Als ein Freund vor ein paar Tagen zu mir meinte: "Helma, dein letzter Monat hat begonnen", da meinte er freilich nicht, dass ich das Zeitliche segnen würde, aber dass nunmehr eben doch die erste von den letzten vier Wochen begonnen hat, die ich noch hier lebe.
Mir wird irgendwie beklommen zumute, und dennoch freue ich mich auf diese neue Zeit. Ich habe eine Vorstellung davon, wie es sein wird, über vierhundert Kilometer weit weg von hier zu leben. Die mich kennen, wissen, dass ich ohnehin nicht von hier stamme, sondern dass meine Heimat immer noch die Küste ist - und es ganz tief in mir drin auch immer sein wird.
In meinem Büro stehen unter meinem Schreibtisch die ersten Umzugskisten bereit. Sogar die GEZ hat mir völlig unerwartet und völlig unbürokratisch bestätigt, dass ich nur noch ein Quartal bezahlen muss - dann sind wir raus aus der Nummer. Der Vermieter wird ganz unbürokratisch den Mietvertrag umschreiben und die Jugend zu den Hauptmietern machen (ich bin dann nur die, die zahlt). Auch das Bafög-Amt hat anstandslos vermeldet: "OK, dass Junior jetzt alleine wohnen wird, wir wollen aber noch mal seinen aktuellen Kontoauszug sehen, eine Mietbescheinigung und seinen Nebenverdienstvertrag." Das Finanzamt hat noch nicht gemeldet, ob ich und wann ich in die Steuerklasse 1 gestuft werde - aber immerhin wissen sie bescheid.
Ich habe mir immer noch kein neues Päckchen Kaffee gekauft ("Geh doch gleich nach der Arbeit." - "Bist du irre? Ich trage heute Schuhe mit 12 cm hohen Absätzen, die sind NICHT shoppingtauglich." Jedenfalls bei mir nicht, deren Blutdruck sich immer noch bei 80 : 50 hält und die auch ohne schwindelerregend hohes Schuhwerk leichte Seekrankheitserscheinungen an den Tag legt, sobald sie sich vom Stuhl oder Sofa erhebt.)
"Wäre ich du, würde ich vermutlich viele Jahre scheintot in der Ecke liegen - bei all deinen Gebrechen", wurde mir heute schonungslos unter die Nase gerieben. Pffff. Waschlappen alle. Mit einem guten Kaffee ist fast alles möglich. Fast.
Ja und sonst? Junior hat in zwei Wochen sechs Bewerbungen verschickt - und hat inzwischen 6 Vorstellungsgespräche und eine Einladung zum Tag der offenen Tür hinter sich. Ich freu mich so für ihn, denn irgendwie scheinen die Gespräche alle richtig positiv zu verlaufen, scheint sein Wesen, das nicht nur still und zurückhaltend, sondern genauso auch übersprudelnd sein kann - solange er sich wohl- und angenommen fühlt (hat er von seiner Mutter, übrigens), richtig gut bei den Leuten anzukommen. Nach dem vorletzten Gespräch heute war er so positiv aufgelöst, dass ich schon geneigt war zu glauben, er habe Schladderwasser getrunken: Er wollt gar nicht mehr aufhören zu erzählen und ich könnte dem Jungen auch ewig zuhören - nur war ich eben auch immer noch im Büro. Und die Stimmung dort... Möglicherweise ist es ja die seit Tagen anhaltende 30 Grad drückende Schwüle, die die Leute aggressiv und zugleich auch lustlos macht. Es werden kaum noch Witzchen gemacht, jedes Wort muss man drei mal überlegen und die Arbeit geht derzeit überhaupt nicht flüssig von der Hand.
Seit Tagen komme ich also abends später als sonst nach Hause, und alles, was hier dann noch passiert, ist, die Musik aufzudrehen (sorry Nachbarn, aber die letzten Tage schafft Ihr jetzt auch noch mit mir), zu duschen und es mir gemütlich zu machen. Nichts beruhigt mich so wie Musik. Nichts gleicht mich so aus wie Musik. Nichts lässt so viele bewegte Bilder in meinem Kopf entstehen wie Musik. So viel Sehnsucht, so viele Träume, so viel Lust an den Dingen, die hoffentlich noch kommen werden.
Meine Freundin und ich wollten uns noch sehen, bevor sie ihr erstes Kind bekommt - und ich glaube, das haben wir jetzt nicht mehr geschafft. Vielleicht klappt es ja trotzdem noch, ich würde sie und Frau I. wirklich gerne noch mal sehen vor dem Abflug.
Eine andere Freundin habe ich schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen, und nun vor ihrem Urlaub haben wir das auch nicht mehr hinbekommen. Jetzt ist sie ja wieder da - und ich hab ja noch ein paar Tage ;)
Ja und Miss F... Ich denke, wir werden uns nicht mehr sehen. Ich habe sie gefragt und sie antwortete, sie habe Angst, mich zu vermissen. Hm. Ich auch. Ich hätte sie trotzdem gerne noch gesehen und an mich gedrückt.
In Gedanken beginne ich, die Dinge, die mir wichtig sind, in die Kisten zu verpacken, die noch unter meinem Schreibtisch stehen. In Gedanken beginne ich, die Dinge, die ich ab September brauchen werde, in den neuen alten Schreibtisch zu packen, den die gelben Seiten für mich aus dem Internet gegraben haben und der so wunderbar zu meinen Antik-Einzelstücken passt. In Gedanken arbeite ich die Liste an Technik ab, die ich noch kaufen und Chef bezahlen darf, um dann in München auch komplett arbeitsfähig zu sein.
Jeden Morgen erwache ich und denke: "Ein Tag weniger... Ein Tag näher."
You could stay with me forever. You could stay with me for now.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen