Samstag, 21. März 2020

Vinyl-Challenges 2 (10)

Bildquelle: https://recordsale.de/de/kuenstler/peter-cornelius/albums/du-entschuldige-i-kenn-di

Oh mein Gott, was war ICH verliebt! In diese himmelblauen, sehnsuchtsvollen Augen!
Sobald der TV lief und es erklang dieser Titel, ließ ich tatsächlich alles stehen und liegen und rannte - haste was kannste - ins Wohnzimmer zu den Eltern, stand völlig entrückt und mit seligem Blick in der Tür und ging nicht eher von der Schwelle, bis er nicht mehr zu sehen war.

Zumindest kann ich sagen, dass er derjenige war, der diese Sehnsucht in mir auslöste, die bis heute in mir lebt. Die Sehnsucht nach etwas Wundervollem, nach Einzigartigem - und vor allem nach Liebe.
So ist das auch bis heute: Ich weiß nicht, was in ist, was angesagt ist - es kümmert mich auch nicht. In Musik verliebe ich mich spontan und sofort, sobald sie etwas in mir auslöst. Seien es Tagträume. Seien es Empfindungen. Seien es Erinnerungen. Sei es die Sehnsucht. Die sich in meiner Seele und in meinen Augen spiegelt. Bis heute reagiere ich demnach auf alles und jeden, der Sehnsucht in mir auslöst.




Ich liebte, liebte und liebe noch immer diesen Song.
Die meisten kleinen Mädchen träumen davon, eine Prinzessin zu sein. Ich auch, als ich noch vier, fünf, sechs Jahre alt war.


Aber schon lange, bevor ich überhaupt meinen ersten Freund hatte, fand ich den Gedanken, dieses Gefühl einfach nur schön, für einen anderen Menschen etwas ganz Besonderes zu sein. Damals wusste ich noch längst nicht, wie sich das in der Realität anfühlen würde. Lange auch habe ich geglaubt "Wenn du erstmal einen Mann hast und verheiratet bist, dann geht es dir immer gut, dann wirst du nie wieder Liebeskummer haben, weil, du hast ja dann jemanden und bist glücklich."
Hach ja, so herrlich naiv...
Trotzdem habe ich dieses Gefühl, diesen Gedanken, diese Sehnsucht immer mit mir mitgenommen - und verliebe mich bis heute in jeden Song, der mich daran erinnert.
Das erklärt vielleicht auch, warum ich keinen Zugang zur damals gängigen Mucke fand - Puhdys, Karat und wie sie alle hießen. Denn West-Mucke durfte man ja nicht hören, jedenfalls nicht offiziell. Und die Insel, auf der ich wohnte, ja da war nix mit West-Empfang. Maximal Radiowellen sind zu uns aufs Eiland geschwappt. Hachz! Was waren DAS noch für Zeiten, wenn man bäuchlings auf dem Fußboden lag, die Antenne des Radio-Kassettenrecorders mit beiden Händen fest umklammert hielt und die Augen zupresste unter dem Gebet: "Bitte! Lass! Es! Nicht! Rauschen! NICHT! JETZT! NUR DIESES EINE MAL!!", während man verzweifelt versuchte, wenigstens ein bisschen vom Lieblingssong mitschneiden zu können. Ein bisschen Qualitätsrauschen konnte ich ja locker in Kauf nehmen, aber wenn der halbe Titel im Äther verschwand, ja, das konnte manchmal schon weh tun. Vor allem dann, wenn man das eigene Zimmer zur Bühne erklärte, sich im Spotlight vor zig Zuschauern wähnte und lautstark, falsch und fröhlich sang, Lied zurückspulen, singen, wieder zurückspulen...

Vor einigen Jahren hat der Mann mir einen langgehegten Traum erfüllt und ist mit mir nach Wien gereist. Auch die Stadt natürlich, in der Peter Cornelius lebt. Ich habe mich im Vorfeld nicht gekümmert, ob er überhaupt noch dort lebt und wo man ihm vielleicht begegnen könnte. In irgendwelchen Clubs, Kaffeehäusern, was weiß ich. Dennoch hatte ich irgendwie immer ein klein wenig die Hoffnung, es könnte irgendwo passieren. Ganz unvorbereitet, unverhofft und überhaupt.
Es war für mich völlig okay, dass es natürlich nicht so war.
Aber heute und insbesondere im Zusammenhang mit dem Herauskramen von Musik für diese Challenge muss ich schmunzeln, wenn ich daran denke, dass der Mann, den ich heute liebe, der Sehnsucht von damals, als ich noch ein Kind war, tatsächlich ähnlich ist. Als ich ihm zum allerersten Mal gegenüberstand, war da etwas, das ich.. wiedererkannt habe. Bezeichnenderweise war mein Ex-Mann ganz anders. Der ähnelte meinem Vater.

