Ich habe mir heute frei genommen. Na ja, nicht ganz: Ich habe mir heute frei genommen, wenn die Arbeit erledigt ist. Oder zumindest die wichtigste. Und ich glaub, das Wichtigste ist geschafft. Aus meiner Sicht jedenfalls.
Die Tage in L sind mir dieses Mal überraschend leicht gefallen, sie waren irgendwie nicht so ermüdend wie sonst, nicht so zehrend.
Wir haben eine Veranstaltung von Sascha Grammel besucht - und ich war überrascht, wie wunderbar pur und ungekünstelt dieser Comedian wirkte. Und wie berührend sein Plädoyer für die Liebe in das Publikum getragen wurde. Wie glaubhaft, wie echt. Doch, da hatte ich sehr Gänsehaut. Auch bei seinen Worten am Ende der Vorstellung:
"Jeden Tag passieren furchtbare Dinge in der Welt. Und natürlich haben mein Team und ich uns gefragt, ob man angesichts dessen, das gerade passiert ist, überhaupt ein Recht darauf hat, zu lachen und fröhlich zu sein. Wir haben uns dann trotzdem entschlossen, die Veranstaltung aufzuführen, weil wir der Meinung sind, dass jeder Mensch irgendwo eine Nische haben muss, in der er das Schlimme für einen Moment ausblenden kann."
So bzw. so ähnlich waren seine Worte, und jedes davon habe ich ihm geglaubt.
Schon seit Tagen quäle ich mich mit einem Schub, und die Veranstaltung beim Grammel hat das nicht gerade positiv beeinflusst: Stühle aus ungepolsterten Hartschalen, da hilft ab einem bestimmten Moment nur noch, auf der "gesunden" Seite zu sitzen, um nicht völlig meschugge zu werden.
Tagsüber bringe ich die Energie auf, zu lachen, fröhlich zu sein, so zu tun, als sei alles in Ordnung.
Hier, wieder allein im Home Office, muss ich das nicht, außer am Telefon.
Niemanden interessiert hier, wenn ich die schmerzenden Fingergelenke massiere, das Bein massiere, ein paar Dehnübungen hinlege oder auch ein bisschen vor mich hinfluche.
Ich möchte auch nicht darüber diskutieren, ob oder wie schlimm "das" ist, was ich da mit mir rumschleppe. Das Positive daran halte ich mir immer vor Augen: "Es hätte schlimmer kommen können - und ich weiß, ich kann nicht dran sterben." Aber jeden Tag von früh bis abends und nachts, sofern ich nicht schlaf, mit dem pochenden Schmerz im linken Körper zu leben, das ist bei allem Wohlwollen nicht immer so einfach. Einen gewissen Pegel halte ich mittlerweile gut aus, so gut, dass Fremde nicht denken, dass ich "irgendwas haben" könnte. Auch für mein direktes Umfeld finde ich das wichtig, weil ich einfach nicht so jemand bin und auch nicht so jemand sein möchte, der mit Leidensbittermiene durch die Welt zieht und ständig jedem erzählt, wie scheiße es grad ist.
Nur manchmal.. muss es dann raus.
So wie heut, als der Papa anrief und dann noch die Mama mit mir sprach.
Und irgendwann... "Bist du noch dran?" fragte sie, während ich mühsam an den Tränen rumbiss, die ich einfach nicht zeigen wollte. Na ja, diesmal nicht gelungen. Sie will jetzt ihren Rheumatologen ansprechen, der beste ihres Bundeslandes. Sagt man.
Was ich mir wünsche? Eine Nische. Eine Nische, in der ich mich ausruhen, mich erholen, etwas für mich tun kann. Eine Nische, in die ich mich zurückziehen kann und dann weiß, wie ich dem Ganzen begegnen kann.
Wenn man mir - so im spielerischen Gerangel - in den Arm beißt und ausgerechnet die "Bahn" trifft, die ohnehin grad besonders schmerzt, dann möge man mir bitte den Schreckreflex verzeihen, auf die Hand zu hauen, die mich festhält - auch wenn ich "danebentreff".
