Dienstag, 21. Dezember 2021

Zurück und voraus

 


 

 

 Nein, nach einem Jahresrückblick ist mir nicht.
Mir ist im Moment viel mehr nach dem nach vorn schauen.

Als ich mich gestern Abend in das Schlafzimmer zurückzog, Sachen vor mir und um mich herum ausbreitete, die Reisetasche dazustellte und überlegte, was ich mit nach L und was ich anschließend mit an das Meer nehmen würde, da spürte ich diese wunderbare Ruhe in mir.
Das Jahr neigt sich dem Ende zu und ich erinnerte mich noch sehr genau daran, wie ich mich vor ungefähr einem Jahr um etwa diese Zeit gefühlt hatte. Wie hoffnungsvoll und zuversichtlich ich war, dass das Jahr 2021 wieder leichter und unbeschwerter werden würde.
Ich hatte sogar ziemlich konkrete Hoffnungen und Wünsche, wie dieses Jahr wieder werden könnte.
Und nun saß ich da auf dem Fußboden - und registrierte vor allem eins: dass ich auf dem Boden hocken konnte. Nicht schmerzfrei, aber problemlos. Ich betrachtete meine Hände und mir wurde bewusst, dass sich nichts von dem erfüllt hatte, was ich mir von 2021 gewünscht hatte. Doch dass sich stattdessen so ganz still und leise und fast wie nebenbei.. zwei ganz andere Dinge erfüllt hatten.. Die, die ich schon vor sehr langer Zeit begraben hatte.
Ich fragte mich, ob es das war, was John Lennon einst gemeint hatte, als er sagte, dass das Leben das sei, was passieren würde, während man dabei sei, ganz andere Pläne zu haben?
Und ich fragte mich, ob es denn nicht auch das ist, was ich an dem Leben so liebe? Dass jeden Tag etwas wirklich Wundervolles passieren kann? Die kleinen Dinge so wie die großen? Und dass das auch gut so ist, damit wir an all den Tagen, wo nichts von dem geschieht, wo genau das Gegenteil von dem geschieht, trotzdem die Energie aufbringen, wieder aufzustehen?

Mir ist in meinem Leben nichts wirklich geschenkt worden. Genau genommen musste ich mir alles irgendwie erkämpfen, auf die eine oder andere Weise.
Ich dachte eine sehr lange Zeit, ich sei müde dessen geworden. Müde des Kämpfens und bereit zur Konsequenz, die die Kapitulation mit sich bringen würde.
Heute auf dem Weg nach L entschied ich mich nach sehr, sehr langer Zeit gegen meine Lieblings-Playlist (die ja ständig aufgeräumt wird, hinzufügen, löschen, hinzufügen - Kenner kennen das ;)) - und mich stattdessen für meine Soundtrack-Liste entschieden. Die, die ausschließlich Akustik-Titel enthält. Anfangs befürchtete ich, es könnte mich ermüden, aber das.. tat es gar nicht - ganz im Gegenteil. Es beruhigte mich, innen wie außen.
Es ist genau das, was ich am Autofahren so liebe: dass ich mit der Musik dahintreibe, dass meine Gedanken mit mir treiben und sich sich mit jedem Kilometer, den ich hinter mir lasse, nach und nach ordnen. Sich wie Puzzleteile ineinanderfügen und am Ende.. ein fertiges Bild ergeben.
Ich dachte über mich nach, über den gestrigen Abend, über mein Leben, über das, was war, und über das, was ist und was kommen wird im neuen Jahr. Und mir wurde bewusst: Ich bin nicht müde. Ich bin nicht müde des Kämpfens und des Machens. Aber ich bin MIR bewusst geworden.
Ich möchte kein Leben führen, das mich zynisch und misstrauisch macht, enttäuscht von mir selbst und von dem, das mich umgibt.
Ich möchte kein Leben führen, das mich so lange durch fremde Betten führt, bis ich nicht mehr weiß, wie es sich anfühlt, jemanden aufrichtig zu lieben - und jeder Regung eines ehrlichen Empfindens nur noch mit Ironie begegnen kann.
Ich möchte kein Leben auf gepackten Koffern führen und auch nicht kein Zuhause haben. Keinen Rückzugsort, der nicht nach mir atmet, nach meinen Büchern, nach meiner Musik, nach meinem Malzeug und dem frischen Kaffee. Meinen Stricksocken von der Mama und den selbstgebackenen Keksen in der kleinen Dose. Und nach der Liebe zueinander, die die Räume füllt.
...weil ich weiß, wie sich das alles ohne anfühlt. Weil ich es gelebt habe, ein Leben mit dem Gefühl, nirgendwo hinzugehören, nicht einmal zu mir selbst. Getrieben von etwas, das ich nicht einmal konkret benennen konnte. Immer auf der Suche und zugleich immer auf der Flucht. Immer begleitet von der Furcht, nicht genug zu sein. Nicht zu genügen. Nur die Zweite zu sein. Der Ersatzspieler. Irgendjemand zu sein, auf den man auch verzichten kann.
Das habe ich alles hinter mir und ich habe es zurückgelassen wie ein Kleidungsstück, das mir nicht mehr passt. Zu eng geworden. Entwachsen. Die Flügel entknittert und ausgebreitet.

Heute kämpfe ich nicht mehr um alles, von dem ich mir einrede, dass es wichtig für mich sei.
Entweder hat es seinen Platz - oder es hat keinen.
Nicht müssen, sondern wollen - oder eben nicht.
Das ist so unglaublich befreiend.

Dieses Jahr ist nun beinah vorüber, das neue klopft schon an - und ich umgehe die Nachrichten, die ankündigen wollen, wie der Beginn vermutlich aussehen wird. Ich will es jetzt noch nicht wissen und mich auch jetzt noch nicht damit befassen. Zwei Tage muss ich noch arbeiten, und dann möchte ich nur noch irgendwelche Bücher lesen, in der Badewanne liegen, die Weihnachtstage mit der Familie zusammen sein, gemeinsam kochen, gemeinsam backen, in Mamas Stricksocken schlüpfen, malen, schreiben, mit den Kindern herumalbern und nachts den Geruch des Mannes atmen. Mir die Zuversicht bewahren, dass nicht nur Schlechtes geschieht, nicht nur Negatives gesagt wird. Auch nicht im kommenden Jahr.

Dass das Wunderbare geschieht, während wir gerade den Kopf gerade ganz woanders haben.

Das wünsche ich uns allen ganz sehr. Habt eine schöne Zeit. Eine gute Zeit.

2 Kommentare:

Dies und Jenes hat gesagt…

Ach wie schön nach L und ans Meer wünsch Dir eine schöne Zeit. Und ja vorwärts schauen.
war ja schon alles spooky und sieht so aus als bleibt es auch noch ne ganze Weile.
Ja ich lass es auch einfach. Erzwingen bringt nichts. Und meist wird es dann von alleine auf eine Weise gut oder löst sich auf.
Nicht alles aber vieles.

Und irgendwann darf ich Weihnachten verbringen und machen wie ich will. Ich spüre es.
LG
Ursula

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Danke Ursula ♥️ Ich freu mich wahnsinnig auf die Reise morgen, auf die Mama und den Papa und eine hoffentlich entspannte Zeit (Familie kann ja auch n bisschen creepy werden 🤪).
Weihnachten wie DU es willst - ich wünsche Dir von Herzen, dass das ganz bald so werden kann. Wenn man alles nur für andere machen muss, bedeutet es Stress - und das ist ganz sicher nicht der Gedanke dieser Zeit ♥️