Donnerstag, 21. Januar 2021

Im Wandel der Zeit

 

Als die Jugend unlängst bei ihrem Vater weilte, schickte mir der Jüngere über whatsapp ein paar Fotos aus einem Album, das der Vater bis heute nicht hergeben will - obwohl viele Fotos daraus nicht mal etwas mit ihm zu tun haben, weil wir uns da schlicht noch gar nicht kannten.

Aber ich war glücklich damit, dass ich überhaupt ein paar "Zeitzeugen" aus den früheren bis frühen Jahren zurückbekommen konnte - und fands irgendwie auch total lustig. Da schaut man sich Bilder an und guckt drauf wie auf eine fremde Person.
Ich selbst finde ja schon witzig und auch erstaunlich, wie man sich so verändert mit den Jahren - und werde trotzdem selbst von denen wiedererkannt, die ich schätzungsweise dreißig Jahre nicht mehr gesehen hab. 


Auf dem ersten Foto muss ich 6 oder 7 Jahre alt gewesen sein, auf dem zweiten 15, auf dem dritten und vierten 17, auf dem fünften 20 und auf dem letzten mache ich der Angela Davis eindeutig Konkurrenz!
Heute käme ich nicht nochmal auf die Idee, mir das Haar blond färben zu wollen - aber ist schon lustig und irgendwie auch interessant, wie man sich so entwickelt..

Daran musste ich auch denken, als mich heute ein ganz lieber Freund, der gerade den wohl wichtigsten Kampf seines Lebens kämpft, fragte, wie es mir denn ginge, privat und beruflich.
Wohl auch, um ihn ein wenig abzulenken, antwortete ich etwas ausführlicher auf seine Fragen, auch hinsichtlich der dienstlichen Belange, hinsichtlich angekündigter beruflicher Perspektiven, und er antwortete mir: "Das klingt doch super, das Zeug dazu hast Du!"
Ich selbst finde ja irgendwie schon immer wieder interessant, dass mein Umfeld mir wesentlich mehr zutraut als ich mir selbst. Manchmal frage ich mich schon, was andere Menschen in mir sehen - und warum.
Doch wenn ich so darüber nachdenke, wann genau diese Entwicklung eigentlich wirklich begonnen hat, dann reicht die Erinnerung um viele Jahre zurück. An jenen Punkt, als meinem damaligen Vorgesetzten ein Vertrag angeboten wurde, jedoch nur unter der Bedingung, dass ich dann auch das Projektoffice leiten würde. Bis heute weiß ich nicht, wer das initiierte und warum, mir war ja nicht mal bewusst, dass überhaupt auch nur irgendjemand auf mich geschaut oder geachtet hätte. Also auf meine Arbeitsweise. Und natürlich hatte ich Angst davor. Ich ein Office leiten, von Null auf an und ganz allein?
Andererseits reizte mich die Vorstellung, etwas Neues auszuprobieren. Rauszukommen aus dem bisherigen Trott, dem bisherigen Alltag. Mich selber ausprobieren zu können. Aber würde ich das überhaupt schaffen können?
Mein damaliger Ehemann war strikt dagegen. Er rechnete mir vor, dass sich allein der Arbeitsweg mindestens verdreifachen würde.
"Macht doch nix", antwortete ich verträumt (wie fast immer), "dann lege ich mir eben  meine Musikkassetten ein." (Moment... Musikkassetten? Scheiße, wie alt bin ich eigentlich? Ich dachte, ich wär immer noch irgendwo zwischen 20 und 30 :))
Und dann habe ich jemanden gefragt, der mir zu jener Zeit unfassbar viel bedeutet hat. Und der sagte "Wenn du es selber möchtest, dann tu es. Du kannst das."
Dieser Mensch hat an mich geglaubt. Immer. Jeden Tag unserer gemeinsamen Zeit. Er hat nie gesagt "Das kannst du nicht."
Er hat immer nur gesagt: "Sag mir, was du tun möchtest. Und wenn es irgendetwas gibt, das ich dazu tun kann, dann sag es mir, dann mach ich es."
Es war die beste Entscheidung meines Lebens, zugesagt zu haben. Den Sprung gewagt zu haben, nach dem sich ein Sprung an den anderen anreihte.
Irgendwie fällt mir in diesem Zusammenhang ein Uraltzitat aus einem Buch wieder ein: "Bin aus den Morgensorgen gekrochen wie ein Vogel aus dem Ei. Hab die Schale durchbrochen und spaziere jetzt frei."

