Sonntag, 24. Mai 2015

Hassliebe

 Ich gestehe: Auch als Frau bin ich schon ein wenig technikaffin. "Ein wenig" definiert z. B., dass mich der Sound eines V8 restlos begeistert, ich jedoch nun nicht bei jedem entsprechend vorbeidonnerndem Vehikel mit raushängender Zunge, Schnappatmung und starrem Blick dastehe. "Ein wenig" definiert auch, dass ich z. B. von den Vorzügen (m)eines iPads doch recht überzeugt bin, ich jedoch nicht die Möglichkeit haben muss, darüber meinen TV, die Beleuchtung meines Wohnraumes oder gar noch die Spülung meines Klosetts bedienen kann. Insofern wusste ich bei der Kurzreportage über eine Stadt in Südkorea nicht, ob mich der Grusel oder das Staunen über technisches Machwerk ergreifen sollte. Wenn nicht nur innerhalb einer Wohnung sämtliche Abläufe computergestützt ablaufen, sondern auch das Leben outside nicht ohne eine totale (computergestützte) Überwachung und Steuerung machbar ist, dann mag das Positives bergen: Es wird beinah sofort registriert, wann ein Kind zu weit von daheim entfernt ist bzw. wird. (Ob die Kriminalität insgesamt allerdings dadurch eingedämmt werden konnte, wurde in dem Beitrag übrigens nicht dokumentiert.) Andererseits jedoch bekommt die Bezeichnung "der gläserne Bürger" für mich damit eine recht reale Bedeutung. Fakt ist ja: Als Milchglasbürger empfinde ich uns Deutsche auch - und seit der Erfindung des Internets & Co. ist es für big Brother noch wesentlich einfacher geworden, sich über unsere Gewohnheiten und unser Leben an sich genau zu informieren, ohne dass wir das mitunter wissen bzw. überhaupt mitkriegen. 
Auch von der Erfindung der Handy's war und bin ich ja restlos begeistert. Es ist so enorm, was wir damit anstellen können, und ein schnödes Tastenteil, das nur zum Telefonieren gemacht ist, kommt uns gar nicht mehr in die Tüte. Nicht mal mehr ein Erstklässler würde sich darüber freuen. Wieso auch: Das Teil kann ja sooo viel mehr als Telefonieren! Und schüttle ich nicht auch heute noch ab und an mein müdes Haupt über Sohnemann, der seit 2 Jahren ein iPhone besitzt und sich bis heute nicht darum schert, dass Safari an der Stelle keine Tour durch die Pampa Afrikas beschreibt, sondern den Internetbrowser? Was für (ungeahnte) Ressourcen, die da nicht genutzt werden?
Und ich empfinde es auch schon als Fortschritt, dass ich - egal ob beim Sport, Bummeln oder sonstigem in der Art - meine Lieblingsmucke hören kann und trotzdem immer mit nur einem Gerät up to date bleiben kann: Mails (check), Facebook (check), Navigation (check), Blogs (check) - und das alles eben mit Musik.
Gestern jedoch war ich etwas, das man gerne von der Queen sagt: "Not amused". Ich meine, da gönnt man sich schlappe 15 Minuten NUR für sich selbst, abgeschottet von der Außenwelt, nur die Musik und ich, solange ich ein gewisses Programm durchlaufe - und dann stellt man fest, dass zum Beispiel die Erfindung eines Gruppenchats durchaus zum Nachteil werden kann. Bei nur sieben Beteiligten 32 Nachrichten innerhalb dieser fünfzehn Minuten zu empfangen - also Musikgenuss geht anders. Ich weiß ja nicht, wie das beim Smartphone ist, doch beim iPhone unterbricht die Musik ganz kurz, kündigt den Eingang einer Nachricht an und spielt dann weiter... Grimmppppppffff!
Ein Handy jedoch hat auch einen entschiedenen Nachteil: Vom Besitzer wird erwartet oder gar vorausgesetzt, dass er eben auch immer erreichbar ist. Seit diesem Jahr signalisiert Whatsapp dem treuen Nutzer auch, dass Nachrichten nicht nur übermittelt, sondern auch tatsächlich gelesen wurden.
"Du hast auf meine Nachricht noch nicht geantwortet."
"Äh... Nachricht?"
"Tu nicht so, du hast sie längst gelesen, die Haken sind blau!"
Wie schnell scrollt man Nachrichten mal durch, während man im Bus steht, beim Einkauf ist oder - ganz profan - auf der Toilette sitzt? Verschiebt das Antworten auf später, weil man grad mit anderen Dingen beschäftigt ist - und vergisst es dann auch mal?
Oder auch die andere Tour: "Du hast ein Diensthandy!"
"Ich weiß! Aber muss ich deswegen rund um die Uhr erreichbar sein? Auch abends und an Wochenenden?"
"Du weißt genau, dass ich nur anrufe, wenn es wirklich dringend ist!"
Ja genau. So wie man ganze viermal innerhalb von dreißig Minuten anruft, nur um jedesmal zu sagen: "Wir müssen heute unbedingt noch das Protokoll fertigkriegen, ich meld mich gleich dazu!"
Das Protokoll übrigens ist bis heute nicht geschrieben. Dass sowas durchaus erschöpfend und entnervend ausarten kann, ist vielleicht nachvollziehbar. Weil das nur die "unwichtigen" Anrufe sind. Abgesehen von den hundertfünfzig "wichtigen" Anrufen am Tag.
"Na gut, dann richte ich mich jetzt ab sofort nach der Assistenz, wann ich die anrufen darf."
"Das ist nicht fair! Wie oft ist mein Handy abends noch an? Es ist Samstag und ich rufe dich wegen einer E-Mail an, die du mir geschrieben hast. Ich dich, nicht umgekehrt, wegen high priority und so!?"
Wie habens die Chefs eigentlich früher gehandhabt? Zu tiefsten Ost-Zeiten, als Otto Normalbürger nicht mal ein Festnetztelefon besaß, weils auch hier jahrelange (!) Wartezeiten gab? Genau: Es hatte alles bis Montag Zeit. 
Ich liebe mein iPhone. Aber manchmal hasse ich diese Erfindung. Kein Wunder irgendwie bei aller technischer Entwicklung, dass wir zum Beispiel nicht mehr am Waschbrett stehen und nen krummen Rücken und aufgeriebene Hände bekommen, wir nicht erst umständlich Wasser im Kochtopf erhitzen müssen, um das Kind in der Zinkwanne zu baden, die Flüstersauger alle Flusen aufklauben, ohne uns auf den Sack zu gehen, wir mit dem Auto von A nach B in zehn Minuten statt 30 Minuten Fußweg kommen, wir entspannt und mit hochgelegten Füßen online einkaufen und bezahlen können und somit einen nervigen Nachmittag in der vollgestopften Innenstadt sparen - und uns am Ende eines Tages dennoch ausgebrannter, entnervter fühlen als unsere Mütter oder Großmütter. 

