Montag, 6. November 2017

22



Eigentlich wollte ich ja gar nicht mehr, aber Goldi meinte mal, ich könnte diese Tradition ruhig fortsetzen. Und in meinen Blog schaust Du, wenn überhaupt, nur zu den Geburtstagen - und dann liest Du und schmunzelst und sagst.. nix ;)

Im Sommer noch meintest Du, jetzt würdest Du schon 22 werden und dass Du Dich so furchtbar alt fühlst damit. 22 sei schon fast 30 und überhaupt! Ich lächelte und dachte an meinen 18. Geburtstag - da gings mir genauso wie Dir. Erwachsen - igitt! Nur noch Pflichten und Probleme, nahm ich an.
Ganz so ist es nicht, da kann ich Dich beruhigen.
Es ist Dein allererster Geburtstag, den wir nicht gemeinsam feiern. Vermutlich wird es ein Tag wie alle anderen auch - Du stehst irgendwas um 4.30 Uhr auf, es ist kalt und klamm draußen, dunkel sowieso; diesmal erwartet Dich kein Geburtstagstisch mit Kerzen drauf - auch so eine Tradition, die wir fortgesetzt haben, auch wenn Ihr aus diesem Alter genau genommen längst raus seid.
Aber ich sehs vor allem auch an Deinem großen Bruder: Es gibt nicht vieles, aber doch einiges aus der Zeit, als Ihr noch klein wart, als Eure Welt noch in Ordnung war - und an diesen Dingen hängt Ihr, die gebt Ihr auch nicht her und auch so ein Geburtstagstisch mit Kerzen zum Beispiel erinnert Euch an die Zeit, als wir noch zusammen wohnten und alles irgendwie noch leichter war.
Dann wirst Du abends irgendwann heimkommen, Dich auf Dein Bett werfen, vielleicht wird Dein Bruder etwas zum Abendessen zubereiten oder Ihr geht Euch wie so oft einen Döner holen, Du wirst entweder zocken oder fernsehen und dann einschlafen, bevor der nächste Tag kommt.
Das ist vielleicht ein Geburtstag wie bei vielen anderen auch - aber ich gebe zu, es ist nicht unbedingt ein Geburtstag, wie ich ihn Dir wünsche. Insbesondere die letzten Jahre haben mir immer bewusster gemacht, dass diese Tage einfach auch die besonderen Tage sind - eben weil es Dich und Deinen Bruder mit diesen Tagen gibt und das ist und bleibt einfach das Größte, das mir passiert ist. Und irgendwie.. möchte ich diesen Tag für den Menschen, den ich liebe, zu etwas Besonderem machen. Weil dieser Mensch etwas Besonderes für mich ist.
Darum habe ich entschieden: Ich schreibe diesen Post heute und hier - und nächste Woche zelebrieren wir das noch mal richtig :)

