Montag, 27. Dezember 2021

Rückzugsmomente

Ich sitze hier oben im Dachgeschoss des Hauses, während in der mittleren Etage geschwatzt, gekocht und herumgealbert wird. Hin und wieder lächle ich, wenn ich denen da unten so zuhöre. 
Draußen ist es schon längst dunkel geworden, der eisige Wind faucht um die Fenster herum und auf dem Tisch neben mir steht eine kleine Lampe mit wundervoll gedämpftem Licht. 
Ich liebe das so sehr!
In den vergangenen Tagen haben wir eigentlich nicht viel mehr gemacht als essen, schlafen, Essen zubereiten, Spaziergänge am Meer - und am heiligen Abend noch mehr Familie hierher eingeladen und eine Schulfreundin besucht. Gestaunt, wie sich die Stadt wieder verändert hat, in der ich geboren wurde und aufgewachsen bin. 
Es ist wundervoll, die Menschen, die man liebt, um sich zu haben, auch wenn der Wermutstropfen bleibt, dass meine Jungen aus Jobgründen nicht dabei sein konnten.

Aber ich muss gestehen: Es ist auch.. anstrengend. Sicherlich auch, weil ich das gar nicht mehr gewohnt bin, ein "volles" Haus zu haben. 
Wie viele Jahre ich beispielsweise meinen Geburtstag nicht mehr "richtig" gefeiert habe, weiß ich gar nicht mehr genau. Vermutlich seit rund 17 Jahren nicht mehr. Ich brauch das auch nicht - diesen Koch-Back-Stress, den man für die Gäste auffährt, und wo man nur damit beschäftigt ist zu schauen, dass es den Gästen gutgeht. Dass man selbst ja eigentlich der Anlass des Ganzen ist, geht bei sowas irgendwie immer unter. Eine Freundin von mir feiert aus dem Grund schon seit vielen Jahren nicht mehr - sondern fährt einfach weit weg, und genau dieser Gedanke gefällt auch mir zunehmend. 

Heute Abend ist der letzte gemeinsame Abend. Wir haben schon ein wenig die Sachen zusammengepackt und die Abreise für morgen vorbereitet. 
Und am Nachmittag habe ich mich mit einem Buch, einem Kaffee und ein paar Keksen aus dem zwölf-Tonnen-Vorratsbehälter im Badezimmer eingeschlossen - und gelesen und im warmen Wasser geaalt.
Und zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder so lange in der Badewanne gelegen und gesessen, bis das Wasser kalt wurde.
"Da bist du ja wieder", hat der Mann mich angelächelt, als ich endlich der Badewanne wieder entstiegen war. Und ich habe meine Arme um ihn gelegt und dankbar an mich gedrückt. Dankbar dafür, dass er mir die Zeit gelassen hat, die ich brauchte. Dankbar dafür, dass er mir den Freiraum ließ, den ich brauchte. Dankbar dafür, dass er mir den Rückzugsmoment ließ, den ich genau jetzt brauchte - und den Spaziergang statt mit mir mit jemandem anderen unternahm, bevor die Wintersonne endgültig im Meer versank. 

Morgen geht es wieder nach Hause. Ich werde noch für einen Zwischenstopp bei meinen Jungen bleiben, vielleicht für einen Tag, vielleicht für zwei - das werde ich in Abhängigkeit ihrer Dienstpläne entscheiden. 
Ich hab dann noch eine ganze Woche frei und damit viel Zeit für mich. Und darauf freue ich mich richtig dolle.
Ich kann sehr gut allein sein und brauche das auch. Solange Alleinsein nicht Einsamkeit bedeutet.



6 Kommentare:

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Ich les' dich, auch wenn ich nicht kommentiere.

A. hat gesagt…

Ich finde das so schön und beruhigend zu lesen: "Ich kann sehr gut allein sein und brauche das auch."

So geht es mir auch und manchmal frage ich mich, ob ich nicht vielleicht einen Sprung in der Schüssel habe. Weil ich mich, sobald ich die Wahl habe, immer lieber für einen Nachmittag/Abend mit mir selbst entscheiden würde, anstatt die Zeit mit irgendwelchen halbherzigen Höflichkeits/Gefälligkeitstreffen zu verbringen. Vielleicht werde ich doch langsam eine spleenige Alter. ;D

fifteenfeet hat gesagt…

"Ich kann sehr gut allein sein und brauche das auch." - Du sprichst, vielmehr schreibst, mir da aus der Seele.
Durchaus auch ein großer Vorteil, das macht Zeiten wie diese leichter.

Ich beneide dich um deine Zeit am Meer. :)

Danke für deine Posts in diesem Jahr und fürs Gedanken teilen - und auch schon mal fürs Gedanken anstupsen. :)
Einen guten Start ins neue Jahr wünscht dir
15ft.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Danke Clara :)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Frau A.... Ich glaube, ich hab Deinen Avatar vor kurzem auch bei Instagram gesehen? :)
Und nein: Wieso sollte man was am Kopf haben, nur weil man auf Höflichkeitstreffen pfeift? Wenn Du mich fragst: Ich finde das ausgesprochen gesund.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Lieben Dank, 15ft.
Ich hab die Tage dort wirklich sehr genossen. Kurioserweise sind mir tatsächlich vor allem zwei Momente im Kopf geblieben: Der Abend, an dem die Mama uns die Wichtelgeschichte vorlas und der Mann meinen Papa etwas fragte - und der letzte Abend, an dem ich im Dachgeschoss saß und schrieb. Und beides hat ja nicht wirklich was mit dem Meer zu tun, das könnte man alles auch zu Hause haben.
Dafür hör ich aber immer noch den eisigen Wind um das Dach pfeifen - und wenn ich dann und wann den Kopf zur Seite wand und zum Fenster rausschaute, konnte ich die Lichter im Hafen sehen und den Mond auf dem Wasser. Ich würd am liebsten gleich wieder fahren.