Wenn ich zwar die Idee auf den Tisch gelegt habe, auch einmal im Monat oder so ein Wochenende zu verreisen, Städtetouren (i looove it!!) machen - und dann trotzdem noch nichts herausgesucht und gebucht habe. Wenn er da schneller war als ich.
In den Akutphasen bin ich nicht wirklich ich selbst. Den Alltag bewältigen, Chef bei Laune halten, Personal verteidigen und das Leben mit dem Liebsten möglichst unbeeinträchtigt gestalten, das fordert mir dann mehr Energie ab als ich mitunter habe. Ob ich der Meinung bin, ich müsse das, bin ich irgendwann mal gefragt worden. Nein, müssen muss ich nichts, sicherlich. Andererseits: Wem hilft es, wenn ich mich gehenlasse? Mich hängenlasse?
Vielleicht würde der Liebste erst mich bedauern, dann würden sie ihn bedauern - SO eine Frau... Waaah nee, brauch ich nicht, beides nicht.
Heute ist dieser "Kraftknoten" geplatzt, seit dem Telefonat mit der Mama hören die Tränen nicht mehr auf zu rollen - und irgendwie tuts auch gut. Das ist wie Druck ablassen.
Das ist einer dieser Strohhalme. Heulen können. Weil keiner zugucken muss.
Und ich habe mir ab jetzt frei genommen, ein Bad eingelassen, Zusatz "Muskeln & Gelenke", hab ich schon mehrfach getestet, das tut wirklich gut.
Der dritte Strohhalm, die Dehnungsübung, ist vollbracht, auch wenns nix gebracht hat.
Der vierte Strohhalm, ein bisschen Schokolade für die Seele, ist leider aus. Vergessen beim letzten Einkauf - denn da war ich trotz Schmerz so fröhlich unterwegs, dass ich mir beinah selbst geglaubt hätte, heimlich nen Sekt getrunken zu haben.
Was ich mich überhaupt frage: Wieso kommt nach so Tagen, wo man wirklich richtig gut unterwegs ist, mit oder ohne Schmerzschub, immer gleich wieder eine Zeit, wo es einen fast auffrisst? Warum folgt dem "Hoch-Flug" immer gleich ein "Tief-Flug"?
"Bist du vielleicht auch wetterfühlig geworden?" hat meine Mum gefragt.
Denn draußen stürmt es so sehr, dass ich befürchte, die Tannen unmittelbar vorm Haus werdens vielleicht nicht mehr lange machen. Auf der Insel hats geschneit - auch in L heute Morgen. Hier noch nicht, ist aber vorhergesagt. Gruselig! Mein ganzer Schrank ist doch nur noch voller Frühlingsklamotten! Bunt und fröhlich und... zart! Nix mit Wolle oder Warmhaltendem.
Wetterfühligkeit... Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass es besser wird, je wärmer es ist. Vielleicht ziehe ich eines Tages doch noch in den Süden. Noch tiefer als jetzt. Auf ne Insel. Dann brat ich mir jeden Tag den frisch gefangenen Fisch, lümmle in der Hängematte und schreibe Blog, Buch oder E-Mails.
Das wäre auch ein Strohhalm. Ein ziemlich fetter sogar.
8 Kommentare:
Och Mensch ...
Ja, den hohen Hochs folgen die tiefen Tiefs. Ich glaub, so positiv kann niemand auf Dauer eingestellt sein, dass er nicht ab und an mal durchhängt. Wenn dann noch körperliche Schmerzen dazukommen, wie bei Dir, ist das natürlich mehr als ätzend. Aber schön, dass jetzt erst mal "der Knoten geplatzt ist" und Du wenigstens schon mal wieder die Strohhalme siehst. Und sogar zählen kannst ... na hör mal. Ganz zu schweigen von dem fetten ... der hört sich richtig richtig gut an. ;0)
Ich hoffe, Dir geht es bald wieder gut! ♥
Wetterfühlig ist übrigens Mist - das kann ich Dir sagen! ;0)
Alles Liebe und pass gut auf Dich auf,
Sonja
Umärmel,
"Ob ich der Meinung bin, ich müsse das, bin ich irgendwann mal gefragt worden. Nein, müssen muss ich nichts, sicherlich. Andererseits: Wem hilft es, wenn ich mich gehenlasse? Mich hängenlasse?"
