Sonntag, 5. Mai 2019

Kindeswohl



Es ist grad nicht meine allerbeste Zeit.
Vor einigen Tagen kam ein Blutbefund ins Haus. Drei fragliche Diagnosen, nachdem ich die erste ergoogelte und las, dass es nicht heilbar ist, schlug ich die Seiten wieder zu und beließ es auch dabei.
Aus verschiedenen Gründen haben wir die Bluttherapie nun auch unterbrochen, vor vierzehn Tagen schon - und ob direkt abgebrochen, kann ich noch nicht sagen. Mir ging es tatsächlich gut, wenn auch mit den üblichen Schwankungen. Und ich sagte mir "Komm, du kannst das, du musst das jetzt auch ohne Hilfe schaffen."
Nach und nach wird langsam wieder deutlicher, warum ich überhaupt damit begonnen habe.
Dass mich das alles sorgt, kann ich nicht sagen, tatsächlich nicht - aber es stimmt mich nachdenklich.
Was haben wir erreicht? Haben wir überhaupt etwas erreicht? Wie geht es weiter?
"Achthundert Euro für nichts", kopfschüttelt der Mann. So pessimistisch sehe ich das nicht.
Es ist ja nicht alles wie vorher. Und ich glaube noch immer, dass mein Körper es auch allein schaffen kann. Vielleicht ist er ja nur ein wenig.. irritiert, dass man ihm von jetzt auf gleich nicht mehr hilft? Da darf man schon ruhig ein wenig verschnupft reagieren, denke ich.
Und reagiere meinerseits darauf, indem ich alles noch ein wenig ruhiger angehe. Mir mal hier, mal dort einen Tag freinehme, mich in die Badewanne lege, gefühlte Ewigkeiten lang, wieder mehr lese und nach einer Inspiration für ein neues Bild suche.. Die Leinwand, das dicke Papier, die Staffelei, alles steht und liegt bereit, es wartet nur auf mich...


Die ersten Tage im Mai haben mit unerwarteter Kälte begonnen, grad heut schaute ich gedankenverloren auf das viele Grün vor dem Fenster - und auf den einsetzenden Schneeregen.
Schnee. Im Mai! Und wenn ich es auch noch so bedaure, die Kleidchen bleiben damit im Schrank, die Strickpullover oder auch die geliebten Strickjacken meine treuen Begleiter.
Abends werden wieder mehr Kerzen entzündet, streamen wir uns vermehrt durch die Mediatheken, und so entdeckte ich am gestrigen Abend, dass derzeit "Kindeswohl" kostenfrei angeboten wird.

Was soll ich sagen... Abgesehen davon, dass Emma Thompson eine meiner Lieblingsschauspielerinnen ist, empfand ich diesen Film als sehr berührend... Sie in der Rolle einer Familienrichterin, die bei Streitigkeiten mit Eltern und um Kinder immer für das Wohl eines Kindes zu entscheiden hat. Wie im Fall des noch minderjährigen 17jährigen Adam, der nur drei Monate vor seinem 18. Geburtstag an Leukämie erkrankt. Seine Eltern und er als Zeugen Jehovas lehnen zwar nicht die Behandlung selbst, jedoch eine dabei überlebenswichtige Bluttransfusion ab.
Die nach einem - wie ich finde - wunderbaren Plädoyer für das Leben gerichtlich angeordnet und durchgeführt wird.
Adam überlebt zunächst - und empfindet alles auf den Kopf gestellt, er hat so unfassbar viele, tiefgehende Fragen, auf die er keine Antwort bekam - und die er sich nun von Emma erhofft. Indem er wiederholt ihre Nähe sucht, Grenzen überschreitet - und sie ihn aus Gründen der Professionalität zurückweist..

