Montag, 5. August 2024

Long time no see

Irgendwie bin ich immer wieder überrascht davon, dass ich überrascht bin, so lange wieder nichts geschrieben zu haben. Zwar lese ich recht regelmäßig und kommentiere hin und wieder auch mal etwas - aber zum selber schreiben fehlte mir einfach wieder die Zeit. Und die Muße. Und überhaupt. Im Kopf formuliere ich so oft irgendwelche Texte - doch ehe ich zum Niederschreiben komme, hat sich alles schon wieder verflüchtigt.

Der Mann sagt ja in letzter Zeit immer öfter: "Du arbeitest zuviel!" Das stimmt vielleicht. Aber ich selber denke, das ist nur die halbe Wahrheit. Ja, das Pensum ist enorm - und seit wir wieder in L wohnen, hab ich hier sehr viel weniger Zeit für mich und auch viel weniger Ruhe im Kopf als zuvor in M. Letztlich aber ist mir bewusst, dass das ein Zusammenspiel aus mehreren Dingen ist. 

In M wohnend, hab ich es genossen, zehn Tage im Home Office zu arbeiten und anschließend für drei Tage nach L zu verreisen. Zwei Tage im Office vor Ort zu arbeiten und am vierten Tag wieder heimzufahren. Vier Stunden lang Musik nach meinem Gusto, nur die Musik und ich in diesem kleinen silbrigen Raum. Jedes Wochenende gehörte uns, es gehörte mir, es gehörte all dem, wonach uns war.

Das ist heute anders. Ich fahre drei Tage in der Woche in das Office vor Ort, bin früh morgens da bis zum Abend, versuche, die Dinge zu regeln und zu bewegen, die vor Ort einfach besser zu handhaben sind als von daheim aus. An den anderen beiden Tagen arbeite ich zu Hause - weil ich mich dort besser konzentrieren kann. Keine Telefone, die permanent klingeln. Keine Fragen Dritter, die permanent an mich gerichtet werden und mich mindestens genauso oft aus meiner Arbeit herausreißen. Der Nachteil des Home Office ist, dass ich in letzter Zeit dann oft bis 19, 20 oder eben auch 22.30 Uhr am Schreibtisch sitze. Termine im Nacken gepaart mit dem Ehrgeiz, selbstgesteckte Ziele auch erreichen zu wollen. Man kann sich an Aufgaben festbeißen, von denen man gar nicht wusste, wie man sie lösen soll - und wenn man dann den roten Faden aufgenommen hat, will man ihn gar nicht erst wieder aus der Hand lassen. Frau kann das auch! :)

Am Wochenende fahre ich ja mindestens einen ganzen Nachmittag zu meinem Älteren. Jedenfalls, wenn er keinen Dienst hat. Der Rest des Tages gehört dem Hausputz. Zum Malen oder sonstigem Kreativen bin ich in der Regel zu müde. So wie ich überhaupt oft müde bin aktuell. Aber hey, es ist einfach auch zu warm in Mittelerde! Ja, es ist Sommer - der darf das. Inzwischen bin ich aber auch in einem Alter angekommen, in dem es mir etwas ausmacht und ich mehr Zeit brauche, um mich zu regenerieren ;) Hab übrigens am Wochenende von meinen beiden Nichten "gelernt", dass alles über 30 schon alt ist. "Sorry, aber nix gegen euch, aber ihr Alten!" hat die eine die Schultern gezuckt. Na Halleluja! Für die Rente bin ich trotzdem noch mehr als zu jung - was übrigens den Mann ziemlich grämt. Er wünschte, ich könnte mindestens gleichzeitig mit ihm aufhören zu arbeiten - aber das wird nix. Lotto spielen wir ja nicht und die äußeren Randbedingungen werden ja eher schlechter als besser. Klar gibts ganz viele Leute, die noch mit 70 Jahren arbeiten gehen wollen - oder müssen. Die auch noch länger arbeiten wollen - oder müssen. Aber ich persönlich möchte das, glaube ich, nicht ausreizen. Nicht, wenn ich nicht muss. Es gibt so einiges, für das ich mich interessiere und zu dem mir aktuell schlichtweg die Zeit fehlt. Genau genommen habe ich für mich nur noch den Sonntag - und das ist nicht nur mir, sondern auch dem Mann zu wenig.