Rückblickend kann ich sagen.. Dass es genau dieses Gefühl ist, das wir Menschen brauchen. Dass es mindestens eine Person gibt, die bedingungslos an dich glaubt. Und rückblickend kann ich sagen, dass mit diesem Wissen und meiner damaligen Entscheidung, mich aus der damaligen Komfortzone herauszubewegen und neue Schritte zu wagen, auch der Anstoß überhaupt waren für meine Entwicklung bis heute und hierher. All die Summe der Erfahrungen, Erkenntnisse, all die durchweinten Nächte, die aufgeschrammten Knie und zwischendrin immer wieder neuen Glücksmomente - all die waren es wert, all die mussten genau so sein, um genau heute hier so stehen zu können wie ich eben stehen kann. 

Ich weiß, dass ich nicht jedem schmecke - aber das muss ich auch nicht und das war auch niemals mein Ziel. Ich kann auch nicht beantworten, ob jede persönliche Entwicklung gut oder auch negativ ist. Ich bin nicht nur ein guter Mensch, und ich weiß das. Genau wie die meisten anderen hab auch ich meine dunklen Seiten, meine Schwächen, meine Untiefen. Der Soulweepr schrieb zuletzt, er habe zu Beginn des Jahres seine Kontaktliste im Telefon aufgeräumt und sei minutenlang damit beschäftigt gewesen.
Ganz so lange wie er habe ich zwar nicht gebraucht, aber auch das ist relativ neu an mir: Mich zu lösen von Menschen und Dingen, die nicht (mehr) in mein Leben gehören. Die dort vielleicht nie hineingehört haben. Und es hat tatsächlich irgendwie etwas Befreiendes...
Im Gegensatz zu ihm habe ich diese Entscheidung nicht daran festgemacht, ob ich ein Jahr oder länger nichts vom anderen gehört hatte. Denn genau genommen.. ist es ja so: Der Weg zu mir ist genauso weit wie der Weg zum anderen. Heißt, wenn man mit jemandem in Kontakt bleiben möchte, dann kann man sich auch selbst bewegen, anstatt darüber zu hadern, dass es der andere nicht tut. Solange man das auch selbst möchte, natürlich.
Ich für mich entscheide nach dem Bauchgefühl: Gibt es eine Verbindung, egal wie lange man sich hörte oder auch nicht mehr hörte? Gibt es eine Verbindung von mir zu dem anderen Menschen? Möchte ich, dass er in meinem Leben bleibt? Es ist eine dieser Verbindungen, die man nicht erklären kann.. Die sind da, im Kopf und wo auch immer, ich kann sie fühlen, ganz gleich, wie nah oder fern jemand ist - und ob es ein halbes Leben dauert, bis man wieder voneinander hört und sieht.. Manche Verbindungen.. sollen einfach sein.. Manches bleibt für ein ganzes Leben, ganz gleich, ob der andere es mit dir teilt oder auch nicht.
Und manchmal hab ich so das Gefühl, dass diese Seite an mir die einzige ist, die sich in all den Jahren nicht verändert hat.
Ob das nun gut oder nicht gut ist, das sei dahingestellt.

5 Kommentare:

Juna hat gesagt…

Umärmel, "Ich selbst finde ja irgendwie schon immer wieder interessant, dass mein Umfeld mir wesentlich mehr zutraut als ich mir selbst. Manchmal frage ich mich schon, was andere Menschen in mir sehen - und warum." danke fürs Aussprechen meiner Worte. Also bei dir kann ich nicht verstehen, das du so denkst, weil schau dich an, du bezauberndes Ding, schau wie Herr Blau dich anlächelt, auf deine tollen Jungs und.... - ich darf das so sagen, weil ich weiß, dass da innerlich ein "mach doch gar nix, bin doch nur ich..." kommt. Ach ich versteh dich so gut und mir geht es so ähnlich wie dir. Aus der Ferne: Sei stolz auf dich, das heißt nicht, dass du abheben sollst, aber du darfst stolz auf dich sein :-*

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ach Juna, da sprichst Du etwas an... Ich denke, dass Du im Sommer auf ihn und mich anders geschaut hast: mit dem objektiven Blick eines Außenstehenden. Vielleicht schreibe ich darüber auch noch mal einen eigenen Post, aber dazu muss ich mir noch überlegen, wie ich das umsetze.
Nur soviel: Früher war ich absolut unbedarft, habe den Menschen geglaubt und jedem ein Urvertrauen entgegengebracht. (Na gut, nicht wirklich jedem.)
Darin hat sich vieles verändert, ich fühle dieses Urvertrauen heute nicht mehr, in mich nicht und in andere auch nicht. Der Blaue weiß das und er weiß auch warum. Und ich weiß, dass es ihn schmerzt. Ich kann nur daran arbeiten und ansonsten damit leben.
Ja, ich glaub, ich schreib darüber mal noch nen eigenen Post.

