Freitag, 25. Juni 2021

Talk to Me


Einer der Gründe, warum ich es in meiner Ehe nicht mehr aushielt, waren die immer wiederkehrenden verbalen Ausfälle. Am Anfang hat es immer nur geschmerzt, in der anschließenden Phase verteidigte ich mich - und in der Schlussphase zuckte ich nur noch die Achseln. Das war eine meiner Erkenntnisse aus jener Zeit: Wenn dir etwas nicht mehr weh tut, dann bist du spätestens dann damit durch und hast abgeschlossen. 

Mit Worten ist es - wie ich finde - wie mit der Musik: Sie können alle deine Wunden heilen - und sie auch alle wieder aufreißen. 
Und wieder und wieder stelle ich fest, dass manche Menschen sich der Kraft ihrer Worte nicht bewusst sind. Sicherlich ist das auch abhängig von der eigenen Felldicke. Jedoch wenn Jahr für Jahr immer und immer wieder auf dieselbe Stelle eingehauen wird, dann wird an dieser Stelle das Fell dünn. Sehr dünn. Und eines Tages kann ich Verbalausfälle nicht mehr tolerieren - und muss es auch nicht. 

Ich überlege, wie ich es so formulieren kann, dass Beteiligte geschützt bleiben - und versuche es so: 

Person A trägt eine Forderung an dich heran und du übernimmst sie, weil sachlich und faktisch alles zusammenpasst, einen Sinn ergibt. Du erinnerst dich zwar, dass da doch noch etwas war, du lächelst auch und schmunzelst in dich hinein - aber du hinterfragst es nicht bei Person A. Musst du eigentlich auch nicht - weil wie gesagt, es passt alles - und außerdem hast du ja die Forderung von Person A erhalten.
Im Nachhinein jedoch stellt sich heraus, dass Person A etwas übersehen hat, etwas ganz Gravierendes. Was dann passiert, kann man sich kaum vorstellen.
Du weißt seit vielen Jahren, dass Person A nur nach außen so selbstsicher tut und wirkt  und es in ihrem Inneren völlig anders aussieht. Du kennst das alles, du hast das in deiner eigenen Ehe bis zum buchstäblichen Erbrechen erlebt und erfahren - in all seinen negativen Facetten. 
Insofern überrascht dich der Anruf an jenem Abend nicht - aber was du dir in diesem Telefonat alles sagen lassen musst, was in dieser halben Stunde über dich ausgegossen wird... Auch das erkennst du wieder, du kennst diese Muster, dass schwache Menschen jegliche Verantwortung für ihr eigenes Fehlverhalten nicht übernehmen können und wollen - allein das Wissen hilft dir jetzt auch nicht. 
Du weißt nur, dass, egal, was du jetzt sagst, alles nur noch schlimmer werden würde. Also bleibst du ruhig und still, sagst nur ganz wenig oder gar nichts - und hörst dir die ganze Scheiße von A bis Z an.
Es vergehen nur wenige Tage, in denen es unfassbar in dir arbeitet. Du schläfst schon seit Wochen schlecht, kannst nicht mehr wirklich abschalten - und kaum hatte sich dieser Umstand etwas beruhigt, genügt ein erster Anruf, um alles wieder aufzureißen.
Und die Kreise ziehen sich, weiten sich aus - und letzte Nacht stehst du irgendwann gegen ein Uhr auf und schreibst eine E-Mail an Person A. Kurz und knapp - aber unmissverständlich. Du stellst dich damit auch vor Person B, weil die am allerwenigsten dafür kann. 
Eine E-Mail deshalb, weil du derzeit nur die Möglichkeit zu telefonieren hättest, um Person A zu erreichen - und weil du weißt, dass dir entweder das Wort abgeschnitten oder einfach aufgelegt wird. 
Also schreibst du nachts mit zitternden Händen ein ganz kurzes, klares Statement - und schließt ab, während du dich wieder in dein Bett legst und versuchst, für den Rest der Nacht wenigstens noch ein bisschen Ruhe zu finden. Erst im Gespräch mit Person B bröckelt deine nach außen ruhige Fassade, und als du aufgelegt hast, weinst du so lange, bis du aufstehst und dir einen Lidstrich ziehst: Ab jetzt keine einzige Träne mehr, sonst verläuft ja alles. 

In den vergangenen Wochen habe ich mich hin und wieder gefragt, woran es liegt, dass die Haut so dünn geworden ist. Liegt es am fortschreitenden Alter - oder einfach daran, dass es Dinge gibt, die nicht sein können und auch nicht sein dürfen, und dich ein gewisses Maß an Lebenserfahrung deine eigenen Grenzen neu stecken lässt? Auch fragte ich mich: Wie viele Spritzen soll ich mir setzen, wie viele Medikamente soll ich nehmen, wie viel Sport soll ich machen, um gut über den Tag zu kommen, wenn dir an einer Stelle wieder und wieder deine Energie abgesaugt wird? Für Dinge, für die du mitunter nicht mal wirklich etwas kannst.. An denen du selber oft nicht mal beteiligt bist? Ich habe mittlerweile die offizielle  medizinische Bestätigung, dass die körperlichen Beschwerden keine psychische Ursache haben - aber mir ist durchaus bewusst, dass dieser Druck im Kopf das Ganze nicht besser macht und auch nicht positiv beeinflusst. 

Ich habe durch Person A eine ganze Menge erfahren, für die ich ihr wirklich sehr dankbar bin.
Dieser Umstand hat mich über so einige Jahre "gerettet", in denen ich mich längst lösen wollte. 
An dieser Dankbarkeit würde auch ein finaler Bruch nichts ändern. Nur wenn ich nicht nur an mir selbst feststelle, dass Person A mich nach und nach in meinem eigenen Inneren zerstört, dann müssen Konsequenzen über dieser Dankbarkeit stehen. 
Wie sagt Person B immer so schön? "Dafür ist mir meine Lebenszeit zu schade."

Vor 18 Jahren habe ich mich von meinem Ehemann getrennt, damit ich nicht aufhörte zu existieren.
Es hat viel Arbeit gebraucht, um mich von diesen Jahren zu lösen, die Schale aufzubrechen und hervorkommen zu lassen, was und wer ich wirklich bin.
Und ich habe keine Lust, mir das alles systematisch wieder zerstören zu lassen. 

Letztens sagte jemand zu mir: "Ich hätte schon vor zehn Jahren mein Leben ändern sollen."
Ich antwortete darauf: "Das kannst du jetzt nicht mehr ändern. Aber sei doch froh, dass du dein Leben jetzt geändert hast. Stell dir vor, du wärst am Lebensende angekommen und müsstest dir sagen: Hätte ich doch nur. Aber jetzt kannst du genießen, was du hast."
Und dasselbe habe ich aber auch vor.