"Ich verbringe mein Leben nur noch damit, auf dich zu warten", beklagt er oft. "Und wenn du mal Zeit hast, bist du meistens müde." Er fühlt sich an seine erste Ehe erinnert, die aus genau diesen Gründen scheiterte. Natürlich möchte ich das nicht riskieren. Also übe ich mich im Spagat zwischen Job, Sohn, Hobby - und dem Mann. Komme kurz vor sieben abends aus dem Büro, rufe ihn von unterwegs aus an, zwinge mich, fröhlich zu klingen und bitte ihn, schon mal den Picknickkorb zu packen, damit wir die gut zehn Kilometer zum See radeln und hineinspringen können.

Es tat tatsächlich nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele unfassbar gut, in den See zu springen. Herumzualbern, fangtauchen zu spielen, die mitgebrachten Brote zu essen und dann flugs auf dem Rad lachend dem heranziehenden Gewitter wieder davonzufahren. Es kostet aber ehrlicherweise Überwindung, abends müde heimzukommen, die Tasche abzustellen und gleich wieder auf das Rad zu steigen nach einem langen Tag, um entweder an den See zu fahren - oder in den angrenzenden Park zu spazieren, um sich dort ins Gras zu legen und den verschiedenen Konzerten zu lauschen. Jedoch für mich.. ist das im Moment alles ein bisschen viel. Gefühlt springe ich von einem Punkt zum anderen, um entweder allen oder aber auch meinem eigenen Seelenbedürfnis gerecht zu werden. Aber wenn ich ehrlich zu mir selber bin... dann weiß ich, dass mein Leben an mir vorüberziehen würde, lebte ich allein. Ich würde vermutlich noch mehr arbeiten, danach etwas essen, etwas lesen oder Medical Detectives schauen, am Wochenende den Sohn besuchen oder beide zu mir nach Hause einladen - und das wärs wohl.. Eat Sleep Repeat - oder so ähnlich. Also bin ich eher doch froh, dass ich einen Mann zu Hause habe, der noch mehr will vom Leben, als nur daheim zu warten und dann einen Abend lang Musik zu hören, vielleicht auch mal miteinander zu tanzen oder in den Sternenhimmel zu schauen. Das ist auch schön und auch wichtig - aber ein bisschen mehr leben im Leben ist eben noch schöner. Wir haben ja nur dieses eine.. Und wie verdammt schnell das vorbei sein kann, das habe ich erst vor etwa sechzehn Tagen erleben müssen. Von einem Moment auf den anderen.. ausgeknipst.. zu Hause herumwerkeln, Übelkeit verspüren, sich hinsetzen und zu denken "Ich glaub, ich brauch einen Notarzt" und dann.. "einfach zu sterben". Schon auf der anderen Seite zu sein, wenn der Notarzt eintrifft. Schon zu lange auf der anderen Seite zu sein, als dass dank des Organspendeausweises auch nur irgendwas noch etwas zu retten sei.. So viel älter als ich war er nicht... Acht Jahre, um genau zu sein.. Da will man doch noch nicht gehen müssen? Einen Tag später hab ich davon erfahren - und wirklich den ganzen Abend geweint. Ich konnte es nicht fassen, einfach nicht glauben. In WhatsApp noch ein Foto von einigen Tagen zuvor, in der Anrufliste vom selben Tag noch das Telefonat. Ich muss gestehen, ich ging nicht immer ran, wenn er anrief - weil ich wusste: Telefonate mit ihm kosten Zeit und Aufmerksamkeit. Doch beim letzten Telefonat ging ich - warum auch immer - ran. Gesprochen haben wir etwa eine Stunde. Sieben Tage später ist er nicht mehr da. Für immer nicht mehr da. Ich hör noch sein Lachen. Und hör noch, wie er sagt: "Na gut! Dann lass ich dich mal weiterarbeiten. Mach nicht mehr soviel." 

Ja, das Sterben gehört zum Leben dazu. Niemand kommt hier lebend raus. Aber warum gehen die Besten so oft zu früh?

Das Leben will genossen werden - ganz oft erinnert der Mann mich daran. Und er hat ja auch recht. Letztlich hoffe ich nur immer, dass mir die Puste nicht ausgeht, wenn ich allem und allen gerecht werden will - und mir selber ja auch noch. 

