Dienstag, 6. November 2018

23

Es ist Punkt Mitternacht und Du, mein Junge, wirst 23 Jahre alt. 23.. Und manchmal denke ich, es ist wie erst gestern, dass sie Dich auf meinen Bauch legten, noch ganz zusammengerollt, und das erste, was ich bei Deinem Anblick dachte, war: "Er hat ja eine kleine Entenschnute."

Du warst 7 Jahre alt, als wir Dir sagten, dass Dein Vater und ich uns trennen werden - und ich sehe es noch heute vor mir, wie Du es erst gar nicht glauben mochtest, lieber noch mal nachfragtest - und dann heulend unter die Bettdecke gekrochen bist. Glaub mir, das hat mir unfassbar weh getan, es Dir und Deinem Bruder anzutun, aber glaub mir auch, alles andere würde kein gutes Ende genommen haben.
Du warst so anschmiegsam in diesen ersten Jahren "allein". Deine größte Angst bestand darin, mich zu verlieren, und als Du eine Haarspange vor unserer Haustür fandest, wurdest Du fast verrückt vor Sorge, dass das meine war und dass man mich entführt hätte. Wie glücklich Du warst, als ich wie immer abends nach Hause kam und Dich an mich drückte.

Als Du irgendwann die Welt der Mädchen für Dich entdecktest, da habe ich mich öfter gefragt, ob es meine Schuld war, dass Du Dich nicht festlegen wolltest oder konntest. Dass Du so große Angst vor Enttäuschungen hattest, dass Du kein Mädel wirklich an Dich heranließest, auch nicht die "mit dem goldenen Herzen", wie Du es einst bezeichnet hattest.
Er ist jung, er probiert sich aus, lass ihn, habe ich mir so oft gesagt und mir vor allem immer nur eins gewünscht: dass Du mit dem, was Du tust, glücklich bist.
Und Dir und Deinem Bruder habe ich immer eines versprochen: Wenn Ihr wisst, was Ihr wollt, und wenn es irgendetwas gibt, das ich dazu tun kann, dann werde ich es tun.
Erzieher wolltest Du werden, gemeinsam haben wir Schulen herausgesucht und uns letztlich für eine Privatschule entschieden.
"Geht er denn nebenbei arbeiten?" wurde ich öfter gefragt damals und diese Frage verstand ich gar nicht.
"Nein wieso? Er soll sich auf die Schule konzentrieren und solange er bei mir wohnt, muss er doch nicht arbeiten gehen."
"Müssen muss er nicht, aber dann könnte er dich finanziell entlasten."
Das war zu jenem Zeitpunkt aber nicht mehr zwingend notwendig - und mir war wichtig, dass Du Dich auf die Ausbildung konzentriertest. Auch dann, wenn Du relativ zeitig erkanntest: Erzieher zu sein ist schön, aber es ist doch nicht das, was ich für den Rest meines Lebens machen möchte.
Du wusstest, was Du nicht mehr wolltest, aber Du wusstest noch nicht, was Du wolltest. Das hat eine ganze Weile gedauert, bis es Dir klar wurde und Du aufgrund von Fristen übergangsweise zum Bund gewechselt bist. Diese Zeit dort hat Dir, glaube ich, ganz gut getan - und wiedergekommen ist ein junger Mann, der sich mehr und mehr festigte, der sein Leben genoss und der das Zusammenwohnen mit dem Bruder mehr und mehr eintaktete. Aus der kleinen Entenschnute war erst ein Schmunzelhase geworden (weil Du einfach ein Kind warst, das viel und gern gelacht hat) - und nun... ein junger Mann ganz am Anfang von allem. Der - so habe ich es verstanden - eher zufällig einem Mädchen wiederbegegnete, das auch heute noch, nach weit über einem Jahr immer noch bei Dir ist.
Die Dir heute kleine Zettel schreibt so wie wir uns früher.
Die mit Dir lernt so wie wir beide früher.
Die Du in die Arme nimmst so wie ich Dich früher.


Es ist so wundervoll, Dich bei all dem zu begleiten, Dich zu sehen, wie Du in Dir ruhst und wie wohl Du Dich fühlst, wenn um Dich herum die Welt in Ordnung und harmonisch ist, wenn die Menschen einander gut behandeln. Ich bin so dankbar, dass Du Dich so gesund entwickeln konntest...
..In Deiner jetzigen Ausbildung hast Du schon einiges zu sehen bekommen, verletzte Menschen, tote Menschen, und ich habe Dich gefragt: "Wurdest du eigentlich darauf vorbereitet? Kannst du denn damit umgehen?" Und Du hast entspannt geantwortet: "Es geht mir gut, wirklich, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Es ist auch immer noch das, was ich machen will."
Ich bin so dankbar, dass Du stabil genug für all das bist.
Ich bin so glücklich, dass wir Dich haben, dass Du bei uns bist, bei Deinem Bruder und mir - und für mich zählt wirklich nur eins: dass Du wie er jeden Abend gesund nach Hause kommst.

