Als ich heute das Abendessen zubereitete, legte das Kind sich Stift und Block zurecht und fing dann an, mir Löcher in den Bauch zu fragen.
"Alles für den guten Zweck", sprach Junior, "oder willst du, dass ich morgen ne schlechte Note kriege?"
Natürlich nicht. Also - watt willste wissen?
"Zehn Fragen über die Schule in der DDR!"
DDR... Ich lese ja zur Zeit ein Buch "Und plötzlich waren wir Verbrecher" und muss ehrlich sagen: Mich macht diese authentische Geschichte um Bruder & Schwester, die damals die Flucht wagten und zunächst scheiterten, schon sehr betroffen. Was mir aber beinah genauso zu schaffen macht:
Wie ist das möglich, dass ich selbst das so gar nicht wahrgenommen hatte, wie es gewesen war?
Wie ist das möglich, dass ich selbst vieles so... ja so unkritisch angenommen oder besser: hingenommen hatte?
Oder hatte sich innerhalb von zehn oder fünfzehn Jahren "soviel" verändert, dass zum Beispiel die zu Beginn der siebziger Jahre noch nur heimlich erlernbare französische Sprache in den achtziger Jahren schon in den Schulunterricht eingebunden war?
Es schockiert mich jetzt noch im Nachhinein, wie wenig kritisch ich war, wie wenig ich hingesehen oder hingehört, dafür aber hingenommen habe. Es war eben so. Gefragt... habe ich nicht viel.
Höchstens Witzchen gerissen. Wie damals auf der Klassenfahrt im Bus, so kurz vor dem ersten staatlich organisierten Treffen mit Gleichaltrigen aus dem sogenannten Westdeutschland, und der eifrige FDJ-Hemd-Träger klärte uns noch einmal eindringlich auf: "Ihr nehmt nichts von denen an, gar nichts!" - nur um noch hinzuzufügen: "Und ihr gebt auch nichts!" - was mir wiederum den vorlauten Ruf aus den hinteren Sitzreihen entlockte: "Wieso geben? Wir haben doch nix!"
Es wurde auch bei uns zu Hause nicht wirklich über Politik oder den Staat gesprochen - jedenfalls kann ich mich daran nicht erinnern. Vielleicht habens die Eltern auch gemacht, wenn wir Kinder nicht dabei waren? Um zu verhindern, dass irgendwelche Aussagen irgendwo wiederholt und sie dafür abgeholt würden?
Ob dem Papa wohl nicht nur die Knie geschlottert hatten, als er draußen im Garten seine Antenne auf Empfang drehte und wendete und klein Helma begeistert über das Grundstück brüllte: "Papaaaaa, machst du Z-D-äääääähhhääääFFFF?" und er schockiert zurückbrüllte: "Ach Quatsch!!"
Ich mein, ich hab ja blaue Augen, aber wie konnte ich nur sooo blauäugig sein? Wenn ich heute in diesem Buch lese und erfahre, wie das alles wirklich war? Auch wenn ich mir andererseits sage: Es ist im Grunde egal, in welchem Staat du lebst, du willst nirgendwo wirklich in die Abgründe schauen.
Ist es nun also Verdrängung oder schlichtweg Vergessen, dass ich heute nicht mal mehr weiß, ob wir Herbstferien hatten oder ob nur eine Fünf auf dem Zeugnis ausreichte, um die Klasse wiederholen zu müssen? Das Ausgleichen gabs doch nicht, oder? Dafür mussten wir noch samstags zur Schule gehen.
Und ab welcher Klassenstufe gab es die Produktive Arbeit und ging man schon ab der 8. Klasse auf die Erweiterte Oberschule oder erst ab der 9.?
Junior hatte sein Interview längst fertiggeschrieben, da saß ich immer noch da und überlegte... Wie wars denn eigentlich damals überhaupt? Und wie kommt es, dass ich mich kaum noch an etwas daran erinnern kann? Außer an die Einkaufskörbe in der Kaufhalle, die Milchflaschen mit dem Deckel aus Alu-Papier und die lange Schlange, wenn es Bananen oder Apfelsinen auf Zuteilung gab.
Den ersten Kommentar zum heutigen geschichtsträchtigen Abend gabs schon schriftlich: "...aber man sieht mal wieder..du lebst den moment..was davor oder danach...egal..."
Hmm. Ist das jetzt gut oder schlecht? Weil im Grunde... bin ich schon so. Heute, Jetzt und Hier. Für die Rente hab ich nix vorgesorgt und meine Vergangenheit habe ich bereits vergessen.
Na dann. Prost Ihr Lieben. Vielleicht heirate ich ja reich :)
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