Freitag, 12. Juni 2009

Richard Kimble - In Wahrheit Eine Frau

Jeder von Euch wird sicherlich diesen Film mit Harrison Ford kennen - "Auf der Flucht". 
Soll ich Euch was sagen? In Wirklichkeit war Richard Kimble eine Frau. Ja wirklich! Gut getarnt, aber... dennoch eine Frau. Und sie heißt Helma Ziggenheimer!
Ehrlich - im Moment fühle ich mich beinah jede Woche wie dieser Richard... Ständig auf der Flucht, von einem Termin zum nächsten, zwischendurch der Job, die Kinder, die verdammte Steuererklärung (aber die Finanzbeamtin war sowas von locker! die hat sogar über meinen erfolglosen ersten Datenübermittlungsversuch herzhaft gelacht ;-)), die vielen Ärzte, die mich sehen und ihren Senf wie auf einem Würstchen breitschmieren wollen (vor allem gehts denen ja so schlecht, seitdem sie pro Quartal pro Patient nur noch pie mal Daumen fünfunddreißig Euro abrechnen dürfen, hach ja...)
Zwischendrin vergess ich auch schon mal einen Termin, so wie den zur Wiederholungsimpfung für den Kleinen. 
"Ach, ist doch nicht schlimm", meinte der Kleine mit wegwerfender Handbewegung. Na klar...
"Ach, ist doch nicht schlimm", meinte heute die Sprechstundenhilfe und so war ich in null-komma-nix mit einem neuen Termin ausgestattet.
Was heute allerdings nicht so flugs ging... war der Besuch auf dem Zahnarztstuhl. 
"Wir müssen noch bisschen was machen, bevor du wieder ins Krankenhaus musst", hieß es vor zwei Wochen - und Leute, mir schwante dabei auch nix Gutes.
Schon letzte Woche verließ ich malträtiert und geplagt jenen Stuhl, gebeugt und mit nass geschwitztem Rücken.
Und heute... Mit den ersten drei Spritzen war ich noch sehr zuversichtlich, dass ich alles gut überstehen würde. Und während wir auf das Eintreten der Wirkung warteten, zauberte sie aus der Hinterhand ein Schreiben eines Kieferorthopäden hervor, das ungefähr zwei Jahre alt sein mochte und noch heute auf die Erledigung diverser Eingriffe in meine Zahnreihen wartete.
Nur - erstens bin ich ein absoluter Schisshase. Ich meine, gebt mir ne Narkose, dann können wir über alles reden. Aber so? Und zweitens - na hey, greift doch mal ner nackschen Frau in die Tasche! Ehrlich gesagt - ich fahre lieber einen gut erhaltenen, dreitürigen Stadtflitzer mit Klima und Bordcomputer als diesen Gegenwert in meinem Mund herumzutragen, das mir zwar auch morgen noch ein kraftvolles Zubeißen sicherte, aber mich auch jeden Tag spätestens beim Zähneputzen daran erinnern würde, wie viele nicht getrunkene Milchkaffees mich dieser Spaß gekostet hätte. Tja... Was ist nun wichtiger.
Grad muss ich lachen, weil mir einfällt, dass ich die zahnfarbenen Füllungen bis vor kurzem noch für Kunststofffüllungen gehalten hatte, die mir meine Zahnärztin quasi bei jedem Besuch schenkte, weil ich niemals eine Rechnung erhalten hatte.
Vor einigen Tagen danach befragt, lachte sie nur und sprach: "Kunststoff? Helma - das sind Provisorien. Das sind alles Zähne, die für den Ersatz mit Kronen vorbereitet wurden."
Erst schaute ich nur sprachlos, dann zählte ich stumm und in Gedanken alle entsprechenden Zähne und erst dann dämmerte mir der dreitürige klimatisierte Stadtflitzer... 
"Ich kann mit Provisorien auch gut leben", krächzte ich mit matter Stimme - aber das hat mir nichts geholfen.
Also doch einen Millionär angeln? Der mir ein strahlendes Blendax-Antibelag-Lächeln mal eben aus der Portokasse spendierte? Na danke.
Kronen also. Angesichts der neuesten Preisentwicklung wohl eher Helmas ganz private Kronjuwelen.
Und als wäre all dies noch nicht genug, las mir Frau Doktor den zwei Jahre alten Brief des Kieferorthopäden vor. Außen hui und innen pfui? Das ist doch nicht möglich! Auch mit vierzig Jahren darf das noch nicht möglich sein! 
Bereits nach dem dritten Satz hätte ich "Stopp!! Halt!! Aus!!" gerufen. Aber versucht das mal, wenn Ihr das halbe Inventar an Werkzeug in der Gusche eingebaut bekommen habt und froh seid, wenn Ihr überhaupt noch atmen könnt, solange Fräulein Assistentin den Sauger auch richtig hält.
Mit einem "Aaarrghh..." und "Uuurrrghhh..." jedenfalls ließ sich die Frau Doktor nicht stoppen. 
Allerdings... galt dies nicht ganz allein dem Lesen. 
Vermutlich hätte man mit der Menge, die mir heute, verteilt auf insgesamt fünf Spritzen, verabreicht wurde, ein Pferd betäuben können. Aber Helma ist eben kein Pferd. Helma ist... eben Helma. Die merkt alles. Na gut, fast alles.
Als ich die Praxis geschlagene neunzig Minuten später verließ, war der Rücken erneut gramgebeugt, das Mundwerk schief und krumm, das Shirt hoffnungslos durchgeschwitzt und selbst die Fußsohlen waren derart verschwitzt, dass ich in meinen Flip-Flops hin und her rutschte, als seien sie mindestens vier Nummern zu groß.
