Donnerstag, 3. Mai 2018

One More Light: Für S.



Erst am vergangenen Freitag habe ich von Dir erzählt.
Davon, wie sehr Du das Leben liebst.
Davon, wie sehr Du um dieses Leben kämpfst.
Davon, wie sehr Du Dir Kinder gewünscht hast.
Davon, wie groß die Hoffnung auf die Alternativtherapie war, an der auch ich mich beteiligt hatte.
"Warum du?" hatte der Mann mich gefragt. "Du kennst sie doch gar nicht wirklich."
"Aber ich nehme ganz sehr Anteil an ihrem Leben", habe ich geantwortet, "und ich kann dir nicht sagen, warum. Aber ich tus."
Und ich habe Dir so sehr gewünscht, dass.. irgendwie.. wider besseren Wissens.. eine Hoffnung besteht.
Ich wusste nie wirklich, was ich Dir wünschen sollte.
Du wolltest so sehr leben und Dein Körper konnte es immer weniger.
Am vergangenen Freitag erzählte ich jemandem von Dir - und erfuhr einige Stunden später, dass Du an diesem Freitag frühmorgens eingeschlafen bist. Nun für immer.
In diesem Moment lebt keine Vernunft, lebt kein Verstand, lebt auch kein Wissen.
In diesem Moment knickt es mir einfach nur die Beine weg, füllen sich die Augen mit Tränen.
Ich will mich nicht fragen, ob es ein Danach gibt und wie das aussieht.
Ich will mich nicht mit emotionsloser Wissenschaft befassen, aber mich auch nicht in etwas verlieren.
Ich möchte nur weiterhin daran glauben, dass es sehr viel mehr Dinge zwischen Himmel & Erde gibt, die sich nicht logisch erklären lassen - und sie geschehen trotzdem.
Und ich möchte an die Worte des Inders glauben, der mich vor zwei Jahren so anlächelte und zu mir sagte: "Wir sind auch nicht weg. Wir bleiben da."

Ich glaube, was mich mit Dir so verbunden hat, war diese Liebe zum Leben.
Da sein. Glücklich sein. Und glücklich machen. So lange, wie man das kann.
Seit 9 Tagen hadere ich mit mir und meiner Entscheidung, eine Tür hinter mir verschlossen zu haben.
Seit 9 Tagen frage ich mich, ob all die gemachten Erfahrungen es wert sind, diese Tür verschlossen zu haben, wenn man den Schlüssel ja doch immer noch in der Hand hält.
Vor 9 Tagen lese ich die Anfrage in meinem Mailpostfach "..möchte mit Dir befreundet sein", die nur wenige Stunden später wieder zurückgezogen wurde - aber die Mail ist da. In meinem Postfach. So wie die Zeile "Ich vermisse dich auch". Halte ratlos die mir neu übermittelte Telefonnummer in den Händen. Sehe freigegebene Erinnerungsstücke in dem anderen Profil, die auch nur wenige Stunden danach wieder auf privat gesetzt werden. Ich lese in diesen Erinnerungsstücken, ich lache und ich lache unter Tränen. Gerade weil dieses Muster wieder durchzubrechen scheint: Kommen und gleich wieder gehen.
Das wollte ich doch alles so nicht mehr.
Und dann stirbst Du, S., und die Fragen in mir vertiefen sich.
Noch kann ich Türen wieder öffnen..

Warum ist es eigentlich immer der Tod eines anderen Menschen, der uns vor die Frage nach der Sinnhaftigkeit unserer Entscheidungen und Wege stellt?
Weil er der einzige ist, dessen "Entscheidung" niemals mehr umkehrbar ist?



7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Mich hat die Nachricht auch kalt erwischt.... Sie mich immer wieder geerdet und mir bewusst gemacht, das man jeden Tag aufs neue dankbar sein muss.
Liebe Grüße
Ricci

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Ricci, durch Dich bin ich überhaupt erst zu ihr gekommen.
Irgendwie kann ichs immer noch nicht glauben, obwohl sichs schon länger angekündigt hat.

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Liebe Helma, ich kann so gut mit dir fühlen, denn ich habe es ja nun schon dreimal miterleben müssen, wie es ist, auf den Tod eines lieben Menschen zu warten, weil die Krankheit nicht heilbar ist.
Es sind zwar in den letzten Jahren noch mehr Menschen aus meinem Umfeld gestorben, aber mit manchen war der Kontakt nicht so intensiv, auch wenn es Verwandtschaft ist.
Diese Worte über sie kannst du immer mal lesen, dann ist sie dir nah.
Ich nehme dich in den Arm.

