Montag, 30. März 2020

Aufgerappelt

an seltene.erkrankungen 



Sehr geehrte Damen und Herren,


vielen Dank für Ihr Schreiben, das ich ebenfalls dem Hausarzt Dr. [Hausarzt] für seine Akte übergab. Nach Rücksprache mit Herrn Dr. [Hausarzt] habe ich mich nunmehr entschieden, Ihnen auf Ihr Schreiben zu antworten.

In Ihrem Schreiben legen Sie dar, dass die bisherigen Untersuchungsmöglichkeiten den Rahmen des Möglichen ausgeschöpft hatten und Sie aufgrund der Ergebnislage davon ausgehen, dass die von mir beklagten Symptome psychosomatischer Natur seien.
Ihrer Argumentation könnte ich tatsächlich sogar folgen, wenn ich mich einer solchen Behandlung nicht schon längst unterzogen hätte. Dies ist den Ihnen vorliegenden Unterlagen durchaus zu entnehmen.
Es irritiert mich persönlich immer wieder, dass diese fortlaufenden psychosomatischen Behandlungen im Zeitraum von Januar 2007 bis Anfang 2011 immer wieder übersehen werden. Vier Jahre psychosomatische Behandlung bzw. Begleitung bzw. Verhaltenstherapie mit einem ausgesprochenen Erfolg für die Entwicklung meiner eigenen Persönlichkeit. Ich bin sehr dankbar für diese vier Jahre, ich habe sehr viel gelernt. Unter anderem habe ich dabei auch gelernt, mich weder in Schubladen hineindenken noch mich so behandeln zu lassen.
Was bis heute trotz allem nicht gelungen ist, ist eine Verbesserung der körperlichen Entwicklung, von der der behandende Neurologe Dr. [Neuro], M, im Herbst 2018 zu mir sagte: "Wenn man sich den Verlauf nebeneinander legt, kann man sagen, dass es langsam, aber stetig immer schlechter wird." Er verwies darauf, dass das Feld der Neurologie unfassbar weit sei und es entsprechend viele Erkrankungen gäbe, von denen man nur wenig oder auch gar nichts wisse. Aus diesem Grund überwies er mich in das Klinikum [xx]. Das Ergebnis dessen setze ich als Ihnen bekannt voraus. Dem Besuch dort verdanke ich zumindest die im Nachgang bestätigte Diagnose Hashimoto Thyreoiditis.
Herr Dr. [Neuro] bescheinigte mir im Januar 2019, dass "man" Patienten wie mich genau da würde haben wollen, wo ich heute schon sei: dass ich weiter am Arbeits- und persönlichen Leben teilhabe, dass ich mich sportlich betätige, dass ich mich abgrenze und auch für mich persönlich sorgen kann. 
"Machen Sie genau so weiter", sagte er.
In all den Jahren habe ich nichts anderes getan, jedoch auf die körperliche Entwicklung habe ich nach wie vor keinen positiven Einfluss nehmen können.
Mit dem linksseitigen Schmerz in den Gelenken lebe ich also. Mein Fokus liegt schon sehr lange nicht mehr auf dem Schmerzempfinden oder überhaupt auf meiner körperlichen Verfassung. Doch wenn ich eines Tages aus dem Stand aus einer völlig ruhigen, entspannten Position heraus einfach umfalle und anschließend deutlich Schwierigkeiten habe, meinen Gang zu koordinieren, sollte es mir gestattet sein, Ursachen herausfinden zu lassen und diese aktiv angehen zu dürfen.
Ob die beiden Dinge, Schmerz und Tremor/Gangunsicherheit,  zusammengehören oder einzeln zu betrachten sind, kann ich als Laie nicht beantworten. Für mich persönlich spielt auch keine Rolle, inwieweit das eine mit dem anderen zusammenhängt oder auch nicht. Ich fühle mich jedoch auch in meinem Alter noch viel zu jung, um mich schon morgens beim Aufstehen wie betrunken zu bewegen. Also habe ich mich schlussendlich im Sommer 2018 der Alternativmedizin zugewandt, obwohl ich dieser sehr skeptisch und zurückhaltend gegenüberstand. Der Erfolg der Ozon-Blutbehandlung mag schulmedizinisch fragwürdig sein, ist aber dennoch - für mich - überraschend deutlich (vollständige "Ausheilung" des Tremors bis heute). Die Heilpraktiker in L als auch M sahen darin ein infektiöses Geschehen im Nervensystem als bestätigt.

Ich kann nicht einmal sagen, dass ich an Ihr Zentrum eine besondere Erwartung hatte. Erwartungen habe ich mir schon vor sehr langer Zeit abgewöhnt. Doch was ich hatte, war Hoffnung. Eine Hoffnung, die nicht eine vorliegende seltene Erkrankung oder Störung beweisen muss. Aber die Hoffnung auf einen möglichen Weg. Auf einen Aspekt, der bisher eventuell noch nicht betrachtet worden ist. Zumindest hätte ich mir gewünscht, dass Sie wenigstens hinterfragen, inwieweit sich zum Beispiel die Kortison-Behandlung auf die beklagten Symptome auswirkt. Diese Behandlung wurde im Januar 2020 zum allerersten Mal getestet (auch den Ihnen vorliegenden Unterlagen zu entnehmen) - und hatte bei der Tagesdosis von 40 mg sicherlich einige Nebenwirkungen, vor allem aber eine sehr deutliche Verbesserung in der Gangsicherheit, in der fast vollständig aufgehobenen Schmerzintensität der Finger und auch eine allgemeine Besserung des Schmerzempfindens. Für Herrn Dr. [Hausarzt] ist dies ein Hinweis auf ein infektiöses Geschehen im Körper. Leider Gottes hat zumindest die Schmerzintensität in den Fingern und auch in den linksseitigen Gelenken nach dem Ausschleichen und Absetzen des Medikaments wieder deutlich zugenommen. Unbeantwortet ist auch die Frage, warum eine schubweise deutliche Verschlechterung der körperlichen Verfassung überwiegend in der kalten Jahreszeit auftritt. Je kälter, desto intensiver die Symptome. Ein Umstand, der in der Ihnen übergebenen Chronologie zumindest für mich relativ deutlich wurde.

Eine Dauerlösung ist Kortison jedoch nicht und darum wandten wir uns an Sie.
Am Grad der Enttäuschung wird immer deutlich, wie groß die Hoffnung letztendlich doch war.
Von meinen Zeilen verspreche ich mir insofern gar nichts - aber ich wollte Ihr Schreiben und die darin aufgestellten Annahmen dennoch nicht unbeantwortet stehenlassen. Für die von Ihnen in den Raum gestellte fragliche Sarkoidose fehlt Herrn Dr. [Hausarzt] insbesondere eine symptomatische Beteiligung der Lunge. Auch Ihrer Einschätzung zum psychosomatischen Geschehen folgt er (nach wie vor) nicht. Hierzu würde ich gerne auch auf den Ärztlichen Entlassungsbericht der [Reha]-Klinik vom Januar 2012, Seite 6, verweisen. Es ist tatsächlich schade, dass ich die meisten dieser Aussagen bzw. Einschätzungen nicht schriftlich nachweisen kann.
Ich frage mich nur: Wenn Lösungen immer so einfach wären, wozu braucht es dann Zentren für seltene Erkrankungen, die Ergebnisse lediglich an gängigen Laborparametern ablesen? Diese Frage ist nicht zynisch, sondern tatsächlich ernst, aber selbstverständlich rhetorisch gemeint.

Haben Sie einen schönen Tag.

Mit freundlichen Grüßen


So. Und jetzt fickt Euch, Ihr Drecksäcke.

Freitag, 27. März 2020

Fimffalabim!

