Montag, 19. August 2019

Szenen einer Partnerschaft: das Trüffelschwein der Worte

Ich persönlich finde ja, dass man auch innerhalb einer Beziehung oder Ehe nicht alles gemeinsam machen muss und auch nicht sollte. Ich persönlich liebe und brauche Freiraum. Schwirre gerne aus, lerne gerne Land und Leute kennen und komm dann wieder nach Hause.
Als der Mann und ich uns vor Ewigkeiten kennenlernten, gehörte zum ersten Trennungsgrund auch seine Befürchtung, dass er innerhalb einer Beziehung seinen Freiraum verlieren würde.
Man kennt das ja: Mann und Frau lernen sich kennen, lassen anfangs alle und jeden (gerne auch ungefragt) an ihrem Liebesglück teilhaben, irgendwann gibts die zwei nur noch im Doppelpack und noch einen Tacken später beide farblich aufeinander abgestimmt und im worst case auch noch im selben Outfit. Bevorzugte Marke: Wolfskin.
Igitt.
Wir kannten uns damals auch gar nicht gut genug, um zu wissen, dass ich nicht nur Freiraum brauchte, sondern durchaus auch zugestehe.

Inzwischen, mit unserem vierten und ultimativ letzten Beziehungsversuch, weiß er es natürlich - und heute ist er derjenige, der vieles lieber mit mir als mit beispielsweise Rad- oder Wanderfreunden teilen möchte. Doch jede/r, der mich kennt, weiß, dass der Anblick hoher Berge in mir nichts anderes hervorruft als heimliches Augenrollen, gespickt von Kommentaren wie "Hm, ja, schön, ja, nett" - und den Gedanken an die körperlichen Qualen eines elendigen Aufstiegs. Treue Leser wissen, dass er mich schon zwei- oder dreimal ködern konnte mit "Du wirst es lieben, auf dem Gipfel zu stehen, nach all der Anstrengung - und dann dieser Blick ins Tal!"
Die Wahrheit war jedoch jedesmal, dass ich den letzten halben Berg auf dem Zahnfleisch da hochgekrochen bin, einen Puls von dreitausend hatte und obendrein das beklemmende Gefühl eines viel zu kleinen Atemweges. Ganz zu schweigen von den vielfältig ausgemalten Tötungsabsichten, für die mir zu äußern, geschweige denn auszuführen jedoch das letzte Quentchen Energie fehlte - bis auf die unter Aufbietung aller Kräfte durch die Zähne geknurrte Drohung: "Sprich! Mich! Nicht! An!"
Vom Dach der Welt die Aussicht zu genießen ist bei mir nicht! Ich liege da nur flach im Gras, Arme und Beine weit von mir gestreckt, und das einzige, was mich da überkommt, ist der pure Wille zu überleben!

Also nein. Wandern liegt mir nicht im Blut - und wird es in diesem Leben auch nicht. Berge mag ich am liebsten, wenn ich sie aus der Ferne betrachten darf, am liebsten in Gestalt von Fotos.
Du kannst mit mir stundenlang am Ufer eines Meeres entlanglaufen, kilometerlang, ich will auch unbedingt mal ins Watt und mir ein paar besondere Muscheln oder andere Meeresmitbringer suchen.
Aber Berge?

Insofern betrachtete ich die aktuellen Fotos des Mannes aus sicherer Entfernung vergnügt vom heimischen Sofa aus, während ich ein paar Bärchen-Pärchen genüßlich mit den Zähnen zerbiss und wehmütig feststellte, dass ich hiermit das letzte, in diesem Hause vorhandene Tütchen geöffnet hatte. (Ja ich weiß, letztens schrieb ich noch, ich würde keine Gummibärchen mehr essen nach dem Zahn-Desaster vor Jahren. Aber die hier lagen im diesjährigen Geburtstagspaket und.. was soll ich sagen.. diese köstliche Kombi aus süß und sauer.. ja mein Gott, mein Fleisch ist halt schwach.) Und schon wieder frage ich mich: Muss ich Euch jetzt eigentlich das Wörtchen WERBUNG vor die Augen knallen? Ich bin ja so unsicher manchmal.

