Montag, 3. Dezember 2018

Nachtflug



Man sagt, wer nachts nicht schlafen kann, wäre in den Träumen eines anderen wach.
Hm.
Ja. Oder hat schlichtweg nur gerade eine weitere Tasse Kaffee geleert und sich wieder einmal in den Weiten der Musik verloren ;)

Meine Gedanken jedenfalls spazieren in dieser Nacht umher, treiben hier und dort, verweilen und lösen sich wieder. Ich denke an Vergangenes, ich denke an Gegenwärtiges, ich denke an andere Menschen in aktuellen Situationen und ich denke an mich in eben solchen Situationen - nur bereits viele Jahre zuvor. Ich denke an tief verborgene Wünsche, Träume und eine fast verschüttet geglaubte Sehnsucht.
Ich denke an das Kopfschütteln, an das Unverständnis, an das Gerede über mich, als ich mich vor beinah sechzehn Jahren für einen neuen, anderen Weg entschied. Ich denke an all die Angst, die ich damals fühlte - und dass nur eine einzige Angst am stärksten war: die davor, wieder zurück zu müssen in das bisherige Leben.
Angst kann einen hindern, wenn sie sich bleiern an die Füße hängt.
Angst kann aber auch.. eine treibende Kraft sein. Die Kraft, sich frei zu machen und loszugehen.
Ich habe mich oft gefragt, was Menschen zueinander führt und was sie zusammenhält. Vor allem dann, wenn es alles mögliche sein muss - aber keine Liebe (mehr) ist.
Was hält uns dann?
Die Angst davor, wieder allein zu sein?
Die Angst davor, in finanzielle Notsituationen zu stürzen?
Die Angst davor, Kinder nicht mehr sehen zu dürfen, Angst vor dem emotionalen Unvermögen, ein über mitunter lange Jahre gewachsenes ganzes Konstrukt aus Familie und Freunden entflechten zu müssen und nicht zu wissen, was danach noch bleibt?
Die Angst vor den Tränen und dem Schmerz des anderen?
Die Angst vor einer ungewissen Zeit?
Zieht man es deshalb vor, in einer Beziehung zu bleiben, die uns nicht erfüllt, es vielleicht nie wirklich getan hat - oder darf ich mir diese Frage gar nicht stellen, darf ich sie mir gar nicht erlauben? Weil ich innerhalb einer Beziehung nicht mehr nur noch Verantwortung für mich habe, sondern auch für den Partner und auch die Kinder, so welche da sind?
Mittlerweile kenne ich so einige Beziehungen, die nur noch nach außen gehalten werden, in ihrem Inneren aber längst ein Nebenher geworden sind. Ich schaue darauf und erinnere mich an all die Nächte, in denen ich früher wach lag und mich ganz woanders hin wünschte. In denen ich nur diese Ahnung hatte, wie es sein könnte oder sein sollte - und wie ich mir immer wieder sagte "Das kannst du nicht bringen. Du hast doch Kinder. Und wer weiß, am Ende machst du dir wirklich nur was vor und dann hast du allen ganz umsonst weh getan."
Ich habe mir das so lange eingeredet, bis ich irgendwann erfuhr: Nein - du machst dir nichts vor, ganz im Gegenteil.
Und irgendwann danach bin ich gesprungen.
Ich habe es niemals auch nur eine einzige Sekunde bereut.
Ich habe immer nur gedacht: "Warum habe ich das nicht schon viel eher gemacht?"

Ich denke an die Menschen, die mir in den vergangenen sechzehn Jahren begegnet sind.
Virtuell und irgendwann auch real. Begegnungen, die oftmals schon mit dem geschriebenen Wort endeten. Oder nach einem gemeinsamen Kaffee. Manchmal nach einer gemeinsamen Nacht.
Weil ich irgendwie immer wieder neu auf der Suche war - mit dieser Idee in meinem Kopf, mit diesem Bild in meinem Kopf, wie es sich für mich anfühlen muss. Weil ich es jetzt wusste.
Keine Kompromisse mehr in den Herzdingen, die für mich wichtig sind. 
Warum eigentlich werden Menschen, denen die Herzdinge so wichtig sind, oftmals belächelt und für weltfremd gehalten, ganz im Gegensatz zu den Entscheidungen der Rationalen? Weil Herzdinge so wenig greifbar sind? Weil sie einer fixen Idee entspringen könnten, bar jeder Realität?
Und wenn nicht? Was, wenn nicht?