2 Kommentare:

Juna hat gesagt…

Danke für den Einblick :-* Ähnlich geht es mir mit Musik auch. Es gibt Lieder, die so weit weg vom MeanStream sind, die mich begleiten. Die dann im Ohr und Körper sind, wenn es mir nicht so gut geht, die da sind wenn ich "fliege", die beruhigen, umarmen, aufpuschen, das Lebensgefühl zeigen oder eben einfach "laufen".

Mittlerweile, sind sie für mich ein Gefühlsindikator, der mir sehr viel besser zeigt, welcher Film gerade im Inneren abläuft und worauf ich achten muss, als jeder reflektierte Gedankengang.

Lutz hat gesagt…

Ich muss da jetzt mal intervenieren.

"West-Mucke" war nicht verboten. Was man privat gehört hat, erst recht nicht.

Und für öffentliche "Musikaufführungen" (z.B. in Diskos) gab es die sogenannte 60/40-Regelung. Mindestens 60 Prozent der Musik musste aus den sozialistischen Ländern stammen, der Rest konnte (!) aus den nichtsozialistischen sein. Soweit ich weiß, musste deshalb vor jeder Veranstaltung von jedem DJ auch eine Songliste vorgelegt werden (oder zumindest angelegt - so genau weiß ich das nicht), auf der alle Lieder, die da gespielt wurden, draufstanden.

Am Ende hat sich aber niemand daran gehalten. Ich kann mich an keine einzige Disko erinnern, bei der auch nur ein einziger Song einer DDR-Gruppe oder ähnliches gespielt wurde. Das mag zwar vielleicht nicht an jedem Ort so exakt eingehalten worden sein. Aber bei mir war es so. Erst ein paar Jahre in der Großstadt, später auch auf dem Land. Daran kann es also auch nicht gelegen haben. Möglicherweise gab es da auch gelegentliche Ausnahmen. Ich könnte mir z.B. gut vorstellen, dass in den 70ern immer wieder mal "Omega" in Diskos gespielt wurde. Vielleicht hat man das mit der 60/40-Regel ja auch in den 80ern laxer gehandhabt als früher. Aber zu meiner Zeit und in meinem Umfeld: siehe oben.

Und zum Thema Mitschneiden. Ich bin ja nun aus dem Raum ARD gebürtig. Sprich: Außer Raum Dresden. Dort gab es überhaupt kein Westfernsehen. Und Radio auch maximal auf Mittel- oder Kurzwelle (nicht zu verwechseln mit UKW!). Mehr oder minder starkes Rauschen war dort Standard. Manchmal so stark, dass man gesprochene Worte teils nicht mal mehr entziffern konnte.

Aber immerhin gab es mindestens einmal in der Woche eine Radiosendung auf irgendeinem DDR-Sender (also UKW!), die moderne Musik brachte. "Wünsch dir doch mal Tanzmusik" oder so ähnlich. Freitags von 23 bis 1 Uhr früh. Eine Scheiß-Zeit, richtig. Besonders, wenn man wie wir damals noch, ja am Samstag bis zum Mittag Schule hatte.

Und man wusste auch nie vorher, was da für Musiktitel kommen. Manchmal hatte man Glück und es kamen 2 Lieder, die gerade in waren und die man unbedingt aufnehmen wollte. Oder man hatte Pech und es kam nur "Schrott" und man hatte die ganzen zwei Stunden umsonst permanent mit den Fingern auf den beiden Aufnahmetasten im Bett gelegen. Wenn man nicht zwischendurch eingepennt ist.

Und irgendwann begriff auch der Moderator, dass da jeden Freitag ein Haufen Leute ganz gespannt an Radio hingen und einzelne Titel aufnehmen wollten. Da nahm dann auch das Reinquatschen in die Lieder peu a peu ab.

Es war also extrem mühselig. Keine Frage. Aber in bescheidenem Rahmen ging da was.