Egal. Der Mann ist ja nun wieder da und mitgebracht aus den Bergen hatte er auch die Euphorie, mich doch auch mal zu jenem Ort in Ösi-Land zu geleiten, weil: "Ich finde das alles schön, aber noch schöner wäre es, wenn ich es mit dir genießen könnte!" Nett gesagt! Ein Mann weiß ja zumeist auch, welche Knöppe er bei (s)einer Frau drücken muss. Aber sobald neben der überzeugen wollenden Flut aus "Wellness! Schwimmen! Radfahren! Kaiserschmarrn! Topfenstrudel!" auch das Wörtchen "Spazieren" auftauchte, da wurde ich sofort misstrauisch. Da bin ich das Trüffelschwein der Worte! So wie heute in der ellenlangen, blumigen und lebens-überschwenglichen Nachricht einer Freundin mir nur ein Detail ins Auge fiel "Wie jetzt? Du kämpfst mit den Wechseljahren?"
Spazieren gehen klingt so harmlos! Aber doch nicht in einer Gegend, wo Dir frei nach Robinson Jr. nur eins widerfährt, sobald Du Deine Augen öffnest: "Was sehen wir heute? Die Berge! Ach.. Schon wieder die Berge."
Verdammte Axt, es ist KEIN Spaziergang, wenn ich ein paar Höhenmeter dazu überwinden muss. Das liegt mir nicht, weder im Blut noch in den Beinen. Und ich bin raus aus diesen Zeiten, wo ich murrig, aber trotzdem so ziemlich alles mitgemacht habe. Stellt Euch vor, ich bin erwachsen geworden. So ein bisschen jedenfalls. Und das bisschen reichte aus, um dem Mann das Versprechen aus der Tasche zu leiern: Spazieren meint tatsächlich spazieren. Und mit tatsächlich und erwachsen geworden bedeutet das bei mir: Ich bleibe stehen und kehre um, wenn ich merke, ich werde auf nen Berg gelockt. Da kenn ich nix. Da bin ich stur wie Maulesel. Eine Eigenschaft, die mir nicht erst das Alter antrainierte. Die wurde mir ob meines Geburtsorts schon direkt mit in die Wiege gelegt. Danke, Mama & Papa von der Küste. Sagte ich Euch schon, dass ich Euch liebe?

Das Wochenende jedenfalls ist gebucht - und ich werde berichten. Ob der Mann noch lebt, ob wilde Kämpfe ausgefochten wurden - oder alles Friede Freude Eierkuchen geblieben ist.

2 Kommentare:

Dies und Jenes hat gesagt…

*lach ne nicht wirklich könnte ich sein. Und nein ich lasse das inzwischen als Vater-und-Sohn Auszeit sozusagen Männerurlaub durch und nein ich muss da nicht mit. Ich bevorzuge die langen Spaziergänge im Sand und auch Watt. Mein Mann will mich auch weichkochen von wegen er möchte mir mir und mir das zeigen und ich müsste ja nicht und er würde ja auch mit mir an die Ostsee....

Nein Nein Nein ich muss gar nicht. Warum muss man auch alles gemeinsam machen in einer Ehe/Partnerschaft. Man kann sich ja trotzdem lieben und achten usw....

Wobei sich dann bei mir wieder der Gedanke einspielt von wegen Singledasein fahren wohin ich will wann ich will etc. eben...

Pfft egal ich liebe meinen Kerl und ja es könnte durchaus dramatisch werden so da oben aufm Berg.

LG
Ursula

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Ursula, genauso ist das: Man muss nicht alles gemeinsam machen - auch innerhalb einer Beziehung nicht. Freiraum muss sein, alles andere erstickt. Den meinen liebe ich ja auch, aber dreimal dieses Berge-Theater mitgemacht zu haben, ist Liebesbeweis genug, finde ich. Man(n) sollte es nicht ausreizen :)