Natürlich hat mich das vorhersehbare Ende sehr berührt, mich hat jedoch ebenso berührt.. wie wichtig es ist, einander zuzuhören. Miteinander zu sprechen. Über Dinge, die wir denken, über Dinge, die wir fühlen. Warum wir uns verhalten wie wir uns eben verhalten. Warum manchmal anderes wichtiger ist als das eigentlich Liebste im eigenen Leben..
"Ich kann ihren Mann verstehen", sagt der Mann neben mir.
"Hm", antworte ich nachdenklich, "irgendwie schon. Aber ich kann auch sie verstehen. So einen Job macht man nicht einfach so. Sollte man jedenfalls nicht. Sowas sollte man immer mit Herzblut machen. Mit Leidenschaft."
Wenn es um einen Menschen geht, sollte man niemals etwas einfach nur so machen.. Und wenn doch, dann mit den Konsequenzen leben. Wenn das nur nicht zuweilen so schwierig.. und so schmerzhaft wäre.

7 Kommentare:

DrSchwein hat gesagt…

Mir hat der Film auch gut gefallen.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

🙂
Wir haben heut Abend noch einen guten Film gesehen. Über den schreib ich als nächstes.

Die Mitvierzigerin hat gesagt…

Jaaa, das Kindeswohl....
Ich bin Sozialpädagogin (a.D.), habe aber vor einigen Jahren beim Jugendamt gearbeitet. Das war eine harte Zeit für mich. Ich war damals noch sehr jung, frisch von der Uni weg und wollte die Welt verbessern. Mein Idealismus trug mich ganze zwei Tage lang. Als die bittere Realität zuschlug war das ein herber Schlag für mich. Wie entscheidet man, was gut ist für ein Kind? Wann bist du die Person, die das Kind aus der Familie nimmt? Wer gibt dir überhaupt das Recht, dies zu tun? Damals, mit 24 Jahren, hat mich das in tiefe Gewissenskonflikte gestürzt. Es war eine Verantwortung, die ich aufgrund mangelnder Erfahrung nicht zu tragen bereit war. Also wechselte ich den Job. Erst hielt ich mich für feige, doch im Nachhinein betrachtet war es die richtige Entscheidung. Ich war zu jung für diese Art der Verantwortung. Ich war nicht mal Mutter. Wie hätte ich da einer Mutter sagen sollen "du bist nicht gut genug für dein Kind"?
Ich habe den größten Respekt vor den Menschen, die solche Entscheidungen treffen. Wenn sie sie weise treffen, mit Herz und Kopf. Zum tatsächlichen Wohle des Kindes...

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Mitvierzigerin, ich kann es Dir nachfühlen, wie schwer solche Entscheidungen sind. Ich glaube auch nicht, dass ich das könnte. Und ich denke, Du hast völlig recht: Grad wenn man noch keine Kinder hat, sieht und empfindet man vieles anders, mit anderen Emotionen, man ist rein kopfbestimmt. Vielleicht muss man das auch sein? Ich weiß es nicht.
Seit ich selber Kinder habe und erlebe, wie unfassbar tief die Liebe zu Kindern ist und wie sehr es mich schmerzen würde, würde man mir eines oder beide weggenommen haben. Ob man unter so einem Gefühl, so einer Erfahrung immer die richtige Entscheidung treffen kann, weiß ich aber genau so wenig.
Manchmal denk ich, ich wäre gerne Sozialarbeiterin geworden. Familien helfen, sie unterstützen, nicht sie trennen (müssen). Mir ist aber bewusst, dass das eben manchmal überlebensnotwendig für Kinder sein kann. Die Realität hat das immer wieder ganz bitter und traurig gezeigt.

Dies und Jenes hat gesagt…

Hallo,

Film und Leben. Ich weiß auch nicht wie ich mich entscheiden würde. Sicher für das Kind. Ein Arzt legt ja auch einen Eid ab. Doch wie weit dürfen wir denn gehen.. Dürfen wir den anderen unser Statement aufdrücken nur weil jemand anders lebt. Ich weiß nicht sicher alles grenzwertig und letztendlich wird oder muss das Gesetz herhalten.