Vorletztes Wochenende stand er noch weit vor acht vor meinem Bett, schaute auf mich herunter und sagte: "Steh jetzt endlich auf. Der Kaffee wartet!" So lockt man mich eigentlich immer - aber... Ich war einfach so müde und ich fühl mich so irrsinnig wohl in unserem Bett. "Gibts denn keinen Kaffee ans Bett?" streckte ich mich genüßlich. "Das kostet neunundfünfzig fünfundneunzig", schaute er streng auf mich hinunter. Ich überlegte kurz, grinste und schlug dann meine Bettdecke zurück. Er schaute ungerührt und meinte: "Achtundfünfzig fünfundneunzig!" Ich liebe seinen Humor sehr, übrigens :) 

Letztes Wochenende waren nun meine Nichten von der Insel da, beide schon längst erwachsen und eine mit einem, knapp einjährigen Kleinkind. Ein wunderbar pflegeleichtes Kind, das mit Essen, Trinken und einer trockenen Windel glücklich und zufrieden ist. Und das erste Kleinkind, das nicht auf den Mann fliegt, sondern lieber zu mir kam. Das lieber mir die kleinen Ärmchen entgegenstreckte, um an meiner Hand die Wohnung zu erkunden, jeden Raum, jeden Winkel inspizierte und auf jedes energische Nein der Mama oder der Tante mit einem breiten Grinsen zu reagieren, das die beiden ersten Zähne zeigte und dem natürlich keiner widerstehen konnte.

Heute hab ich alle drei wieder zur Bahn gebracht, die überraschenderweise auf die Minute pünktlich in den Bahnhof einfuhr und diesen auch ganz pünktlich wieder verließ. Für den Heimweg wählte ich den Fußweg statt des Busses. Ich wollte Zeit für mich, ich brauchte Zeit für mich. Wollte die Tage Revue passieren lassen - und die Tatsache, dass der Mann und ich jetzt wieder allein zu Hause sind. Er hat da so Antennen... Nicht nur, dass er mich anrief, als ich noch auf dem Heimweg war - er hat auch sein Abendyoga abgesagt mit der Begründung: "Dann haben wir heut Abend mal Zeit für uns ganz allein" - und irgendwie... gefiel mir das dann auch schon wieder ausnehmend gut.



10 Kommentare:

DrSchwein hat gesagt…

Ich glaube, viele Menschen verbringen zu viel Zeit mit oft sinnloser Arbeit, dann fallen sie um und sind tot. Dann macht einfach ein anderer deren Arbeit. Ich glaube nicht, dass das so richtig ist.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Genau so ist das: "Dann macht einfach ein anderer deren Arbeit."
Der Mann befürchtet in letzter Zeit öfter, ich könnte so enden wie jener Mensch vor etwa drei Wochen. Mich einfach so sang- und klanglos verabschieden. Ich persönlich fürchte das zwar nicht - aber das Fatale an der Sache ist, dass man einen solchen Abschied neben all dem Schmerz auch als Achtungszeichen empfindet. Dass man sich einmal mehr sagt: "Ich muss was anders machen."
Und ich persönlich erzähle Euch und mir das, glaube ich, schon seit Jahren. Aber hab ich was geändert? Zwischendurch sicherlich. Die 8 Jahre in M haben mir wirklich gut getan.
Vielleicht hätten wir wirklich dort bleiben sollen. Nur... Ich bin mir ziemlich sicher, dass dann das Band zwischen meinen Söhnen komplett und rettungslos gerissen wäre. Heute sprechen sie wieder miteinander und sitzen auch wieder an einem Tisch.
Wir feiern auch wieder Geburtstage und Weihnachten und so zusammen.
Ehrlich gesagt, ist mir das sehr viel mehr wert und auch wichtiger, als dass ich dafür auf mehr Entspannung im Job gebaut hätte.