Wenn ich so darüber nachdenke, wie Ihr als Kinder wart, wie die Pubertätsphasen mit Euch waren, dann denke ich, dass ich richtig viel Glück mit Euch hatte. Ach klar, was haben wir uns gestritten, wenn es hieß "Räum dein Zimmer auf, überall trete ich auf irgendwas!"
"Das ist nicht von mir, das war [der Bruder]."
"Wer das war, ist mir ziemlich egal, ich will, dass es in Ordnung gebracht wird."
Das erinnert mich auch an so Aktionen, wenn Ihr vor dem Haus im Sandkasten gespielt habt. Es ging immer anschließend Streit los, wer was mitgenommen und also wieder mit hochzunehmen hatte. Irgendwann hatte ich das so satt, dass ich sagte "Okay, dann mach ich das jetzt - aber ich mach das mit dem Müllsack." Den ich anschließend im Kleiderschrank einschloss. Am Anfang hat Euch das noch auf die Beine gebracht, aber Ihr hattet schnell den Dreh raus "Wir kriegens ja eh bald wieder". Da warnte ich Euch: "Beim nächsten Mal fliegt alles in den Müll!"
Das habt Ihr mir nicht geglaubt und als ich es aber doch machte, drehte auch Euer Vater am Rad "Das kannst du doch nicht machen, weißt du, was das für Geld gekostet hat?"
Auch Dein Bruder war außer sich, doch im Gegensatz zu Dir stieg er in den Müllcontainer und versuchte zu retten, was zu retten war, bis ich ihn entdeckte und mit einem entschlossenen Griff an den Trägern seiner Latzhose und am Bein packte und aus dem Container hob.
Aber von da an hörten Eure Streitereien auf, ich hatte meine Ruhe und wenn ich sagte "Jungs, räumt eure Chaosbude auf", dann habt Ihr Euch beeilt zu sagen "Gleich!" oder "Nachher!"
Und auch später, als Du älter wurdest, habe ich lediglich zwei Anrufe bekommen.
Der eine vom Polizeirevier, die mir sagten, dass ich mein minderjähriges Kind abholen solle, man habe ihn erwischt, als er ein Videospiel mitgehen lassen wollte.
"Es wäre nicht mal aufgefallen", sagte der Beamte, "hätte er nicht mindestens eine halbe Stunde davor gestanden und überlegt, ob ers nun machen soll oder nicht."
Der andere Anruf kam von der Schule, da warst Du 15.
"Es gab einen Vorfall im Sportunterricht. Ihr Sohn und ein zweiter Schüler wurde mit dem Notarztwagen abgeholt. Wir vermuten Alkohol oder Drogen."
Da hats mich vom Stuhl gehauen. Drogen? Du? Wie soll das gehen? Das geht doch gar nicht!
Was Du damals konsumiert hast, wusstest Du nicht mal. "Es war grün und hat nach Lakritze geschmeckt. Und dann hats gebrannt in den Adern", sagtest Du später. Die Ärztin wusste sofort, worum es sich handelte und das Labor wies es auch nach. 500 ml Absinth, 1,7 Promille und ein anschließend bewusstloses Kind im Sportunterricht.
Offen gestanden, musste ich damals selber erst mal googeln, was Absinth genau eigentlich ist. Dein Kumpel hatte es mitgebracht in die Schule, umgefüllt in eine Plastikflasche.
"Ich hab gesehen, dass sie das getrunken haben", erklärte die schockierte Lehrerin, "aber ich dachte, das sei Waldmeister."
Dein Vater hat getobt: "Wieso ist der auch noch so blöd und säuft das Zeug in der Schule??"
"Wir können doch froh sein, dass es so war und nicht zu Hause oder sonstwo", entgegnete ich wütend, "stell dir vor, die liegen irgendwo bewusstlos, keiner merkt was und dann erstickt einer am Erbrochenen."
Drogen haben sich Gott sei Dank nicht bestätigt, mit so etwas habt Ihr glücklicherweise auch nie angefangen. Dass Du mir da die Wahrheit gesagt hast, haben ja auch diverse Bluttests bewiesen, die Du im Zuge Deiner Ausbildungsbewerbung und auch im Vorfeld beim Bund abgeben musstest ;) Zwar gehst Du heute gerne feiern und lässt es auch gerne mal krachen, aber Du weißt immer noch, dass Du betrunken kein Auto fahren darfst und selbst aus Rücksicht auf Restalkohol hast Du lieber einen Tag länger beim Kumpel gepennt als Deinen noch halbwegs frischen Führerschein zu riskieren.
Denn seit gut vier Wochen fährst Du nun auch Dein erstes eigenes Auto. Den Kauf haben wir gemeinsam abgewickelt, auch die erste Fahrt und ich war sehr erleichtert: Du fährst ruhig, entspannt und vorsichtig. Du hast Respekt, aber keine Panik. Und Du riskierst auch nichts: "Ich fahre diese Woche nicht, da zahl ich lieber die 20 Euro an den anderen", erklärtest Du mir gestern. "Mein Baby soll ganz bleiben."
"Meins auch!" antwortete ich und Du hast mir mit einem Herz geantwortet.
Der Mann verdreht immer die Augen, wenn er sowas sieht oder wenn Du mich "meine Seerose", "meine Seeanemone" oder so nennst - aber ich finde das schön. Andere küssen ihre Familie auch mit 50 noch auf den Mund, das zum Beispiel mag ich überhaupt gar nicht. Auf den Mund geküsst wird bei mir nur einer ;)