Der Mann und ich haben in der aktuellen Situation beschlossen, unseren Wocheinkauf auf freitags morgens Punkt 7 zu verlegen. Damit sind wir sicher, dass sich die Leute nicht gegenseitig auf die Zehen treten (dagegen ist er ganzjährig allergisch, nicht nur in Zeiten etwaiger Infektionen), aber wir sind auch sicher darin, nicht anstehen zu müssen, ehe man den Markt überhaupt erst betreten darf.
Ich Naivling nahm ja auch an, die Hysterie würde sich nach der ersten Aufregung nun ein wenig legen - aber ach. Gefühlt jeder Zweite begegnete mir heute mit dieser albernen Maske und Handschuhen.
Versteht mich nicht falsch: Es gibt Menschen, die sich ernsthaft vor einer Ansteckung schützen, aber ja trotzdem auch für sich einkaufen müssen. Und sicherlich sieht man diese Notwendigkeit auch nicht jedem an.
Aber wenn die Kassiererin beispielsweise, bestückt mit Mundschutz und Handschuhen, nach der Wasserflasche greift, diese wiederholt mit ihren Handschuhen öffnet (nachdem sie fortlaufend Zeug anfasst, das ja potentielle Virenträger berührt haben) und schließt und über den Mund fährt - sorry. Dann brauchts auch keine Handschuhe. Das Zauberwort ist und bleibt: Hygiene. 
Wir haben übrigens jetzt wieder die gute alte Handseife im Bad, denn das Regal mit der Flüssigseife ist nach wie vor leergefegt und in der Babyabteilung bediene ich mich nicht. 

In unserem Unternehmen - und damit zählen wir wohl zu den wenigen derzeit - ist aktuell weder Kurzarbeit angemeldet noch kann ein Großteil der Angestellten im Home Office arbeiten. Also haben wir vergangene Woche eine Arbeitsbescheinigung für jeden Mitarbeiter erstellt und herausgegeben, damit jeder ungestraft in die Firma kommen darf. 

Meine Arbeitsbescheinigung kam heute mit der Post. Ich hatte sie mir vorsorglich schicken lassen, weil noch nicht feststand, ob ich nun kommende Woche nach L tingele oder doch erst nach Ostern. 
Und schon, als ich zur Lieblingskollegin sagte "Schick mir meins mal mit der Post, dann bin ich zumindest auf der sicheren Seite, wenn sich der Plan ändert", da wusste ich, sie wird irgendwas dazutun. Als der Mann mir vorhin den Umschlag gab, grinste ich schon - und als ich ihn öffnete, amüsierte ich mich. 


Sie hingegen hat mir vor Lachen ins Ohr gekreischt, als ich ihr prompt über whatsapp meine Antwort schickte und hinzufügte: "Guckste mal, ich kann wirklich zaubern - Fimffalabim!" 


Ich wusste doch immer, dass ich mit meinen Händen Großes erschaffen kann ;)

Donnerstag, 26. März 2020

Tag was-weiß-ich


Ich stamme ja aus dem Norden. Daher, wo man sagt, dass die Kühe schöner seien als die Mädchen.
Daher, wo man sagt, die Leute hätten eine begnadete Arschruhe.
Daher, wo man, wie ich finde, den herrlichsten Dialekt spricht und wo man, wenn man das Plattdeutsch denn auch beherrscht, den besten trocknen Mutterwitz aller Zeiten findet.
Von daher.. dauert es schon ein bisschen, um mich aus meiner gemütlichen Arschruhe herauszulocken.
Ein bisschen was Nordisches muss ich mir ja schließlich bewahren - damit sie mich auch wiedererkennen, wenn ich eines Tages wieder dort lebe.

Dennoch gibt es Dinge, die mir mitunter wahnsinnig auf die Nerven gehen - und die mich auch ganz schnell mal fuchtig werden lassen können.
Unfairness und Ungerechtigkeit, aber das hatten wir schon, alter Hut.
Was mir aktuell tierisch auf die Nerven geht, ist, dass man an keinem einzigen Tag und nirgendwo vom Thema verschont bleiben kann, das derzeit alle Welt beschäftigt.
Ich mags ja nicht mal aussprechen.
Fast schon wieder belustigend empfinde ich, dass Menschen, die die aktuell vorangetriebenen Maßnahmen langsam immer kritischer sehen und auch so empfinden, beschimpft werden mit "Du hast doch den Schuss immer noch nicht gehört" oder "Denk mal ein bisschen nach, dann kommste vielleicht noch drauf" oder "Unsere Großeltern haben einen Weltkrieg überlegt und ihr jammert rum wegen drei Wochen Sofa!" und so weiter und so fort.
Erst gestern tauschte ich mich mit einer Bekannten über dieses Thema aus - und auch sie, deren Schwester als Ärztin beschäftigt ist, kann diesem medialen Aufschrei und der daraus resultierenden Hysterie nicht folgen. Leergekaufte Klopapierregale, man glaubts nicht. Nachbarn, die die Polizei rufen, wenn innerorts eine Freundin die andere besucht, um was Eingekauftes abzuholen. Die dann auch kommt und erstmal mündliche Verwarnungen ausspricht, beim nächsten Verstoß kostets Geld. Ich würds nicht mal glauben, wenn ichs nicht selber "gesehen" hätte.
"Dein gesunder Menschenverstand ist so erfrischend", schrieb sie mir. Das ist freilich Ansichtssache.
Gestern las ich in einem sehr interessanten Artikel (leider weiß ich nicht mehr, wo) über Otto Normalbürger aus Australien. Befragt zu ihrem panikartigen Einkaufsverhalten, bestätigten sie das, was ich tatsächlich einige Tage zuvor im Dialog mit dem Mann gemutmaßt hatte: "Wir machen das so, weils der andere auch macht. Wenns der andere so macht, muss das ja einen Grund haben."
Herdenverhalten.
Nicht nur einmal ist in den letzten Tagen öfter an die Geschichte vom Kaiser mit den neuen Kleidern erinnert worden.

Aber seis drum.
Fakt ist, dass ich vor etwa zehn Tagen nicht schlecht staunte und eher missmutig zur Kenntnis nahm, dass nun auch der Mann in den nächsten zwei Wochen dem Home Office frönen würde.
Wir zwei! Hier! Zu Hause!
"Ruf mich Freitag noch mal an", sagte ich zu einer Freundin Anfang letzter Woche, "wir gucken dann mal, wer von uns beiden das Ganze hier überlebt hat!"
Haben gegackert und uns amüsiert.
Aber ganz so abwegig... erschien mir das nicht! Wir zwei hier auf so engem Raum, mit nur einem Schreibtisch und einer... nun sagen wir... ziemlich unterschiedlichen Auffassung zur Tagesgestaltung (er geht in den Pausen joggen oder Radfahren, ich packe meine Kekse aus und schaue zum Beispiel Kriminalgeschichten öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten).

Aber nun haben wir Tag 9 der verordneten Ausgangsbeschränkung - und wir leben beide immer noch. Von Lagerkoller ist im Grunde nicht wirklich etwas zu spüren. Ich finde sogar, dass wir uns dafür sogar ganz gut arrangiert haben: Wir gehen uns überwiegend aus dem Weg *kreisch*
Tatsächlich sehen wir uns zumeist nur morgens und abends, weil jeder in seinem Zimmer über den PC gehockt sitzt, das Headset übergestülpt und festgefangen in Konferenzschaltungen oder pausenlosen Anrufen von Mitarbeitern und Vorgesetzten. Wenn er mal Pause hat, telefoniere ich - oder umgekehrt. Da hilft tatsächlich manchmal nur noch die stille Post. Und manchmal isst trotzdem jeder für sich zwischen zwei Telefonaten oder wartet auf den anderen, bis sich schon die Stullenränder leicht nach oben biegen.

Insgesamt bin ich aber doch positiv überrascht, wie gut wir uns hier vertragen.
Wir zwei, die ihre Freiheit lieben und Freiraum über alles schätzen.