Fluchtartig suchte ich das Weite, gab auf der Autobahn richtig Gas, ignorierte geflissentlich die auf 100 kmh beschränkten Zonen und ließ meinen ganzen Frust am Gaspedal aus. 
Heimfahren. Hinlegen. Die Decke über den Kopf ziehen. 
Wann kehrt endlich mal ein bisschen Beschaulichkeit in mein Leben ein?
Eine Woche lang jeden Morgen aufwachen, nicht überlegen oder Strategien entwerfen müssen, einfach mal NUR genießen und sich des Lebens freuen... Ohne dass immer gleich ein neuer Schlag in die Kniekehlen kommt.
Und noch nicht mal zur Tür reingekommen, schon der nächste Schock "Mama, ich bin heut mit dem Rad gestürzt." 
OK. Das passiert. 
"Mama, mir ist übel. Und mir tut alles weh. Das Rad hat blockiert und ich bin über das Fahrrad geflogen. Aber den Helm hab ich aufgehabt." 
OK. Da wurde mir übel. 
Und das Kind von allen Seiten begutachtet. Die Augen klar, keine vergrößerten Pupillen, der Appetit stimmte auch und dass das Kind heute schätzungsweise drei Stunden eher müde wurde wie sonst, schiebe ich eher dem Umstand zu, dass es heute zum vierten Mal in dieser Woche 24 Kilometer geradelt ist. Soviel fährt er sonst in zehn Jahren. Echt mal. 
Als dann noch der Große anrief und meinte, er habe den Bus verpasst, nun käme er erst 18.45 Uhr auf dem Hauptbahnhof an und sollte aber schon 19.15 Uhr bei seinen Kumpels zur Party sein und ob ich nicht eine Idee hätte, wie er noch was retten könne, da... betrachtete ich fassungslos mein Spiegelbild: Helma, 40 Jahre, gealtert um 100 Jahre in drei Sekunden, auf dem Kopf die neue Haarfarbe, die statt nach zehn Minuten erst nach dreißig Minuten abgewaschen werden konnte, weil ich so lange brauchte, um aus der Schockstarre zu erwachen - und dann setzte ich mein mir so gut bekanntes Grinsen auf in Erinnerung jener Zeilen, die mich gerade (nein, ausgerechnet!) heute erreichten: "Humor ist, wenn man trotzdem lacht, obwohl einem eigentlich zum Heulen ist." Oder so ähnlich. 
Also habe ich meine Haare gerettet, den Kleinen versorgt, dem Großen das Essen und die Ausgehklamotten eingepackt, ihn vom Bahnhof abgeholt und zum Freund chauffiert, beim Tanken festgestellt, dass ich das Portemonnai vergessen hatte (für 5,17 Euro hab ich noch nie zuvor getankt ;-)), wieder heimgekehrt, überfällige Dankes-Telefonate nachgeholt (jedenfalls einige, alle konnte ich heut beim besten Willen nicht bewältigen) und nun liege ich hier, die Schmerzpillen haben ihren Dienst getan, so langsam scheinen ihre Wirkstoffe meinen gebeutelten Körper zu verlassen, so dass ich noch ein wenig mit der Weinflasche liebäugele (nein - ich bleib heut standhaft - so wie gestern ;-)) und ich werde mich brav zudecken, ein wenig sanfte Musik durch mein Zimmerchen perlen lassen und mich morgen früh erneut auf den Weg an das Meer machen.
Eine der Geburtstagskarten, die mich erreichten, machts möglich. 
Gott sei Dank.
Und statt das Geld als Anzahlung für ne Fettabsaugung oder Zahnersatz zur Seite zu legen, tu ich das, was in der Karte stand, nämlich "mir was Gutes". Und nicht alles Gute liegt direkt vor meiner Haustür. 
Doch manchmal... hilft einfach nur noch die Flucht... Eine Runde Richard spielen. Die Flucht von hier, von allem, das mich hier umgibt, die Flucht vor den Gedanken, die Flucht... vielleicht auch vor mir selber. Raus und weg hier, Ruhe finden, neue Kraft tanken im Zusammensein mit Menschen, die mich genauso liebhaben wie ich bin und die seit heute sogar noch ne Hängematte besorgt haben...
"Soll ich euch mit dem Transporter abholen?" scherzte der Gast-Papa.
"Oh Gott, bloß nicht, das wäre zuviel Platz, da schleppt  die uns alle Bananen weg", gab sich die Gast-Mama schockiert.
Übrigens... die Care-Pakete aus dem Westen... Gibts auch heute - etwa zwanzig Jahre nach dem Mauerfall - noch... Nur dass die Bananen nicht mehr frisch, sondern getrocknet und in Scheiben geschickt werden... Vermutlich hat sie einen Deal mit meiner Frau Zahndoktor.
"Wenn wir gewusst hätten..." meinte jüngst die Gast-Mama, "...dann würden heute die Wessis die Mauer ehrenamtlich neu errichten", vervollständigte ich grinsend ihren Satz und freue mich schon jetzt auf meine morgige Reise zu ihr. 
Einfach nur... mal Helma sein... alles von mir abfallen lassen können... und das direkt am Meer... was Besseres kann man mir im Moment nicht tun. Zumal ich überhaupt nicht sagen kann, wann ich das nächste Mal wieder ans Meer fahren kann. 
Diese Durststrecke wird lange genug.
Und ich... ich leg mich jetzt schlafen. Es ist 23:53 Uhr - und ich bin tatsächlich müde. Müde und einschlafbereit. Das muss ich nutzen.

Schlaft auch Ihr gut.


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