Nur.. Wieviel davon kann und darf man anderen Menschen mitgeben, auch wenn sie fragen? 
Wie oft darf man sie an ihren eigenen Traum vom Glück erinnern - und darf man das überhaupt? Beeinflusst man den anderen dann nicht doch zu sehr mit dem, was einen im Grunde selber treibt? 

„A friend is someone who knows the song in your heart and can sing it back to you, when you have forgotten the words.“

Ich mag diese Worte, die ich einst irgendwo las, so sehr. 
Und nun schaue ich hinaus in die Nacht und bin so froh, dass ich heute Nacht hier bin, hier zurückgelehnt liege, während die Welt um mich herum schon schläft. Ich bin so froh, nicht aufgegeben zu haben. Egal wie oft es mich zerrissen hat, der Zweifel, die Angst, die Unsicherheit. 
Es sind diese Jahre, die mich stärker werden ließen. Mit wenigen, aber sehr besonderen Menschen, die an mich glauben. 

Vergangene Woche habe ich meinen Sohn angeschaut, als er lächelte und sagte „Man kann es ja nur mit Humor nehmen, das Leben, sonst würde man ja verrückt werden. Und keine Hoffnung mehr haben.“
Mit einem Mal hatte ich dieses Gefühl, dass er gerade dabei ist, wieder zu seiner früheren inneren Stärke zurückzufinden. Auch wenn und trotzdem sein Weg sich gerade wieder ändert. Aber ich kann sie grad wieder fühlen, seine Zuversicht, seine Energie, die es ihm ermöglicht, immer wieder neu aufzustehen. 
Und so lächelte ich zurück: „Du bist wirklich mein Kind. Du kommst ganz nach mir. Und du kannst mir glauben, es lohnt sich, nicht aufzugeben.“

2 Kommentare:

Hedi hat gesagt…

Ich glaube fast, nahezu jeder hat sich mal in einem Lebensabschnitt befunden, der eigentlich laut und deutlich rief: geh, hör auf damit...
Aber man/frau macht weiter. Als ob unsere Lebenszeit unendlich wäre. Wie vielen Freunden/Verwandten hätte ich das am liebsten schon zugerufen bzw. habe es auch getan. Weil die Zeit kostbar ist und die Menschen es oftmals nicht wert, wegen derer man in einer scheinbar aussichtslosen Lage ausharrt.
Hinterher indessen, da beigreift man plötzlich, dass das vorher behauptete gar nicht stimmt. Man MUSS niemals eine Lage hinnehmen, ein Leben leben, das einem gar nichts mehr gibt. Es gibt immer eine andere Lösung. Vielleicht nicht die bequemste aber es gibt sie. Ich dachte damals vor über 20 Jahren auch erst: ich kann nicht gehen. Das Kind, seine Großeltern, mein Betreuungskonzept, alles fällt zusammen, wenn ich gehe. Und siehe da: die Großeltern (die vom Ex) betreuten das Kind auch ohne dass ich mit ihrem Sohn zusammen war.
Es gibt nie nur einen Weg. Zeit ist kostbar, das eigene Leben ist es. Und wer meint, aus "Liebe" das Leben eines anderen führen zu müssen, statt seinen Weg zu gehen, liegt falsch. Was für eine Bürde wäre es, nur zu bleiben, damit ein anderer nicht leidet, man leidet lieber selbst. Ist es das wert? Nein, niemals!

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Ja Hedi - ich sehe und empfinde das alles haargenauso. Aber manchmal frage ich mich, wie sehr man sich gedanklich in das Leben eines anderen "reinhängen" darf.. Weil ich mich manchmal frage.. Was passiert, wenn jemand eine Entscheidung trifft, mit der er aber dann gar nicht umgehen kann? Die ihn mehr schmerzt als befreit? Was ist, wenn er dann zu einem Aktionismus "verdammt" ist, den er gar nicht leisten kann - oder glaubt, nicht zu können.
Und das Ding ist ja auch... Nicht jeder leidet auch in seiner Beziehung. Manchmal ist der Grat so schmal und der Übergang so fließend... Redet von einer tiefen Freundschaft zum Partner und geht lieber sein Leben lang fremd, weil er woanders findet, was er zu Hause nicht hat..
Ich selbst kann so nicht leben, ich kann kein Leben in Lüge und Heimlichkeit.
Ich kann aber auch kein Leben ohne Liebe.
Nur am Ende.. muss wohl jeder für sich selbst entscheiden, ob und wie viel er tun kann - oder auch nicht.