Nein müssen nicht, aber Du darfst. Du darfst Dich hängen lassen, Du darfst auch weich sein. Ein "müssen" gibt es vielleicht, das ich aber auch lieber als dürfen sehe, Du darfst Dich lieb haben und achten und dazu gehört auch früher eine Auszeit zu nehmen als erst dann, wenn nix mehr geht. Schokolade rüberschieb, die VanilleMouse von Ritter ist leeeeeeegger :-*
Ich bin gerade beeindruckt und ein bisschen beschämt ... hätte ich so einen "ständigen Begleiter" ... ich wüsste nicht, ob ich so selbstbestimmt mit ihm umginge wie du.
Du bist eine sehr starke Frau, Helma ... und ich wünsche dir bald etwas Insel-Zeit ... egal ob im Norden oder Süden!
Ich kenne das irgendwie ja auch. Vermutlich ist es doch Erziehung oder Bauart, aber mein Programm lautet nach außen eigentlich auch immer:"Zusammenreißen und weiter." Manchmal denke ich auch, dass scheint zwar hart, aber ist wirklich besser, als sich in eine zunächst schützende Höhle zu begeben, aus der man dann womöglich nur schwer wieder raus kommt.
Ich wünsch dir einen kompletten Wetterumschwung!
Liebe Grüße
Nicola
Liebe Helma, ich bin zwar nicht deine Mama, aber ich möchte dich zumindest ein wenig in den Arm nehmen. Bei mir darfst du heulen, bis die Auslegeware nass ist.
Alles Gute von Clara H.
Liebe Sonja, wer auch immer mir diese Portion Optimismus in die Wiege gelegt hat, ich bin ihm/ ihr dankbar. Die hat mir bis jetzt immer geholfen, aus den Tiefs wieder aufzustehen und vor allem auch in den Tiefs nicht völlig bekloppt zu werden.
Liebe Goldi, weich sein... Ich glaube, das ist bei mir, wie auch Nicola schrieb, erziehungs- und mentalitätsbedingt. Einerseits habe ich dieses Emotionale, Empfindsame mitbekommen, zugleich aber auch die Seite meiner Mum, die eigene Schwäche nicht (so) zu zeigen. Niemanden damit zu belasten. Über die Jahre der Ehe und insbesondere den Jahren danach habe ich gelernt, eigene Befindlichkeiten mit mir selber abzumachen. Man hält das gerne für ein Klischee, aber es ist tatsächlich so: Auf wen Du zählen kannst, weißt Du erst dann, wenn Du stürzt. Ich glaube, diese Art der Verluste haben mehr geschmerzt als andere. Und ich bin manchmal nicht sicher, ob das, was ich praktiziere, ein "Verlustvermeidungsverhalten" ist - und keine Stärke.
Liebe Rolle, und warum bist Du beschämt?? Hätte mir vor elf Jahren jemand gesagt, dass ich so leben würde, hätte ich auch nicht gewusst, was ich davon halten oder wie ich damit umgehen soll. Wie meine Mum es mal formulierte: "Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das ist, immer mit Schmerz zu leben." Selbst meine neue Zahnfee hier in M hat das gesagt (sie weiß es vom Liebsten und hatte mich beim letzten Mal drauf angesprochen). Sie betupft sogar die Stelle im Mund, bevor sie ne Spritze setzt, damit diese Stelle betäubt ist und sie mir wenigstens den Einstich erspart :D Das fand ich ja schon irgendwie süß :)
Letztlich: Ich habe mich nach zehn Jahren Schmerz ein Stück weit daran gewöhnt. Und das wird vermutlich bei jedem Patienten so sein. Welche Wahl hat er auch??
