Begegnungen.
Ich wünsche mir von ihnen, dass sie mich inspirieren. Dass sie mir andere Blickwinkel aufzeigen. Dass sich vor mir eine Fülle an Möglichkeiten ausbreitet, bei denen ich mir auswählen kann, welche davon zu mir passt. Dass ich mich mit der Tasse Kaffee zwischen uns völlig einlassen kann auf den Moment und auf die Gedanken des anderen.
Begegnungen bergen auch die Gefahr, über sich selbst zu stolpern und zu erkennen: Ich bin weit gekommen - aber doch nicht so weit wie ich bis soeben noch glaubte.
Und vielleicht auch noch nicht mal weit genug.
Das ist nicht wirklich tragisch, gleichwohl reißt es mich hoch aus der Komfortzone, in der ich mich gerade so ein wenig eingerichtet habe, um die aktuell anstehenden Aufgaben zu bewältigen - und anschließend die Zeit zu bekommen, mich um mich selbst kümmern zu können. Dass ich derzeit nicht mich an die erste Stelle rücke, obschon ich das eigentlich müsste, ist zu kurz und nicht langfristig genug gedacht. Mir ist das völlig bewusst, und trotzdem kann ich gerade nicht anders. Dass ich nicht in der richtigen Reihenfolge priorisiere, beschäftigt mich jedoch auch schon aus eigener Erkenntnis heraus seit einigen Wochen. Seit einigen Wochen suche ich nach Lösungen, die langfristig angelegt sind, nicht nur für mich selbst.
Und dann stand da diese Frage im Raum.
"Warum sehe ich das eine so klar und das andere wiederum nicht?"
Diese Frage schwirrt mir im Kopf herum, verursacht Chaos und Wirrwarr, so dass ich einmal mehr die Musik brauche, um mich zu sortieren, meinen roten Faden wiederzufinden - und eine Antwort.
Die Antwort auf die Frage, ob man das andere nicht sehen kann oder nicht sehen will - oder ob man das andere sehr wohl sieht, es aber auch genau so akzeptiert?
Seit ich meinen Führerschein besitze, bin insgesamt viermal verunglückt. Verschuldet und unverschuldet. Niemals hatte ich anschließend Angst, mich wieder hinter ein Lenkrad zu setzen. Vor zwölf Jahren, als das Lenkrad versagte und ich zum vierten Mal verunglückte, da war alles anders.
Ich sah das Blut auf den Händen, auf der Bluse, die zerrissenen Haargummis, die von den Scherben abgetrennten Haarbüschel - und ich verstand nicht. Ich verstand nicht, was hier passiert war - und warum.
"Setzen Sie sich wieder ans Steuer und fahren Sie", erklärte Wochen später der Neurologe und ich brach in Tränen aus.
"Ich kann das nicht."
"Das ist mir klar. Weil Sie glauben, keine Kontrolle darüber zu haben. Und alles, worüber Sie keine Kontrolle haben, macht Ihnen Angst."
Seine Worte haben mich sehr, sehr lange beschäftigt, genau genommen tun sie das auch heute manchmal noch. Ich fragte mich, ob er recht mit seiner Einschätzung hatte - denn ich selbst empfand mich völlig anders. Eher denke ich von mir, dass ich Dinge an mich herankommen lasse, sie betrachte und dann entscheide, wie ich mit ihnen umgehe. Ich plane nicht und ich strukturiere nicht. Nicht wirklich. (Sehr zum Leidwesen des Mannes, meistens. Und eigentlich denke ich ja, dass jemand wie ich sein Pendant geradezu braucht, denn sonst würde ich vermutlich nie von A nach B gelangen. Obwohl... Na ja ne, eigentlich.. stimmt das auch wieder nicht - aber ich glaube, diese Gedankenschleife führt jetzt zu weit. ;))
Kontrollfreaks stellte ich mir jedenfalls ganz anders vor. Nicht als so einen Tagträumer wie mich.
