Freitag, 3. Oktober 2008

Hallo Freund.


Letzte Nacht bin ich wieder vor Schmerz aufgewacht. Eine falsche Bewegung vielleicht. Falsch gelegen vielleicht. Vielleicht im Schlaf den Arm zu lange ausgestreckt gehalten. Ich bin aufgewacht und hab versucht, eine neue Schlafposition zu finden. Und dachte: "Oh hallo Freund, bist du wieder da?"

Aber was heißt schon "wieder"? Er ist ja immer da, der Schmerz. Treu und standhaft, gleich einem guten Freund, und das seit beinah vier Jahren. Mal mehr, mal weniger intensiv, aber dafür pausenlos.

Woher er kommt, man weiß es nicht.

Wann er wieder geht, auch das weiß man nicht.

Auf einmal war er da, er hat mich nicht gefragt, ob er bleiben darf. Offenbar gefiel es ihm in meinem Körper, denn er blieb einfach da.

Inzwischen haben wir uns irgendwie arrangiert, er und ich. Meistens jedenfalls. Aber heute nacht, da umarmt er mich so heftig, der Schmerz, dass mir das Atmen schwer fällt. Keine Umarmung, eher eine Umklammerung.

Ich hab irrsinnigen Durst, tappe im Dunkeln in die Küche, schenke mir ein Glas Wasser ein.

Kuschel mich zurück in mein Bett, versuche eine Position zu finden, die nicht so schmerzt. Linke Seite? Tabu. Rechte Seite? Halte ich nicht lange aus. Rückenlage? Vergiss es. Bauchlage? Ja warte, wenn ich die Beine anwinkel, dann geht es vielleicht. Leises Stöhnen. Manchmal denk ich, ich werde verrückt, wenn der Schmerz nicht bald geht.


Sonnenstrahlen wecken mich. Ich luge zum Fenster hinaus, blinzel dem Tag entgegen. Ein so sonniger Tag, ob er wohl so bleibt? Müde bin ich, ob ich mich noch einmal hinlegen soll? Versuchen soll, den fehlenden Schlaf der letzten Nacht nachzuholen? Die verkrampfte Umarmung des Schmerzes hat wieder etwas nachgelassen.

Nutze ihn, den Moment, sage ich mir. Bereite Frühstück und lausche auf den Schritt meines Kindes, das noch herrlich verschlafen aus dem Kinderzimmer getappt kommt.


Das Sonnenwetter nutzen wir für einen Spaziergang. Mein Sohn nimmt meinen Arm, legt ihn sich um seine Schultern. Wir lachen, albern. Wie weh mir jeder einzelne Schritt tut, merkt er mir nicht an, soll er auch nicht spüren. Bald ist er erwachsen. Bis dahin wünsche ich mir, dass er möglichst sorglos aufwachsen kann.

Den letzten Rest meiner heutigen Energie widme ich meiner Wohnung. Fenster, Balkontür auf, den Geschmack des Herbstes hineinlassen, die Musik aufdrehen, staubsaugen, staubwischen, Wäsche bügeln, Bettwäsche wechseln.

Und so lieg ich hier, in meinem Bett, der Geruch der frischen Wäsche, wie ich das liebe. Ungefragt hat sich mein Freund, der Schmerz, mit zu mir ins Bett gelegt, spüre ich seinen Griff. Aber gegen das Genießen frischer, duftender Wäsche, frisch gewaschener Haare, gegen das Genießen einer kleinen niedlichen Wohnung, die genau so aussieht, wie ich immer wollte, dass mein Heim so aussieht, gegen dieses Genießen kommt er heut nicht an. Nicht wirklich.

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