Ebenso erfrischend empfand ich auch das kleine Video meiner Freundin heute Abend. Sie hat mit ihren zwei Kindern einen Parcours im Gemeinschaftskeller gebaut und ab ging die Luzy. Ich fand das total witzig und ich fand aber auch irgendwie toll, wie man so "zurückfinden" kann zu all den einfachen Sachen, die wir früher als Kinder gespielt haben - und den Spaß unseres Lebens hatten.
Ich fand das wirklich toll!
Auch wenn ich trotzdem sehr, sehr froh bin, dass meine Söhne groß sind und ich sie nicht auch noch ganztägig bespaßen oder ihren Frust ertragen muss. Ich erinnere mich noch an Zeiten, in denen nicht nur flammende Schimpfworte hin und her flogen!
Ich finde cool, was man alles so wiederentdeckt, wenn man die Zeit dafür hat.
Warum nicht einfach mal das Positive in all dem sehen? Warum nicht einfach mal das Positive leben in einer Zeit wie dieser? Warum mich jeden Tag fluten lassen von Zahlen, Nachrichten, von denen inzwischen kein Schwein mehr nachvollziehen kann, was jetzt davon stimmt und was nicht? Warum mich nicht auch mal dem ganzen Hype entziehen und einfach mal auf sich konzentrieren? Gerade in einer Welt wie dieser, die immer schneller und schneller wurde, so dass man Gefahr lief, sich beinah selbst zu überholen?
Mit einem beinah stoischen Gemüt kann ich mich in Dinge fügen, die ich ohnehin nicht ändern kann, und aber das Beste daraus machen.
Irgendwie habe ich den Eindruck... dass der Mensch immer einen Grund zum Jammern findet. Dass es immer etwas gibt, das ihm nicht passt und das beklagt werden muss.
Ich finde das echt anstrengend.
Viel anstrengender als ein gemeinsames Home Office mit dem Mann und dem damit einhergehenden Verzicht auf liebgewordene Rituale ;)

Samstag, 21. März 2020

Szenen einer Partnerschaft: Wasserblaue Augen und braunes Haar



Vermutlich angeregt durch die Vinyl-Challenge auf FB, bei der der Mann meine Chronik ja mitverfolgt, und meine sichere Erinnerung, dass er mir vor Jahren sehr wohl eine Vinyl geschenkt hatte ("Hab ich nicht!" "Doch, hast du wohl, ich bin mir sicher." "Die steht gar nicht in meiner Excel-Liste." Dafür schaute ich in seine Sammlung und fand sie gleich beim dritten Zugriff: "Tja!"), wurde ich heute Morgen vom Kaffeeduft geweckt, begleitet mit der aufgelegten LP.
"Der Kaffee ist fertig" hätte zwar besser gepasst, gibts aber auf dieser Scheibe nicht.
Trotzdem saß ich mit Herzchenaugen, noch ganz verwuschelt vom Schlaf und warm eingemummelt in meiner Strickjacke auf dem Sofa, die Kaffeetasse in beiden Händen, schaute hinaus auf die ersten zarten grünen Blätterknospen im Garten, auf die dicken Regenwolken - und fühlte mich so richtig wohl und entspannt. 

"Wenn du magst, konvertier ich dir deine Lieblingssongs in mp3. Such dir deine Titel aus."

Hängengeblieben bin ich dann an diesem hier. Fast vergessen über all die Jahre, bekam ich heute Morgen eine Wahnsinns-Gänsehaut, aber dann musste ich auch lächeln.
"Der Song passt ja auch auf uns", sagte ich.
"Wieso?"
"Na.. du hattest auch immer Angst um deine Freiheit und glaubtest, wenn du in einer Beziehung bist, würdest du deinen ganzen Freiraum verlieren. Und dann kam ich. Mit wasserblauen Augen und braunem Haar."
"Ja. Stimmt. Und vorbei war sie, die Freiheit."
Beinah hätte ich den gerade genommenen Schluck guten-Morgen-Kaffee vor Lachen zurück in die Tasse oder gleich ganz über den Tisch geprustet.
"Mein Lieber, du hast alle Freiheit der Welt."
Sein "Kummer" ist heute nämlich eher, dass er mich viel mehr dabei haben will als ich das wollte :)

Vinyl-Challenges 2 (10)

Bildquelle: https://recordsale.de/de/kuenstler/peter-cornelius/albums/du-entschuldige-i-kenn-di

Oh mein Gott, was war ICH verliebt! In diese himmelblauen, sehnsuchtsvollen Augen!
Sobald der TV lief und es erklang dieser Titel, ließ ich tatsächlich alles stehen und liegen und rannte - haste was kannste - ins Wohnzimmer zu den Eltern, stand völlig entrückt und mit seligem Blick in der Tür und ging nicht eher von der Schwelle, bis er nicht mehr zu sehen war.

Zumindest kann ich sagen, dass er derjenige war, der diese Sehnsucht in mir auslöste, die bis heute in mir lebt. Die Sehnsucht nach etwas Wundervollem, nach Einzigartigem - und vor allem nach Liebe.
So ist das auch bis heute: Ich weiß nicht, was in ist, was angesagt ist - es kümmert mich auch nicht. In Musik verliebe ich mich spontan und sofort, sobald sie etwas in mir auslöst. Seien es Tagträume. Seien es Empfindungen. Seien es Erinnerungen. Sei es die Sehnsucht. Die sich in meiner Seele und in meinen Augen spiegelt. Bis heute reagiere ich demnach auf alles und jeden, der Sehnsucht in mir auslöst.




Ich liebte, liebte und liebe noch immer diesen Song.
Die meisten kleinen Mädchen träumen davon, eine Prinzessin zu sein. Ich auch, als ich noch vier, fünf, sechs Jahre alt war.


Aber schon lange, bevor ich überhaupt meinen ersten Freund hatte, fand ich den Gedanken, dieses Gefühl einfach nur schön, für einen anderen Menschen etwas ganz Besonderes zu sein. Damals wusste ich noch längst nicht, wie sich das in der Realität anfühlen würde. Lange auch habe ich geglaubt "Wenn du erstmal einen Mann hast und verheiratet bist, dann geht es dir immer gut, dann wirst du nie wieder Liebeskummer haben, weil, du hast ja dann jemanden und bist glücklich."
Hach ja, so herrlich naiv...
Trotzdem habe ich dieses Gefühl, diesen Gedanken, diese Sehnsucht immer mit mir mitgenommen - und verliebe mich bis heute in jeden Song, der mich daran erinnert.
Das erklärt vielleicht auch, warum ich keinen Zugang zur damals gängigen Mucke fand - Puhdys, Karat und wie sie alle hießen. Denn West-Mucke durfte man ja nicht hören, jedenfalls nicht offiziell. Und die Insel, auf der ich wohnte, ja da war nix mit West-Empfang. Maximal Radiowellen sind zu uns aufs Eiland geschwappt. Hachz! Was waren DAS noch für Zeiten, wenn man bäuchlings auf dem Fußboden lag, die Antenne des Radio-Kassettenrecorders mit beiden Händen fest umklammert hielt und die Augen zupresste unter dem Gebet: "Bitte! Lass! Es! Nicht! Rauschen! NICHT! JETZT! NUR DIESES EINE MAL!!", während man verzweifelt versuchte, wenigstens ein bisschen vom Lieblingssong mitschneiden zu können. Ein bisschen Qualitätsrauschen konnte ich ja locker in Kauf nehmen, aber wenn der halbe Titel im Äther verschwand, ja, das konnte manchmal schon weh tun. Vor allem dann, wenn man das eigene Zimmer zur Bühne erklärte, sich im Spotlight vor zig Zuschauern wähnte und lautstark, falsch und fröhlich sang, Lied zurückspulen, singen, wieder zurückspulen...

