwert, einfach unbeschwert ans Meer fahren - da muss ich noch warten, bin mit dem Impfen - wollte ich ja eigentlich gar nicht - noch nicht fertig, denn ich habe definitiv keine Böcke auf die Testerei.

So versuche ich mich in Geduld zu üben.

Und ja fahre ans Meer und nur Du und Musik, Buch und der Duft des Meeres.

LG
Ursula

Juna hat gesagt…

Juli Meer? ÄHM....wir kommen dann auch bald mal nach M, weil der Mann arbeitet ja jetzt südlich von euch... ;-)

alles andere lese ich nochmal bevor ich dir ausführlich antworte:-*