Diese Zeit mit Euch gerade genieße ich sehr. Gespräche über Gott und die Welt, Eure eigenen Gehversuche, Eure eigenen Ziele. Dennoch mischt sich dann und wann auch Wehmut bei mir in die Gedanken. Ich vermisse sie, die gemeinsame Zeit, das miteinander Abhängen, das Rumlümmeln nachmittags auf dem Sofa mit Keksen oder Kuchen, ich vermisse es, mit Euch zu sprechen, einfach beieinander zu sein. Ihr seid erwachsen, Ihr habt nun Euer eigenes Zuhause, das mal unser gemeinsames war, wovon aber nur noch wenig zu sehen ist, weil Ihr bis auf die Küche alles umgearbeitet habt. Es ist eben Eures. Aber ich wünschte doch, ich würde mehr in Eurer Nähe wohnen, mal auf ein Käffchen vorbeikommen können oder dass Ihr ab und zu vorbeischaut "War grad mal in der Nähe" oder so. Wahrscheinlich wäre die Realität sowieso eine andere. Nämlich dass Ihr vorbeikommt und einen Sack schmutziger Wäsche bringt ;) Oder weil Ihr irgendwas braucht. Oder weil eh grad nix anlag. Aber das ist mir egal. Ich rechne Euch nicht vor, wer wie oft anruft. Mir ist sowas wurscht. Wenn ich wissen will, wie es Euch geht, dann melde ich mich bei Euch. Und seit wir zu dritt diesen kleinen Familien-Chat gegründet haben, lasst Ihr mich auch so an dem einen oder anderen teilhaben. Dein Bruder nicht, der ruft lieber an, aber Du, Du bist wie ich - ich schreibe lieber. Telefonate liegen mir nicht wirklich, weil man dann auch wirklich nur telefonieren und sonst nichts anderes machen kann.
Du bist mir überhaupt in vielen Dingen ähnlich: Du hast es gerne ordentlich und gemütlich, aber to dos erledigst Du auf den wirklich allerletzten Pfiff. Ich erinnere mich noch an die Hausarbeit, die wir am Abend zusammenklamüstert haben, weil Du es so lange aufgeschoben hattest, bis der Termin ran war und Du bis auf eine Gliederung nix hattest. Bis in die Nacht rein haben wir gesessen und geschrieben, während Du irgendwann immer wieder einschliefst und dann, als wir fertig waren, noch sagtest: "Ich brauch das übrigens auch auf CD." Dein Glück, dass ich überhaupt noch 2 Rohlinge da hatte, von denen ich den ersten wutentbrannt durch das Zimmer schmiss, als das Gerät vermeldete "Dieser Datenträger kann nicht beschrieben werden" und um zwei Uhr morgens fauchte ich dich an: "Jetzt bete dafür, dass der letzte Rohling geht und wenn nicht, dann hast du eben Pech!"
Papierkram ist Deine Sache auch so gar nicht - ich erinnere mich noch, wie wir nach den 2 Jahren Ausbildung zum Sozialassistenten zwei Schubläden voller loser Blätter versucht haben zu sortieren, damit Du Dich auf die Prüfungen vorbereiten konntest. Von manchem wusstest Du nicht mal mehr, in welches Lernfeld die gehörten - und es gab acht davon ;)
Mit den ganzen Bescheinigungen seit Bund, Ausbildung und den Kontoauszügen handhabst Du das nicht viel anders, aber das sortierst Du seit zwei Jahren bittschön allein ;)
Da seid Ihr, Dein Bruder und Du, aus ein und demselben Holz und man fragt sich immer wieder, wieso Ihr am Ende trotzdem alles noch findet oder hinbekommt.
Du sagst offen Deine Meinung und vertrittst sie auch - oder hältst ganz einfach Deinen Mund. Du redest niemandem nach dem Mund, gräbst niemandem das Wasser ab und würdest Dich auch niemals auf Kosten anderer bereichern oder Dir ein schönes Leben machen. Das liebe ich an Dir. Auch das ;)

Manchmal wünschte ich, wir könnten noch mal von vorn anfangen. Ich würde so gern einiges anders machen, besser machen. Eine bessere Mama sein als ich es damals war - und ich würde Euch diesmal einen echten Papa aussuchen.

Aber nun bist Du 22 geworden, ich wünsche Dir von ganzem Herzen alles Liebe und dass alles so kommt, wie Du es Dir schon so lange wünscht. Und nächste Woche wird gefeiert :)

5 Kommentare:

Anna hat gesagt…

Eine wunderschöne Liebeserklärung an dein "Baby". ;)) Herzlichen Glückwunsch auch von mir. Und ich musste gerade lachen @auf den letzten Drücker und @Rituale. Hier gab's ja auch verschiedene Rituale und eine davon war die "Benjamin Blümchen"-Torte zum Geburstag, die tatsächlich bis zum 17 Geburtstag serviert wurde. Zum 18ten leider nicht - das hat Xavier verhagelt... ähem... oder vielleicht auch ich verbockt, weil ich das mal wieder auf den letzten Drücker erledigen wollte.^^

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Danke, Anna, er wirds lesen - spätestens nächste Woche ;)
Die Benjamin Blümchen Torte hatte auch bei uns ziemlich lange Tradition - wegen demselben Namen :)

gretel hat gesagt…

Ich muss jetzt ein wenig heulen. Das liegt an deinem Post aber auch daran, dass ich eigentlich schon viele Monate heule, weil ich den 18. Geburtstag und das Ende der Schule im nächsten Jahr bei mir so furchtbar finde. Was ich immer so bei dir lese, tröstet mich dann. Ich glaube, dass ich ein ähnliches Verhältnis zu meinem Großen haben werde, hoffe es zumindest. Auch wenn das manch Außenstehender vielleicht als zu eng betrachten mag. Alles Gute wünsche ich.
Und zu Ernährung und Verzicht (Explizit Kommentar von Marietta) wollte ich noch meinen ganz persönlichen Senf dazu geben. Ich glaube, dass unfreiwilliger Verzicht gar nichts bringt. Dafür ist das Leben zu kurz. Vegan leben sollten nur Menschen, die es aus vollem Herzen tun und darin ihre Offenbarung sehen, glücklich werden damit. Alle, die es mit großem Verzicht- und Opfergefühl machen und ständig etwas vermissen, die sollten es - meiner Meinung nach - lieber lassen.
Liebe Grüße

A. hat gesagt…

Bei uns lag's am Geschmack und daran, dass ich ein Back-Trottel bin. Ich wünschte, ich könnte anderes schreiben. ;)

Edelnickel hat gesagt…

Awww das ist so schön, da hat's mir gerade ein Tränchen in die Augen getrieben. Einen ganz tollen Sohn scheinst Du da groß gezogen zu haben. :)

Und dem Sohnemann: Herzlichen Glückwunsch!