Vor einigen Jahren hat der Mann mir einen langgehegten Traum erfüllt und ist mit mir nach Wien gereist. Auch die Stadt natürlich, in der Peter Cornelius lebt. Ich habe mich im Vorfeld nicht gekümmert, ob er überhaupt noch dort lebt und wo man ihm vielleicht begegnen könnte. In irgendwelchen Clubs, Kaffeehäusern, was weiß ich. Dennoch hatte ich irgendwie immer ein klein wenig die Hoffnung, es könnte irgendwo passieren. Ganz unvorbereitet, unverhofft und überhaupt.
Es war für mich völlig okay, dass es natürlich nicht so war.
Aber heute und insbesondere im Zusammenhang mit dem Herauskramen von Musik für diese Challenge muss ich schmunzeln, wenn ich daran denke, dass der Mann, den ich heute liebe, der Sehnsucht von damals, als ich noch ein Kind war, tatsächlich ähnlich ist. Als ich ihm zum allerersten Mal gegenüberstand, war da etwas, das ich.. wiedererkannt habe. Bezeichnenderweise war mein Ex-Mann ganz anders. Der ähnelte meinem Vater.

Donnerstag, 19. März 2020

Kein Entkommen

Ich soll mein Leben ordnen, hatten sie gesagt.
Ich soll Stress reduzieren, hatten sie gesagt.
Ich soll Nein sagen lernen, hatten sie gesagt.
Ich soll mich abgrenzen lernen, hatten sie gesagt.

Mein Leben habe ich erstmals aktiv geändert, als ich im Januar 2003 aus der ehelichen Wohnung auszog und drei Jahre später endlich die Scheidung durchsetzen konnte. Für mich gab es von Anfang an kein Zurück, das Thema war zumindest für mich endgültig vom Tisch.
In schier endlosen Therapiesitzungen arbeitete ich nicht nur die Ehe und den Rosenkrieg auf, sondern auch Dinge, die noch sehr viel länger her waren. Man spürt nicht sofort die Erleichterung. Oder dass sich etwas (ver)ändert. Das kommt erst mit der Zeit, mit den Jahren.

Ein weiteres Mal änderte ich mein Leben mit meiner Entscheidung, von L nach M zu ziehen und überwiegend nur noch im Home Office zu arbeiten.

Beide Entscheidungen haben ziemlich tief in mein jeweils bisheriges Leben eingegriffen - und beide Entscheidungen habe ich nicht eine einzige Sekunde lang bereut. Im Gegenteil.

Mittendrin, okay, relativ am Anfang dieses neuen Lebens ist mir die Schmerzgeschichte passiert. Den Auslöser bestreitet niemand. Diese Infektion mit Bakterien. Was mir nur seither immer wieder geschieht, ist, dass es eben nicht sein kann, dass der Körper auf der linken Seite immer noch schmerzt. Seit dem Februar 2005 jeden einzelnen Tag, jede Minute, jeden einzelnen Augenblick. Wobei, ne, ganz so ist es nicht. Seit Februar 2005 hat der Körper komplett geschmerzt. Nach der Behandlung mit zwei verschiedenen Antibiotika schmerzt er nur noch links. Ob das einen Unterschied macht? Für mich schon. Weil rechts mich daran erinnert, wie das Leben vor dem Schmerz war. Weil rechts mich mahnt: Gib nicht auf, mach alles, dass es wieder gut wird.

Es ist doch behandelt worden, haben sie gesagt.
Es ist doch alles untersucht worden, haben sie gesagt.
Da ist nichts mehr, haben sie gesagt, und wenn es jetzt noch weh tut, dann liegt es an Ihnen.

Das habe ich so oft gehört, dass es mir zu den Ohren rauskommt. Manchmal habe ich vor Enttäuschung geweint. Manchmal habe ich vor Wut irgendwas vom Tisch gefegt. Manchmal habe ich etwas zu diesen Einschätzungen gesagt. Meistens aber habe ich es hingenommen und das gemacht, was sie sagten: Kümmer dich um deine Seele. Lerne, es auszuhalten. Lerne, damit zu leben.



All das habe ich gemacht. Nachweislich und aktenkundig. Und vor allem erfolgreich. Manche haben gesagt "Sie sind schon da, wo wir die Patienten hinhaben wollen. Noch mehr können wir Ihnen nicht beibringen."
Manche haben in ihren Bericht geschrieben, dass sie die psychosomatischen Aufnahmediagnosen geändert haben zugunsten einer somatischen Störung, von der man nur noch nicht weiß, was die Ursache ist.
Das habe ich markiert, bevor der Doc und ich alle Unterlagen an das Zentrum für seltene Erkrankungen in Leipzig übermittelten. Das einzige, das das Zentrum nicht wissen konnte, ist, dass mir der im Januar verordnete Cortisonschub tatsächlich spürbar half. Nicht nur schmerzmäßig. Auch einige der deutlichen neurologischen Auffälligkeiten sind seitdem so gut wie weg. Ein Wahnsinnserfolg, fand ich. "Das ist DER Hinweis auf eine Infektion im Nervensystem", bestätigte mein Doc. Und fragte, ob ich denn von Leipzig schon was gehört hatte. Das war letzten Freitag. Nein, hatte ich bis dahin nicht.

Hatte ich Hoffnungen? Wenn ja, worauf? Oder hätte ich es wissen müssen?

Heute war der Brief aus Leipzig in der Post. Nur wenige Zeilen, mit denen sie mir alles Gute wünschen und davon ausgehen, dass laut den vorliegenden Unterlagen "alle einschlägigen, derzeit verfügbaren Methoden gut ausgeschöpft sind". Dass sie mir empfehlen, vielleicht doch die psychosomatische Klinik hier in M aufzusuchen. Und dass ansonsten noch eine Sarkoidose erwogen werden könnte, was aber aufgrund des einseitigen Schmerzmusters und dem sehr langsamen Verlauf eher untypisch sei.
Den Brief habe ich in die Ecke geworfen und dann habe ich ziemlich bitter geweint. Nicht aus Frust, nicht aus Wut. Einfach nur.. aus Enttäuschung.

Der Mann hat mich in die Arme genommen und gesagt, dass ich trotzdem nicht aufgeben darf und soll. Denn dann würde ich all denen recht geben und alles wäre umsonst.
"Ist doch auch so umsonst", begehrte ich auf, "denn du siehst, ich komme einfach nicht weiter. Ich komme aus dieser verdammten scheiß Schublade einfach nicht raus."
"Aber die wissen nichts vom Cortison und wie dir das geholfen hat. Das wäre doch ein neuer Ansatz."
"Ich habe keinen Bock mehr", antwortete ich und meinte es auch so. "Wirklich, ich habe keine Lust mehr. Dann lebe ich eben weiter mit allem und wenns wieder schlimmer wird, nehme ich ein paar Wochen lang Cortison. Fertig."
"Das ist doch keine Lösung", sagte er.
"Natürlich nicht. Aber eine andere gibts nicht", antwortete ich und versetzte dem heruntergefallenen Brief nochmal nachdrücklich einen Fußtritt.

Das Klinikum mit der psychosomatischen Abteilung hier in M, an die ich mich wenden soll, ist übrigens die, die die vor zwei Jahren aufgetretenen neurologischen Ausfälle auf die psychische Belastung aufgrund des Umzugs von L nach M schiebt. Auf die ja doch einschneidende Änderung der Lebensumstände.
"Entscheidet euch doch mal, was ihr wollt", reagierte ich damals kopfschüttelnd. "Ich sollte mein Leben ändern und vor allem den Stress abbauen - und wenn ich das mache, findet ihr auch darin wieder einen Grund, mich in die Psychoecke zu schieben?"
Ja, fanden sie. Weil ein möglicher weitergehender Weg die Suche in der Genetik wäre, so der Assistenzarzt. Doch diese Suche ist vor allem eins: teuer. Er durfte das nicht entscheiden. Und der Oberarzt hatte mir wortwörtlich gesagt: "Man muss ja nicht gleich mit dem Teuersten anfangen. Man kann es ja auch erst mal mit der Psyche versuchen."
Unrecht hat er damit sicherlich nicht. Nur dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits ein paar Jahre erfolgreich Psycho-Streckbank hinter mir hatte. Erfolgreich, was Seele, Geist, persönliche Entwicklung und auch körperliche Energie betrifft. Nur "der Rest", der wurde nicht. Der Rest, für den ich eigentlich dort hingegangen war.
Aber wer weiß. Vielleicht verwächst sich das ja dann doch noch in den nächsten zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren.