5 Kommentare:

Frau Gräde hat gesagt…

..pst...machen sie es wie ich......
;o)...ich weiß momentan nicht mal wo mein Handy ist.
es kann auch nichts...quasi.
also nicht viel.jedenfalls nix smartes.
kann sehr befreiend sein.
;o)
mit fröhlichen Pfingstgrüßen und so, die Frau Gräde

Goldi hat gesagt…

Ja, es kann super und nervend sein. Ich schalte mittlerweile den Flugzeugmodus an wenn ich Musik hören möchte oder einfach nicht mehr erreichbar sein will. "Zuletzt online" ist abgestellt und die blauen Haken werden nicht angezeigt, wenn man die Nachricht in der Übersichtsfunktion anliest. Ob es diese Funktion allerdings beim Apfel gibt, weiß ich nicht.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Frau Gräde, das Handy soooo weit aus den Augen zu legen, bedeutet aber auch.. äh.. nicht Mails und FB und so checken zu können.. Ich merke grad: Ich dreh mich im Kreis, beiße mir selber sozusagen in den Schwanz ;) Will alles, aber nicht allzeit erreichbar sein (müssen).

Goooolldiii!!! Flugzeugmodus!! Dass ich DARAUF noch nicht gekommen bin!! Für mein wöchentliches 15 min-Wohlfühlprogramm eine sehr gute Lösung!
Ja, den Onlinestatus kann man auch beim Apfel abstellen, aber die blauen Haken? Das wusste ich noch gar nicht, dass das überhaupt geht:) Der Liebste hat den Onlinestatus abgestellt (er sagt, ihn habe immer verrückt gemacht, wenn er sah, dass ich online war, aber nicht ihm geschrieben hab ;)), aber die Häkchen sind trotzdem sichtbar, auch die blauen ;)

Mirtana hat gesagt…

Ich musste gerade sehr breit grinsen, mir geht es da oft ähnlich. Das Verhältnis von mir zu meinem Mobiltelefon (ich finde dieses Wort "Handy" ja einfach unschön ...) ist ein sehr gespaltenes. Ich höre des öfteren mal den Satz "Wofür hast du das Ding wenn du nie dran gehst?" Gibt sogar Menschen, die vor Schreck aufgelegt haben weil sie nicht damit gerechnet haben daß ich tatsächlich den Anruf beantworte ;-)

Goldi hat gesagt…

Guggsu hier http://praxistipps.chip.de/whatsapp-gelesen-status-blaue-haken-deaktivieren_35797