Na ja weißt Du, es gibt schon Dinge, auf die ich stolz bin. Grad wenn ich so drüber nachdenke, wo ich eigentlich herkomme, vor allem beruflich. Ich konnte grad mal Steno und hab bei nem Tierarzt gelernt, kopieren konnte man nicht mal selbst, sondern dafür gabs n extra Häuschen, weil die ganze Bude stank von dem chemischen Zeugs, mit dem das gemacht wurde.
Und heute... Bewege ich mich in der digitalen Welt, als hätte ich nie was anderes gelernt (learning by doing), werde auch von fremden Obrigkeiten angesprochen und auch um Rat gebeten, kann mich allein um Ausschreibungen kümmern - vom Teilnahmewettbewerb bis hin zur Angebotsabgabe.
Grad bei der letzten bin ich schon stolz, dass mein Chef sich da um echt gar nichts kümmerte, außer dass er final die Zahlen eintrug - und jetzt kurz vor Weihnachten kam der Auftrag, ganz ohne Vergabeverhandlung. Das hätte ich mir noch vor ein paar Jahren echt nicht zugetraut - und grad als ich vom Sohn die Fotos geschickt bekam, auf mich selber draufschaute wie auf eine fremde Person, da dachte ich schon auch: Welche Wege bist du eigentlich gegangen und was ist anders als früher, und wann hat das eigentlich angefangen?

Und wenn ich auf meine Jungen schaue... Dann bin ich vor allem wahnsinnig erleichtert, dass sie so sind wie sie sind - trotz allem. Aber Du weißt ja, dass da auch eine ewig offene Wunde bleiben wird..

Dies und Jenes hat gesagt…

Du hast es geschafft und wirst es weiter schaffen. Die Jungs hast doch auch hinbekommen und deine Lage war wirklich nicht einfach zumal du gesundheitlich ja auch angeschlagen bist.

Urvertrauen in andere hab ich abgelegt. Bin zu oft enttschäuscht worden. Und manchmal schweigt mein Bauch ganz lange und dann kommt er mit dem Verstand ins Gehege und mein Bauch hat doch recht.

Wie jetzt erst gestern sagte ich meinem Mann etwas und tat etwas. Er streitet es ab. Nichts mit uns aber wenn es dann letztendlich ums Geld geht - Beerdigungskosten seines Vaters und Streit mit den 6 Geschwistern, dann bleibt es doch an uns hängen. Aber es wird so kommen. Nur will er es nicht wahrhaben, dieser gutgläubige..... aber ich dann noch bereit bin für weitere Wege ich weiß es nicht. Ich denke so wie diese Sache ausgeht wird es unser weiteres gemeinsames Leben entscheiden. Diese Sache wird der auslösende Punkt sein egal in welche Richtung es geht


Denn über meinen Weg bisher bin ich nir nicht nehr so sicher.

LG
Ursula

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Ursula, da geht es uns sehr ähnlich: Manchmal schweigt der Bauch lange, der Verstand kommt ihm dazwischen und letztlich hat der Bauch dann doch recht..
Seit ich diesen Mechanismus bei mir festgestellt hab, warte ich mit manchen Entscheidungen oder Einschätzungen..

Alles andere klingt bei Dir nicht so gut.. Streit um oder wegen Geld ist einer der entwürdigsten, die ich kenne. Und diese Art Streit macht auch unfassbar viel kaputt, wenn nicht sogar alles. Ich kann Dir nur wirklich von Herzen wünschen, dass Du den Weg findest, der Dich letztlich auch glücklich macht.
Aber dass sich 6 Geschwister nicht darüber einigen können, den Papa mit Anstand zu beerdigen, finde ich schon echt traurig.
Meine Oma hat immer gesagt: "Meine Beerdigung spare ich mir zusammen, damit das Geld da ist, wenns soweit ist und es keinen Streit gibt." So hat sies auch gemacht.
Sie hatte 7 Kinder.

Grit hat gesagt…

Hallo Helma,
wie man sich im Laufe der Jahre so verändert, danke für das Zeigen Deiner persönlichen Zeitreise. Traurig, dass das Fotoalbum mit persönlichen Erinnerungen einbehalten wurde. Ansonsten klingt das nach einem gutem Karrierweg mit Erfolg, auf welchen Du stolz sein kannst. Ich habe irgendwann auch rigoros aufgeräumt mit vermeintlichen Freunden und es hat mir auf lange Sicht gut getan. Da ich ein Mensch bin, der sehr geradlinig und ehrlich ist, manchmal zu ehrlich, kommt nicht jeder mit einer Meinungsäußerung zurecht. Egal, jemanden nach dem Mund reden war noch nie mein Ding.
Ein schönes Wochenende und viele liebe Grüße!
Grit