Aber so wie ich das sehe, gibt es kein Entkommen.

Ich soll nicht pessimistisch sein, sagt der Mann.
Bin ich doch gar nicht. Ich bin realistisch.

Mittwoch, 18. März 2020

Vinyl-Challenges 1 (10)

Dank einer treuen Leserin, mit der ich seit einiger Zeit nicht nur auf privaten Kanälen, sondern auch über FB verbandelt bin, darf ich nun teilnehmen an einer Preisgabe meiner zehn persönlichen Musik-Vinyls, die mich von früh an bis heute (glaub ich) begleitet und geprägt haben. Meine allererste Vinyl war aber keine Musik-LP, sondern ein Hörspiel vom Burattino - die ostdeutsche Variante des Pinocchio. Ich glaubte doch glatt, damit raus zu sein aus dieser Nummer, aber mehrheitlich wurde dann beschlossen, dass auch Hörspiel-Vinyls zählen! Nun soll ich an zehn aufeinanderfolgenden Tagen die Hosen runterlassen (sie sagt ja: s Kleidchen heben :)) und nach anfänglich beschämter Ziererei sagte ich mir dann: Ach was solls, steh einfach dazu.

Quelle: https://picclick.de/LP-Schallplatte-Burattino-DDR-Vintage-M%C3%A4rchen-LITERA-124043583395.html#&gid=1&pid=1
Ich glaube, ich war hier noch nicht mal ein Schulkind, aber ich kanns noch immer ganz deutlich vor mir sehen: die dunkelbraune Schrankwand der Eltern mit dem weißen Korpus, der Fernseher darin und darüber der Plattenspieler, an den ich damals aus eigener Kraft und Größe noch nicht heraufreichte. Also musste mir immer die Mama die LP auflegen und dann lag ich bäuchlings vor dieser Schrankwand auf dem Fußboden, den Kopf in beide Hände gestützt. Nur in Strickstrumpfhosen und einem Pullover bekleidet. Am ehesten noch erinnere ich mich an das Gegacker vom Burattino, als er mit Rizinus aus einem Schlaf wiedererweckt wurde. Das hab ich tatsächlich noch immer im Ohr.

Das ist übrigens etwas, das ich bis heute noch so gerne tu: auf dem Holzfußboden liegen, die Vibration der Klänge über das Holz bis in den tiefsten Punkt meines Seins zu fühlen, die Augen schließen und ganz woanders sein...

Grad kommt mir so der Gedanke, dass ich früher tatsächlich noch Geduld und Ausdauer besessen haben muss. Heute wäre für mich nicht vorstellbar, schätzungsweise dreißig Minuten lang einem Hörspiel zu folgen, ohne auch nur irgendwas anderes nebenbei zu machen. Wohl auch deshalb telefoniere ich überhaupt nicht gern. Weil ich dann gezwungen bin, nichts anderes nebenbei zu machen, sondern mich hundertprozentig auf das Gegenüber einzulassen. Und bei allem, das über ein, zwei Minuten hinausgeht, werde ich hibbelig. Laufe dann wenigstens auf und ab, schaue nebenbei hinaus in den Garten oder auf die Fingernägel, von denen der frisch aufgetragene Lack schon wieder beginnt abzublättern, kratze mich am Kopf oder an der Nase, baumle mit de Beene in der Hoffnung, der andere möge zum Ende kommen und den Rest vielleicht lieber doch schriftlich mitteilen wollen.. Das gilt natürlich nicht für alle Telefonate. Nicht für jenes vom Montagabend zum Beispiel, das mir ganz sehr unter die Haut ging. Aber so für die alltäglichen.
Wohl auch deshalb liebe ich Chatprogramme. Ich kann mir da problemlos ein paar Fenster nebeneinander legen und auch bedienen, nebenbei TV schauen und was essen - und keiner der Beteiligten merkts. Aber die Zeiten sind lange vorbei. Schade eigentlich. Aber heutzutage beschränkt sich die Kommunikation immer mehr auf das Teilen von Bildchen und maximal dreizeiligen Kommentaren. Beklagen will ich das nicht - wie dürfte ich auch - angesichts meiner Telefonie-Unlust. Dafür habe ich heute aber wieder viel mehr Bock auf Ausgehen, Freunde treffen, schwatzen, lachen, was trinken, anderen Leuten zusehen... Hier in M sind die Möglichkeiten jedoch sehr, sehr begrenzt - und in L mangelt es mir an Zeit. Aber der Wille ist ja schon mal das, was zählt ;)

Mittwoch, 11. März 2020

Besser spät als nie

Die Brüllmaus stellt ja freitags immer Fragen, die ich zwar bisher noch nie mitgenommen habe (glaube ich), für die mir aber insbesondere wegen Frage 3 Anlass genug dazu war. Auch wenn wir inzwischen schon wieder Mittwoch haben :)

1. Wie war Deine Woche? 

Nehmen wir also die vergangene Woche ;) Sie war durchwachsen, das kann ich sagen. Angereist schon in der Woche zuvor, um teilzuhaben an der feierlichen Ernennung von Sohnemann II in seinen Berufsstand, genoss ich ein entspanntes Wochenende, nachdem alles Chaos beseitigt, Essen zubereitet und auch alle Wäsche fröhlich auf der Leine im Wind wehte.
Überhaupt habe ich gestaunt, dass nur ein einziger Tag genügt, um mit beinah allem wieder von vorn zu beginnen. Bad putzen, Staub saugen, Wäsche waschen, Löcher und abgerissene Haken in diversen Klamotten vernähen.. Unglaublich, diese Jungs.
Vier Tage Office hatte ich mit dem Chef ausgehandelt, um nicht an drei aufeinanderfolgenden Wochen nach L verreisen zu müssen. Grundsätzlich fahre ich leidenschaftlich gern Auto. Aber wöchentlich würde dann doch anstrengend für mich, zumal im Mai und Juni extra noch Fahrten um jeweils etwa 1000 Kilometer geplant sind.
Und vier Tage Office... Ich habe echt vergessen, wie anstrengend das ist: Morgens eine genau organisierte Taktung, wenn drei Erwachsene zu etwa derselben Zeit aus dem Haus müssen. Pünktlich ins Office stürmen, ständig ruft jemand nach dir oder will was von dir - du springst gefühlt minütlich von einer Thematik in die andere.
Überhaupt: "Wir geben uns nicht mehr die Hand, wegen Corona" wurde ich gleich Montagmorgen begrüßt. Mir recht. Aber: "Aha. Trotzdem trocknen wir uns alle weiter am selben Handtuch die Hände ab? Genau mein Humor!" Konntsch mir nicht verkneifen. Mir doch egal, ob sie hinter meinem Rücken lästern. Das machen sie doch sowieso.
Abends aus dem Office rausstürmen, an einem Abend Sohn II im Autocenter seiner Wahl abholen, wohin er sein Bisheriges zum Check lieferte, damit er das Künftige noch in derselben Woche abholen durfte.
Er kommt, lässt sich auf den Beifahrersitz fallen und beäugt mich, wie ich die Blitzer-App aktiviere.
"Muddiiii... Hundert Euro und ein Punkt."
Ähm..
Dann ruft der Chef an, während ich den Motor starte.
"Muddiii... Willst du da jetzt echt rangehen? Ohne Freisprech?"
"Nur mal kurz, das geht schnell."
"Macht noch mal achtzig Euro und ein Punkt!"
"Halt die Klappe."
Beiderseitiges Gelächter.
Ebenso lacht er kopfschüttelnd über mein temporäres Autofahr-Tourette.
Daheim angekommen, steigt er aus und meint: "Ich bin eindeutig dein Sohn. Ich hab auch die App, ich telefonier ganz selten auch mal am Steuer, ich fahre manchmal auch zu schnell und rege mich über die Sonntagsfahrer auf - und Audi-Fan bin ich auch!"
An anderen Abenden der Woche nach Hause stürmen, Essen zubereiten, was einkaufen, Wäsche bügeln, Formulare ausfüllen.. Irgendwas ist einfach immer - und ich staune, wie viel.
Mega gefreut habe ich mich aber dann über den Steuerbescheid für Sohn I. Ich selbst durfte für die vergangenen zwei Jahre jeweils knapp vier Euro nachzahlen. Für Sohnemann aber habe ich über achthundert Euro rausbekommen, das hat mich wirklich wie verrückt gefreut. Diesen Extra-Groschen kann er super gut gebrauchen.
Er ist nach wie vor auf 6-Stunden-Basis beschäftigt und bezahlt, ackert in der Realität aber regelmäßig zwischen 9 und 11 Stunden. Was auch bedeutet: Er schafft es nie zu seinem Hausarzt, obwohl er müsste. Also versuche ich für ihn die Dinge zu erledigen: Rezept besorgen, Rezept einlösen, Gespräch mit dem Arzt führen, der eigentlich kein Rezept mehr ausstellen, stattdessen unbedingt die Schilddrüse des Sohnes rausnehmen lassen will. "Solange er raucht, braucht er nicht mal auch nur darüber nachzudenken, ob er eine Chance auf Besserung der Werte hat."
Er glaubt nicht, dass er es schafft - aber zumindest hat Sohnemann einen weiteren Versuch des Aufhörens mit dem Rauchen gestartet. "Juhu!!" habe ich über den ersten rauchfreien Tag gejubelt.
"Ja ja Ju hu", knurrte es missmutig zurück.
Alles in allem war es eine anstrengende Woche mit einem kurzfristig geänderten Wochenendplan.
Die nicht besser wurde mit der Begrüßung des Mannes, kaum dass er mich wiedersah: "Okay, doch, jetzt sieht man das Cortison. In deinem Gesicht."
Na toll. Ich weiß das ja selber - aber ist es das, was man hören will, wenn man sich eine Woche nicht sah? Tzz.