Vor ein paar Jahren hast Du mir Danke gesagt. Danke für die schöne Kindheit, in der es Dir an nichts gefehlt hat und wo Du alles hattest, was Du brauchtest. Du glaubst gar nicht, wie sehr mich das gefreut hat.

Jetzt seid Ihr erwachsen, Ihr geht Eure eigenen Wege, aber wo auch immer wir sind: Das Band zwischen uns hält. Und mir ist bewusst: Ohne Euch bin ich nichts mehr, aber mit Euch bin ich alles.

Alles Liebe zu Deinem Geburtstag.

Deine Mama

7 Kommentare:

glumm hat gesagt…

Die Sache mit der Haarspange vor der Haustür... wunderbar.

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Liebe Helma, da muss ich kräftig schlucken, um die Tränen des Glücks beim Lesen nicht kullern zu lassen, weil ich dann nichts mehr sehe.
Ich finde deine family schon immer traumhaft lebenswert.
Nach meiner Erfahrung haben es Kinder aus Scheidungsfamilien wirklich schwerer, sich zu binden. Zumindest ist es bei meinen beiden so - aber der Sohn lebt schon lange über ein Jahr hinaus glücklich, vielleicht wird es noch viel länger.
Liebe Grüße zu dir und dem Geburtstagsjungen

gretel hat gesagt…

Wunderbar! Ich liebe ja deine Geburtstagsbriefe so sehr.
Es ist gut zu lesen, dass es rund zu laufen scheint. Das ist es was man will als Mama.
Ich bin ja eher froh, wenn das große Kind möglichst nicht zu früh eine Freundin anschleppt (hüstel, ja ja die Klammer-Mütter). Und du hast dich scheinbar äußerlich nicht wirklich verändert!!!
Liebe Grüße

Hedi hat gesagt…

oh wie schön zu lesen
ganz wunderbare worte und ein absolut wunderschönes kind
und eine wunderschöne mama
ich bin entzückt,
sehr

Goldi hat gesagt…

Zu Deinen Worten: schluck - wie wundervoll.
Zu dem Bild, komm gib zu, dass hast du doch irgendwo aus so nem Magazin rausgefotofiert, solche Jungs haben doch gar keine Mütter sondern einen Bäcker, jawoll, watt ne Sahneschnitte, naja bei der Mutter auch irgendwie kein Wunder :-*

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ja Herr Glumm, das empfinde ich auch so - damals wie heute. OK, damals mit etwas mehr Mitleid mit dem einst gepeinigten Kind. Er hat auch nicht sehr lange danach sein erstes Handy bekommen, natürlich nur ein stinknormales, aber das reichte, um die Mama anzusimsen, wenn irgendwas war ;)

Hm Clara, wenn ich so darüber nachdachte, war ich schon extrem froh, dass meine Eltern uns so eine Erfahrung ersparten. 9 ganze Jahre habe ich mich mit der Entscheidung gequält - gehen oder bleiben? Dass es nur eine einzige Konsequenz gab, ist mir aber erst im letzten Jahr wirklich aufgegangen. Ich bin ein absoluter Spätzünder. Deshalb kann ich meinen Großen auch immer nur in Schutz nehmen - er hat das von mir ;)

Liebe Gretel, hab wirklich vielen lieben Dank für Deine Worte. "Ganz rund" läuft es aktuell nicht, zumindest nicht so wie ich es meinem Sohn wünschte. Aber das betrifft meinen Ältesten und das hier ist ja der "Brief" an meinen Jüngsten. Er hat es gestern schon gelesen und sich wirklich gefreut - und will es auch seiner Freundin zeigen :)
Und doch - ich hab mich schon verändert, es sind ein paar Linien um die Augen hinzugekommen - aber ich schiebs eher auf Lachfalten ;) Und über alles andere kommt Haarfarbe ;) Das allerdings nicht, um etwas zu vertuschen, sondern einfach nur, weil mir meine Naturhaarfarbe zu langweilig ist. Da bin ich echt mal ins Fettnäpfchen beim Mann getreten, der wissen wollte, wie denn meine Haarfarbe eigentlich in Natur sei, wenn ich sie so langweilig fände. Spontan (und wirklich ohne nachzudenken) antwortete ich "Hm.. so wie Deine!" :D

Danke Hedi :)

Haha, danke Goldi - aber dieses Kind ist ganz nach seinem Vater geraten ;) Als er noch klein war, hatte er irgendwie schon mehr von mir, das hat sich inzwischen leider verwachsen :)


Anonym hat gesagt…

*Seufzer der Rührung* :-)

Und das gute Aussehen liegt wohl in der Familie :-D