Allerdings habe ich mir vergangene Woche einen Plan im Kopf zurechtgelegt, wie ich Aufgaben verteilen und delegieren kann, ohne dass ich immer alles nachkontrollieren müsste. Jetzt muss nur noch die Kollegin aus dem Urlaub zurückkehren :)

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Helma als erstes muss ich diesen wunderbaren Schreibfehler erwähnen, sonst könnte ich nicht ruhig schlafen: "Heute hab ich alle drei wieder zum Bahnhof gebracht, der überraschenderweise auf die Minute pünktlich in den Bahnhof einfuhr und diesen auch ganz pünktlich wieder verließ."
Diese Nichte mit dem kleinen Mädchen musst du dir warmhalten - das ist so herzerfrischend, wenn kleine Kinder die Arme um den Hals legen und glücklich lachen.
Ansonsten - du arbeitest wirklich viel - mehr - am meisten. Es wäre so schön, wenn du wenigstens das GANZE Wochenende für dich zum relaxen hättest. - Ganz lieben Gruß zu dir

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Jetzt habe ich vergessen, die Folgekommentare zu aktivieren - deswegen noch eine Mail.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Clara, jetzt haste mich aber fast um den Schlaf gebracht :D Also auch mir passieren ja durchaus Tippfehler - aber ich komme bislang noch nicht drauf, welchen Du meinst! Meinteste den, dass die Bahn pünktlich war? Dass DAS ja nur ein Schreibfehler sein konnte?
Oder meinteste den mit den "drei"? S waren ja drei - zwei Nichten und ein Kleinkind. Bei der Bahn zählt die Kleine zwar nicht, bei uns hingegen schon :D
Und ja, ich brauche eindeutig mehr freie Tage. Hat mir heut auch meine Kollegin gesagt, dass ich mir das öfter gönnen sollte. Aber dann hätte ich das Gefühl, meinen neuen Chef im Stich zu lassen. Der ist auch bloß Oberkante Unterlippe... Erstmal hab ich wenigstens einen Plan zur Aufgabenverteilung gefasst - und ab morgen wird dieser umgesetzt :) Und dann schauen wir mal. Außerdem hab ich im September endlich richtigen Urlaub - ganze zwei Wochen! Darauf freu ich mich jetzt schon wie irre. Denn wohin gehts? Ans Meer. Natürlich ans Meer. Zwar hat der Mann darauf bestanden, nicht immer nur an meine heimatliche Küste zu fahren. Und Holland schied aus verschiedenen Gründen aus - zumindest für den Sommerurlaub. Also haben wir uns für die goldene Mitte entschieden und fahren nach Dänemark :D

Lutz hat gesagt…

Das ist das klassische Problem, das Korrekturlesen schwerer macht, als es auf den ersten Blick scheint: Da das menschliche Auge einen Text nie zeichengenau liest (außer, man zwingt sich mühsam dazu), sondern ganze Sinneinheiten erfasst, liest es immer genau das, was es glaubt, das dastehen müsste. Gefundene Fehler sind ansonsten eher zufällig oder weil sie zu gravierend sind.

Ich versuche mal, eine Brücke zu bauen - mit einem alten dummen Spruch von meinem Vater: Vorsicht am Zuge, der Bahnhof fährt ein.

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Allerliebste Helma, ich hatte mich schon mit dem Tablet ins Bett begeben und wollte bis zur Veröffentlichung meines Artikels um 00:05 noch ein wenig Doppelkopf spielen - doch da las ich deinen Kommentar.
Du hast drei zum Bahnhof gebracht, und dieser (Bahnhof) fuhr überraschenderweise pünktlich in den Bahnhof ein und verließ ihn auch wieder pünktlich. Grins - vielleicht wären fahrende Bahnhöfe pünktlicher als Züge. - Besonders süß finde ich ja, dass es dir beim Lesen auch nicht aufgefallen ist - oder mache ich einen Denkfehler? - Gute Nacht!

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Ich habe einfach einen neuen Kommentar geschrieben, weil ich diesen "Antwort-Button" nicht gesehen habe. Und tschüss!

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Haha, oh mein Gott, da war ich ja tatsächlich blind auf beiden Augen 😂😂 Ich danke Euch beiden für den Hinweis und habs natürlich gleich korrigiert 😎

Lutz hat gesagt…

Gestern im Bett fiel mir ein, dass ich den Spruch meines Vaters nicht mehr korrekt im Hinterkopf hatte. Denn er ging so: Vorsicht am Zuge, der Bahnsteig fährt ab. Sozusagen als Umkehrung. Aber für das Finden des Fehlers hat es ja trotzdem gereicht.