2. Womit kann man Dir eine Freude bereiten?

Mit nem lecker Käffchen am Morgen und wenn man mich erstmal in Ruhe lässt :)
Wie heißt es doch so schön? "Kaffee schmeckt am besten, wenn man ihn morgens trinkt und alle ihr Maul halten." :)
Zwar bin ich kein Morgenmuffel, aber am liebsten starte ich gemütlich in den Tag.

3. Hast Du Angst vor dem Coronavirus?

Nein! Dreimal Nein! Ich habe mich informiert über empfohlene Verhaltensweisen, die eigentlich auch nicht wirklich neu sind in Zeiten von Erkrankungswellen. Und natürlich setze ich mich nicht wissentlich irgendwelchen Situationen aus - aber ich lasse mich auch nicht bekloppt machen.
Was mich inzwischen wirklich richtig nervt, ist, dass man aktuell nirgendwo mehr an diesem Thema vorbeikommt. Dass man täglich darüber hört und sieht - und der Mensch im Kopf selbst überhaupt keine Ruhe mehr findet. Was der eine heute "ganz dringend" empfiehlt, wirft morgen ein anderer über den Haufen. Und alle Thesen sind natürlich wissenschaftlich begründet bzw. von einem hochseriösen Wissenschaftler kundgetan, von dem vorher noch nie ein Schwein gehört hat.
Gestern Abend habe ich mich mit einer Freundin und auch dem Mann auch über meine ureigene Diskussionskultur unterhalten.
Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung. Und wenn jemand diese kundtut, kann ich darüber entscheiden, ob ich sie hinnehme und so stehenlasse - oder ob ich mich damit auseinandersetze.
Hinsichtlich Corona entschied ich mich vor zwei Tagen letztmalig dazu, mich auseinanderzusetzen. Mir geht es gar nicht darum, Recht haben zu wollen. Mir geht es darum, den anderen zu verstehen. Warum denkt er wie er denkt? Mich interessieren seine Argumente - und setze meine dagegen. Weil ich mich austauschen will. Auch um den eigenen Standpunkt zu hinterfragen.
Das kann durchaus anstrengend für den anderen sein oder werden. Je nachdem, wie sehr mich ein Thema interessiert oder fesselt, lasse ich auch nicht locker - bis ich es verstehe oder das Thema eben durch ist. Wie gesagt, das ist sicherlich anstrengend für den anderen. Nicht umsonst sagt ja auch der Mann manchmal "Kannst du denn nicht einfach mal so stehenlassen, was ich sage?" (Ne! Wieso erzählt er mir denn was, wenn ich nix dazu sagen darf?) oder "Ja natürlich, du weißt natürlich wieder alles besser." (Ne! Alles auch nicht, bin ja nicht Doktor Allwissend. Aber manches weiß ich tatsächlich, weil ich über diese Themen bereits mehrfach gelesen hatte. Das wird man doch noch sagen dürfen? ;)) oder auch "Wieso darf ich so nicht denken?" (Natürlich darfst du - das ist nur wie vorhin gesagt: Wenn du mir etwas erzählst, willst du mir was mitteilen, also hör ich mir das an und habe eine Auffassung dazu. Und die wiederum gebe ich kund. Macht man das nicht so? Ob ich etwas gut und richtig oder auch falsch finde, heißt doch noch lange nicht, dass der andere deswegen im Unrecht ist. Ich kanns ja genauso gut sein.)

Übrigens habe ich seit ungefähr einer Woche wieder Hals- und Kopfweh und so. Und denke gar nicht an Corona, sondern: "Verdammt! Du hättest letzte Woche weniger kurze Kleidchen, dafür mehr warme Sachen anziehen sollen!"

Ich sage ja nicht, dass man das Thema permanent herunterspielen sollte. Mir ist aber auch noch keine einzige Situation bekannt, in der Panik und Hysterie Leben gerettet hätten. Ganz im Gegenteil - leider. Siehe Düsseldorf, Love Parade, 2011. Nicht vergleichbar, die Situationen? Vielleicht nicht, aber: Meiner ganz persönlichen Auffassung nach hört man auf zu denken, sobald man panisch und/ oder hysterisch wird. Und dann wirds erst wirklich gefährlich. Wenn jetzt schon Leute - wie jüngst in Australien - um die letzte Packung Arschwischpapier streiten, so dass der Ladenbesitzer einschreiten muss... Aber wie gesagt - das ist nur meine ganz persönliche Auffassung.

4. Die Wahl der Qual: Kein warmes Wasser für 2 Wochen haben oder Handwerker in der Wohnung für eine Woche?

Ich denke, ich nehme die Handwerker. Eine Woche ist schneller um als zwei Wochen. Und abends sind die wieder weg, aber ich hab warmes Wasser zum Baden oder Duschen. Wie sehr man sich nämlich an etwas gewöhnt hat, merkt man erst, wenn man es nicht mehr hat ;)

Dienstag, 10. März 2020

Einmal aber sollte ich..

Einmal sollte man seine Siebensachen
fortrollen aus diesen glatten Gleisen.
Man müsste sich aus dem Staube machen
und früh am Morgen unbekannt verreisen.

Man sollte nicht mehr pünktlich wie bisher
um acht Uhr zehn den Omnibus besteigen.
Man müsste sich zu Baum und Gräsern neigen,
als ob das immer so gewesen wär.

Man sollte sich nie mehr mit Konferenzen,
Prozenten oder Aktenstaub befassen.
Man müsste Konfession und Stand verlassen
und eines schönen Tags das Leben schwänzen.

Es gibt beinahe überall Natur,
man darf sich nur nicht sehr um sie bemühen.
Und soviel Wiesen, die trotz Sonntagstour
auch werktags unbekümmert weiterblühen.

Man trabt so traurig mit dem Trott,
die anderen aber finden, man müsste. 
Es ist fast, als stünd' man beim lieben Gott
allein auf der schwarzen Liste.

Man zog einst ein Lebenslos "zweiter Wahl".
Die Weckeruhr rasselt, der Plan wird verschoben.
Behutsam verpackt man sein kleines Ideal.
Einmal aber sollte man....

