Sonntag, 8. Juni 2014

Zwischen Innen und außen


  

"Dort, wo ich herkomm, halt ich es nie lange aus.
Und wenn ich dann fort bin, denk ich immer an zu Haus
...
Ich will dich neben mir seh'n
und ich will allein und frei geh'n..."

Irgendwie ist es immer wieder faszinierend für mich, wie man als so junger Mensch schon solche Texte schreiben kann. So eine Musik machen kann. Ich glaubte immer, dass man für solche Empfindungen auch erst... jene Erlebnisse gehabt haben muss, die so unendlich weh tun und die einen aber am meisten nach vorn bringen. Oder hat der Poisel das selbst gesehen und erfahren? So jung, wie er noch ist?
Natürlich kann er das. Denn nicht jedem Zwanzig-, Fünfundzwanzigjährigen hängt der Himmel ausschließlich voller Geigen.
Morgen fahre ich wieder nach Hause. Ich fahr immer wieder nach Hause, um immer wieder hierher zurückzukehren. Und um eines Tages hierzubleiben.
Für immer, sagt das Herz.
Für ein halbes Jahr, sagen die anderen - und schließen bereits Wetten ab. Ich habe gelacht, als ich davon hörte. Ich möchte nicht für immer hier bleiben. Eines Tages, das hat er mir versprochen, werden wir am Meer leben. 
Eines Tages.
Was wissen wir, was eines Tages sein wird?
Der Opa hat mit 90 Jahren die vierte Frau kennen gelernt. In mir eingeprägt ist immer noch dieses Bild: Er im Sonntagsanzug, sie im bunten Sommerkleid, der weißen Strickjacke und den weißen Sandalen, und sie halten einander sorgsam an den Händen, als sie vor uns das Lokal verlassen. 
So möchte ich es eines Tages auch haben. Jeden Samstag im Sommer die Enten am Teich besuchen, zum Beispiel. Und wenn der Herbst kommt, dann ziehen wir uns die groben Strickjacken an. 
Ich bin verrückt nach Strickjacken. Ich liebe sie. So wie andere Frauen Handtaschen und Schuhe lieben. 

Seit ungefähr zwei Monaten ist der Opa im Pflegeheim. Inzwischen weiß er nicht mehr, dass er überhaupt eine Freundin hat. Er erkennt sie nicht mehr und weiß auch nicht mehr, wer sie ist.
Sie liegt seit einigen Tagen im Krankenhaus, die Diagnose: Lungenkrebs. Mit 89 Jahren. Sie hat nie im Leben geraucht.
Ob sich die beiden noch einmal wiedersehen können? Niemand weiß es. 
Sie will die Chemo wagen, sie will es versuchen, für sich selbst. Sie ist ein positiver Mensch, offen für das Leben. Sie gibt nicht einfach so auf.
"Wenn du kämpfst, kannst du verlieren. Wenn du nicht kämpfst, hast du vielleicht schon verloren."

Einfach aufgeben war meine Sache noch nie. Nicht einfach so. Nur wenn du selber fühlst, dass etwas vorbei ist, dann ist es auch wirklich vorbei.
Aber ich glaube, ich habe mir zu wenig Zeit zum Genießen genommen. Zum wirklichen Genießen - so von innen und außen. Das zu genießen, was ich jetzt schon habe und was mir das Leben jeden einzelnen Tag schenkt. Der Mensch neigt wohl dazu, das Angenehme als (zu) selbstverständlich vorauszusetzen; es ist eben da, und dann denkt er nicht darüber nach, wie lange noch. Ich will das so nicht, ich will so nicht sein. Ich möcht ein kleines bisschen mehr... vom Leben. Und ich fange heute damit an.

4 Kommentare:

Helga Nase hat gesagt…

Mit 89 eine Chemo zu machen finde ich mutig und vor allem toll, die Frau gibt sich nicht auf.
"Ich möcht ein kleines bisschen mehr... vom Leben." Ich auch, speziell an Tagen, an denen es mir nicht so gut geht. Gut, dass du mich daran erinnert hast.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ja, das waren auch meine Worte, als ich davon erfuhr: "Sie ist wirklich mutig."
Dieser verdammte scheiß Krebs

Nicci@free-falling.de hat gesagt…

Es ist spät und ich sollte eigentlich schon schlafen. Aber ich habe mich heute Abend durch die Blogwelt treiben lassen und viele tolle Dinge gelesen.

Ich weiß gar nicht, wie ich auf deine Seite gelandet bin. Aber ich bin dankbar, sie gefunden zu haben :-) Du schreibst so toll!

Mein Onkel hat auch Lungenkrebs. Nichts deutet darauf hin, dass er es schaffen wird. Aber die Chemo hat ihm zumindest ein wenig Zeit geschenkt. Wie wichtig das trotz einer quasi aussichtslosen Situation ist, versteht man wohl erst, wenn man die Uhr selbst ticken hört.

Dieser verdammte scheiß Krebs. Dem ist nichts hinzuzufügen :-(

Anonym hat gesagt…

ich hatte damals zu meiner Mama gesagt.... Oh wenn ich doch erst 18 Jahre wäre, dann......

Sie hat geantwortet, sehr weise wie ich finde... und es ist in meinem Hirn geblieben. Und ich bin ihr dankbar für die Worte.
Was es war?
Folgendes....:
Lebe im hier und jetzt.
Sonst wachst du auf und es ist vorbei.
Sehe was dir im Moment "zusteht" wenn du 16 bist... ist es geil, 16 zu sein.
Wenn du 18 bist, tja dann hat es auch was.
Jedes Alter hat seine Zeit.
Und drüben sind die Wiesen immer grüner...

Ich muss sagen es stimmt.
Mittlerweile bin ich 55. Ich "warte" nicht auf das Rentenalter, der Weg dahin ist wichtig.

In diesem Sinne noch eine schöne Lebenszeit
wünscht dir Suzie, die die nimmt was kommt.