Liebe Nicola, ja, ich denke auch, dass es bei mir erziehungsbedingt ist. Als meine Mum 30/ 40 Jahre war, hatte sie keine Zeit für Schwäche; mal abgesehen davon ist sie auch nie der Mensch gewesen, der mit anderen eigene Befindlichkeiten teilt. So bin ich groß geworden.
Den Rest, so nehme ich an, wie ich es etwas weiter oben beschrieben habe, ist mit den Jahren und den Erfahrungen gekommen. Ich finde es nicht nur schwer, aus einer schützenden Höhle wieder rauszukommen. Ich finde es auch schwierig, zu stürzen und hernach festzustellen, dass man nicht nur losgelassen, sondern auch zurückgelassen wurde. In meinem Leben habe ich genug Schönwetterfreunde gehabt. Für die ist heute kein Platz mehr bei mir. Als ich im Januar eine neue Handynummer bekam, habe ich mir gut überlegt, wem ich diese Nummer gebe und wem nicht mehr.
Liebe Clara, spätestens im September (wenn nicht doch noch mal vorher) kommen wir wegen einem Konzert in Deine Stadt. Dann würde ich mir unbedingt wünschen, dass wir uns auf ein Käffchen treffen. Du weißt ja, dass das schon sehr lange auf meinem Plan steht. Vergessen habe ich es nicht - auch wenns, wie so oft, mit der Umsetzung bei mir hapert dahingehend, dass manches einfach etwas länger dauert. Schiebs auf meine nordische Arschruhe ;)
Ach Helma, als ich das gelesen habe "Wem hilft es, wenn ich mich gehenlasse? Mich hängenlasse?" bin ich zusammengezuckt.
Ich kenne das auch nicht anders, als dass man alles mit sich alleine ausmacht und ich bin damit aufgewachsen. Der Höhepunkt war der Tod meines Vaters, da war ich knapp 18. Er starb und wir haben "alles mit uns alleine ausgemacht". Wir haben uns nicht mal in den Arm genommen oder über die Trauer geredet, sondern sind einfach zur Tagesordnung übergegangen. Das geht. Und man kann eine Fassade auch sehr lange aufrechthalten, so dass neimand merkt,wie es innen aussieht. Aber der Preis, den man dafür zahlt, der ist hoch. Und weder Seele noch Körper danken es dir. Nur deine Umgebung. Vielleicht. Aber ist es das wert? Ich denke, dass es da ein Mittelmaß zwischen "sich gehenlassen" und "zeigen, wie es wirklich aussieht" geben muss. Das zu finden, ist allerdings schwer. Aber du schaffst das. Weil du es dir wert bist! [Sorry, aber ich liebe diesen Spruch. ;))]
Liebe Anna, in DEM Punkt ist es bei uns anders: Gefühle zeigen, ja. Wenn jemand stirbt oder anderes Trauriges passiert.
Wenn meine Mum krank ist, bemerken wir das erst, wenn sie entweder gar nicht mehr kann - oder wenn man es hört.
Die letzte Erkrankung... Ein dreiviertel Jahr hat sie sich nichts anmerken lassen - bis sie morgens nicht mehr aufstehen konnte. Da war die Lunge voller Wasser, die Entzündungswerte jenseits von gut und böse und der körperliche Verfall so sichtbar und deutlich, dass wir das Schlimmste befürchteten. Sie konnte nicht mal mehr einen Stift halten.
Diagnose nach mehreren Wochen Klinik:Still-Syndrom, eine wohl sehr seltene Rheumaerkrankung.
Sie ist sehr hart im Nehmen. Als sie jünger war, erwartete sie das, glaube ich, auch von anderen. Heute ist sie viel entspannter.
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