Mascha Kaleko


Als ich dieses wundervolle Gedicht heute Abend eher zufällig in einem Kommentarfeld fand, da musste ich es einfach mit mir mitnehmen - damit ich es nicht wieder vergessen würde.
Und ich fühlte sie, die unfassbare Sehnsucht nach Frühling, nach Meer, nach Kleidchen, nach Möwengeschrei, nach Wellen mit Schaumkronen, nach nackten Füßen im Sand, nach Muscheln sammeln, nach frischgebackenem Kuchen und einer Tasse Kaffee dazu, während der Blick über den Horizont schweift und alle meine Gedanken sich verlieren in dieser unendlichen Weite..

..als ich dieses Gedicht las, hatte ich spontan irrsinnig viele Bilder in meinem Kopf. Und das richtig Schöne ist, dass wir schon bald ein paar davon umsetzen können.. Und unmittelbar danach gleich noch einmal. Und wenn der Mann dann in die Berge verreist, werde ich.. mir das Ganze noch einmal gönnen. Wohin genau, das suche ich mir noch aus.
Sicherlich spricht die Kaleko nicht von Reisen, nach denen man wiederkommt. Aber ich.. war schon immer ein Zugvogel. Vermutlich kann ich gar nicht (mehr) für immer irgendwo verweilen. Irgendwohin zieht es mich immer, mal nach da, mal nach dort. Irgendwie wärs auch geil, wenn man immer mal irgendwo leben könnte, so lange wie man mag. Wo es einem gefällt. Und wenn man genug hat, zieht man weiter..
Für genau jetzt wäre das nicht möglich.
Behutsam verpack ich mein kleines Ideal. Einmal aber sollte ich...

Montag, 9. März 2020

Where the Heart is




Heute hab ich ein wunderbares Kompliment bekommen von einer Frau, deren Bilder ich vergöttere - und die mir eins von ihren Bildern tatsächlich mit der Post geschickt hat. Ich war auf den ersten Blick sofort verliebt - eine Elefantenmama mit ihrem Kind... Eine Phantasiefigur mit herrlichen strahlenden Farben und Mustern. Sie hat es mir geschenkt, weil sie weiß, wie sehr ich meine Kinder liebe und dass ich alles für sie tue.


Seitdem ich selber meine Malstifte wieder hervorgekramt habe und versuche, mich wieder daran zu erinnern, wie das alles so funktioniert mit den Farben, den Linien, den Konturen und den Proportionen, da poste ich manches auch auf FB. Und heute schrieb sie mir, ich solle unbedingt weitermachen - und dass ich mein Gefühl malen würde.
Natürlich freu ich mich arg über ein Kompliment, auch wenn es mir zugleich unangenehm ist, weil ich nicht damit umgehen kann, lieber albern darauf reagiere oder es herunterspiele. Aber bei ihr freut es mich wirklich besonders, gerade weil sie selbst so wundervolle phantasievolle Bilder zeichnet..
.. und zugleich hat sie absolut recht.. Ich male mein Gefühl.. Ich reagiere auf Bilder, die meine Empfindungen widerspiegeln.

Der Mann hat heut Abend gesagt, er möchte den Block haben, wenn er voll ist. Da sind noch ganz viele Seiten drin - und mit jeder Skizze entdecke ich, dass ich neben den noch fehlenden Fertigkeiten vor allem noch nicht die passenden Utensilien habe. Dabei habe ich in letzter Zeit einiges ausgewählt, egal ob online oder hier im Künstlerladen in der Stadt. Alte Farben waren mir eingetrocknet, und inzwischen könnte ich mich dumm & düselig kaufen an Airbrush-Stiften, Aqua- Stiften, Acryl-Stiften, Graphit-Stiften aller möglichen Stärken. Heute Abend habe ich mir noch ein paar Manga-Stifte ausgesucht und noch ein paar andere.. Nur an Pinsel & Co. wage ich mich noch nicht wieder heran. Dafür brauche ich noch viel Zeit.
Trotzdem: Ich werde arm werden, fürchte ich. Aber das ist es eben.. Wenn du einmal dein Herz verschenkt hast, dann kannst du nicht anders.. Dann musst du es auskosten.. bis zur Neige.
In zahllosen Bildern und Skizzen... Mit den Kopfhörern auf den Ohren oder auch - wenn der Mann mal unterwegs oder beim Sport ist - ruhig aus der kleinen Bassbox, deren Sound ich so liebe. Bei mir muss es grummeln ;) Musik, Malen, Lesen, Meer - das ist meine Passion.

Der Mann wird bald bereuen, dass er mir eine Staffelei schenkte und mich so oft darum bat, wieder mit dem Malen zu beginnen ;)

Augenblicke



"Vor einer Milliarde Jahren wurde uns das Leben geschenkt. Macht etwas daraus."
(Aus "Lucy")

Jedes Jahr freue ich mich immer wieder neu auf den Frühling, kann ihn im Grunde kaum erwarten - und doch bin ich jedes Jahr neu erschrocken, wie unfassbar schnell die Zeit verfliegt... Gerade noch die Weihnachtstage verplant, ist schon wieder ein Vierteljahr herum. Ein Vierteljahr wie ein Wimpernschlag. Hat man gegessen, getrunken, geliebt, gelacht oder auch geweint?
Es ist nicht so, dass ich Panik hätte. Dass ich das Gefühl hätte, etwas verpasst zu haben, unwiederbringlich, und dass ich jetzt drauflos leben müsste. Mir jetzt und gleich alles nehmen und erfüllen müsste, das noch immer in meinem Kopf herumschwirrt.
Aber manchmal denke ich... Dass wir alle glauben, uns bliebe noch so viel Zeit für dieses und jenes.
Aber ist das auch so?

Die Zeit.. Sie vergeht so unfassbar schnell. Im Kopf und im Herzen noch immer dreiundreißig Jahre alt, bin ich in Wahrheit längst schon viel weiter. Nein, ich habe nicht das Gefühl, etwas versäumt zu haben. Aber ich möchte es mir bewahren können, die 33 in meinem Kopf und in meiner Seele. Mir Zeit nehmen für die Menschen, die mir wichtig sind. Für die Dinge, die mir wichtig sind. Nicht alles immer nur aufschieben. Aber mich auch nicht immer nur (ein-)fügen..

Vor zwei Tagen musste ich entscheiden, den Plan für das Wochenende zu kippen - und bin zurück nach Hause gefahren. Ich fühlte mich erinnert an jene Nacht vor vier Jahren, die ich im Mantel auf dem Sofa verbrachte, kaum dass ich zur Tür hereingekommen war, zurückgelehnt, die helle Wand anstarrend, nichts mehr denken können.. Alles stand still, irgendwie..
Ich muss mich nicht fragen, wann ich ihm zuletzt gesagt hatte, dass ich ihn sehr liebe.
Aber ich fragte mich, ob wir schon alles gesehen hatten, das wir gemeinsam hatten anschauen wollen.

Bild: von mir nach einer Idee von Gilly Dickinson
pinterest.de/pin/82832768909865186/

Nach einem langen Spaziergang heute in der wunderbaren Sonne habe ich am Nachmittag meine Malstifte wieder ausgepackt, die neuen Zeichenstifte, von denen die letzten in den kommenden zwei Tagen geliefert werden. Ich habe so viele Ideen in meinem Kopf, so viele Bilder - und ich denke, es ist Zeit, endlich an der Umsetzung zu arbeiten..

Sonntag, 1. März 2020

Dance Like Nobody's Watching

Bildquelle: https://www.pinterest.de/pin/59883870019796623/



Als der Mann Anfang der letzten Woche abends zum Sport ging und ich den Abend zunächst für mich allein hatte, da entzündete ich ein paar Kerzen, schob die Kopfhörer über die Ohren und dann tanzte ich wie selbstvergessen in unserer kleinen Wohnung.. Barfuß auf dem Holzfußboden, nur in Strumpfhosen und einem Strickpullover.. Ich war derart in mich selbst versunken, dass ich den Mann erst in einer Drehung, bei der ich die Augen öffnete, in der Tür stehen sah. Seinen Blick vergesse ich einfach nicht.. So überrascht und gleichzeitig so.. voller Liebe.
"Und du sagst immer, du kannst nicht tanzen", sagte er dann und ich lächelte verlegen: "Kann ich ja auch nicht. Nicht, wenn mir jemand zusieht."
Aber eigentlich.. ist es ganz einfach.. Man muss nur die Augen schließen und alles andere ausblenden..