Anonym hat gesagt…

Ein Tod, der einem so nahe kommt, weil einem der Mensch im Leben auch nahe gekommen ist, auf welche Weise auch immer, rüttelt am eigenen Fundament und lässt lose Stücke fliegen. Lose Stücke die aus "sollte ichs" und "hätte ich nur" bestehen. Nachdem ich von R's Tod erfuhr hatte ich den Impuls, zu vielen wichtigen Menschen (auch und besonders denen aus der Vergangenheit) noch einmal Kontakt aufzunehmen und ihnen zu sagen, was sie mir bedeutet haben, damit es nicht noch einmal ein plötzliches "zu spät" und ein "hätte ich doch nur" gibt. Ich hab dem Impuls nicht nachgegeben, sondern abgewartet, bis das Rütteln weniger wurde. Ein paar sind geblieben, denen ich es noch immer sagen möchte und gerade die, glaub ich, wissen das aber auch so. :)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Clara, der Mann bittet mich immer, bitte nach ihm zu sterben, weil er es andersrum nicht ertragen könnte. Mir ist ja bewusst, dass zum Leben auch das Sterben gehört, es ist eben nur diese Endgültigkeit des Abschieds..

Liebe Amorsolalex, ich empfinde Deine Worte wirklich als sehr schön gewählt. Dieses Rütteln am Fundament habe ich nun schon einige Male erlebt und jedesmal die Bruchstücke sortiert und den Impuls unterdrückt. Beim Sortieren war es dann auch geblieben. Dieses Mal fühlt es sich etwas anders an. Intensiver. Und dennoch warte ich im Moment immer noch ab - vielleicht auch in der Hoffnung, diese Zeit (noch) zu haben bzw. zu bekommen.

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Liebe Helma, als Heiko 1996 gestorben ist, habe ich mehr als einmal gedacht, dass ich lieber gegangen wäre, um mir all den Kummer, den Ärger mit seiner Verwandtschaft und den riesigen Streit, im Grunde genommen um nichts, zu ersparen.
Im Laufe der ersten drei Jahre - so lange habe ich wirklich gebraucht - habe ich mich an ein Leben ohne ihn gewöhnt und jetzt komme ich schon seit langem alleine sehr gut aus. Vielleicht wäre es mit uns auch gar nicht gut gegangen, wenn wir in einer Stadt und sogar in einer Wohnung zusammen gewohnt haben. Durch die Fernbeziehung Hamburg - Berlin wurde vieles sicher idealisiert.
Manchmal weiß ich es wirklich nicht: Ist sterben leichter oder ist zurückbleiben leichter? - Wir werden es nicht beeinflussen können - d.h., ich sowieso nicht mehr.
Lieben Gruß zu dir!

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Clara, wenn ich Deine Worte lese, denke ich wieder an den Kollegen, der an einem Samstag 2007 tödlich verunglückte und den Sonntag darauf stand die Ex-Frau vor der Tür der Lebensgefährtin und verlangte alles vom Kollegen, weil deren Tochter nun die Alleinerbin sei. Er hatte nichts geordnet, nichts geregelt..
Zum Mann habe ich immer gesagt: Ich will gar nichts von dem, das dir gehört, das soll von mir aus an die Erben gehen. Ich selber gehe wie ich gekommen bin bzw. mit dem, das mein ureigenstes ist - so habe ich es immer gehandhabt. Streit ist mir gerade in diesem Zusammenhang sowas von zuwider.
Weißt Du.. Wenn man nicht gerade noch 20 oder 30 ist, dann stellt sich schon die Frage, ob man wirklich zusammenziehen MUSS oder ob zwei getrennte Wohnungen nicht auch ihre Vorteile haben. So sie denn wenigstens in einer Stadt sind. Ich halte dieses Konstrukt für absolut denkbar und vorstellbar.
Deine letzte Frage.. Ich glaube, das ist immer auch eine Frage des Alters. S. ist mit 34 gestorben - nach 7 Jahren Kampf, von dem sie von Anfang an wusste: Hier gehts nicht ums Überleben, hier gehts nur um Zeit. Das ist nicht vorstellbar.. Ihr Mann kann irgendwann eines Tages von vorn beginnen oder wie auch immer späterhin das Leben genießen, das auch sie so geliebt hat - wie auch immer das für ihn aussehen mag - aber sie hat keine Option mehr.. Wenn ich aber 97 bin und mein Mann 104, dann ist es wohl eher leichter für den, der geht..