Deinen Kommentar bei der Mitvierzigerin finde ich so was toll und wahr (warum hab ich nur keine solche Menschen um mich herum). Wenn ich zurückdenke an all das was uns und unserem Sohn widerfahren ist macht mich das sehr traurig und wütend. Seine vermeintlich gesunde Zwillingsschwester wurde dann von denen die Sohn akzeptieren auch wiederum ausgegrenzt weil es ja unfair sei und sooo.. aber ihre "kleinen Probleme" ja auch unmittelbar mit der Frühgeburt zusammenhängen - eine Zwickmühle so dass wir heute sehr zurückgezogen leben und wer in unseren Kreis möchte es sehr schwer hat durchzukommen. Genaugenommen mein Mann ich und die Kinder. Der Rest es gibt noch ein bisschen Familie aber.... nun wenn dann Kommentare kommen wie lange macht den der noch mit dem Führerschein rum.... und man keine Lust hat nochmals alles von vorne zu erklären es ist einfach mühselig oder meine Tochter anmacht was sie denn bis jetzt zum Gemeinwohl beigetragen hat... boah echt ....

Oh das ist jetzt mehr wie doof wenn du die Therapie unterbrechen musst und vielleicht ganz aufhörst. Lass Dir Zeit. Aber es hat doch gezeigt dass andere Wege etwas bringen. Das Geld war nicht umsonst ausgegeben.

Gib nicht auf nimm Deine Diagnosen und Werte und suche es wird sich etwas finden. Ich liebe ja Robert Franz eigenwillig aber er hat sehr gute Ansätze die auch wirken.

Liebe Grüße
Ursula

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Ursula, ähnliches erlebe ich auch bei meinem Jungen "Wie lange denn noch" - bei diesem und jenem, und ich habe mir inzwischen Erklärungen abgewöhnt. Inzwischen sage ich nur noch: "Lasst ihn einfach machen, der macht schon sein Ding, früher oder später."
Daran glaube ich wirklich, aber so leicht, wie sich das lesen mag, ist es nicht immer. Grad gestern Abend, wo er heimkam, unmittelbar danach eine rauchen ging und mir zuwarf "Wenn ich eines Tages an den scheiß Zigaretten zugrunde gehe, dann habe ich es wenigstens hinter mir."
"Was hinter dir?"
"Mein ganzes scheiß Leben."
Wir haben später am Abend ganz lange und in Ruhe miteinander gesprochen, ich war ganz ruhig, ganz entspannt - und irgendwann übertrug sich das auf ihn. Er schlief dann ein, ich hab noch lange wach gelegen, mir irgendwelche Sendungen angeschaut und gedacht, wie froh ich bin, grad jetzt hier bei den Jungs zu sein. Ich kann es aber nicht immer - und eigentlich muss ich das doch auch nicht.

Ich denke auch, dass das Geld nicht umsonst ausgegeben war. Manches ist immer noch deutlich besser als vor Therapiebeginn, grad meine Kollegin meinte heute zu mir: "Kein Vergleich zum letzten Jahr." Der fünfseitige Laborbefund wird grad ausgewertet, mit diesem Rüstzeug geh ich dann noch mal los und muss da einiges abklären lassen, dann komme ich hoffentlich weiter. Bislang höre ich immer nur, dass eins nicht zum anderen passt. Nicht mal bei den Laborwerten. Ich passe einfach nirgendwo rein.
Vielleicht bin ich ja doch ein Unikat? :D
Ein Unikum vielleicht, hat mir vor vielen Jahren mal ein Kollege zur Antwort auf diese Frage gegeben ;)

Clara Himmelhoch hat gesagt…

Liebe Helma, du weißt hoffentlich, dass ich öfter mal so an dich denke und dir dabei immer Gutes wünsche, denn das brauchst du ganz viel und zu jeder Zeit.
Vor Jahren (2004) habe ich mal eine U-Boot-Therapie gegen Tinnitus gemacht - für ähnlich teures Geld wie du. Sie hat nicht geholfen, aber vielleicht hat sie letztendlich dann doch geholfen, denn als ich die ersten Hörgeräte bekam, war das Fiepen und Quietschen weg - zum Glück - da konnte ich mir mein Irre-Werden für später aufheben.
Für den Fernseher habe ich z.Z kaum Zeit, da ich ständig verreise.
GAnzganzganzganz liebe Grüße zu dir von mir