Zunächst wurde mir klar, warum ich zuvor nie Angst davor hatte, mich wieder an ein Steuer zu setzen. Weil ich wusste, warum es passiert war. Weil ich wusste, worin der Fehler bestand - bei mir oder bei dem anderen. Bei dem vierten Unfall jedoch blieb es (bis heute) ungeklärt, und ich fühlte mich ausgeliefert. Dass es mir jederzeit wieder passieren könnte - und dass ich es dann vielleicht nicht noch mal überleben würde. (Die Angst fährt also bis heute mit mir mit - aber es ist schon viel besser geworden.)
Ich versuchte für mich selbst zu verstehen, ob ich jemand bin, der Kontrolle braucht für das Gefühl der eigenen Sicherheit.
Und wenn ich all die vergangenen Jahre für mich selbst reflektiere, dann.. denke ich, dass es weniger die Kontrolle ist, die ich brauche. Sondern vielmehr die Verlässlichkeit. Das Vertrauen. In den Menschen und in die Dinge. Und mir wurde bewusst, dass ich über dieses Urvertrauen nicht mehr verfüge. Nicht nur allein wegen dem Unfall.
In den ersten Jahren nach dem Ende meiner Ehe war ich nicht dazu in der Lage, Hilfe von außen anzunehmen.
"Es wird nicht gejammert und es wird nicht gebettelt" - der Leitspruch meines Vaters.
Dazu die fünfzehn Jahre Ehe, in denen mein Ex mich darauf "trainierte", das Leben mit ihm und den Kindern bitte schön allein geregelt zu bekommen - so wie jede andere Frau auch.
Ich war es nicht gewohnt, das Leben als ein Miteinander - und auch nicht das Bitten darum. Das ist mir extrem schwer gefallen - aber man kann nicht alles allein schaffen, man kann nicht alles allein bewältigen - und muss es ja eigentlich auch nicht. Ich habe, glaube ich, nicht oft in meinem Leben um Hilfe gebeten, sondern erst dann, wenn ich absolut keinen anderen Ausweg mehr wusste. Und die Erfahrung hier heraus lehrte mich, dass nicht jeder Mensch hilft, weil er es kann und weil er es gern tut, sondern weil er etwas damit bezweckte. Weil er sich hiervon etwas versprach.
Verstanden habe ich es nicht - weil es so konträr zu meiner eigenen Natur ist. Wenn ich jemanden in einer Notlage sehe oder spüre und wenn ich dann noch weiß, dass ich selber etwas dagegen tun, dass ich helfen kann - dann tue ich es. Dafür braucht es keine großen Worte und auch keine anschließenden großartigen Dankesbekundungen. Ich tue es und dann ist es für mich erledigt.
Dass wir Menschen verschieden sind, mit unseren Stärken, mit unseren Schwächen, damit kann ich umgehen und ich kann es akzeptieren. Mit den verschiedensten Konsequenzen.
In erster Linie mit der Konsequenz, mich wieder allein um die Dinge zu kümmern, so wie früher.
"Wenn du aber gar nicht erst fragst und dem anderen somit gar nicht die Chance gibst, Ja oder Nein zu sagen, entscheidest nicht du dann für den anderen etwas, das du ihm dann vorwirfst?"
"Werfe ich es ihm denn vor? Ich denke nicht, denn ich akzeptiere, dass es so ist wie es ist."
"Aber du weißt ja gar nicht, ob es so ist, wenn du nicht fragst."
Dann lehne ich mich zurück, lasse den Blick durch den Raum schweifen, hefte ihn anschließend auf mein Gegenüber, ich lächel und denke dabei an jene Momente zurück, in denen ich bitter bereute, gefragt zu haben.
Dann trank ich den letzten Schluck Kaffee aus, der inzwischen kalt geworden war.
3 Kommentare:
Scheint trotz kalten Kaffee eine Begegnung gewesen zu sein die Blickwinkel eröffnet. Wünsche dir das es für dich Blickwinkel werden die dir helfen. Warmen Kaffee kannst du selbst eh am besten :-)
Ich denke schon, dass sie mir helfen. Weil sie offenbar ehrliche sind - und keine, die schmeicheln oder nach dem Mund reden sollen. Die bringen mir nichts und die geben mir auch nichts.
Und wusstest Du, dass kalter Kaffee schön machen soll?
Ich kann also nur gewinnen :D
Ein wunderschöner Text Helma.. Das muss viel in dir berührt haben, was da war. Ich drück die Daumen!
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