Quelle: Facebook-Fund
...übrigens... so beim Betrachten der Liste..
Ein Schelm, wer Arges dabei denkt, oder?
Alles andere ausblenden - das ist etwas, das ich dieser Tage öfter versuche und was mir im Großen & Ganzen auch ganz gut gelingt. All diese ganze Berichterstattung über das Corona-Virus, ich kann sie nicht mehr hören. Mag sein, dass die Ansteckungsmöglichkeit um einiges höher als bei einem normalen Grippe-Virus ist - Fakt ist aber auch: Da wird eine völlig unangemessene Panikmache betrieben. Heute in den Nachrichten: Etwa 170 gemeldete Fälle in Deutschland. 170. Von schätzungsweise 80 Millionen Menschen, die hier leben. Also ehrlich, Leute, lasst die Kirche im Dorf. Was ich durchaus nachvollziehen kann: eine Informationspflicht - gerade für alte Menschen, für Menschen mit vermindertem Immunsystem und für Menschen mit schweren bzw. unheilbaren Erkrankungen. Dass die besondere Vorsicht anwenden sollten und dazu um Infektionsquellen wissen sollten - bitte sehr. Aber das müssen sie auch bei jeder Art von möglichen Infektionen.
Was derzeit jedoch in Deutschland abgeht, kann ich so überhaupt nicht mehr nachvollziehen. Ausverkaufte Mundschutztücher, ausverkaufte Desinfektionsmittel, eine steigende Diebstahlrate selbst an Supermarktkassen, von denen Desinfektionssprays geklaut werden. Oder Hysteriker in der Apotheke laut werden: "Was mache ich denn jetzt ohne Desinfektionsspray?" Wie wärs mal mit Hände waschen, ganz normal mit Seife - und regelmäßig??
Als ich am Donnerstag in L ankam und mir aus dem nächstgelegenen Einkaufsmarkt Kaffee, Milch und ein bisschen Obst einkaufte, stellte ich mit Freude fest, dass hier ganz offensichtlich noch ganz normale Leute wohnen. Ich bekam alles, was ich wollte, nix war ausverkauft - und mein (latent provokantes) Husten interessierte keine Sau. So muss das, Leute. Es gibt sie nämlich immer noch, die ganz stinknormale Erkältung.

Auch mit meiner Freundin hätte ich mich beinah noch gestritten. Ich hab ihr schon öfter (zugegeben: diplomatisch) zu verstehen gegeben, dass ich ihre Warnungen über weltliche Katastrophen, extreme Staus, extreme Wetterlagen etc. nicht haben und nicht lesen möchte, erst recht dann nicht, wenn mir eine Reise bevorsteht. Zum einen bin ich groß, ich kann mich selber informieren, wenn ich das möchte. Zum anderen helfen mir die Ankündigungen von Supermega-Staus nicht, wenn ich trotzdem verreisen muss. Es macht mich nur unruhig und ggf. schlaflos. (Vor allem ganz umsonst, denn die Fahrt ging trotz Ferienbeginn super entspannt.)
Als ich ihr das vorletzte Woche schrieb, sie möge das doch jetzt bitte endlich lassen, da meinte sie, es sei doch jedem selbst überlassen. Ja freilich! Ich habe ja aber diese Wahl gar nicht, wenn ich mit allen möglichen Katastrophenmeldungen konfrontiert werde. Zwar hab ich die letzten immer ungelesen gelöscht (sorry), aber dann dachte ich: "Jetzt sags ihr nochmal."
"Okay, ich schreib dir nichts mehr", war ihre Antwort und ich schickte zur Antwort ein paar Smileys in der Hoffnung, sie möge auch weiterhin noch mit mir sprechen ;)

Manchmal frage ich mich trotzdem... Wann hat das eigentlich begonnen, dass die Menschen allgemein so hysterisch, so panisch, auch so aggressiv geworden sind? Was ist los mit uns? Wieso nehmen wir alles so bierernst, warum darf man über die einen oder anderen Witze nicht mehr lachen und wieso ist es jetzt verpönt, Zigeunerschnitzel zu sagen? Wo ist die Leichtigkeit geblieben und warum geht uns die immer mehr ab? Weil wir heute einen ultra leichten Zugang zu allen möglichen Medien haben? Weil wir alles googeln und lesen können? Weil sich Meldungen, egal ob wahr oder Fake, heute extrem schnell verteilen und aufgegriffen werden können?
Daran musste ich vor zwei Tagen denken, als ein Freund von mir eine Statusmeldung teilte, bei der sich mir die Fußnägel aufzurollen drohten. Du schreibst in Deinen Status, dass Facebook Deine Fotos nicht benutzen darf - teile schnell, denn ab morgen haben sie sonst das Recht dazu. Da muss man doch schon anhand der Wortwahl am Wahrheitsgehalt zweifeln? Und überhaupt - eine Statusmeldung als Widerspruch?? Ein Klick genügte, um ihm aufzuzeigen, dass er da einem Kettenbrief aufgesessen war. Wie sich rausstellte, hat er es geteilt, ohne es zu hinterfragen - und hat drüber gelacht.
Aber wenn ich mir so überlege, was er sonst so oder überhaupt die Leute teilen (mal die Witze-Bildchen und Anekdötchen ausgenommen) - wie wenig hinterfragt wird, gerade auch hinsichtlich der Migranten- und Politikfrage, ey da könntsch...
Es gab mal eine Zeit, da habe ich mir die Mühe gemacht, Artikel zu lesen - und Hintergründe zu recherchieren. Stimmt das, was ich da gelesen hatte?
Aber irgendwann habe ich damit aufgehört. Weil ich spürte, dass es mich langsam irgendwie.. "vergiftete". Es tat mir nicht gut. Vor ein paar Jahren habe ich mich dann für einige Wochen oder gar Monate von zum Beispiel Facebook zurückgezogen. Das mache ich heute nicht mehr - aber ich wäge ziemlich genau ab, was ich lesen möchte und was eben nicht.
Stattdessen höre ich wieder viel mehr Musik, ich hab wieder zu malen begonnen, ich tanze wieder öfter und sowieso singe ich bei jeder Gelegenheit. Im Auto, in der Küche - und oft tanze ich dazu mit weichen wiegenden Bewegungen - und fühle mich pudelwohl.

Ich weiß, dass man nicht alles ausblenden kann und sicherlich auch nicht soll. Dann würde ich eines Tages völlig weltfremd, auch wenn ich jetzt manchmal schon denke, dass ich schon ein bisschen realitätsfremd sei. Nur weil ich Negativmeldungen ausblende, heißt es nicht, dass es nur Gutes in der Welt gibt. Trotzdem habe ich festgestellt, dass es auch nicht schadet, sich ab und an auf seine eigene kleine Insel in seinem Kopf zurückziehen zu können. Sich gedanklich aus seinem Glas all die wundervollen Momente herauszuholen und ganz bewusst zu betrachten. So wie den Abend letzte Woche, als der Mann so in der Tür stand und mir offensichtlich schon eine Weile beim Tanzen zugesehen hatte, ehe ich ihn bemerkte. Dieses wunderbare Gefühl hat mich wirklich einige Tage lang.. "getragen".. Denn das Leben ist für die Meisten von uns immer noch ein gutes, ein schönes. Oder hat zumindest gute und schöne Augenblicke und ich finde, wir sollten den Fokus wieder viel öfter auf genau das richten. Denn wie Du lebst, entscheiden nicht nur andere. Das entscheiden zuallererst wir selbst.